6981798-1986_13_01.jpg
Digital In Arbeit

Ostern der „Aufklärung“

Werbung
Werbung
Werbung

„Sie feiern die Auferstehung des Herrn, / Denn sie sind selber auferstanden: ... Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht / Sind sie alle ans Licht gebracht.“ Johann Wolfgang von Goethe dachte bei diesen Worten Fausts auf dem Osterspaziergang wohl vor allem an die Auferstehung aus dem Dunkel mittelalterlicher Kirchenfrömmigkeit zur Freiheit dank der „Aufklärung“.

Dieser humanistische Optimismus mit der Erwartung einer Veredelung des Menschen hat sich als folgenschwere Illusion erwiesen: Die menschliche Vernunft hat zwar größeren materiellen Wohlstand gebracht, aber auch viele dazu verführt, als kleine Götter über Natur und Leben zu verfügen. Infolge dieser „kurzsichtigen Hybris“ (Hans P. Padrutt) „amüsieren“ sie sich „zu Tode“ (Neil Postman), während sie anderen das Leben zur Hölle machen (Karl Popper), falls sie es ihnen nicht sogar wegen „sozialer Indikation“ rauben. Die Skandale in West und Ost lehren, wie weit wir von einem Paradies edler Menschen entfernt sind. Angesichts dieses Fiaskos der letztlich halben „Aufklärung“ ist es angebracht, sich durch die Osterbotschaft voll aufklären zu lassen.

„Christus ist für unsere Sünden gestorben“ (1 Korinther 15,3). Dieser alte Satz verrät, daß sich die ersten Christen gegen den Vorwurf verteidigten, Jesu Tod am Kreuz beweise seine Schuld (Gotteslästerung). Demgegenüber sahen die Apostel in der Auf-erweckung des Gekreuzigten seine Rehabilitierung durch Gott und erkannten als Grund für seinen furchtbaren Tod die Sünde der Menschen. Jesu Kreuz und Auferstehung enthüllt somit die Wahrheit, daß alle Menschen in die Sünde der Welt verstrickt sind und sich von dieser „Krankheit zum (ewigen) Tode“ (Sören Kierkegaard) nicht selbst heilen können.

Die Erzählung vom Sündenfall im Paradies dient im Neuen Testament nur zur Veranschaulichung der „Ursünde“. Ihre mangelnde Begründung und Erklärung haben unter dem Einfluß halber „Aufklärung“ mit dazu beigetragen, daß heute weiteste Kreise der westlichen Welt in einem „Unschuldswahn“ (Synode der BRD) befangen sind.

Es geht aber bei den Verbrechen unserer Tage nicht bloß um die Verletzung von Menschenrechten (auch in Österreich), sondern um die regelrechte Zerstörung der Welt Gottes und somit um einen Frevel an Gott, dessen Recht und Liebe die Geschöpfe desavouieren, also um „Sünde“, mag das Wort heute auch vermieden werden.

Daß die Kirche diese Lehre nicht erfunden hat, um Menschen zu unterdrücken und den Glauben an einen Erlöser zu begründen, lehrt nicht zuletzt die moderne Kunst. Sie stellt uns in oft schok-kierender Derbheit die Sünden drastisch vor Augen.

„Gott hat ihn von den Toten auferweckt“ (Römer 10,9). Dieser Satz bezeugt nicht etwa die Wiederbelebung eines Leichnams, sondern die menschliches Verstehen übersteigende Errettung des Gekreuzigten aus dem Tod totaler Gottesferne, für den das medizinische Sterben nur ein schwaches Symbol ist. Aus der Gesamtsicht der Bibel ist diese Tat der Machterweis dessen, der „Tote lebendig macht“ (Römer 4,17).

Die Osterbotschaft „klärt“ uns darüber auf: „Gott“ ist nicht eine Projektion des Menschen (Ludwig Feuerbach), er existiert wirklich; wir sind also nicht unsere eigenen Herren, mögen wir uns auch im Alltag, in der Politik, in Naturwissenschaft, Technik und Medizin oft so gebärden. Als Christen müssen wir beschämt eingestehen, daß der islamische Terror auch ein bedeutsames religiöses Fundament hat: Kampf gegen die angeblich „aufgeklärte“, gott-lose Zivilisation des Westens.

„Das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen“ (1 Korinther 1,25). Das Elend der Welt, die Ohnmacht und Sünde selbst der Christen lassen viele an Gottes Existenz und Liebe zweifeln. Ist Gott etwa zu schwach? Paulus hat offenbar unter dieser „Schwäche“ Gottes gelitten. Durch den auferstandenen Gekreuzigten wurde er aber eines Besseren belehrt: Hat Gott nicht auch auf Golgotha zum Tod seines Sohnes geschwiegen? Er hat sich dort anders verhalten, als wir Menschen es erwarten. Er ist eben nicht ein Gott nach unserem Bild, sondern der ganz andere, der selbst Macht hat über das Unsinnigste, den Tod.

Gottes „Schwäche“ am Karfreitag erweist sich zu Ostern sogar als seine Stärke: Denn durch diese „Schwäche“ konnte er seinem Sohn und allen, die an ihn glauben, ein Leben schenken, das unsere kleinen Vorstellungen davon weit in den Schatten stellt (vgl. Römer 8,18).

Wer heutzutage unter der „Schwäche“ Gottes, der Erbärmlichkeit unserer ebenfalls in Skandale verstrickten Kirche und der eigenen Ohnmacht leidet, darf von Ostern her mit Paulus lernen: Gott ist uns gerade in solchen Karfreitagstunden nicht fern; er erweist sich gerade dann als der Starke, wenn wir schwach sind (2 Korinther 13,9) und uns seiner machtvollen Hilfe anvertrauen. Deshalb ist selbst unser kleinstes Bemühen niemals umsonst (1 Korinther 15,58).

Der Autor ist Vorstand des Institutes für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung