6850613-1976_45_10.jpg
Digital In Arbeit

Der Christ und seine Verantwortung

Werbung
Werbung
Werbung

In Österreich ist eine gesellschaftspolitische Umwälzung größten Stils im Gang. Sie wird von der Regierungspartei vorangetrieben, aber große Ströme von Weltausmaß sind mit im Spiel. Tiefgreifende gesellschaftspolitische Änderungen kommen zum Teil aus einer Eigendyna-mik, zum Teil aber sind sie bewußt nach einem Leitbild gesteuert. Dieses Leitbild ist die säkularisierte Wohlstandsgesellschaft, die vom Zweck/denken dirigiert wird. Deshalb kann sich die Kirche nicht aus der Auseinandersetajung zurückziehen und die Dinge laufen lassen. Für den weltanschaulichen Hintergrund sind wir als Christen kompetent.

Das Paradebeispiel christlicher Weltverantwortung steht in der Bergpredigt: Christus stellt fest, daß eine gottlose Welt keine Welt für den Menschen sein kann: „Glücklich jene, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn ihnen gehört das Gottesreich.“ Ubersetzt heißt das: Mensch, sei dir deiner Situation bewußt. Wie du diese Welt mitgestaltest, so wird dich auch Gott an der Ewigkeit teilnehmen lassen.

Wir Christen haben Jesus Christus oft mißverstanden. Wir haben sein Anliegen beschränkt auf Gebet und sakramental-kirchliche Feiern. Wir erleben nun, daß uns der Lebensraum für die Pflege der direkten Gottesverehrung entzogen wird, weil wir den sozialen Lebensraum, die Welt der Arbeit, der Wirtschaft, der Kunst, der Freizeit, der Kultur, der Wissenschaft, der Politik zu sehr vernachlässigt haben. Kirche ist aber ohne Welt nicht denkbar, Kirche ist ohne Welt nicht zu verwirklichen. , Eine „unpolitische Kirche“, auch wenn sie manche Katholiken so wollen, ist nicht nach dem Sinne des Konzils. Daraus ergeben sich drei Folgerungen:

•Alles politische Tun ist christlich entscheidend. Der Mensch, der Christlich glaubt, sein Leben nach dem Maße Christi einrichtet und daraus handelt, ist derselbe, der bei der Wahl seinen Stimmzettel abgibt, also politisch handelt. Das ist so, seit Christus gesagt hat: Gebt Gott, was Gott gehört, und dem Kaiser, was dem Kaiser gehört.

•Alles christliche Handeln ist auch politisch entscheidend: Christliche Politik — also Politik von Christen gemacht — hat sich immer neu darüber bewußt zu werden, daß die großen Taten der Heilsgeschichte Christi von gewichtigem Einfluß auf unser weltliches Tun sein müssen.

•Politik aus christlicher Verantwortung braucht auch Aktionsgemeinschaften für ihre Wirksamkeit im politischen Raum: So sagt das Konzil im „Laiendekret“ (Artikel 18), es sei „geradezu unerläßlich, daß im Bereich der Tätigkeit der Laien die Gemeinschaftsliebe und organisierte Form des Apostolates gestärkt werden“!

Wer als Katholik sich eine politische Meinung gebildet hat, der soll danach trachten, diese Meinung als Staatsbürger zur Geltung zu bringen. Eine solche Meinung muß nicht eine alle Katholiken verpflichtende Meinung sein. Wenn die kirchliche Hierarchie den Gläubigen keine politischen Weisungen erteilt, dann können sie auch nicht auf solche Weisungen warten, sondern müssen aus eigenem Gewissen heraus entscheiden. Die Bischöfe können ihnen diese Entscheidungen nicht abnehmen.

Die Regeln des politischen Handelns werden nicht von Christen festgelegt, sie sind Spielregeln, auf die man sich in der Demokratie gemeinsam von vornherein geeinigt hat. Dieses vorgegebene System der Regeln zwingt aber auch die Christen, Gruppen zu bilden oder sich politischen Gruppen anzuschließen, falls sie den Wollen haben, in diesen Gestaltungsprozeß ernstlich einzugreifen und die christliche Wahrheit einzubringen. Für gesellschaftspolitisch schöpferisches Handeln sind Zusammenschlüsse unentbehrlich. In der demokratischen Gesellschaft mitspielen kann nur, wer sich in Gruppen Gleichgesinnter zusammenschließt.

Die Entwicklung der letzten Jahre im geseHsohaftspolitisOhen Bereich Österreichs zeigt Verschiebungen im Wertbewußtsein der Gesellschaft Diese wirken sich auch in politischen Zielsetzungen aus. In den wesentlichen Fragen der Ordnung von Staat und Gesellschaft können sittliche Wertentscheidungen aber nicht ausgeschaltet werden. Darum sind die Parteien in Österreich nicht „weltanschaulich neutral“, sondern leben von Wertkategorien, die zwar für viele Probleme der täglichen Politik, nicht aber immer und grundsätzlich ausgeklammert werden können.

Die Kirche als Institution, die in der Botschaft vom Reich Gottes auch ethische Normen verkündet, muß daher auch zu den von den Parteien vertretenen Werten Stellung nehmen. Ihre Stärke ist die Kraft der Uberzeugung, das Gewicht der Argumente, das Engagement für Werte, die oft gefährdet sind gerade in der Vielgestaltigkeit unserer Gesellschaft sowie das Leben der Christen, die gemeinsam die Kirche bilden.

Es gibt keine weltanschauliche Gleichgültigkeit. Darum kann auch die Kirche keine Äquidistanz zu den einzelnen Parteien einhalten; vielmehr bestimmen die Parteien selbst ihren Stellenwert zur Kirche durch ihre Programme, durch die Personen, die in ihnen politisch handeln, und durch die Praxis.

Christentum ist eine Religion der Zukunft; der Mensch ist ständig in Entwicklung auf die Vollendung hin. Darum ist Hoffnung auch eine politische Kategorie. Politik aus christlicher Verantwortung muß sich auszeichnen durch Verantwortungsbewußtsein, Zuversicht und Vertrauen in den Menschen, Mut zur Wahrhaftigkeit und Einsatz auch für den gesellschaftlich Schwächeren Durch den politischen Erfolg kann der Mangel des Gewissens niemals wettgemacht werden. Hier liegt unsere Aufgabe, die auch der einzelne Christ zu erfüllen hat und die uns keine Partei abnehmen kann. Mehr Mut zu Bekenntnis und Handeln im politischen Bereich ist ein Gebot der Stunde. Die Kirche braucht das allgemeine Selbstvertrauen der Katholiken, das zugleich ein Auftrag ist, sich um Österreich kräftig zu kümmern.

Die Heiligung dieser Welt kommt aus dem Heil Gottes. Eine starke, vitale, wahre und optimistische Kirche ist ein unersetzlicher Beitrag für Österreich.

Unsere Heimat Österreich ist von einem neuen, oft sehr verworrenen Denken herausgefordert. Wenn wir nur eine politisch-soziale und weltanschauliche Kosmetik betreiben, wird die Geschichte über uns hinweggehen. Wenn wir aber demütig den Dienst am Menschen leisten wallen, der seine Würde durch Christus erhält, dann werden wir die Geschichte meistern und damit auch die politischen Probleme unseres Heimatlandes.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung