6552529-1948_02_10.jpg
Digital In Arbeit

Von Glaube, Wunder und Barmherzigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Die „Gesellschaft der Filmfreunde Österreichs“ hat uns gemeinsam mit der Schwedisch-österreichischen Gesellschaft in der zweiten Dezemberhälfte zwei einmalige Vorführungen von schwedischen Spitzenfilmen, „Das Wort“ und „Das Himmelsspiel“, vermittelt. Beide zählen zur schon bedeutenden Reihe religiöser Filme, von denen „Der Weg zum Glück“ und „Die Schlüssel zum Himmelreich“ dem österreichischen Kinopublikum bereits bekannt sind.

Die Problemstellung von Glaube und Wunder bestimmt den ersten Film, „D a s W o r t“, nach dem gleichnamigen Drama des dänischen Dichters und Pfarrers Kaj Munk. Er versetzt uns in einen schwedischen Bauernhof, in dem der stolze, im Grunde aber doch gutmütige Knut Borg sein patriarchalisches Regiment führt. Die religiöse Atmosphäre dieser Familie, in der der Hausvater täglich nach Tisch aus der Bibel vorliest, ist so echt, daß sie selbstverständlich wirkt. Inger, die Frau des ältesten Sohnes, ist in ihrer urgesunden Fraulichkeit die Verkörperung des Frohsinns und der Hilfsbereitschaft auf dem Bauernhof. Der jüngste Sohn ist in das junge Mädchen eines Schneiders verliebt, der eine Sektenkirche gegründet hat und in der Kapelle seines Gartens die Gläubigen mit exaltierten Gerichtsund Höllenpredigten bearbeitet. Bauer und Schneider hassen sich glühend und wollen beide von der Heirat ihrer Kinder nichts wissen. Der zweite Sohn, Jan, ist Pastor geworden und soll an diesem Sonntag seine erste Predigt halten. Hier setzt das Problem ein. Nervös, in fast krankhafter Erregung beginnt der junge Pastor die Predigt: Einstmals hat Christus Kranke geheilt und Tote auferweckt und w konnte die Wunder wirken, weil die Menschen damals Glauben hatten. Ist diese Zeit der Wunder vorbei? Nein: auch beute noch ist es möglich, Lahme wieder gehend zu machen und Toten das Leben wieder zu schenken — wenn wir heutige Christen nur den lebendigen Glauben wieder haben. Auch heute gilt das Wort Gottes vom Glauben, der Berge versetzt. — Da sieht der in Glut geratene junge Pastor den gelähmten Meßner auf Krücken durch die Kirche humpeln — jäh kommt ihm zu Bewußtsein, daß es ja doch niemand wagen würde, das Wunder der Heilung zu versuchen, und zuinnerst erschüttert flieht er von der Kanzel. Vom Zweifel geimartert, kehrt er in die Stadt zurück, verliert das innere Gleichgewicht und sendet schließlich seiner Frau den Trauring zurück, und als sie an seiner Tür um Einlaß bettelt, schlägt er die Tür vor ihr zu. Verzweifelt taumelt sie hinunter auf die Straße und gerät unter die Räder eines Autos. Am Abend vor ihrer Beerdigung versucht der verzweifelte Pastor, trotz seiner zermürbenden Zweifel, an ihr das Wunder des lebendigen Glaubens möglich zu machen, aber vergeblich. Da sdilägt sein Zweifel in Irrsinn um: er hält sich selbst für Jesus Christus, und lebt nun als Zimmermann, Kreuze aus Holz verfertigend.

Jans Zusammenbruch ist nicht bloß Tragik, sondern hat für uns einen tieferen Sinn: er hat vergessen, daß die Macht des Glaubens zunächst nur für die übernatürlichen Heilsgüter gilt, für jene Werte, die für das ewige Heil des Menschen von Belang sind. Auch Christus war es bei seinen Wundem zunächst nicht darum zu tun, von Krankheiten und Tod zu befreien, sondern die Göttlichkeit seiner Person und Offenbarung zu erweisen. Der Glaube an Gottes Allmacht und Eingreifen in rein irdische Belange ist darum bedingt: wenn es für das ewige Heil der Menschen besser ist, daß irdische Übel abgewendet werden, dann wird Erhörung zuteil. Um dieses Wenn aber weiß Gott allein. Darum ist lebendiger Glaube immer Preisgabe an Gottes freies Verfügen. Vom Menschen ist unerschütterlicher Glaube an Gottes Allmacht abverlangt, aber die Sicherheit der Erhörung in allen irdischen Dingen kann sich der Mensch nie selber geben, die gibt nur Gott. Er vermag den demütig seinem Willen hingegebenen Menschen mit jenem klaren Licht und jener absoluten Gewißheit zu erfüllen, die in ihrer Schlichtheit sich so deutlich unterscheidet von aller hysterischen Einbildung und der Exaltiertheit magischer Autosuggestion. Das Wunder ist von Gott her möglich: dagegen helfen keine noch so spitzfindigen rationalistischen Einwände. Aber das Wunder ist vom Menschen her nicht erzwingbar: dazu verhelfen weder Phantasie noch Magie. Jans Glaube fehlten Demut und kindliche Hingabe, und darum war dieser Glaube ein Irr-Sinn, und Irrsinn war es, auf diese Weise ein neuer Christus sein zu wollen.

Aber Jans Glaube fehlt noch etwas anderes: die Liebe. Er ist am Tod seiner Frau schuldig geworden. Und mit der Liebe fehlt ihm das Innerste dessen, was Gott fast immer für das Wunder verlangt: die Heiligkeit. Zugleich erhebt sich noch eine andere Wand, die es niederzulegen gilt: den Haß zwischen den beiden Vätern, die ihren törichten Stolz über das Glück ihrer Kinder stellen.

Da bringt der tragische Tod Ingers die Wandlung: der Schmerz läßt die beiden Vater den Zwist vergessen und sich die Hand zu Liebe und Versöhnung reichen. Wie Jan an Ingers Bahre tritt, durchbricht die schuldvolle Erinnerung an seine Frau wie grelles Licht die Nacht seines Irrsinns: Vernunft und Glaube kehren in seinen Geist zurück. Nun sucht er das Geheimnis des lebendigen Glaubens und seiner Macht nicht mehr zu ergründen, sondern bittet Gott in demütigem Gebet um das Wunder, und bevor er an Ingers Sarg tritt, sucht er die verbündete Hand des Kindes, das felsenfest vertraut, Jan werde die Mutter aus dem „Schlafe“ auf erwecken: und im Namen Jesu geschieht das Wunder.

Gewiß, diese Totenerweckung wirkt un- wahrsdieinlich und vermag in einer Weise zu schockieren, daß das gesamte Erlebnis dieses herrlichen Films zerstört wird. Und doch wäre es bedauerlich, würde man über diesen Stein des Anstoßes nicht hinwegkommen. Denn der Film wendet sich weder an die nach Naturgesetzen abwägende Vernunft noch an die Leichtgläubigkeit und Wundersucht urteilsloser Menschen, sondern der Sinn dieses Films ist zutiefst ein symbolischer: nicht auf die „Tatsache“ der Totenerweckung kommt es an, sondern auf jene Wahrheit, die durch einen gewagten Griff ans Licht gehoben wird: daß dort, wo demütig-kindlicher Glaube mit der alles überwindenden Liebe sich eint, Gott auch heute bereit ist, Wunder zu wirken, Wunder, die größer sind als Krankenheilungen und Totenerweckungen —, und wäre es das Wunder des wahren Friedens.

Nicht, daß eine Tote auferweckt wird, darf an diesem Film Anstoß erregen oder erschüttern, sondern daß wir den kindlichen Glauben und die Liebe nicht mehr haben.

Die aus Hollywood stammenden religiösen Filme verfallen nicht selten romantischer und sentimentaler Effekthascherei. Nichts von alldem kn „Wort“. Die Menschen dieses Films stehen mit beiden Füßen breit auf der sicheren schwedischen Erde, und das Geschehen ist ausgezeichnet durch innere Echtheit und fast profane Objektivität, die alles Legendenhafte und jeden Mystizismus ebenso wie billige Abenteuerlichkeit und Rührseligkeit ausschließen. Selbst die ergreifendsten Szenen atmen den Geruch der bäuerlichen Scholle und den frischen Wind von der See.

Der schwedisch-protestantische Hintergrund des Films läßt allerdings eine Einführung in Form eines Filmprogramms geraten erscheinen. Unser österreichisches Publikum würde die schwedischen Gebräuche beim Begräbnis ebensowenig verstehen wie das Gehaben des sektiererischen Schneiders. Doch wie wird das durchschnittliche österreichische Kinopublikum überhaupt den Film aufnehmen? Vor einem Jahre hat „Das Wort“ in Paris die Kinosäle innerhalb einer Woche leergespielt: „Es handelt sich um das Wort Gottes“, erklärte ein Kinokassier, „und wissen Sie, das Wort Gottes, das interessiert niemanden." .

Auch das österreichische Publikum nicht?

Im Gegensatz zu diesem ersten, streng an Raum und Zeit gebundenen Film stellt uns „Das H i m m e 1 s s p i e 1“ hinein in den Zauber einer r omantischen Märchenwelt, in die Welt des Räume und Zeiten ineinander verschlingenden Traums: vom Hof des schwedischen Bauern ist es nicht weit zum Hof des Königs Salomo in Jerusalem, Maria und Josef ziehen durch die schwedische Schneelandschaft Bethlehem zu, in einem Bauerngehöft begegnet man alt-

testamentlichen Propheten, König Salomo erscheint in einer Uniform des 19. Jahrhunderts, der Sdieiterhaufen eines mittelalterlichen Hexenprozesses wirft seinen sdiaurigen Schein auf das Wüten des Königs in Bethlehem, über einer alten Hütte erhebt sich auf einmal, man weiß nicht wie, ein modernes Bergwerk mit Maschinen und Räderwerk, und der Teufel will den alten Geizhals in einer Biedermeierkalesche zur Hölle fahren. Mittelalterliche Naivität verteilt Licht und Schatten auf das „Himmelsspiel“. Da erscheint Gottvater als lieber alter Herr, in dessen Antlitz unendliche Lebenserfahrung leise Furchen gezogen hat, der mit feiner Ironie über die sogenannte „Gerechtigkeit“ der Menschen hinweggeht und voll Verständnis für das Unglück der unverbesserlichen Menschlein immer wieder die von ihnen abgerissenen Lebensfäden zu knüpfen weiß. Auch der Böse tritt auf: mit jener überlegenen Miene und Routine, mit der er gewohnt ist, die Menschen transportfähig für die Hölle zu machen, aber auch mit jenem Fatalismus, der ihn vor Gottvater eine knappe Verbeugung machen und leer davonfahren läßt. Im Gewoge der phantastischen Handlung, die selbst den Himmel in ihr kühnes Spiel hineinholt, tauchen bekannte Motive aus dem „Jeder- mann“-Spiel, aus der „Faust“-Sage und der Erzählung des „Hans im Glück“ auf und unter. Biblisches Land und biblische Erzählung sind der letzte Hintergrund: „In Palästina", erklärt eingangs der Maler seine Wandgemälde, „schaut es gerade so aus wie bei uns heroben."

Im Kern ist das „Himmelsspiel" ein mittelalterliches Mysterienspiel. Sein Thema ist: Über aller Gerechtigkeit steht che Barmherzigkeit.

Da ist der junge Knecht Mats, dem menschliche „Gerechtigkeit“ seine schuldlose Margit raubt: er madit sich auf den Weg zum Himmel, um von Gott selbst Gerechtigkeit zu erlangen. Doch er verfällt dem Bösen und der Schuld. Aber im Himmel bittet Margit für ihn. Und wie nun der reiche schuldverstrickte Mats sterbend und verzweifelt am Wegrain liegt und hoffnungslos stöhnt: „Ich reiche nicht aus“, da beugt sich über ihn die Mutter Maria, der er einst in Bethlehem bei der Herbergssuche helfen wollte: „Keiner reicht aus“, und sie verheißt ihm die Gnade. Auf der Himmelswiese wacht Mats jung und schön auf, und Gottvater weist ihn in sein Vaterhaus ein und führt ihn Margit zu, die ihn schon immer erwartet hat.

Es ist manches einzuwenden: das Gefühl für Gerechtigkeit bleibt bei aller Sympathie für Mats und Margit unbefriedigt, schon gar, wenn die Verzeihung damit begründet wird, Mats hätte ja immer nur das Gute gewollt; Gottvater erscheint sehr einseitig als gütiger, im Grunde harmloser Großvater, und schließlich ist das Spiel allzu phantastisch, um mehr als ein Spiel zu sein. Wenn sich dann die Filmkamera gar in den „Himmel“ wagt, so gibt sie davon eine Vorstellung, die als Happy-End zwar rührend ist, in der rein irdischen Beglückung aber doch leise enttäuscht.

Über diesen Einwänden darf aber eines nicht vergessen werden: der Märchencharakter dieses Spiels bedingt wesentliche Vereinfachungen und Verkürzungen. Ähnlich wie in der bildenden Kunst werden manche Züge zugunsten eines einzigen geopfert: und dieser ist im „Himmelsspiel“ der Triumph der Barmherzigkeit. Solche Mängel dürfen darum in einem Märchenfilm nicht allzu übelgenommen werden. Vielleicht aber hätte sich auch dieser religiöse Film besser auf seine Grenzen besonnen, um so mehr als ihm hier alle psychologischen Hilfsmittel versagt waren. In seiner letzten Einfachheit verlangt das „Himmelsspiel“ große innere Bereitschaft und ein kindliches Herz.

Was an technischer Gestaltung und echter Darstellungskunst möglich ist, das bieten das „Wort" und das „Himmelsspiel“ in letzter Vollendung. Es bleibt nur zu erwarten, daß sich unsere Lichtspieltheater dazu aufraffen, diese beiden schwedischen Spitzenfilme dem großen Publikum zugänglich zu machen. Es wäre unser ehrlicher Wunsch.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung