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Wo Maßnahmen nottun

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Das „Ja zum Leben“, zu dem die Kirche heuer unter dem Vorzeichen des „Ja zum Glauben“ aufruft, verlangt sicher konkrete — auch politische — Maßnahmen. Die Gefährdungen des Lebens haben ihren Hintergrund sicher auch in „Strukturen der Sünde“ und fast schon automatisch wirkenden „Mechanismen“ — wie der Papst in seiner jüngsten Sozialenzyklika „Sollicitudo rei socialis“ schreibt. Voraussetzung dafür, daß solche politischen Maßnahmen greifen, ist aber, das „Ja zum Leben“ als eine Haltung, eine „Tugend“ neu zu begründen. Es geht um eine „Kultur und Tugend der Lebensbejahung“, die in Österreich gefördert werden muß. Kennzeichen einer solchen Kultur waren:

• Annahme seiner selbst: Es geht nicht um eine Form „positiven Denkens“ oder um Autosuggestion. Von Anfang an ist klar, daß das „Ja zu mir selber“ im Glauben gründet, daß Gott zu jedem Menschen — also auch zu mir — ja gesagt hat und dieses Ja nicht zurücknimmt. Gott setzt in jeden noch Hoffnung und gibt ihm das Recht, ein anderer zu werden. Kein Mensch darf für sich und für andere dieses Recht aufkündigen.

• Bekenntnis und Vergebung von Schuld: Von Schuld und Geschichtsbewältigung ist in den letzten Monaten viel geredet worden. Zumeist von der Schuld anderer. Unser „Ja zum Leben“ verlangt nach einer ehrlichen Haltung zur Geschichte — der eigenen, unserer Kirche, unseres Volkes. Mehr Gespür für die Feinheiten unserer Sprache wäre nötig. Für den, der schuldig geworden ist, sind nicht das „Sich-Entschuldi-gen“ und Schuldbewältigung der Ausweg. Die Kirche hat immer daran festgehalten, daß Schuld bereut und eingestanden werden muß. Vergebung ist zuerst Gnade, um die wir bitten und die wir nur als Geschenk annehmen können.

Beispielhaft — allerdings ziemlich vereinsamt — waren die Worte, die Kardinal Franz König im Gedenken an das Jahr 1934 gefunden, was Bischof Reinhold Stecher zum Verhältnis Christentum-Judentum gesagt, und was der Papst 1983 auf dem Heldenplatz im Namen der Christen einbekannt hat: „Es ist bedrückend, daß zu jenen, die ihre Mitmenschen bedrängten und verfolgten, auch gläubige Christen gehörten. Wenn wir uns zu Recht unseres Herrn Jesus Christus und seiner Botschaft rühmen dürfen, so müssen wir andererseits bekennen und dafür um Vergebung bitten, daß wir Christen Schuld auf uns geladen haben — in Gedanken, Worten und Werken und durch tatenloses Gewährenlassen des Unrechts.“ Wird ein solches Wort auch im Gedenken an die „Reichspogromnacht“ im Herbst 1988 gesprochen werden?

Wir Christen sind von Christus aber auch verpflichtet, immer wieder zu verzeihen, „weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat“ (Eph 4,32). Zweifelsohne gibt es auch einen Dienst der Versöhnung, den wir Christen und die Kirche zu leisten haben. Auch 1988.

• Ehe, Familie und Weitergabe des Lebens: Das „Ja zum Leben“ gilt dem* Menschen von seiner Empfängnis an, es gilt auch für die Kranken und für die alten Leute. Deshalb setzt sich die Kirche sowohl für das Lebensrecht des ungeborenen Kindes als auch für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein, die jedem Menschen Schutz und zureichende Lebenschancen ermöglichen. Nicht aus borniertem Konservativismus, sondern aus der Erfahrung, daß eine Kultur, die das Leben fördern und schützen und optimale Entfaltungsmöglichkeiten sichern will, darauf unmöglich verzichten kann, treten wir für einen angemessenen - auch gesetzlichen — Schutz von Ehe und Fa-müie ein.

Bei allem Respekt vor den Bemühungen von Wissenschaftlern, medizinische Hilfestellungen bei der Weitergabe des menschlichen Lebens zu leisten und mögliche Ursachen bisher unheilbarer Krankheiten in diesem Bereich zu entdecken, müssen Experimente mit menschlichen Embryonen 1 und die Herabwürdigung menschlichen Lebens als Mittel zum Zweck kategorisch abgelehnt werden. Gesetze in diesem Bereich sind nötig. Wichtiger aber sind ethische Haltungen. Das Ja zum Leben kann ohne Erneuerung und Erinnerung des moralischen Fundaments unseres Lebens und der Weitergabe des Lebens keine Frucht bringen. • Achtung vor den Geschöpfen: Die Sozialenzyklika „Sollicitudo rei socialis“ thematisiert mehrere Male die Sorge um die Umwelt. Eine Kultur der Lebensbejahung muß sich bewähren bei der Rettung und Bewahrung der Natur. Der Papst sieht es als ein positives Zeichen der Gegenwart an, daß es heute ein wacheres Bewußtsein gibt „von der Begrenztheit der verfügbaren Rohstoffe“, von der „Notwendigkeit, die Unversehrtheit und die Rhythmen der Natur zu achten und bei der Planung der Entwicklung zu berücksichtigen“ (Nr. 26).

Gesetzliche Regelungen sind zu treffen. Vorschläge dafür sind auch von der Katholischen Aktion Österreichs erarbeitet worden. Deren Verwirklichung fordert aber sicher auch von den Bürgern ein Umdenken und große Opfer. Wer das „Ja zum Leben“ sagt, muß auch dazu ja sagen.

• Wirtschaft für den Menschen: Die Kirche sagt ihr „Ja zum Leben“ 1988 angesichts der Bedrohung der wirtschaftlichen Existenzgrundlagen Tausender Menschen. Arbeitslosigkeit ist eine Eingrenzung der Lebensmöglichkeiten vieler. Die österreichischen Bischöfe bereiten ein Hirtenwort zu sozialen Fragen der Gegenwart vor und haben viele eingeladen, an den Vorarbeiten mitzuwirken.Freüich hat auch die Kirche keine Patentrezepte parat. Auszugehen ist aber davon, daß die Arbeit ein Grundwert des Lebens ist und alle Anstrengungen unternommen werden müssen, menschenwürdige Arbeit zu schaffen. Die Einrichtung von kirchlichen Arbeitslosenfonds ist ein konkreter Schritt, der in mehreren Diözesen gerade in diesem Jahr gesetzt wird. Die Sozialenzyklika erinnert an die „dringende Notwen-, digkeit einer Änderung der geistigen Haltungen“. Vor allem geht es um die christliche Tugend der Solidarität. (Nr. 38 und 40) • Solidarität weltweit: Ebenfalls in der jüngsten Sozialenzyklika ward nachdrücklich verwiesen, daß der Einsatz für bessere Lebensbedingungen weltweit sein muß. Der Papst stellt den Grundsatz für das Wesen echter Entwicklung auf: „Entweder nehmen alle Nationen der Welt daran teil, oder sie ist tatsächlich nicht echt.“ (Nr. 17) Die Kirche in Österreich ist wahrscheinlich die einzige gesellschaftliche Groß struktur, die sich durchgängig für die Anliegen der Dritten Welt eingesetzt hat, trotz mancher Ermüdungserscheinungen. Die Enzyklika „Sollicitudo rei socialis“ macht jedenfalls unmißverständlich deutlich, daß ein „Ja zum Leben“ nicht nur innerösterreichisch ausgehandelt werden darf, sondern im Weltmaßstab zu vertreten ist: im Einsatz für die Menschenrechte, für ökonomische, kulturelle, politische und religiöse Lebensbedingungen. , In diesem Zusammenhang wären auch die Passagen der Sozialenzyklika über Waffenproduktion und den Handel mit Waffen in Österreich zu lesen und zu realisieren. (Nr. 10, 23, 24) • „... nicht vom Brot allein“: Angesichts der immer wiederkehrenden Versuchung des Konsumismus muß die Kirche als „Anwalt des Lebens“ verkündigen: Wo immer der Mensch hauptsächlich von seinen materiellen Bedürfnissen und deren Befriedigung her verstanden wird oder sich selbst lediglich als Produkt seiner Leistung begreift, ist menschliches Leben gefährdet. Einer der Hauptsätze einer menschenfreundlichen Kultur des Lebens ist: Der Mensch ist mehr als alles, was er hat; mehr als alles, was er erreicht hat. Alles Tun der Kirche ist ein Zeichen dafür: auch Sonn- und Feiertage, die Feste der Kirche, der Einsatz in Spitälern und Altenheimen, im Religionsunterricht ...

Österreich ist ein pluralistischer Staat mit christlichen Wurzeln und einer voritder Kirche mitgestalteten Geschichte und Kultur. Daß eine Identifikation von Kirche und Staat weder möglich noch wünschenswert ist, haben die Christen in Österreich -manchmal schmerzhaft - vor Jahrzehnten erkannt. Auch das von der katholischen Kirche im letzten Konzil verkündete Selbstverständnis stellt sich dieser Realität: Die Kirche weiß sich als „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innerste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“.

Wenn die Katholiken in Österreich sich mit ihren Bischöfen und dem Papst, gemeinsam mit Zehntausenden Gästen aus den Nachbarstaaten zur Devise „Ja zum Glauben - Ja zum Leben“ bekennen, tun sie es auch im Dienst an unserem Land und aller Menschen. Denn „wir glauben, daß das künftige Schicksal der Menschheit in den Händen jener ruht, die den kommenden Geschlechtern Motive des Lebens und der Hoffnung zu vermitteln wissen“. (Gaudium et Spes)

Der Autor ist Geistlicher Assistent der Katholischen Aktion Österreichs und Hochschulseelsorger in Graz.

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