7027975-1989_19_01.jpg
Digital In Arbeit

Neu wird das Angesicht der Kirche

Werbung
Werbung
Werbung

Die Kirche feiert ununterbrochen Jubiläen. Gedächtnisfeiern von Betlehem und Golgota. Von der Sendung des Heiligen Geistes und von Lebensschicksalen unzähliger Menschen, die wir Heilige nennen. Und jedes Jahr wieder. Seit 2000 Jahren.

Die Kirche feiert Jubiläen und paßt doch nicht ins Schema der Gedenkfeiern: Ihre Jubiläen sind Erinnerungen, Rückblicke - und doch wird aus ihnen Erneuerung. Ständig. Und wer ihr verordnet, es sei mm an der Zeit, mit der Erneuerung aufzuhören, hat etwas nicht verstanden. Ebensowenig wie jener, der Alarmrufe ausstößt, die Erneuerung sei abgestoppt, ja zurückgedreht.

Es mag sich diesbezüglich einiger

Wellenschlag tim an der Oberfläche der Kirche. Aber sie ist groß und weit wie ein Ozean, der in seiner Tiefe unverschmutzt und voll Lebenist.

Die Bibel hat ein besseres Bild für kirchliches Neuwerden: Das Samenkorn, das in die Erde fällt und hundertfache Frucht bringt. Und damit ist eigentlich alles gesagt. Das Samenkorn ist in die Erde gesunken: Das Kreuz wurde in die Erde gerammt und der Leib des toten Jesus wurde in die Erde des Grabes gelegt. Das ist Wahrheit und Wirklichkeit.

Und die Ähren aus diesem gefallenen Korn sind die heutige Wirklichkeit: Die fruchtbare und immer neu Fruchtbarkeit ansetzende Kirche. Sie lebt vom Samenkorn Jesus Christus und sie lebt heute. Es ist ein bloßer Traum, sie nur mit den ersten Schuhen der ersten Christenheit gehen zu lassen, sie wäre behindert zu gehen. Und es wäre ihr Tod, nur heute zu sein, gesteuert von den gängigen Marktpreisen.

Die Kirche ist Christus und heute. Sie ist heute und Christus. Die Körner in den Ähren wachsen, sie wissen nicht wie. So muß Kirche Erneuerung an sich geschehen lassen. Sie muß sich treiben lassen - im doppelten Sinn des Wortes: In Ergebung und genötigt von der Leidenschaft der Menschwerdung.

Doch wir können vieles dazutim. Nach dem Johannesevangelium folgen die Schafe deswegen dem Hirten, weil sie seine Stimme kennen (Joh 10,4). Wenn sie ihn zu Wort kommen lassen, dann werden sie ihm nicht bloß auf eine bekömmliche Weide folgen, sondern in die endlose und leuchtende Zukunft. Das ist Erneuerung: Wie geblendet und doch sehend vor dem Licht des Reiches Gottes vor uns. Und darauf zugehen und zugleich von ihm geführt.

Jesus hat nichts anderes getan als lehren und berufen. Das Gebäude der Kirche ist sozusagen “von selber gewachsen“. Den Guten Hirten zu Wort kommen lassen - die Erneuerung braucht heute den deutlichen, hartnäckigen, vorbehaltlosen Blick, das Ohr, die Zuwendung des Herzens zur Person des Herrn Jesus. In der Kirche, für die Kirche, mit der Kirche, durch die Kirche.

Es gibt einen Reichtum an Gemeinschaft in der Kirche hierzulande. Und es gibt auch - nehmt doch alles in allem - eine Fundierung in der rechten Lehre, die größer und stabiler ist, als Ankläger es wahrhaben wollen. Mangel aber ist an Beziehung von Ich und Du, der österreichische Mensch und der Mensch gewordene Sohn Gottes, einfach: an persönlicher Liebe zu unserem Herrn Jesus Christus. In diese Lücke stoßen die nicht immer besten Arten, von Meditationsübungen und Er-, leuchtungsgewißheiten.

So bleibt als Schlüssel zur Erneuerung immer noch und neuerdings die Freude am Gebet. Die große Übung des gemeinschaftlichen Gebetes braucht die Ergänzung, die Emeuerungsquelle des persönlichen Gebetes. Das wird zu wenig gelehrt und noch weniger geübt. Der Herr Jesus mahnt uns, wie Kinder zu bleiben, und deshalb ist es auch gut, wie ein Kind zu beten: Das Kind lernt ganz früh bitten und danken. Zu Unrecht ist vor allem das Bitten in Mißkredit geraten. Aber wir sol len auch beten wie Mose, der vor dem brennenden D ombusch auf sein Antlitz fällt. Und beten soll man wie der Herr auf dem Ölberg.

Es ist nicht wahr, daß man nur in Notzeiten und in Angst vor Krieg, Krebs, Ehekatastrophe, Karriereverlust im Gebet ringen kann. Vielmehr hat das immer seinen Platz - doch das ist nicht mehr zu lernen und zu trainieren. Das ist Sache der Berührung des Herzens von unserem Herrn Jesus Christus am Kreuz und vor dem auf gesprengten Grab.

Aus der Macht und Demut des Gebetes wächst das andere: Den lebendigen Gott in unsere Entscheidungen hineinnehmen. Da läuft offenbar manches nebeneinander. Man kann Fortschritt, Orthodoxie und alles mögliche einf ordern, aber hat keine Probleme, in den besagten Entscheidungen es sich nur selbst zu richten - wie es eben geht, sich fügt, Mode ist und wie man Hintertüren benützt. Gott in die Entscheidungen hineinnehmen - das hat die Kirche in die Form des Bußsakramentes gegossen.

Die offensichtlich weithin geschehene Eliminierung dieses Sakramentes - oder besser gesagt: seine Verdunstung- kann und muß auf gefangen werden durch den neuen und erneuerten Geist des Gebetes. Dann werden wir besser verstehen können, was vor Gott Bestand hat oder nicht. Doch unsere Augen werden mit Blindheit geschlagen, wenn wir uns wie der Pharisäer im Tempel vorne hinstellen, um zu betonen, daß wir zur richtigeren und ganz echten, zur besseren Gruppe, Bewegung, Gemeinschaft gehören. Das Gebet faltet die Hände und deutet nicht mit dem Daumen über die Schulter zurück zu diesem dummen Zöllner da hinten.

Ganz von selbst führt dieses “Ich - Du“ mit dem menschgewordenen Sohn Gottes zu einem Dritten: Daß junge und ältere Menschen auf seinen Blick und seine Stimme achten und aufstehen müssen. Die Berufungen des Verlassens und Aufbrechens sind der Kern der Erneuerung der Kirche. Nochmals: Jesus hat den Blick geöffnet auf das Reich Gottes, er hat es angekündigt in Worten und Zeichen. Die Brücke dorthin sind die unzähligen aufbrechenden Menschen, die als Laien, Ordenschristen, sakramental Geweihte et-

was von ihrem Herzen geben, um es hundertfach wieder zu erhalten.

Taubes Korn, erloschenes Licht, schal gewordenes Salz wäre die Kirche, würde sie auf die Preisgabe des Herzens verzichten. Vor allem kann und wird sie nicht darauf verzichten, das Zeichen der geistlichen Berufe zu wünschen, zu fördern, zu verlangen, ohne die es das Aufbrechen der Laien nicht geben wird.

Und die Priester und Ordensleute leben selber wiederum von den unzähligen Frommen, Mutigen, sich Preisgebenden im ganzen Volke Gottes. Es ist ein Barometer für den Glaubensstand eines Landes, ob es viele und gute Priester und Ordensleute gibt. Wir dürfen uns keiner Täuschung hingeben, wenn wir meinen, sie könnten durch theologische, pastorale, humanistische Experten ersetzt oder dazu umgespannt werden.

Erneuerung - sie ist wie das Wachsen des Samenkorns, nie voll beschreibbar.

Die zart keimende Saat verlangt Behutsamkeit. Und es wäre kein unbedeutender Beitrag für die Erneuerung, wenn in unserer Kirche um Jesu willen eine feinere Art einkehren würde. Lärm und Kraftakte, Schlauheiten und ausgelegte Netze entsprechen ihr nicht.

Feine Art ist nicht blasierte Distanz. Sie ist Leidenschaft und Demut zugleich. Sie ist ein Kleid des Heiligen Geistes. Diese feine Art ist es, daß man sich nicht vor dem anderen fürchten muß. Weder im Vordergrund noch im Hintergrund. War es doch die Anrede des auf erweckten Herrn: “Fürchtet euch nicht!“ Und dann öffnete sich der Himmel für den Geist des Mutes.

Der Autor ist Diözesanbischof von Graz-Sek- kau.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung