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Mit Petrus Ostern feiern

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Eine Ostermeditation über Glaube und Unglaube, Verrat und Liebe

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Eine Ostermeditation über Glaube und Unglaube, Verrat und Liebe

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Die in extremen Konfliktspannungen angelegte Faustfigur in Goethes Weltgedicht erscheint wie ein ruhelos flackerndes Feuer, das durch keine Erfüllung stillbar und dessen Begehren erst mit seinem Tode zu erlöschen scheint. Vom Rad der Unrast erfaßt, maßlosen Drangs in Speiche und Nabe verwickelt, alles in den Zugriff, in den Begriff zu bekommen, grübelt er in seiner Studierstube über das Geheimnis der Welt und den Sinn des Daseins, über das „ungewisse Menschenlos".

In tiefer Verzweiflung und angewidert von der Vergeblichkeit seines geistigen Strebens, greift er zur „kristallenen Schale" mit Gift, um seine irdischen Ketten durch freien Tod zu sprengen. Aber kaum setzt er den Todesbecher an seinen Mund, da dringen von der nahen Kirche her an sein Ohr Glockenklang und der Chorgesang „Christ ist erstanden !", um ihm des „Osterfestes erste Feierstunde" zu künden. Teilt er zwar diesen Glauben längst nicht mehr („Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube"), so hat dieser immerhin noch so viel Kraft über ihn, ihn vor dem „letzten, ernsten Schritt" zurückzuhalten:

„Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt, / Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben."

Mag der Ruhm des Berühmten und seine Faszination nicht mehr so hell strahlen, die Fragezeichen bleiben in den Menschen und auch Faustens gebrochener Osterglaube, der bei manchem bestenfalls Jugenderinnerungen weckt oder eine unverbindliche Botschaft bleibt zwischen Glaube und Zweifel. Berührt die Osterbotschaft unsere Lebenswirklichkeit noch, vermag sie diese zu beleuchten, zu verändern, und hilft sie, zu leben?

Die Texte des Neuen Testaments sind niedergeschrieben worden, um eine Grundrelation - Jesus und der Glaubende - zu bezeugen. Der Glaube muß sich legitimieren: er muß „Rechenschaft über die Hoffnung", die in den Christen lebt, geben (1 Petr 3,15), er muß „Beweise der Liebe" (2 Kor 8,24) und den „Beweis des Geistes und der Kraft" (1 Kor 2,4) liefern. Aber auch die Gegenfrage ist legitim: Warum muß eigentlich der Gleichgültige, der Ungläubige, der die Fragen Ausblendende sich nicht rechtfertigen?

Vielen mag Thomas, „der Zweifler" (Joh 20,24-29), nahestehen. Er ist kein neuzeitlicher Mensch, wohl aber ein ehrlich Fragender nach der Glaubwürdigkeit und Identität von Ostern. Für ihn gilt: „Wer nicht hören will, muß fühlen", um zum Hören weiterzugehen. Jesus führt ihn nicht ad absurdum, sondern über seine begrenzte Fragestellung hinaus. Mit dem Berühren der Wundmale darf er den Auferstandenen mit dem Gekreuzigten identifizieren. Er wird in das Wunder hinein überwunden und zum Christusbekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!"

Und der „Thomas" in uns? Ein Schriftsteller unserer Tage meint, man solle die Aufklärung nicht so weit treiben, daß sich die Wunder schämen. Das bedeutet: Man sollte nicht alles Geschehen vorbehaltlos der menschlichen Logik und den naturwissenschaftlichen Gesetzen unterwerfen. Man sollte vielmehr immer eine Tür offenlassen für -das Wunder, das Ungewöhnliche, die Ausnahme. Denn das Leben in all seinen Dimensionen ist nie identisch mit dem, was wir gerade erkennen und verstehen können.

Die Schlußkapitel der vier Evangelien berichten vom Ereignis der Auferstehung Jesu Christi, die in den Erscheinungen des Auferstandenen vor den Jüngern manifest wird. Seine unfaßbare Transzendenz in der Andersartigkeit des neuen Lebens wird in einer eigentümlichen Dialektik der Vorstellungen zum Ausdruck gebracht: als zeigendes Sichentziehen in eine neue Wirklichkeit, als Sichgewähren im

Entzug. Der Auferstandene muß eine sich selbst begrenzende und ihren Glauben wie ihren Zweifel absichernde Jüngergemeinde („bei verschlossenen Türen") erst auf „Ostern hin" befreien (Joh 20,19-23). In der Verkündigung gehört das „er ist erschienen" zu dem „er ist auferweckt worden" wie die Besiegelung eines Ereignisses und benennt damit das grundlegende Faktum christlichen Glaubens.

In äußerster Zuspitzung spielt der Apostel Paulus im 1. Korinther-brief 15,22ff den Gedanken durch, was wäre, wenn es keine Auferstehung gäbe, und nennt die Konsequenzen: die Verkündigung wäre „leer" (1 Kor 15,14), weil sie nur ein Verwesen aussagen würde, und auch der Name Christi wäre ein leerer Name und nicht der Name „über jeden Namen, der genannt wird nicht nur in diesem Äon, sondern auch im zukünftigen" (Eph 1,21). Kein neues Leben heute und hier, keine Vergebung (denn ein toter Jesus kann nicht vergeben), keine Hoffnung, christliche Predigt wäre Betrug, Glaube eine Illusion, Leben eine Farce. Dem setzt Paulus in der Form einer Proklamation die Glaubensversicherung als das alles tragende und das Leben neu machende Fundament entgegen: „Nun aber ist Christus auferstanden" (1 Kor 15,20). Das bedeutet für ihn: Das Ostern Christi schließt die Gegenwart und die Zukunft, unser eigenes Leben und das Schicksal der Welt ein.

Die ganze Argumentation des Apostels erinnert an Jean Pauls „Rede" - was wäre, wenn kein Gott wäre - diese unheimliche Vision des heraufziehenden Atheismus. Er schreibt: „Wir sind Waisen, sind ohne Vater... jeder ist allein... ich bin nur neben mir... jedes Ich ist sein eigener Schöpfer... und sein eigener Würgeengel... es kommt kein Morgen und keine heilende Hand." Am Ende dieses Alptraums aber steht das befreiende Aufwachen, das an das „Nun aber" des Paulus erinnert. Für ihn ist der Glaube dem Zeugnis zugeordnet und hat heil-bringende, Leben vermittelnde Kraft, weil er als Leben „im Geiste Christi" (Rom 6,11; 8,2) und „in seinem Namen" das Todesgesetz der Welt auf das neue Leben hin übersteigt.

Wie aber wird das Ostern „Pe-tri", des ersten Papstes, gezeichnet? Ohne Retouche steht er als Angefochtener und Glaubender vor uns, von dem, ungeschminkt neben

seiner Nachfolge, von seinem Versagen und Verrat erzählt wird (Mt 26,69f; Mk 14,66-68; Lk 22,55-57; Joh 18,15-18). Als Thema mit Variationen hält die Kirchengeschichte dafür viele Beispiele parat. Joh 21,15ff zeigt, daß kein fleckenloser Mensch in das Hirtenamt gerufen wird. Seiner Amtsverleihung geht die dreimalige Frage nach dessen Liebe zu Jesus voraus. Sie erinnert an seine dreimalige Verleugnung des Herrn (18,15ff) und will den „toten" Verleugner aus der Verlorenheit der Verleugnung zurückholen, ihn „auferstehen" lassen.

Deshalb sind hier nicht Glaube oder Unglaube das Thema, sondern die Liebe (wie in den Abschiedsreden Jesu, Joh 13-17). In ihr lebend, von Christus geliebt und ihn liebend, kann er ihm nachfolgen und die Schafe weiden.

„Weiden" bedeutet in die Nachfolge führen, Vergebung schenken und zum Zeugnis und Handeln rufen. Seine Tauglichkeit besteht allein darin, daß er geliebt wird und seinerseits „mehr liebt" als die anderen. Jesus lebt und demonstriert dies vor, was sonst im Neuen Testament Erlösung und Wiedergeburt heißt und ermöglicht dem „Verleugner" so (psychoanalytisch gesprochen) eine „seelische Regeneration durch bedingungslose Annahme". „Mehrlieben" erinnert an Petri Beteuerungen vor der Verleugnung (13,36ff) und signalisiert zugleich, daß das Hirtenamt seine Auszeichnung in einem „Mehrlieben" ausweist.

Den ganzen Ernst aber gewinnt es durch den Ausblick auf Leiden und Tod des Beauftragten: „Amen, amen, das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. Das sagte Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde. Nach diesen Worten sagte er zu ihm: Folge mir nach!" (Joh21,18f).

In dieser Frage „Liebst du mich?" - geht es um das Ganze. Sein Leben in der Liebe kann kein anderes Zeichen tragen als das der Selbstaufopferung.

Mit dieser Frage geht es aber auch darum, ob Ostern sich in urts fortsetze als Spiegelung der Liebe Gottes in Jesus Christus zu uns. Immerhin hat Petrus ja an sich entdecken können (und der krähende Hahn hat es deutlich gemacht!), daß der

Keim menschlicher Bosheit und des Verrats nicht eine Sache „der anderen" bloß sein kann, sondern meine eigene traurige Möglichkeit.

Mit Simone Weils Worten ausgedrückt: „Das Böse ist für die Liebe, was das Mysterium für die Vernunft ist. Wie das Mysterium die Tugend des Glaubens nötigt, eine übernatürliche Tugend zu sein, ebenso nötigt das Böse die Tugend der Liebe." Simone Weil hat den Wandlungsweg am Beispiel des Vaterunsers, das mit dem Wort „Vater" beginnt und mit dem Wort „Bösen" schließt, so beschrieben: „Man muß von dem Vertrauen zur

Furcht gehen. Nur das Vertrauen verleiht genügend Kraft, daß die Furcht nicht ein Anlaß zum Abfall werde" (Zeugnis für das Gute, S. 69).

Ostern kann sich auf vielerlei Weise fortsetzen: wenn Menschen nicht nur nach den Dingen, sondern dem Sinn der Dinge fragen, nicht an die Auflösung ins Nichts glauben, sondern ans Lebens-Prinzip Christus, des Erstlings! Ist der „Erstgeborene unter vielen Geschwistern" (Rom 8,29) der „Erstgeborene der neuen Schöpfung" (Kol 1,15), dann sind uns auch Perspektiven dadurch eröffnet, daß wir Baum und Luft, Feld und Fluß, Blume und Sperling neu zu entdek-ken lernen müssen.

Mit Ostern rechnen heißt, den Mut zum Leben bejahen, „Auferstehung" feiern, wie Marie Luise Kaschnitz es in einem Gedicht ausdrückt:

„Manchmal stehen wir auf stehen wir zur Auferstehung auf Mitten am Tage..."

(in: Überallnie, S. 172).

Das heißt aber auch, gegen das Halbe, Zerstreute und den gespenstischen Leerlauf des Lebens angehen, das Richtige und das Wahre unterscheiden lernen, gegen den „ennui", wie Baudelaire es nennt, jene tragische Fratze des Nichts ankämpfen und gegen das Abtriften zum Sinnlosen, Wertlosen, Zweideutigen und Unentschiedenen, heißt, dem Vorrücken der Wüste in unseren Herzen wehren, sich um Verständigung und Dialog bemühen, Frieden und Gerechtigkeit, Offenheit und Toleranz, um die Erneuerung aus dem Ewigen, um Tradition und Reform, Liebe und Treue, und hinter all den vielen Reimen, die wir uns schreiben, als Endreim den Gottes gelten zu lassen.

Der Autor ist Ordinarius für Religionswissenschaft und Biblische Theologie an der Universität Graz.

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