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Gott kann nicht sterben

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Ein Bach Ober Gott wird Immer Leser finden. Ob der Autor nun Gott als tot erklärt oder ob er ihn am Leben läßt, immer wird im Menschen ein Gefühl angesprochen, dem er sich nicht ganz entziehen kann, es sei denn, er weicht der letzten Frage aus und lebt in den Tag hinein. Der protestantische Theologe Heinz Zähmt versucht, den Menschen der Gegenwart den Begriff Gott nahezubringen. Ob ihm dies gelingt, ist schwer zu beantworten, weil Gott letztlich eine Frage des Glaubens und somit des persönlichen Engagements ist.

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Ein Bach Ober Gott wird Immer Leser finden. Ob der Autor nun Gott als tot erklärt oder ob er ihn am Leben läßt, immer wird im Menschen ein Gefühl angesprochen, dem er sich nicht ganz entziehen kann, es sei denn, er weicht der letzten Frage aus und lebt in den Tag hinein. Der protestantische Theologe Heinz Zähmt versucht, den Menschen der Gegenwart den Begriff Gott nahezubringen. Ob ihm dies gelingt, ist schwer zu beantworten, weil Gott letztlich eine Frage des Glaubens und somit des persönlichen Engagements ist.

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Der Untertitel des Buches heißt „Wider die falschen Alternativen“, wobei sich der Autor in erster Linie gegen die politische Theologie oder besser noch die Politisierung der Theologie wendet. Dabei leugnet er nicht, daß die Kirche bis in die Gegenwart herauf zu den „haltenden Mächten“ zählte. Auch bringt er Verständnis für Martin Bubers Satz auf: „Ich lehne es ab, mit einer erlosten Seele in einer unerlösten Welt herumzulaufen“ und entschuldigt die Jugend, die beim protestantischen Kirchentag 1969 im Stuttgarter Stadion das Plakat trug mit dem schockierenden Slogan: „Streit um Jesus, Streit um des Kaisers Bart.“ Er sieht darin nur die Wandlung der Kirche von der Repräsentation zur Präsenz, weil die Epoche der repräsentativen Kirche zu Ende geht wie die -Zeit der Galionsfiguren, der Truppenparaden und der uniformierten Chauffeure. Das Ziel des göttlichen Handelns ist die Welt und nicht die Kirche. In der Geheimen Offenbarung des Johannes ist nicht der Tempel, sondern die Polls die Erfüllung aller Geschichte. Zahrnt wendet sich aber gegen jene Theologen, die vor lauter Kummer um die „Wohlfahrt der Welt“ den Inhalt des Christentums vergessen. Sie schufen einen neuen, den soziologischen Gottesbeweis, und benützen das Christentum als „innere“ Kraftquelle, um politische Ziele, die von außen kommen,, durchzusetzen. Die Vertreter dieser Theologie streben ein Bündnis zwischen Christentum und Marxismus an und prägen die neuen christlichen Tugenden, die da heißen: Protest, Skepsis, Kritik, Ungehorsam, Zivilcourage. Nim besteht kein Zweifel, daß das Christentum auf Grund seines eschatologischen Charakters eine Zukunftsbewegung ist, und der Christ in dieser Welt tätig sein muß, doch wird das Gerede der Theologen vom kirchlichen „Wächteramt“ unerträglich. Die Kirche, meint Zahrnt, gleicht heute einem Bahnhof, in dem einst alle Züge anhielten, den aber heute nahezu alle Züge durchfahren. Der Stationsvorsteher aber läuft immer noch mit seiner Kelle auf den Bahnsteig hinaus und winkt den vorbeifahrenden Zügen das Signal zur Weiterfahrt. Im Grunde tun diese Revolutionstheologen das gleiche, das sie der Kirche in der Vergangenheit vorwerfen. Sie engagieren sich völlig in weltliche Angelegenheiten. „Die meisten Revolu-tionstheologen“, schreibt Zahrnt, „sind Gehaltsempfänger mit Pensionsberechtigung; in festen Häusern sitzend, blasen sie zum Auszug.“

Das Evangelium aber ist kein Weltverbesserungsplan. Jesus ist zwar ein Revolutionär gewesen, doch wurzelt Seine Revolution. Im Religiösen und nicht im Politischen. Bei Seiner Versuchung in der Wüste gab Er eine klare Absage an das politische Messias-Ideal. Sein Weg führte zum Kreuz hin. Zahrnt nennt vier Zeugen, darunter zwei Atheisten, deren Aussprüche die Theologen zum Nachdenken anregen sollten:

„Religion muß um Ihres eigenen Wahrheitsgehaltes willen angenommen werden, sonst unterminiert sie sich selbst.“ (Adorno.) „Unsere heutige Welt erwartet von den Christen, daß sie auch künftig Christen bleiben.“ (Camus.) „Alle Chancen der Kirchen liegen in der Bibel.“ (Jaspers.) „Als Dorfweise oder Stadtweise sind wir Theologen im Grunde unerwünscht, überflüssig und lächerlich.“ (Karl Barth.)

Zahrnt geht es vor allem um die Gotterfahrung. Sie kann nur eine indirekte sein. Seit der Vollendung der Aufklärung gibt es für uns nicht mehr zwei geteilte, gegensätzliche Welten, eine jenseitige, übernatürliche und eine diesseitige, natürliche, sondern nur eine ungeteilte, nicht übersteigbare Welt. Dies bedeutet zwar keine Preisgabe der Transzendenz, wohl aber deren Wandel zur immanenten Transzendenz, zu einer Transzendenz also, die wir innerhalb unserer Welt erfahren. Auch will die Transzendenz nicht intellektuell gedacht, sondern existentiell erfahren, ja erlitten sein. Das Modewort der „Theologie nach dem Tode Gottes“ ist Mitmenschlichkeit. Das Jenseits ist hier nicht mehr der Himmel, sondern die Zukunft. Aber schon Karl Rahner sagte, daß der Mensch ohne Gott aufhören würde, ein Mensch zu sein.

Der Mensch von heute Ist geradezu versessen auf die Erfahrung von Wirklichkeit. Nun macht aber die „Unsichtbarkeit Gottes“ die Haupt-schwierlgkeit der heutigen Theologie aus. Als Ergebnis der Aufklärung hat Gott aufgehört, als weltanschauliche und institutionelle Voraussetzung der abendländischen Gesellschaft zu bestehen. Ebenso existiert Gott als übernatürliches Wesen, das in das Weltgeschehen hineinfunkt, nicht mehr. Als Folgerung erkennt Zahrnt, daß die „Wahnmachung“ des Namens Gottes nur noch in der „Wahrnehmung“ von Welt möglich ist. Die Bibel, erklärt der Autor, zeigt Gott nur, wie Er in Seiner Beziehung zur Welt und zu den Mensehen handelt Wir können nicht sagen, wer Gott an sich ist, sondern nur, was Gott an uns tut Wir sind deshalb bloß imstande, Gott in Seiner Aktualität zu beschreiben, wobei die Selbstbezeugung Gottes in Jesus von Nazareth den Auagangspunkt bildet. ^

Die Verifikation des Gottesglaubens ergibt allerdings niemals Eindeutigkeit. Immer kann der andere erwidern: „Ich sehe nichts“, denn die Methode der Verifikation gewahrt nur eine indirekte Erfahrung. Dies entspricht der Unsichttoarkeit Gottes, die nicht besagt, daß Gott nicht da sei, sondern nur, daß Er allein durch Vermittlung in der Wirklichkeit der Welt erfaßt werden kann. Die Gegenwart erfordert eine praktische, empirische und experimentelle Theologie. Die Zeit der großen theologischen Systeme Ist vorüber, weil die pluralistische Gesellschaft Mißtrauen gegen alle dogmatischen Behauptungen hegt. Die marxistische These, daß die Praxis vor der Theorie gehe, gilt heute auch für die christliche Theologie. Schon in der Bibel stellt sich das Verhältnis Gott—Mensch als Dialog dar. Damit wurde Gott als Person und die Welt als Geschichte entdeckt. Nun besteht die menschliche Personalität immer nur in Form einer Wechselbeziehung von Person zu Person, weshalb die Menschen auch Gott nur personal erfahren können. Auf Grund der Bilder, die sich die Menschen in ihren Beziehungen zu Gott machen, entstehen die Wandlungen Gottes, die zugleich Seinen Tod ausschließen, der übrigens ein reines Wortspiel bleibt, weil der Gedanke einer „Entstehung“ Gottes logisch ebenso absurd ist wie der seines „Todes“. Auch die Naturwissenschaften haben kein vom Betrachter isoliertes Bild der Natur, sondern, wie Werner Heisenberg sagt, „ein Bild unserer Beziehungen zur Natur“. Außerhalb der Beziehung des Menschen zu Gott gibt es keine Gotteserkenntnis. Schon Luther wußte, daß Gott im höchsten Grad veränderlich ist: „Glaubst du, so hast du; glaubst du nicht, so hast du nicht,“ Jeder hat demnach gerade soviel von Gott, wieviel er glaubt. Für die Wandlungen Gottes gibt es auch in der Bibel Beispiele genug. Die schärfsten Gegensätze zeigen die Gottesworte durch den Mund des Propheten Jesaja: „Ich habe die Völker zertreten in meinem Zorn und habe sie trunken gemacht in meinem Grimm und ihr Blut auf die Erde geschüttet“, und die Worte Christi am Kreuze: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

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Der Zeitgenosse leidet nicht unter der Sünde, sondern unter der Sinnlosigkeit seines Daseins. Das führt zur Frage nach dem Sinn seines Daseins und Tuns und in der Folge zur Identitätskrise. An Stelle der Rechtfertigung des Menschen vor Gott, tritt die Rechtfertigung des Menschen vor seinen Mitmenschen. Der Mensch sehnt sich nach Unersetzlichkeit und Bestätigung und entdeckt, daß er vor den Richterstühlen der Mitmenschen beides nicht finden kann. Er ist nur ein austauschbares Teilchen im Ganzen, denn jede Leistung ist ersetzbar. Das Vorbild des heutigen Menschen ist deshalb Sisyphos, der im »Klima der Absurdität“ ohne Hoffnung existiert Nach Camus allerdings gibt es eine Hoffnung: „Wenn der Mensch erkennen würde, daß auch das Universum lieben und leiden kann, dann wäre er versöhnt.“ Jesus ist nun die Rechtfertigung Gottes vor den Menschen angesichts der Absurdität der Welt. Der Christengott leidet mit den Menschen mit wodurch Gott selbst das Problem der Theodizee gelöst hat Zuletzt kommt Zahrnt auch zur Gretchenfrage des Christentums, zur Frag« nach der Auferstehung Jesu und dem verlorenen Jenseits. Vor der Aufklärung hielten die Menschen den Blick auf das Jenseits gerichtet was ihnen auch half, das Diesseits zu ertragen. Die Frage des Todes und der Hoffnung auf ein ewiges Leben nahmen einen zentralen Platz ein. „Heute aber muß die Theologie auf diesem Gebiet weithin Fehlanzeige erstellen.“ Viele Theologer» und christlich« Schriftsteller ignorieren diese Frage. Dorothee Solle beispielsweise wertet die „postmortale Existenz“, wie heute der Ausdruck für das ewige Leben lautet als ein« „veraltete Anschauung aus der Spätantik« und dem Mittelalter“. Nun kann man aber bei allem Ja zum Diesseits die Todesgrenze nicht ignorieren. Der Tod ist das einzige Widerfahmls im Leben des Menschen, das dieser gedanklich nicht vorwegzunehmen vermag, weil man den Verlust des Seins nur selbst erleiden kann. Das Sich-verhalten-Können des Menschen zu sich und zur Welt, das also, was den Menschen von allen anderen Wesen unterscheidet, hört mit dem Tod« auf. Nur Gott verhält sich weiterhin zu ihm. Dieser Glaub« gründete sich auf Christi Auferstehung.

Hier nun beginnt auch Zahrnt unsicher zu werden. Er meint, daß Christi Auferstehung mehr sei als die Rückkehr eines Toten aus dem Jenseits. Dieses Ereignis wäre nach Zähmte Ansicht nur ein partielles Mirakel, während er die folgende Feststellung für ein viel größeres Wunder hält: „Dieser Jesus von Nazareth hatte recht Sein« Sache geht in der Geschichte weiter, über dieses Gras wächst kein Gras mehr.“ Ob dies wirklich ein größeres Wunder ist bleibe dahingestellt, weil es im Grunde auch von jeder bedeutenden menschlichen Leistung behauptet werden kann. Zur eigenen Rückendeckung zitiert Zahrnt die Worte des hl. Augustinus: „Ich werde etwas in mir gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorleuchtet; würde das zur Vollendung und Stetigkeit in mir gebracht, das müßte das ewige Leben sein.“ Mehr vermögen wir, meint Zahrnt, über das ewige Leben nicht zu sagen. „Wer mehr haben will, ist ein religiöser Nimmersatt.“ Jene aber, die eine von aller Mühsal befreite, metaphysisch überhöhte Fortsetzung ihrer irdisch-menschlichen Existenz erwarten, geraten nach Zahrnts Meinung aus der Nähe Jesu in das Reservat der Creek-Indianer, die nach dem Tod in die ewigen Jagdgründe zu gelangen hoffen, wo Wild, Korn und reine» Wasser im Überfluß vorhanden sind.

Nun besteht kein Zweifel, daß die Creek-Indianer ebenso wie unsere Großeltern mit ihren Jenseitsvor-stellungen besser daran waren als wir mit den unseren, für die Eberhard Jümgel die wenig poesievollen Worte fand: „Gott ist unser Jenseits. In seinem Leben ist auch das unsere geborgen. Und das muß uns genügen. Interessanter ist auch unser Ableben nicht.“

GOTT KANN NICHT STERBEN, Wider die falschen Alternativen. Von Heinz Zahrnt. Piper & Co, München. 1970. 328 Seiten. DM 18.—.

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