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Mehr als Lebens qualitat

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Das Leben des Einizelmenschen steht heute so hoch im Kurs wie nie zuvor. Weder wird das Lehen von Geiseln bei Flugzeugentführungen aufs Spiel gesetzt noch schreckt man davor zurück, das Ansehen wichtiger staatlicher Institutionen, wie das des Bundesheeres, wegen eines einzogen Menschenlebens zu gefährden. Ja, sogar das Leben werdender Kinder muß 'hinter dem eigenen zurückstehen, wenn man das wünscht. Man sagt: Die Gesellschaft ist für das Individuum da und hat diesem nicht nur das Leben überhaupt, sondern ein gutes, bis an den Rand ausschöpfbares Leben zu garantieren.

Die Vorliebe unserer Zeit für Soziologie, soziologische Bezüge und politische Relevanzen des Individuums zeigt keine Richtung auf, wohin und wofür sich dieses engagieren und damit sinevoll verbrauchen könnte, sondern enthält die deutliche Erwartung, daß die Gesellschaft sich für den Einzelmenschen als nutzbringend erweise.

Diese geforderte; Dienstleistungs-bereitschaft der überindividuell gesellschaftlichen und politischen Organisatoren findet jedoch ihre Grenzen, sei es an den Rechten derer, die solche Bereitschaft durch Arbeit zu leisten haben, sei es an den selbstverständlichen Machtansprüchen der Organisationen selbst. Da die allermeisten Menschen heute ihr Leben bis an den Rand ausschöpfen wollen, werden diejenigen, deren Dienste dazu nötig sind, imimer seltener und kostspieliger. Es hilft auch nichts, daß man diese hohen Kosten steuergerecht auf alle umlegt, vielmehr wird damit nur das Bewußtsein gestärkt, Ansprüche an die Gesellschaft geltend machen zu dürfen.

Diese Erfüllungsfpolitifc der Gesellschaft garantiert die moderne Lebensqualität. Auch dort, wo das Individuum durch Krankheit bedrängt oder durch Unfall aus der Bahn geworfen wird, tritt in [großzügiger Weise die Gesellschaft als Betreuerin auf, so daß der betroffene Mensch kaum noch dazukommt, die Tod-oder-Leben-Frage des „Warum“ seinem Gott entgegenzuschreien. Auch eine Lebensqual, hervorgerufen durch Schuld, Gewissenslasten, Sündenbewußtsein vor Gott und Furcht vor der ewigen Strafe wird vor dem gängigen Begriff der Lebensqualität heute zur unwirklichen illusionären Einbildung. Wenn sie sich aber dennoch hartnäckig halten sollte, dann wird das Angebot der Christlichen Kirche so verstanden, daß mit dem Tode und der Auferstehung Jesu Christi sowieso alles aufs beste geordnet sei und es ja auch nach dem Tode nicht anders fortgehen könne mit der Lebensqualität als in diesem Leben. Das zumindest müsse die Kirche jenen garantieren, die sie in Anspruch nehmen und dafür auch ihren Beitrag bezahlen. Jedoch — zwischen den Leistungen der Gesellschaft und denen der christlichen Kirchen besteht ein wesentlicher Unterschied.

Wenn wir schon die Dienste unserer Gesellschaft für viel Geld in Anspruch nehmen, um dadurch eine maximal hohe Lebensqualität zu erreichen, dann dürfen wir den Dienst Jesu Christi am Kreuz für uns zwar umsonst erwarten, tatsächlich aber können wir ihn nicht in Anspruch nehmen als etwas, worauf wir ein Recht hätten, weil wir Kirchenbeiträge gezahlt haben. Unsere eigene Lebensqualität noch mit Christi Tod und Auferstehung abzurunden und über den Tod hinaus auszudehnen, ist eine frevelhafte Illusion. Denn von der Inanspruchnahme des österlichen Auferstehungslebens trennt uns nicht mehr und nicht weniger als die Notwendigkeit des eigenen Absterbens und die Annahme der Verurteilung unserer bisherigen gottlosen Lebensqualität duroh den lebendigen Gott, der diese uns bemeinte Verurteilung an seinem Sohn Jesus vollzog. Erst wenn wir dieses Urteil annehmen und damit auf den Nullpunkt unserer Existenz gelangen, treffen wir das von Gott so niedriggestellte Angebot eines neuen Lebens mit seinem Sohn Jesus auf der von Gott geschaffenen Ebene, auf welcher er das Kreuz Christi aufgerichtet hat. Von diesem Tiefpunkt aus erkennen wir in der Verurteilung zugleich die abgrundtiefe Herabneigung Gottes am Kreuze Christi zu uns, und wir erleben sein erhebendes Erbarmen in der Auferstehung, so daß wir, durch Gottes Geist überwunden, bekennen dürfen: „Jesus lebt, mit ihm auch ich!“

Mein Leben hat eine neue Qualität bekommen; nicht jene, die ich selbst, mein Lebenskreis oder die Gesellschaft, in der ich lebe, mir geben können, sondern Gottes Liebe schenkt meinem Leben eine einzigartige und für Zeit und Ewigkeit unzerstörbare Kraft. In ihr bin ich geboren. Mit einem Wort des Apostels gesagt: „Christus ist mein Leben!“

Das Leben in Christus hat Vorrang vor allen anderen Lebensqualitäten. Er zieht mein Leben in seinen Dienst und macht mich bereit, andere Men-hen durch Zeugnis und Tat an seinem Leben teilnehmen zu lassen. Dieses Leben kann vom Tode nicht überwunden werden, da Christus selbst den Tod durch seine Auferstehung überwunden hat. Es ist ein Leben der Hoffnung, des Friedens und der Gelassenheit, da es nicht mehr auf menschlichen Leistungen, sondern in Gottes Liebe ruht.

Aber auch das Verhältnis des Christen zur Gesellschaft ändert sich: Er muß die Gesellschaft in Frage stellen, er wird sie aber auch über sich selbst hinausführen:

Die Auferstehung Jesu Christi bedeutet für alle möglichen Formen menschlicher Gemeinschaft, daß sie letztlich zum Scheitern durch den Menschen selbst verurteilt sind, weil dieser, verhaftet in Sinnlosigkeit und Selbstsucht, nicht imstande ist, Gottes Willen zu tun. Aber zugleich bedeutet die Auferstehung Jesu Christi den Anfang einer neuen Gemeinschaft von Menschen. Diese lebt aus der Gegenwart des auferstandenen Herrn in Wort und Sakrament als communio sanctorum in Zeugnis-und Dienstbereitschaft bis zur Wiederkunft Christi. Sie ist das Abbild jener ewigen Gemeinschaft, die nur im Glauben erkannt werden kann und welche letztlich allen Versuchen, menschliche Gesellschaft und Gemeinschaft zu schaffen, vorschwebt. Dieses lebendige Zeugnis an die Welt ist der Kirche Jesu Christi für alle Zeit aufgetragen.

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