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Eine neue Schöpfung

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Der erste Satz des Glaubensbekenntnisses ist leichter nachzusprechen als der letzte. Der Glaube an Gott schließt nicht automatisch und mit zwingender Logik den Glauben an ein Leben nach dem Tod ein. Das Volk Israel hat tausend Jahre lang an Gott geglaubt und sich leidenschaftlich mit ihm auseinandergesetzt, ohne an ein Leben nach dem Tod zu glauben. In ihrem Totenreich herrschte Finsternis und Schweigen; es war ein Ort des Vergessens und des Vergessenwerdens - kein Leben.

Erst die Propheten haben die Botschaft von der Treue Gottes so machtvoll verkündet, daß man sich einen Gott nicht mehr vorstellen konnte, der „seinen Heiligen die Verwesung schauen läßt“.

Der lebendige Gott wird doch seine Freunde nicht dahindämmern lassen im Reich der Schatten! Er wird den Tod nicht zur Kenntnis nehmen. Er wird die Menschen, die er liebt, im Leben halten. Seine Zusagen sind sicher.

Wenn sie sich in dieser Welt nicht mit dem Glanz erfüllen, mit dem sie gegeben worden sind, dann wird eben eine neue, glanzvolle Welt kommen. Wenn

die Heimkehr aus der babylonischen Gefangenschaft nach Jerusalem nicht der Herrlichkeit entspricht, die Gott verheißen hat, dann ist sie eben nur ein Vorzeichen der Heimkehr in ein himmlisches Jerusalem.

Bis heute ist der Glaube an Gott nicht einfach mit dem Glauben an ein Leben nach dem Tod gekoppelt. Nach einer im Vorjahr gemachten Umfrage glauben wenigstens die Hälfte derer an Gott, die entschieden erklären: „Mit dem Tod ist alles aus.“

Wenn man sie ernst nimmt und ihnen nicht einfach unterstellt, sie hätten im Religionsunterricht nicht aufgepaßt, so müssen wir zur Kenntnis nehmen: Es gibt nach wie vor Menschen, die von ihrem Glauben an Gott nicht einfach ihr eigenes ewiges Leben ableiten. Und es gibt Christen, die von ihrem Glauben an die Auferstehung Jesu Christi nicht auf ihre eigene Auferstehung schließen.

Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele hat zwar durch die Katechese eine große Popularität erlangt. Sie gibt jedoch nicht den vollen biblischen Glauben wieder. Manchen erscheint sie geradezu als eine unfromme Anmaßung: Der Mensch brauche gar nicht auferweckt zu werden, er ist aus sich unsterblich! Selbst wenn er in die Hölle kommt: ęr wird doch ewig leben. Der Geist ist ewig, er kann nicht sterben - sagt Plato. Ob es aber Gott auch sagt?

Die Vorstellung, unsterblich zu sein, bereitet nicht jedem eitel Freude. Was wir zu Ostern in unseren Kirchen als die große Hoffnung feiern, das ängstigt manche. Sie wollen gar nicht auferstehen, sondern in ihren Gräbern bleiben. Sie wollen kein ewiges Leben, sondern ewige Ruhe. Der Gedanke an ein Le- ben-Müssen, noch dazu in alle Ewigkeit, ist ihnen unerträglich.

Auch Rilke hat in seinen „Blättern eines Mönchs“ sein Entsetzen darüber zum Ausdruck gebracht:

„Sie werden alle wie aus einem Bade aus ihren mürben Grüften auferstehn;

denn alle glauben an das Wiedersehn,

und furchtbar ist ihr Glaube ohne Gnade.“

Wir müssen wohl erst den Tod zur Kenntnis nehmen, ehe wir von einem Leben nach dem Tod reden. Durch die Botschaft von der Auferstehung wird der Tod nicht verharmlost zu einem Scheintod. Wir dürfen sterben.

Dieses Leben ist einmal aus, ausgelitten und ausgestanden. Es hat ein Ende, an dem einmal die kleinen und großen Freuden dieses Lebens ausklingen, aber

„Verstorbene schauen friedlich, auch wenn sie in Schmerzen gestorben sind’ ‘

auch die Qualen und Spannungen, die Schmerzen und Enttäuschungen sich lösen. Das Böse läuft sich tot, das Böse in uns und in der Welt: Mit dem Tod ist alles aus. Verstorbene schauen friedlich, auch wenn sie in Schmerzen gestorben sind.

Der Tod ist eine Grenze; er ist der Tod dieses Lebens. Es gibt ein Leben nach dem Tod, aber kein Weiterleben dieses Lebens. Das wäre tatsächlich furchtbar: Alles fängt wieder von vorne an!

Die im Tod stehengebliebene Maschine wird wieder angeworfen und

dreht sich nun als perpetuum mobile weiter. Das Wiedersehen, vor dem Rilke so graut, ist ein Wiedersehen der

alten Gesichter, von denen wir doch nur wenige ganz liebgewinnen konnten. Es geht alles weiter, ewig weiter …

Tatsächlich, den Jubel des Ostersonntags kann nur ertragen, wer den Karfreitag ernstgenommen hat. Auch der Tod Jesu war ein Tod, kein Scheintod. Der Stich mit der Lanze hat ein totes Herz getroffen, und ein Leichnam wurde ins Grab gelegt.

Die große Pause des Karsamstags ist nicht ein Verharren in Pietät, nach dem das Konzert dieses Lebens wieder weitergeht mit denselben Instrumenten, nur lauter, rascher und fröhlicher. Es ist vielmehr ein neues Stück, das gespielt wird, und mit anderen Instrumenten.

„Kein Auge hat es gesehen und kein Ohr hat es gehört, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“

Vielleicht ist es gut, wenn wir uns unserer „natürlichen“ Unsterblichkeit nicht allzu sicher sind. Vielleicht solltpn wir lernen, auch in einem Leben einen Sinn zu sehen, in dem wir einige Jahrzehnte lang Gott loben und seine Größe

preisen, ohne unser eigenes ewiges Leben als Selbstverständlichkeit vorauszusetzen.

Das Leben der kommenden Welt ist eine neue Schöpfung, und ein Leben nach dem Tod ist neu geschenktes Leben, nicht bloße Unsterblichkeit der Seele und nicht Auferstehung, sondern Auferweckung durch den lebendigen Gott.

Wenn einer schon glaubt, er könne den ersten Satz des Kredo ohne den letzten sprechen, so doch niemals den letzten ohne den ersten.

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