"Meditieren statt diskutieren"

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Die Furche dokumentiert - in gekürzter Form - die Ansprache des Papstes anläßlich des jüngsten Ad-limina-Besuchs der österreichischen Bischöfe

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Die Furche dokumentiert - in gekürzter Form - die Ansprache des Papstes anläßlich des jüngsten Ad-limina-Besuchs der österreichischen Bischöfe

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Drittens: Ich bin froh, daß Ihr den wahren Dialog in den Euch anvertrauten Teilkirchen zum vorrangigen Anliegen Eurer Hirtensorge gemacht und dabei versucht habt, alle Gläubigen einzubeziehen.

Damit ist uns das Stichwort unserer heutigen Überlegungen gegeben. Ich möchte mit Euch über die Communio nachdenken. Sie ist die Voraussetzung des Dialogs. Deshalb habe ich in meiner eben genannten Ansprache auf die Notwendigkeit einer "vorgängigen Kommunikationsbereitschaft und fundamentalen Gemeinsamkeit" hingewiesen, damit ein konstruktiver Dialog zustandekommen kann. Gleichzeitig ist die Communio auch Frucht des Dialogs. Wenn die Positionen offen und ehrlich einander gegenübergestellt werden, und wenn die Gesprächspartner eine Grundlage gemeinsamer Überzeugungen trägt, dann kann der Dialog ohne weiteres zu einem vertieften gegenseitigen Verständnis führen. Der Dialog des Heiles muß sich in der Communio der Kirche vollziehen. [...]

4. In diesem Zusammenhang tut es gut, mit den Augen des Zweiten Vatikanischen Konzils einen Blick auf das Sein und die Sendung der Kirche zu werfen. [...] Wenn die Konzilstexte von Communio reden, dann geht es zunächst weniger um Organisationsfragen der Kirche, um Strukturen, Kompetenzen und Methoden, als vielmehr um die eigentliche "Sache" (res), aus der die Kirche kommt und für die sie lebt. Die Texte sprechen von der Kirche als Mysterium. [...]

Die Communio der Kirche ist also vorgebildet, ermöglicht und getragen von der Communio des dreifaltigen Gottes. Die Kirche ist gleichsam die lkone der trinitarischen Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligem Geist.

5. [...] Wer die Kirche als heilsmächtige Wirklichkeit ernst nimmt, der ist sich bewußt, daß sie ihre Bedeutung nicht um ihrer selbst willen erhält. Eine Kirche, die sich nur als rein menschliche Gemeinschaft begreift, wäre nicht imstande, angemessene Antworten auf die menschliche Sehnsucht nach einer Gemeinschaft zu geben, die trägt und Sinn zu stiften vermag. [...] Wie tröstlich und zugleich ermutigend ist es für uns, daß es die Kirche als Mysterium gibt. Sie weist über uns hinaus und kann so zu Gottes Botschafterin werden. [...]

6. Damit ist die Gottesfrage gestellt - das vielleicht ernsteste Problem, das Ihr als Hirten in Österreich zu bewältigen habt. Auch wenn die Frage nach Gott nicht so deutlich in den Schlagzeilen der Öffentlichkeit erscheint, bewegt sie doch die Herzen der Menschen. [...]

Heute ist es angezeigt, die Erneuerung der geistlichen Dimension der Kirche zu fördern. Kirchliche Strukturprobleme rücken wie von selbst an die zweite Stelle, wenn die alles entscheidende Frage nach Gott auf der Tagesordnung der kirchlichen Debatte erscheint. [...] Die erste Frage, die uns als Hirten gestellt werden kann, lautet nicht: Was habt Ihr alles organisiert?, sondern: Wen habt ihr in die Communio des dreifaltigen Gottes geführt? [...]

8. An dieser Stelle kann ich zwei große Sorgen nicht verschweigen, die aus bestimmten rückläufigen Zahlen hervorgehen: einerseits die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier und zum anderen der Mangel an Berufungen. Wie groß meine Anerkennung dafür ist, daß Ihr Euch für den Schutz des Sonntags im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben einsetzt, so sehr fühle ich mich auch verpflichtet, Euch zu ermahnen: Werdet nicht müde, die Euch anvertrauten Gläubigen mit Festigkeit an das Sonntagsgebot zu erinnern ...

Berichtet Euren Priestern: Der Papst kennt die Schwierigkeiten, denen viele Seelsorger durch die Arbeitsüberlastung und die mit ihrem Amt verbundenen Sorgen jeglicher Art ausgesetzt sind. Der Papst weiß um den pastoralen Eifer vieler Weltpriester und Ordensleute, der sie in ihrem Einsatz mitunter bis an den Rand der Erschöpfung führt. Die Last wird in den Pfarren Eurer Diözesen noch schwerer,wo auch die Geographie des Landes zahlreiche Strapazen und Opfer abverlangt.

Während ich den Priestern meine Wertschätzung bekunde, halte ich es für meine Pflicht, auch die Laien zu ermuntern, mit ihren Priestern einen von Wohlwollen und Ehrfurcht getragenen Dialog zu führen und sie nicht als "Auslaufmodell" einer kirchlichen Struktur zu sehen, die in den Augen mancher vielleicht auch ohne Weiheamt auskommen könnte.

9. Gerade diese Überzeugung, die selbst bei gläubigen Männern und Frauen verbreitet ist, hat sicherlich auch dem Rückgang an Berufungen in Euren Ortskirchen Vorschub geleistet: Ich weiß, daß Ihr Euch mit allen Kräften darum bemüht, den jungen Menschen die Begegnung mit Jesus Christus zu erleichtern ... Im übrigen wissen wir zu gut, daß Berufungen von Menschen nicht "gemacht" werden können. Statt dessen müssen sie von Gott unablässig erbeten werden. Berufung ist - gerade am Anfang - eine zarte und verletzliche Knospe. [...] Besonders wichtig ist es, daß diese jungen Menschen auf glückliche und glaubwürdige Priester treffen, die von ihrer Entscheidung tief überzeugt sind und zu ihren Mitbrüdern und ihrem Bischof ein Band herzlicher Freundschaft pflegen. Dafür ist es notwendig, daß der Bischof nicht als "Beamter" in weiter Ferne oder "Chef" von oben erscheint. [...]

Eine Kultur echter Communio zwischen Priestern und Bischöfen sowie deren frohes Zusammenwirken zum Wohl der Kirche sind der beste Mutterboden, auf dem Berufungen gedeihen können. [...]

11. In den Konzilsdokumenten wird die Kirche als "creatura Verbi" (Schöpfung durch das Wort; Anm.) beschrieben ... Dieses Bewußtsein hat im Volk Gottes ein lebendiges Interesse für die Heilige Schrift geweckt. Es steht außer Zweifel, daß daraus jeder einzelne für seinen Glaubensweg Nutzen ziehen kann.

Leider sind jedoch auch Mißverständnisse und Fehlentwicklungen nicht ausgeblieben: Es haben sich einige Sichtweisen über die Kirche eingeschlichen, die weder dem biblischen Befund noch der Überlieferung der Kirche entsprechen. Der biblische Ausdruck vom "Volk Gottes" (laos tou theou) wurde im Sinne eines politischen Volksverbandes (demos) gedeutet, der in seinem Aufbau den Richtlinien folgt, die für jede andere gesellschaftliche Größe gelten. Da die Regierungsform, die mit dem heutigen Empfindungsvermögen am meisten im Einklang steht, die Demokratie ist, wurden unter manchen Gläubigen Rufe nach einer Demokratisierung der Kirche laut, die sich gerade in Eurem Land und über dessen Grenzen hinaus mächtig Gehör verschafft haben. Gleichzeitig hat die authentische Auslegung des Wortes Gottes und die Verkündigung der Lehre der Kirche mitunter einem falsch verstandenen Pluralismus Platz gemacht. Daraufhin dachte man, die geoffenbarte Wahrheit ließe sich demoskopisch erheben und demokratisch bestimmen.

Muß man nicht tief betrübt sein, wenn man feststellt, welche irrigen Auffassungen in Fragen des Glaubens und der Sitten, aber auch in bestimmten Angelegenheiten der kirchlichen Disziplin in das Denken vieler Laien eingedrungen sind? Über die geoffenbarte Wahrheit kann keine "Basis" befinden. Die Wahrheit ist kein Produkt einer "Kirche von unten", sondern kommt "von oben", von Gott. Die Wahrheit ist nicht Geschöpf des Menschen, sondern Geschenk des Himmels. [...]

13. Wie ich mir Eure Sorgen zu eigen mache, so möchte ich auch Eure Freude darüber teilen, was Ihr in Kirche und Gesellschaft für die Kultur des Lebens leistet. Gerade die Kultur des Lebens spannt sich zwischen den Polen von Wahrheit und Liebe auf. Steht mutig zu Eurem Zeugnis in der überlieferten Lehre und bleibt darin fest.

Besonders möchte ich die Ehe nennen. Auch wenn menschliche Erfahrung dem Zerbrechen zahlreicher Ehen vielfach hilflos gegenübersteht, die sakramentale Ehe ist und bleibt nach dem Willen Gottes unauflöslich. Ein weiteres Beispiel sei genannt: Selbst wenn es Mehrheiten in der Gesellschaft anders beschließen sollten, die Würde eines jeden Menschen bleibt unantastbar von der Empfängnis im Mutterleib bis zum natürlichen Tod, wann Gott es will. Und schließlich: Obwohl von neuem darüber diskutiert wird, als handele es sich dabei um eine disziplinäre Frage, die Kirche hat vom Herrn keinerlei Vollmacht erhalten, Frauen die Priesterweihe zu spenden ...

14. [...] Während bei allen hoch zu schätzenden kulturellen Besonderheiten die Einheit der Menschen und Völker auf der ganzen Welt zunehmend ins Bewußtsein rückt, besteht zuweilen der Eindruck, daß die Kirche in Eurem Land der Versuchung nachgibt, sich in sich selbst zu verkrümmen, um sich mit soziologischen Fragen zu beschäftigen, anstatt daß sie sich für die große katholische Einheit begeistert ... Verehrte Brüder, sucht jede Gelegenheit, um Eure Gläubigen dazu einzuladen, den Blick über die Kirchtürme Österreichs hinaus zu weiten. Gerade das Große Jubiläum des Jahres 2000 könnte der Anlaß sein ...

15. [...] Am Ende möchte ich Euch einen Wunsch anvertrauen: In den vergangenen Monaten und Jahren wurde über die Kirche in Österreich viel geschrieben. Wäre es nicht ein schönes Zeichen, wenn es in Eurem geschätzten Land gelänge, weniger über die Kirche zu diskutieren, als vielmehr die Kirche zu meditieren? Wie ich am Anfang sagte, stellt die Kirche als Communio die Ikone der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes dar. Vor einer Ikone versagt die kritische Rezension; man muß sich dem Blick liebender Kontemplation überlassen, um immer mehr in das göttliche Geheimnis einzudringen, auf dessen Hintergrund die Kirche erst richtig verstanden werden kann. [...]

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