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Ist Versöhnung möglich?

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Das Ziel des österreichischen Katholikentages und des Heiligen Jahres, zu dem der Katholikentag den großen Auftakt bildet, ist nicht eine Demonstration, wo Resolutionen gefaßt werden, sondern es handelt sich darum, die eindringliche Frage an uns selbst, an alle Katholiken, zu richten, wie sie zu Gott, zum Nächsten stehen. Es ist ein Vorgang, der den Auftrag bewußt machen soll: Ich muß mich von Gott ändern lassen, denn ich bin aus mir nicht gerechtfertigt, nicht gut. Ich darf, kann und soll mich versöhnen lassen.

Es wird von vielen die Frage gestellt: Ist Versöhnung möglich? Vieles scheint sich einer positiven Beantwortung entgegenzustellen. Da heißt es zum Beispiel:

• Ist es nicht so, daß uns die tägliche Erfahrung der Konfliktausweitung, der Konfliktvertiefung das Gegenteil beweist?

• Haben wir es nicht gelernt, daß Konflikte für die Entwicklung der Menschheit und des einzelnen Menschen notwendig sind? Sie fördern die Profilierung des einzelnen und fordern die Kraft des Wesens Mensch heraus.

• Das Christentum — so lehrt uns die Geschichte — war bisher nicht imstande, die Konflikte der Menschen durch Versöhnung zu lösen.

• Christus und der christliche Glauben stellen selbst einen nicht geringen, einen neuen Konflikt dar.

Diesen Einwänden steht sehr deutlich die Bitte Jesu gegenüber, die Paulus ausspricht: Laßt euch mit Gott versöhnen (2. Kor. 5, 20), sowie der Auftrag Jesu, den er in der Bergpredigt aussprach: Versöhne dich mit deinem Bruder.

Vom christlichen Glauben her wird eine positive- Antwort -auf die gestellte Frage gegeben.

Der christliche Glaube und das Glaubensbewußtsein, das in der katholischen Kirche vorhanden ist, stellt die Plattform für unsere Überlegungen dar. Es ist damit nicht gesagt, daß es nicht auch andere Möglichkeiten gibt, über Konflikte und Versöhnung zu sprechen, ja der Christ muß auch jene Ebenen aufsuchen, wo er mit Vertretern anderer Religionen oder mit Vertretern von Ideologien und Weltanschauungen ins Gespräch gelangt.

Die Frage nach dem Ausgangspunkt, nach der prinzipiellen Einstellung ist wichtig; denn wir stellen fest, daß der Christus-Glaube eine sehr wesentliche Alternative zu virulenten Ideologien bildet.

Das Glaubensbewußtsein, wie es von der Kirche interpretiert und dargelegt wird, bildet den Ausgangspunkt unserer Überlegungen.

Das Verhältnis zur Kirche ist vor Beginn des Heiligen Jahres, beim Katholikentag, immer wieder zu reflektieren. Der Katholik muß sich bemühen, möglichst tief die Katho- lizität und Apostolizität, die Einigung und die Heiligung der Christen, der Gemeinden in der Kirche zu verwirklichen. Dabei trifft jeder immer wieder auf die Tatsachen „Sünde” und „Versöhnung”.

Christliches Leben spielt sich nicht in einem luftleeren Raum ab, sondern die Wirklichkeit der Gnade, der Versöhnung, der Anteilnahme am göttlichen Leben, insgesamt die Christus-Wirklichkeit, ereignet sich inmitten der Weltwirklichkeit, die vom Konflikt und von der Sünde wesentlich mitgeformt werden.

„Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit unseres Gottes” inmitten der Menschen, inmitten jener Menschen, deren Leben auch die Wirklichkeit „Sünde” kennt. Wie es das Geheimnis der Liebe gibt, gibt es auch das Geheimnis der Sünde, Sünde als Zustand, ebenso als Einzeltat des Menschen.

Röm. 1—3, 7 ist eine Interpretation der Wirklichkeit „Sünde”. Die Tat- • Sachlichkeit der Sünde als des Ur- konfliktes des Menschen mit Gott wird vom Gewissen, von der Offenbarung, vom Geist, den Gott den Menschen gibt, bezeugt.

Die Differenz zwischen Konflikt und Sünde sowie das gegenseitige Verhältnis ist erkennbar, doch ist es schwierig, die Grenze zu ziehen: Wo ist der Konflikt, wo beginnt die Sünde?

Der Zusammenhang zwischen den Konflikten und der Sünde ist zu bedenken und zu sehen im Verhältnis

• zwischen Gott und den Menschen,

• bei der Zwietracht der Menschen,

• in der Verzweiflung des einzelnen Menschen, seinem Unwillen, das eigene Schicksal auf sich zu nehmen und zu tragen.

Die Wirklichkeit „Sünde” wird aktualisiert nicht vor allem in Lappalien, sondern bei lebenswichtigen Dingen, wie sie zum Beispiel darstellen: das Leben der Gemeinschaft, die Selbstverwirklichung, der Weitbezug, das Verhältnis zu den Dingen, die geschaffen sind, daß der Mensch sie gebrauche, daß der Mensch sie in seinem schöpferischen Vermögen für den Aufbau der Kultur verwende.

Das Unvermögen der Selbsterlösung wird den Menschen jeder Generation klar. Träume, Utopien, Süchte, Drogen stellen Ersatzlösungen dar. Machtausübung wird von vielen Menschen als Mittel der Befreiung im sozialen und personalen Sinn angestrebt und versucht. Das Scheitern dieser Versuche ist ein Ergebnis der Geschichte.

III.

In diese Ausweglosigkeit hinein kommt das Wort des Evangeliums als einer neuen Botschaft.

1. Versöhnung ist geschehen. Die Versöhnung ist von Gott vollzogen worden in Leben, Sterben und Auferstehung Jesu.

Die in Christus vollzogene Versöhnung ist „ohne mich, ohne dich geschehen”. Ich habe von ihr nur insofern Kenntnis, als ich diesem Gott, diesem Jesus von Nazareth mein Vertrauen, meinen Glauben gebe.

Was Versöhnung bedeutet, ist in Jesus erfahrbar geworden.

Die Worte, die Jesus zu Menschen in ihren verschiedensten Situationen spricht, sind Interpretation seiner Versöhnungsfunktion.

Die Taten, die Jesus an den Menschen wirkt, sind Ausdruck seines Willens.

Das Sterben Jesu ist die Integrierung all seiner Intentionen, Worte, Taten, seiner Gefühle, seines Wol- lens, seines Auftrags. Er ist der Stellvertreter, ist das Lamm, das die Sünden aller auf sich nimmt und hinwegträgt.

Dieses Sterben auf Golgotha ist zur Auferstehung geführt worden, weil es in der unendlichen Liebe geschah.

Die Auferstehung bedeutet aber nicht ein Auferstehen in eine Isolation, in eine abgetrennte, von der

Weit getrennte Existenzwelt, sondern ist das Weiterleben in neuer Weise: in der Kirche, im Schicksal der Armen der Menschheit, ein Auferstehen auch zu fortwährender Anteilnahme am Leben der Menschen. Der am Leben der Menschheit Anteil nehmende, das Leid mit diesen Menschen teilende Christus verändert kontinuierlich die Situation der Menschen.

2. Die Jünger werden von Jesus berufen, sein Tun zu sehen und durch sein Wort und sein Leben zu verstehen. Sie sind Mitlebende des Heilsgeschehens, das sich in Jesus ereignet, sie sind Mitwissende seiner Absichten. Er sagt ihnen: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde.”

Die Jünger stehen individuell in der Nachfolge Jesu, sie verstehen durch den Heiligen Geist die Zusammenhänge seines Lebens, das bedeutet auch, daß er die Versöhnung der Menschen mit Gott und untereinander wirken wollte.

Die Jünger werden durch die Führung des Geistes inne, daß die Versöhnung, die grundlegend in Jesus vollzogen worden ist, allen Menschen aller Zeiten, allen Generationen und Völkern mitgeteilt werden soll.

Der Prozeß dieser Mitteilung über die geschehene Versöhnung und die Aufforderung, sich die Versöhnung anzueignen: sich mit Gott versöhnen zu lassen, wurde ursprünglich häufig als ein sehr bald eintretendes weltveränderndes Ereignis aufgefaßt. Die apokalyptische Form mancher Worte der apostolischen Verkündigung weist darauf hin.

Die Jünger lernten ebenso wie die Gemeinden, daß sie den Weg des Glaubens und der Versöhnung erst suchen und persönlich zu Ende gehen mußten. So verstanden sie in neuer Weise Worte, Taten, Leben, Sterben und Auferstehung Jesu. Sie erlebten, daß durch das Sakrament die wesentlichste Versöhnungstat sich ereignet, die Behebung des Urkon- fliktes zwischen den Menschen und Gott. Das Sakrament ist ein Vorgang, der auch den Mitmenschen einbezieht. Es ist keine isolierte religiöse Handlung. Religion ist auch hier nicht Privatsache.

3. In der Kirche wird allen Generationen die Wirklichkeit von Liebe, von Gemeinschaft erfahrbar, erlebbar. Das sagt Eph. 2 aus: Aus vielen, aus zwei Völkern 1st Einheit geworden, ist der eine „Leib Christi” geworden. Die Menschen in der Kirche können aus dieser Grunderfahrung heraus von der Einigungstat, der Versöhnungstat Christi sprechen.

Dieses lebendige Zeugnis weckt aber neuen Glauben, führt zur Nachfolge Christi in der Form der Gemeinschaft. Die Kirche selbst ahmt Christus nach, sie geht den gleichen Weg der Versöhnung wie er; freilich weiß auch sie, daß hier Leid zur Verklärung, zur Auferstehung führt. Von diesem Leid sagt Paulus, daß er und mit ihm die anderen Christen erfüllen müssen, was einst noch aussteht vom Leiden Christi.

Weitere Aspekte und Erfahrungen des Weges der Versöhnung, wie er von der Kirche gegangen und dar1- gelegt wird:

1. Die Kirche und die Christen wissen — gerade durch das häufige Scheitern belehrt —, daß Versöhnung, Friede, Liebe beim Menschen unmöglich, daß sie aber bei Gott möglich sind.

In immer neuen Ansätzen ereignet sich dieses Versöhnungswirken Gottes.

2. „Menschen, nicht Engel, sind die Priester des Neuen Testaments.” Sie sind Menschen mit leeren Händen und sind darum arm, der Freundschaft und der Erbarmung wert. Gerade solchen Menschen wurde die Verwaltung der Geheimnisse an vertraut. Warum? Damit keine Täuschung bestehen bleibt: Gott und seiner unendlichen Liebe bedurfte und bedarf cs, die Versöh nung herbeizuführen, den Urkonflikt zwischen den Menschen und Gott zu lösen und die Not der Menschen im zwischenmenschlichen Bereich zu beseitigen. Damit ist aber kein Quietismus empfohlen, daß es Gott schon tun wird und der Mensch sich nicht bemühen müsse.

Zu den Einwänden, die anfangs erhoben wurden, ist zu sagen:

• Es steht dem Menschen nicht frei, die Konflikte zu leugnen oder zu verschweigen. Dies darf auf keinen Fall geschehen. Das Gute, die Liebe wird auf dem Hintergrund der Weiten und Tiefen der Konflikte erst sichtbar.

• Sehr viele Konflikte werden von den Menschen, den Christen nicht gelöst werden können. Es ist als dringende Notwendigkeit zu erkennen, daß gerade der, der sich um die Versöhnung bemüht, es lernen und ständig üben muß, mit den Konflikten zu leben.

• Es ist richtig: Das Christentum hat die Konflikte nicht beseitigt, es war nicht imstande, ausschließlich Versöhnung zu leben. Und doch muß gesagt werden, daß es viel Liebe in die Welt gebracht hat und bringt. Das Christentum hat die Menschheit zur einen Familie der Gotteskinder vereint. Die geistigen Grundhaltungen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Solidarität sind durch das Evangelium deutlich hervorgehoben worden. Durch diese Rechts- und Sittenordnung wurden wichtige Voraussetzungen für die Konfliktsberei- nigung und für Versöhnung geschaffen. Auf Grund dieser Geisteshaltung ist es möglich, in Anerkennung des Mitmenschen auch mit den Konflikten zu leben.

• Das Wort Jesu, daß „er gekommen sei, nicht den Frieden, sondern das Schwert zu bringen”, ist auch ein Hinweis auf das Schwert als das Wort Gottes. Das Wort Gottes lehrt uns die Unterscheidung. Unterscheiden muß der Mensch zwischen Konflikt und Sünde, zwischen echtem Frieden und Appeasement, zwischen

Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Dieses Schwert des Geistes mag den Menschen verwunden, es ist aber eine Trauer, die zur Freude und zur Hoffnung führt.

• Noch ein Hinweis für das persönliche Leben in Versöhnlichkeit: Es ist immer wieder mit dem Versuch der Versöhnung zu beginnen, nicht mit Worten, sondern in Taten, nicht durch Ratschläge an andere, sondern durch den Imperativ an das eigene Ich. „Such nicht im Dorf, such bei dir selbst” (Solschenizyn).

Es ist nicht erlaubt, vom Guten abzusehen, das Gute, die Liebe zu übersehen oder totzuschweigen.

Die Welteinheit, das Zusammenspiel der Menschen ist nicht so leichthin auf einen Nenner zu bringen und zu verstehen. In den Teppich des Weltgeschehens sind auch die Konflikte, ja die Sünden eingewoben. Das Wort des Augustinus behält seine Bedeutung: Etiam peccata, auch die Sünden sind von Gott gesehen, stehen in der Heilsgeschichte, die auch jeweils eine Unheilsgeschichte ist. Von der Sünde hat Augustinus gesagt: Glückliche Sünde, die einen so großen, die einen sol

Photos: Gürer und Bospesch chen Erlöser gerufen und erhalten hat. „Wo die Güte und die Liebe wohnt, dort ist der Herr.”

All dies sind Hinweise auf die Geisteshaltung, auf das Tun, das Wissen um die Zusammenhänge im Geschehen der Versöhnung.

• Zu den sozialen und politischen Aspekten von Versöhnung: Die Umwelt ist von großer Bedeutung für das Werden des einzelnen und der Gemeinschaft. Wenn ein Mensch in Strukturen, die von Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe gekennzeichnet sind, situiert wird, dann wird er die Kraft Gottes, die ihn versöhnt, erleben und auch in den Strukturen, Institutionen zur Entfaltung bringen.

Es muß hier vieles geleistet werden: Die Weltsituation und die Situation des einzelnen sind weithin vom Konflikt bestimmt. Die innerweltlichen, die innermenschlichen, interpersonalen Konflikte werden sehr stark erlebt und auch betont. Demgegenüber tritt der Urkonflikt, der Konflikt des Menschen mit Gott im Bewußtsein vieler zurück. Die Konsequenz ist, daß die Person des Menschen selbst sehr häufig und tief gefährdet ist.

Die Strukturen der Gesellschaft, der Politik, des Staates, der Wirtschaft, des Kulturbetriebes sind daraufhin zu prüfen, ob sie dem einzelnen ein menschenwürdiges Leoen und der Gemeinschaft die Erreichung der gestellten Aufgaben ermöglichen. Initiatives Denken und Tun kann hier ohne Schuld nicht versäumt werden.

Die Christen sollen Sorge tragen, daß sich möglichst viele Menschen das Beispiel des Tuns Christi zu eigen machen. Die Sakramente der Kirche und das ganze Leben der Kirche bieten die Hilfe, die Versöhnungstat Christi auszubreiten, die Früchte seines Tuns allen zuzuwenden.

Die Taten der Kirche und der Christen sind angesichts der Vielzahl und des Ernstes der Konflikte ein notwendiger Dienst.

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