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Freude dem Sterblichen

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Ostern bezeichnete ursprünglich ein heidnisches Fest beziehungsweise eine germanische Frühlingsgöttin“, so steht es in Hermann Pauls „Deutsches Wörterbuch“ zu lesen. Für die Christen ist dieses Fest untrennbar verbunden mit dem Gedenken an das Auferwecktwerden und an das Auferstehen Jesu von den Toten, an die Auf erstehung des Menschen.

Dieses Fest kann nur erlebt und verstanden werden auf dem dunklen Hintergrund der Kartage, jener Tage der „Klage“ und der „Sorge“. Darum versucht das Christentum, besonders in der Zeit vor Ostern, den Blick der Menschen auf jene Wirklichkeiten und jene Kräfte zu lenken, die das Leben gefährden und es zerstören. Dieses Bemühen hat den Christen auch Vorwürfe eingebracht. Mit dem Entschluß, die

Welt häßlich zu finden, so Friedrich Nietzsche, habe die Christenheit die Welt erst richtig „häßlich“ gemacht, und „den Teufel an die Wand gemalt“.

Heute sind es weniger die Kirchen, als viele Künstler, Maler, Bildhauer, Dichter und Schriftsteller, die in oft drastischer Weise diesen dunklen Hintergrund von Ostern zeichnen und mit künstlerischem Können die Gebrochenheit der menschlichen Existenz, die Absurdität des menschlichen Lebens, die inneren und äußeren Zwänge, unter denen Menschen heute leiden, darzustellen versuchen.

Aber wem gelingt es, auf ähnliche Weise die Freude der Osterbotschaft zum Leuchten zu bringen? Wer vermag in lebendigen Farben die Zeichen des Lebens, die verborgenen Anfänge des Auferwecktwerdens und Auferstehens zu schildern? Gelingt dies den Kirchen, den Christen, den Schriftstellern, den Malern?

In Goethes „Faust“ klingt beides an. Faust durchschaut die Fragwürdigkeit des menschlichen Daseins:

„Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt;

Dem Wurme gleiche ich, der den Staub durchwühlt,

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.

Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand

Aus hundert Fächern mich verenget?

Der Trödel, der mit tausendfachem Tand

In dieser Mottenwelt mich dränget?

Hier soll ich finden, was mir fehlt?

Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,

Daß überall die Menschen sich gequält,

Daß hie und da ein Glücklicher gewesen?

Was grinsest du mir, hohler Schädel, her?“

Verzweifelt und des Lebens überdrüssig, will Faust sich töten. Im Selbstmord werden alle Fragen des Daseins aufgeworfen. „Es ist ein ungeheurer Vorgang, wenn ein Mensch Hand an sich legt, wenn er die Welt gleichsam aufhebt für sich. Es ist das entsetzlichste Nein, das gesprochen, das getan werden kann, eine Empörung gewissermaßen gegen die Ursprünge selbst“, schreibt Reinhold Schneider.

Aber in dem Augenblick, da sich Faust das Leben nehmen will, erklingen die Osterglocken, und der Chor der Engel spricht:

„Christ ist erstanden!

Freude dem Sterblichen,

Den die verderblichen,

Schleichenden, erblichen

Mängel umwanden...

Christ ist erstanden!

Selig der Liebende,

Der die betrübende,

Heilsam und übende

Prüfung bestanden.“

Faust vernimmt die Botschaft, vermag aber nicht an dieses Wunder zu glauben:

„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.“

Er weist diese Botschaft nicht ganz zurück, will sich aber auch auf sie—bescheiden und hochmütig zugleich - nicht einlassen.

Und trotzdem hält ihn diese Nachricht, an deren Klang er von Jugend an gewöhnt ist, vom Selbstmord ab, ruft ihn zurück ins Leben:

„Ein unbegreiflich holdes Sehnen

Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehen,

Und unter tausend heißen Tränen,

Fühlt ich mir eine Welt entstehen.“

Faust fühlt sich nicht imstande, ist nicht willens, den Glauben an die Auferstehung zu teilen. Trotzdem gibt ihm die Osterbotschaft wieder Kraft und Mut zum Leben. Gibt es eine solche Wirkung von Ostern auch in unseren Tagen?

Eugen Biser schreibt in seinem Buch „Glaubensgeschichtliche Wende“ von einer „kulturgeschichtlichen Selbstvergegen-wärtigung Jesu“. Er meint damit, daß Jesus auch insofern heute gegenwärtig und wirksam ist, als durch ihn das Bewußtsein des abendländischen Kulturkreises geprägt ist.

Diese Prägung war zur Zeit Goethes zweifellos noch stärker als heute. Wenn heute—nach Meinung vieler — Pessimismus und Hoffnungslosigkeit überhandnehmen, könnte eine Ursache dafür auch darin liegen, daß das allgemeine Bewußtsein heute weniger von christlichen Inhalten geprägt ist.

Worum geht es in der Osterbotschaft? Die Kunde von Ostern betrifft nicht nur Jesus von Naza-reth, der gekreuzigt und von den Toten auferweckt wurde. Sie betrifft die gesamte menschliche

Geschichte und den ganzen Kosmos. In den Hymnen der Liturgie in der Karwoche und in der Oster-zeit kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck.

So wird der Baum des Kreuzes in einem gesehen mit dem Baum des Paradieses:

„Denn verblendet aß sich Adam einst vom Baume das Gericht;

doch der Schöpfer voll Erbarmen wollte sein Verderben nicht und hat selbst den Baum erkoren, der den Fluch des Baumes bricht.“

In diesem Text werden Adam — der Mensch — und Christus einander gegenübergestellt. Durch diese Gegenüberstellung soll die universale Bedeutung des Todes und der Auferstehung Jesu zum Ausdruck kommen. „Denn unser Tod ist durch seinen Tod überwunden, in seiner Auferstehung ist das Leben für alle erstanden“ (Oster-präfation).

Wie der Tod durch ein vielfältiges Sterben vorbereitet wird, so ist auch die Auferstehung kein punktuelles Ereignis. Vom Anfang an, seit Adam und seinem Sündenfall, ist Gottes Geist, der Leben stiftet und auferstehen läßt, in der gesamten Menschheit wirksam, besonders aber in der Geschichte des Volkes Israel. So wird auch das Passahmahl, dieses Gedächtnis der Befreiung des Volkes Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten, zum Gefäß für das Abendmahl Jesu.

In der Auferstehung Jesu wird etwas sichtbar und transparent, was verborgen schon immer anwesend war. Sie ist Höhepunkt und Mitte des Heil und Leben schaffenden Wirkens Gottes in der Geschichte des Menschen. Deswegen gibt es Auferweckung und Auferstehung auch schon hier und heute, überall, wo jemand zu einem neuen Leben aufersteht.

Ostern hat aber auch kosmi-, sehen Charakter. Die ganze Schöpfung ist in das Leiden und Auferstehen Jesu hineinverwo-ben:

„Seht den Essig, seht die Galle. Dornen, Nägel, Speer voll Wut, seinen zarten Leib durchbohren,

Wasser strömt hervor und Blut: Erde, Meere, Sterne, Welten werden rein durch solche Flut.“ Auch die Natur ist erfüllt von

Osterfreude: „Der Morgen rötet sich und glüht, der ganze Himmel tönt von Lob, in Jubel jauchzt die Erde auf, und klagend stöhnt die Unterwelt.

Der starke, königliche Held zerbrach des Todes schweren Bann.

Sein Fuß zertrat der Hölle Macht

Aus harter Fron sind wir befreit.“

In der Auferstehung Jesu wird sichtbar, daß die Kräfte des Lebens stärker sind als die Mächte des Todes. Und zwar deswegen, weil Gott ein Gott der Lebenden ist, und auch aus der Macht des Todes zu erretten vermag.

Im Glauben an die Auferstehung liegt das Fundament der Hoffnung, nicht nur der Hoffnung auf ein ewiges, jenseitiges Leben, sondern auch der Hoffnung für das diesseitige Leben. Dieser Glaube kann helfen, sich nicht vom Dunklen und Negativen, das es auch gibt, überwältigen zu lassen, sondern die vielen oft verborgenen Aufbrüche und Neuanfänge des Lebens in sich selber, bei Mitmenschen, in der Natur, in der Kirche und im gesellschaftlichen Leben zu sehen.

Dieser Glaube kann auch helfen, an das aufbrechende, keimende Leben, das von vielen Seiten bedroht ist, zu glauben. Nicht deswegen, weü man meint, all dieser Bedrohungen Herr werden zu können — diese Gewißheit hat niemand —, sondern weil Gott auch durch Not, Leid, Schuld hindurch (das Kreuz ist ein Symbol dafür) dem Menschen und der Menschheit eine gute Zukunft schenken kann. Der Glaube an die Auferstehung ist keine Vertröstung, aber ein großer Trost. Er vermittelt die Gewißheit, daß vieles sich wandeln kann — nicht nur der menschliche Körper. Der Apostel Paulus schreibt: „Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auf erweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark“ (1 Kor 15,42).

Es gibt gegenwärtig viele Propheten und Boten, die den Tod, das Unheil, ankünden, aber wer sind heute die Boten der Auferstehung? Wer vermag die oft verborgenen Kräfte des Lebens, die vielen von Gottes Geist gewirkten und vom Menschen aufgenommenen Neuanfänge und -ansätze für eine bessere Zukunft zu entdecken und die Hoffnung auf ein sinnvolles und auch unvergängliches Leben zu wecken?

Im „Faust“ sind es die Osterglocken und der Chor der Engel. Obgleich selbst nicht mehr glaubend, sind diese Stimmen ihm noch von Jugend an vertraut. Heute gibt es immer mehr Menschen, denen solche Stimmeri fremd und unbekannt sind. Wir brauchen Boten, innerhalb und außerhalb der Kirchen, die die Auferstehung Jesu und das Auferstehen des Menschen ankündigen.

Aber sind wir fähig, solche Stimmen zu hören? Reinhold Schneider, dessen dreißigsten Todestages wir heuer am sechsten April gedenken, meint, daß die Voraussetzungen dafür bei vielen Menschen heute nicht gegeben sind:

„Der Glaube an die Auferstehung setzt den Wunsch nach Auferstehung voraus - oder die Angst vor dem Nichts. Aber weder dieser Wunsch noch die Angst verstehen sich von selbsf; in der Definition des Menschlichen, soweit sie überhaupt möglich ist, sind sie nicht eingeschlossen. Menschentum kann sich darstellen, formen, ohne von der Frage der Unsterblichkeit beunruhigt zu werden: hier ist die Grenze der Verkündung, der Mission, des Wortes, des Christentums.“

Aber ist die Angst vor dem Nichts und das Verlangen nach Leben - auch nach unvergänglichem Leben - wirklich aus den Herzen der Menschen zu bannen? Sind nicht Müdigkeit und Resignation die Ursachen, warum zeitweise im Menschen dieses Verlangen schwindet? Reinhold Schneider macht kurz vor seinem Tod, in seinem „Winter in Wien“, selbst diese Erfahrung:

„Ich weiß, daß er auferstanden ist, aber meine Lebenskraft ist so sehr gesunken, daß sie nicht über das Grab hinauszugreifen, sich über den Tod hinweg nicht zu sehnen und zu fürchten vermag.“

Reinhold Schneider erlebt in den letzten Monaten seines Lebens sehr intensiv die dunklen Seiten menschlichen Daseins; er erlebt die„Kartage“, die Tage der „Klage“ und „Sorge“. Er glaubt zwar, ja er weiß sogar, daß Jesus von den Toten auferstanden ist, aber dieser Glaube hilft ihm wenig, zum Dasein und zu seinem Leben ein entschiedenes und mutiges Ja zu sagen. Er fühlt sich sogar den Glaubenden entfremdet. Er glaubt zwar an die göttliche Stiftung der Kirche, aber er zieht sich am liebsten, so schreibt er im „Winter in Wien“, in die Krypta, die Un,terkirche zurück. Er hört von ferne den Gesang; dieser Gesang tut ihm gut, aber er hat weder das Verlangen noch die innere Möglichkeit mitzusingen.

Dies ist ein eindrucksvolles und erschütterndes Bild, das vielleicht auch die Glaubenssituation vieler Menschen heute wiedergibt. Sie fühlen sich in der Kirche nicht zu Hause, sie ziehen sich in die Krypta zurück. (Und wer heute kräftig in der Kirche mitsingt, kann sich morgen in die Krypta zurückziehen — und umgekehrt.) Uns müßte der Gesang in der Kirche gelingen, damit auch jene in der Unterkirche und außerhalb der Kirche ihn als wohltuend empfinden.

Ostern war ursprünglich ein völlig unerwartetes Ereignis, über das kein Mensch verfügen konnte. Und das ist es auch heute.

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