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Unser Herr und der alternde Menscli

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Am 25. März jährt sich zum erstenmal der Tag, da Pater Strangfeld - erst 42jährig -durch einen tragischen Unfall aus dem Leben schied. Wir bringen im folgenden seinen letzten Leitartikel aus der von ihm redigierten Zeitschrift „Der Große Entschluß“. Dieser Artikel, der nach seinem Tode erschien, enthält manchen Satz, der wie eine Vorausahnung seines nahenden Todes erscheint.

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Am 25. März jährt sich zum erstenmal der Tag, da Pater Strangfeld - erst 42jährig -durch einen tragischen Unfall aus dem Leben schied. Wir bringen im folgenden seinen letzten Leitartikel aus der von ihm redigierten Zeitschrift „Der Große Entschluß“. Dieser Artikel, der nach seinem Tode erschien, enthält manchen Satz, der wie eine Vorausahnung seines nahenden Todes erscheint.

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Warum hat Christus uns nicht vorgelegt, wie man alt werden und alt sein könnte? Warum hat Er, gerade dem Lebensabschnitt, der bei uns heute die meisten Menschen umfaßt, Sein vorbildliches Beispiel verwehrt? Wenn Paulus feierlich feststellt, er sei „nicht einer, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwachheiten, sondern sei in allem in gleicher Weise versucht worden, doch ohne Sünde“ (Hebr 4, 15), warum wollte Er dann nicht die Schwachheiten und Heimsuchungen unseres Alters erleben?

Man könnte nun gewiß eine Antwort darin suchen, daß Christus gerade den Menschen ein Beispiel geben wollte, denen das tragischeste menschliche Schicksal beschieden ist, auf der Mittagshöhe ihres Lebens zu scheitern, in der schönsten Blüte und Kraft ihres Lebens gebrochen zu werden. Denn solange ein Mensch jung ist, weiß er noch nicht zur Gänze, was ihm das Leben schenken könnte; und wer die sechzig, siebzig Jahre überschreitet, wessen Kräfte abzunehmen beginnen, der sollte das Leben schon verkostet haben. Ist die Trauer nicht m schmerzlichsten, wenn ein Mensch, der zu allen Hoffnungen berechtigte, dessen Kraft ungebrochen schien, zum Sterben kommt?

Doch wir dürfen uns mit dieser ein wenig ausweichenden Antwort (und noch anderen gewiß denkbaren und begründbaren Antworten) nicht begnügen. Denn es gibt eine überzeugendere Antwort. Hat Christus, so dürfen wir fragen, in Seiner Passion nicht gerade auch das bittere Schicksal des alternden Menschen durchlitten? Die beklemmende und niederdrückende Angst, daß doch alles umsonst war; die Leere der Einsamkeit und Verlassenheit bis zum schier verzweifelten Ruf: „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“; das Innewerden, überflüssig, ja im Wege zu sein, da man Ihm den Barabbas vorzieht und, noch bevor Ihm die Augen brechen, Seine letzte Habe, Seine Kleider verteilt; das Nicht-mehr-ernst-genommen-Werden und Abgetanwerden, da Er von Herodes ausgelacht wird; das unerbittliche Verblühen, da „weder Gestalt noch Schönheit“ an Ihm ist; die wachsende Müdigkeit, daß ein wildfremder Mensch Ihm helfen muß, das Kreuz zu tragen; das Unverstandensein, da selbst die besten Freunde Distanz von Ihm halten und Ihm entfremdet sind; alle die Leiden der Hilflosigkeit und Armseligkeit, da Er kein Glied mehr bewegen kann ohne heftigste Schmerzen; und endlich das bittere Abschiednehmen, da Er sogar die Sorge für den liebsten Menschen einem anderen übergeben muß. Wohl alle kennen wir diesen und jenen jungen Menschen, in dessen Antlitz sich ein hartes Schicksal eingemeißelt hat, so daß er viel älter, wenn nicht gar alt erscheint. Christus aber hat nicht irgendein schweres, persönliches Schicksal durchlitten, sondern das Schicksal vieler, aller Menschen, Er hat den randvollen Kelch allen Grauens und Verzweifeins bis zur Neige getrunken. Auch wenn man die ■ Echtheit des Turiner Leichentuches, in das der tote Christus gehüllt worden sein soll, bezweifelt, wird man zugeben, daß dieses Antlitz eines gealterten Mannes das Antlitz Christi sein könnte. So daß man also sagen kann und muß: Vom Grauen des Abends des Gründonnerstags bis zum Sterben in den Nach-mittagsstunden des Karfreitags hat Christus, gleichsam in einem Zeitraffer, das Schicksal auch aller alternden Menschen durchlitten, und ist Er ein alter Mann geworden. (Und so hat es einen tiefen Sinn, daß gerade ältere Leute so gerne den Kreuzweg beten, sich hineinbeten in Christi Verlassenheit und Müdigkeit und Angst, den sie spüren, wie wahr das Wort für sie ist: Unsere Lasten hat Er getragen.)

Das aber ist nur der eine Teil der Antwort. Der andere Teil der Antwort kommt aus der Verklärung auf Tabor, die, noch bevor die Tragödie anhebt, den Vorhang der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, der Sinnlosigkeit und Verlorenheit zerreißt. In Seiner ganzen jugendlichen Schönheit und Kraft leuchtet hier Christus auf und offenbart damit Sein innerstes Geheimnis, das kein Grauen und kein Sterben wird zerstören können und das in der Osternacht von neuem und für immer aufleuchten wird. Kraft Seiner göttlichen Jugendlichkeit konnte es Christus auf sich nehmen, verunstaltet und zerstört und gleichsam ein alter Mann zu werden. Und darin besteht die Erlösung gerade für den alternden Menschen, daß ihm die Jugend Christi angeboten, ja aufgetragen ist.

Ein moderner Psychiater hat seinem Buch den Titel gegeben: „Die Krankheit, nicht krank sein zu können.“ So gibt es auch eine Alterserscheinung: nicht alt werden, nicht alt sein können. Denn man muß jung sein, um richtig alt werden zu können: man kann richtig alt werden nur, wenn man innerlich jung bleibt.

Doch wie ist das möglich? Ist es nicht dem Alter eigen, daß die Mondsichel des „Noch nicht“ immer schmäler wird und der Raum des „Nicht mehr“ immer größer? Daß die Erinnerung immer mehr das Hoffen und Planen verdrängt? Daß der Mensch immer weiter sich entfernt von der Mitte der Welt und mehr und mehr an ihrem Rande verweilt? So ist es gewiß im natürlichen Altern. Dem Christen aber ist die Hoffnung auf die Auferstehung gegeben. Nicht die müde Hoffnung, es könnte vielleicht doch noch anders kommen; sondern die starke, von Gott selbst geschenkte Hoffnung, die Sicherheit ist, unumstößliche Gewißheit, daß die Zukunft, das Leben, die Erfüllung, die Freude, die ewige Jugend noch bevorsteht, nicht schon vorbei ist; daß das „Noch nicht“ ungleich mehr ist als das „Nicht mehr“, dem man nachtrauern möchte; daß die Mondsichel des „Noch nicht“ im Wachsen begriffen ist nach dem Maß des göttlichen Lebens, das durch die Sakramente und das Gebet, den Glauben und die Liebe in der Seele pulst, daß diese Mondsichel bis zum Vollmond wachsen soll. Wie die Antiken ahnten, das Schicksal des Mondes am nächtlichen Himmel sei ein Sinnbild der Seele, und wie sie deshalb angstvoll hinaufriefen: „Vince, Luna!“ (Siege, Mond.'), so ist allem natürlichen Altern und Verwelken der Sieg des Mondes verheißen, wenn er sich nur nicht abkehrt von der Sonne Christus. So hat es ein Christ der Antike, Theophilus von Antiochien, ausgesprochen: „Sonne und Mond sind Träger eines großen Mysteriums: Die Sonne nämlich ist das Bild Gottes, der Mond das Bild des Menschen.“ Christus gilt es sich zuzuwenden, um zu leuchten und die Verheißung des unsterblichen göttlichen Lebens zu besitzen.

„Gott ist jünger als alle“ (Augustinus): darum ist das Leben Gottes, das in der Gnade geschenkt wird, nie alternde Jugend, und immer jünger, innerlich, göttlich jünger wird der Mensch, der wächst in der Gnade. So konnte der alternde Paulus das über seine körperliche Gebrechen triumphierende Wort niederschreiben: „Wenn auch unser äußerer Mensch vergeht, der innere verjüngt sich von Tag zu Tag“ (2 Kor 4, 16).

Solche Jugend aber will im Alter spürbar werden. Da die Hoffnungslosigkeit und Resignation genommen ist, soll keine der verbliebenen Kräfte unfruchtbar bleiben. Man sollte sich darum kümmern, immer etwas zu lieben, zu planen, zu tun zu haben. Und in jedem Alter kann man lieben lernen, denn um zu lieben, muß man immer wieder — verzeihen. Die Menschen, die man ins Herz geschlossen hat und ins Herz schließen möchte, sind ja oft so ungeschickt und undankbar. Man ist nicht imstande zu lieben, wenn man nicht immer wieder das Unrecht vergessen und darüber schweigen kann, und wenn man die liebevollen Worte der Erinnerung nieht hütet wie einen kostbaren Schatz.

Begegnen wir einem alten Menschen, so forschen wir in seinem Antlitz, was tich darin eingezeichnet hat. Die Falten verraten die Schicksalsschläge, die er erlitten, die Plage seiner Tage und die Schlaflosigkeit so mancher Nächte, aber auch wieviel er geliebt hat. Bisweilen aber spüren wir in seinem Blick etwas, das wir nicht gleich enträtseln können: Ruhe, die uns Gehetzte seltsam anmutet; gütige Nachsicht, die mit leisem Lächeln und Humor zudeckt, was uns aufregt und empört; Schweigen, das uns über unsere kleine Welt hinausruft in eine geheimnisvolle Weite; schlichte Selbstlosigkeit, die unsere kleinen Eitelkeiten beschämt. Und wenn wir das spüren, ist es nicht ein wundervolles Geschenk, das das Alter reich und kostbar erscheinen läßt?

Wer im Sinne Gottes alt zu sein verstellt, in der Geduld und im stillen Gebet, im gelösten Lächeln und in der weisen Güte,-der tritt nicht an den Rand, sondern in die Mitte der Welt, weil er ihr göttliches Geheimnis errät.

Also kennt das Alter auch keinen Neid gegen die Jugend, ihre Schönheit und ihre Kraft. Denn so wie die Gnade das göttliche Unterpfand der ■ ewigen Jugend ist, so sind alle mit hohen Gaben des Geistes und des Leibes ausgezeichneten Menschen ein irdisches Unterpfand für das Kommende. Ahnungshaft leuchtet in ihnen auf, was allen, die Gott zu sich heimholt, geschenkt werden soll. Darum freut sich der verblühende und alternde Mensch an all den anderen, die ihn durch Frische und Elastizität, durch Leistungskraft und Schönheit in den Schatten stellen: er sieht durch alle diese Werte, die leider vergänglich sind, hindurch auf das Unvergängliche, das sie meinen, und sein Wunsch und sein Gebet gilt ihren Trägern, es möge ihnen einst hundertfach wiedergeschenkt werden.

So weiß der alternde Mensch nicht bloß um seinen Kreuzweg, den er in der Kraft Christi geht; er weiß auch um das Geheimnis der Auferstehung und Verklärung, das er schon keimhaft besitzt in der Gnade, er weiß um die göttliche Jugend in seinem Herzen, die ihm durch die von Gott geschenkte Hoffnung zuteil wird, er weiß um die Quellen, aus denen nicht bloß für ihn, sondern auch für seine Mitmenschen Friede und Humor und Güte strömt; er weiß, daß er, aller Hilflosigkeit und Runzeligkeit zum Trotz, in dem Maße jung ist, als er wach und bereit, hoffend und liebend Christus entgegengeht.

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