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Absolute Wahrheit und pluralistische Gesellschaft

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Ein katholischer Laie aus Wien meldet sich mit Gedanken zur Lage der Kirche zu Wort.

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Ein katholischer Laie aus Wien meldet sich mit Gedanken zur Lage der Kirche zu Wort.

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Der Wahrheitsanspruch des Katholischen Glaubens beruht nicht auf historischer Richtigkeit und nicht auf logischer Widerspruchsfreiheit, sondern auf dem Axiom göttlicher Offenbarung und den gelebten Konsequenzen der Christen, ihrer Gemeinden, der Kirche.

Kern der Offenbarung: Gott ist unfaßbar groß und anders als der Mensch und ist dennoch in Jesus erkennbar und Mensch geworden. Die Kirche in der ständigen Gegenwart Jesu spricht von Gott, sagt aus, wie er sich den Menschen, sein Volk, die Gesellschaft erwartet. Das kirchliche Einheits- und Lehramt hat die schwierige Aufgabe, bei Offenheit für neue Auslegungsbemühungen die Heilsgeschichte von Tausenden Jahren authentisch darzustellen.

Zeitverbunden sind die wechselnden Schwerpunkte, ist die Sprache der Verkündigung, vorläufig beziehungsweise nicht vor Irrtum sicher sind Ableitungen und Interpretationen, die den gerade letzten Stand der Forschung und die gerade üblichen gesellschaftlichen Bedürfnisse und Gepflogenheiten berücksichtigen. Wahrheitsanspruch selbst für die kleinsten Ordnungsvorschriften wird dem Reichtum der christlichen Botschaft und den vielfältigen Glaubenszugängen ebensowenig gerecht wie eine undifferenzierte Liebeserklärung, die aber zum Beispiel vor unverschuldetem Leid versagt.

Der suchende Mensch gibt einen Vertrauensvorschuß, um seinen persönlichen Glauben zu finden, während der Glaube der Kirche schon da ist und auf Übereinstimmung wartet. Der autonome Mensch sagt: So bin ich und das will ich, und bleibt, wo er ist. Er wird nicht ausgeschlossen, sondern er schließt sich selbst aus. Das ist seine Freiheit. Die pluralistische Gesellschaft als ganze läßt nur gelten, was sich nicht absolut setzt, erklärt aber ihrerseits dieses pluralistische Prinzip

für absolut. Das ist inkonsequent.

Man darf die Suchenden nicht drängen und die Autonomen nicht zwingen wollen. Allzu selbstsichere Leute verfallen manchmal dem Mißverständnis, ein für allemal gefunden zu haben oder, auch bei Ablehnung jeder Verbindlichkeit dazugehören zu können. Da muß klärend eingegriffen werden.

Niemand kann wirken, wenn er sich abschließt. Daher gehört zur Kirche Bereitschaft zum Gespräch und zur Zusammenarbeit mit anderen Religionen und Weltanschauungen. Die offene Kirche ist auch eine lernende, indem sie Erkenntnisse der Menschen, der Wissenschaften, der Kunst aufgreift und im Lichte ihres einzigen Lehrers Christus prüft. Die Fragen und Forderungen der Gesellschaft an die Kirche (zum Beispiel Menschenrechte) sind so etwas wie ein Feedback darüber, was von der Kirche aus in die Gesellschaft gelangt ist und wie es dort aufgenommen und verändert wurde. Das Feedback kann freilich die wesentlichen Aussagen und Lehren der Kirche nicht ändern, sondern nur die Art ihrer Vermittlung im Reden und Handeln. Das ist nicht illiberal, denn jedem bleibt die Freiheit, sich davon zu distanzieren.

Die Gesellschaft kann die Kirche nicht in Pflicht nehmen, wo sie sich Vorteile erhofft: karitativ, sozial, kulturell, ohne ihre Wurzeln zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren. Es ist auch widersinnig, wenn die Gesellschaft von der Kirche, die sie sonst ablehnt, Zeichen fordert, deren Bedeutung sie nicht oder nicht richtig versteht: die schöne Hochzeit, die schöne Leich'. Wer das Selbstverständnis einer Institution nicht anerkennt, raubt ihr mit der Identität die eigentliche Wirksamkeit, beraubt sich einer besonderen Chance, die andere nicht bieten können.

Mit jeder Entscheidung wählt man in Freiheit die Aufgabe eines Teils der Freiheit. Eine pluralistisch-liberale Gesellschaft garantiert die Freiheit

der Wahl auch der Beligion. In diesem Rahmen lädt die Katholische Kirche zu einem Glauben ein, der einen persönlichen Bund mit dem absoluten Gott in Gemeinschaft mit anderen Glaubenden aussagt. Dafür hat sie einzustehen, dafür darf sie in Wort und Tat werben, ohne sich aufzudrängen. Ob Marketingmanager helfen können, die den Zulauf zur Kirche mit Mitteln des Zeitgeistes und mit Sonderangeboten verstärken wollen, ob Jesus-Freaks und Pfarrcafe-Besucher eher zu Gott finden, wieweit menschliche Beheimatung den Zugang zum größeren Heil Gottes erleichtert, ist ernsthaft zu fragen.

Auch innerhalb der Kirche zeigt sich ein gewisser Pluralismus. Er läßt sich allerdings vernünftigerweise nicht mit rechts oder links, konservativ oder progressiv, dogmatisch oder liberal beschreiben. Die Offene-Kir-che-Bewegungen haben in ihrem öffentlichen Auftreten beträchtliche Ausgrenzungsfähigkeiten bewiesen. Die Österreichische Bischofskonferenz stellt pastorale Überlegungen an, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Das Kirchenvolksbegehren setzt auf Agitation. Aber unbeantwortet stehen Fragen im Baum wie diese:

Was schadet der Kirche mehr:

■ Der zunehmende Verlust an Glau-benssubstanz, der sich in Meinungsumfragen deutlich abzeichnet (zum Beispiel höheres Wesen statt liebender Vater, Ganzhingabe Jesu als nur menschlich konsequentes Handeln, Wiedergeburtsvorstellungen statt Auferstehungsgewißheit) oder die abnehmende Fähigkeit zur Verkündigung nach außen?

■ Die Sündhaftigkeit eines Menschen oder die Selbstsicherheit von 99 vermeintlich Gerechten?

■ Das Bestehen unzeitgemäßer Strukturen oder die Verweigerung des Dialogs?

■ Eine Lehraussage, die einem nicht eingeht, oder die Grundhaltung, daß einen kirchliche Autorität nichts angeht?

Ein Pfmgstwunder gegen die babylonische Verwirrung, bitte, lieber starker Gott!

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