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Um das Geheimnis der Menschenschuld

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In unserem, an Tagungen und Festspielen reich gesegneten Hochsommer sucht man nach den wesentlichen Anrufen und echten Klängen. Unruhig flackert der geistige Lebenswille des schwer ringenden Landes. Ein nervöses Fieber legt sich auf das schleichende seelische Klima der allgemeinen Ungewißheit. Um so wichtiger erscheinen in einem solchen Stadium feste Haltepunkte und erfolgreiche Tiefcnlotungen. Solche fand man auf der ersten, der theologischen Woche der Salzburger Hochschul-w o c,h e n 1947.

Ein Grundthema unseres Katastrophenzeitalters: der theologische Aspekt des allgemeinen Verhängnisses, ' in das wir tiefer hineingeraten sind, als es unseren äußerlich glücklicheren Vätern beschieden war, wurde beherzt herausgegriffen und von kundiger Warte aus beleuchtet: Erbschuld und Erlösung. Ein Thema, das sich um den Nachweis seines Gegenwartsbezuges wohl nicht zu bemühen braucht. Alois Mager, dessen zeitwacher Sinn das Programm der heurigen Hodischulwochen im rohen Umriß als Vermächtnis hinterlassen hatte, bevor seine nimmermüde Hand erlahmt war, eröffnete die von ihm herausgegebene Vierteljahrsschrift „Gloria Dei“ im Herbst 1946 mit dem Satz: „Die düsteren Ereignisse aus dem letzten Jahrzehnt haben die Schuldfrage vor das geistige Bewußtsein der Menschen mit einer Wucht gestellt, für die es kaum einen Vergleich in der bisherigen abendländischen Geschichte gibt.“

Das Wort von der Kollektivschuld wäre früheren Zeiten als ein kaum erträglicher Angriff auf die Autonomie des sittlichen Einzelbewußtseins erschienen. Noch weniger vermochte das bürgerliche Zeitalter mit einer methaphysisch erahnten, religiös geoffenbarten und theologisch ergründeten Erbschuld anzufangen. Aufklärung und Freisinn mokierten sich über dieses Verdikt der Priesterkaste gegen den freien, guten, zum Licht strebenden Menschen. Voltaire ereif^r-sich gegen einen Gott, der Säuglinge schul! werden läßt, und Nietzsche beschimpfte den „Bauernlümmel“ von Wittenberg, der die ganze Menschennatur verfinstert habe. Wobei sich freilich der Hegeische Dreitakt bewahrheitete, indem der liberale Vernunftstolz die direkte Antithese gegen den Pessimismus der Reformatoren darstellte. Heute schlägt das Pendel wiederum nadi der anderen Seite aus. Der Triumph des Fortschrittes ist vorbei, die transzendentale Autonomie entthront, die bürgerlich-ästethische Verharmlosung der Welttragik zerstoben. Ernst Renan, der den Staub des Seminars von St. Sulpice von den Füßen schüttelte, drei Tage später, als Newman in einem kleinen Ort bei Oxford zur römischen Mutterkirche übertrat, würde sich mitsamt den vielen anderen glanzvollen Freigeistern des 19. Jahrhunderts wundern über den geistigen Klimawechsel, der in dem von ihm in weichen Farben vorausgemalten 20. Jahrhundert Platz gegriffen hat, wo die Menschheit „wissenschaftlich durchorganisiert“ sein sollte.

Die Salzburger Woche ließ jedoch diese kulturphilosophische Betrachtung beiseite und streifte nur in aufrüttelnden Einzelthemen die zeitgenössische Einbegleitung des Themas von der Erbsünde. Statt dessen konzentrierte sie sich auf den Lehrgehalt des geheimnisvollen, meist mißverstandenen Dogmas, auf seine biblische Begründung, spekulative Vertiefung, geistesgeschichtliche Entwicklung und tiefenpsychologische Ausstrahlung., Prof. Dr. P. Alfred Mitzka SJ, Innsbruck, bot in gewohnter Klarheit und lichter Diktion die Lehre der Kirche. Prof. Dr. P. Hugo R a h n e r SJ, Innsbruck, gab einen reich umkleideten, dogmengeschichtlichen Abriß der so folgenschweren und kontroversen Entwicklung dieser negativen Prämisse der Er-lösungslehre.

Die tiefste Spaltung der Christenheit ist daran aufgeklafft.^Der ungeheure Ernst der persönlidien Heilsudie entzündete den Brand. Das Ärgernis an den Auswüchsen der spätmittelalterlichen Werkfrömmigkeit und die irrige Interpretation der Schriften Augustins lieferten das Unterzündholz. Dennoch ging di weltweite Wirkung nicht von Luthers a igstvi dem Heilsringen aus, vielmehr hat Calvins Systematik und Konsequenz den westeuropäisch-angelsächsischen Protestantismus geformt. Und auch heute nährt sich die stärkste Potenz der neureformatorischen Gläubigkeit, Bekenntniskirche und dialektische Theologie, vom Geist des Genfer religiösen Genius.

Es war von eigenem Reiz, die beiden Jünger Loyolas, des großen Antipoden der Reformatoren, in abgeklärter Anteilnahme wie Distanz über die leidenschaftliche Auseinandersetzung des 16. Jahrhunderts sprechen zu hören, wie es denn auch ein Jesuit war, der das polemische Lutherbild der Kontroverstheologie in einer historisch-kritischen Lebensarbeit vor 30 Jahren korrigiert hat (G r i s a r). Vor allem aber kam die denkwürdige Leistung des Tridentinums zu gebührendem Ausdruck, sowohl beim Systematiker Mitzka wie beim Dogmenhistoriker Rahner. Welch segensreich stille und substanzerhaltende Kraft geht doch von der katholischen Mitte aus, während der Rigorismus der Reformatoren von der Masse der Protestanten längst preisgegeben und die pelagia-nische Botschaft Zwingiis und Rousseaus vom naturguten Menschen durch den Geschichtsverlauf grausig widerlegt worden ist! Man kann sich schon auf die Kirche verlassen, nicht bloß die Köpfe, mehr noch die Herzen.

Die fundamentale Erfassung des Problems führte von selbst zum kanonischen Grund-d o k u m e n t des tiefgreifenden Lehrstücks, zum Römerbrief. Luther sah in ihm den Kronzeugen, und Karl Barth widmete ihm eine geitesgewaltige Monographie. Professor Dr. Josef Dillersberger, Salzburg, holte die Adam-Christus-Parallele in der bekannten, behutsam-verbalen und pulsend-pneumatischen Weise seiner Exegese heraus. Immer wieder wird man gepackt von der Kraft solcher Bibelauslegung. Letztlich ist es nur das Licht der Offenbarung, das die Geheimnisse der objektiven Schuldverhaftung und des objektiven Erlösungswerkes erhellt; aber es bedurfte gleichsam des paulinischen Feuergeistes, um in immer neuen Aussagen und in tiefsinnigen Bildern dieser Men.'ch-heitsfrage beizukommen. Dillersberger ließ die geistgeladene Dramatik des apostolischen Worte über die sittliche Tiefenwucht der allgemeinen Schuld und die unvergleichliche Größe der Errettung aufleben. Das Mitsterben und Mitauferstehen ist seitdem der existenzielle Anteil alles echten Christseins. *

Die also aus den inspirierten Quellen geschöpfte und von der Hüterin der Wahrheit in wenige inhaltsreiche, den Geisteskampf von J^irhunderten widerspiegelnde Sätze gefaßte Lehre wirft auch Licht auf die allgemeine Menschenkunde, die Frühgeschichte, die Universalgeschichte, die Staatslehre, nicht zuletzt auch auf die Seelenkunde und deren pathologischen Annex. Auch in diesem Betracht ist ein Wesensaussage über das Menschentum nur von Gott aus nachsprechbar, wie Guardini einmal sagte. Professor Dr. Johann Fi Schi, Graz, Prof. Dr. Wilhelm Schmidt SVD, Fribourg, Professor Dr. Josef Dillersberger, * Salzburg, P. Dr. Heinrich Suso Braun O. Cap., Innsbruck, Dozent Dr. Amadeo Silva-Tarouca, Innsbruck, und Prof. Dr. Peter d e 1 B i a n c o, Innsbruck, teilten sich in die Aufgabe, die einzelnen Strahlen der katholischen Erbsündelehre auf die genannten Sachgebiete aufzufangen, während Doktor Clemens K a 1 i b a, Salzburg, sich dem Problem der menschlichen Willensfreiheit und göttlichen Gnadenmacht in lebhaftem Seminargespräch zuwandte.

Allen Vortragenden war die letztlich optimistische Menschenbetrachtung und Weltdeutung gemeinsam. Fischig zeigte, daß die De-nivturierung des 1 Menschen eigentlich unmenschlich sei und daher die Geschichte entmensche. Der Rigorismus der Reformation hat sich in blutigen Glaubenskriegen entladen, und die Entwertung des Menschen durch Cäsarismus und Kollektivmacht führte und führt zur modernen Barbarei. Auch Skepsis und Resignation zeitigen die Entartung. — Schmidt wies auf die Mythen der Urkukur und der anschließenden Hirtenkultur hin, die zwar alle um den schicksalhaften Einbruch des Bösen in die Welt-ichöpfung wissen, aber das Gute als das frühere und mächtigere Prinzip kennen und eine Erinnerung an das Glück und die Gott-gemeinsdiaft des Urstandes sich erhalten haben.

Silva-Tarouca zeichnete das unheimliche Bild des heutigen Staatsleviathan, dem auch die Demokratien unentrinnbar zu verfallen scheinen — trotz der gegen wältigen Zwischenperiode der Staatsverachtung als dem Pendelausschlag gegen die verhergehende Staatsvergötzung —, meinte aber, daß selbst dieses Unwesen oder scheinbar Allwesen der mechanisierten, alle Lebensgebiete aufsaugenden Gesellschaft wieder vermenschlicht und erlöst werden könne. Freilich geniige es nicht, das Christentum wie ein barockes Deckengemälde über den entseelten Staatsgebilden von heute zu wölben. Der Staat ist zur stärksten Form des neuen, wieder ganz erbsündlichen Heidentums geworden und kann nur durch“ seine, gläubig ergriffenen Christenbürger wieder (wie einst das Römerreich) zu einem Mitträger der alten Menschheitslinie, des Pilgertums zwischen Fall und Auferstehung, gemacht werden. Noch einmal muß der Sauerteig aufbrechen und die gottgeschenkten Spuren aller Gemeinschaftsstruktur freilegen. Christlicher Vaterglaube und christliche Brüderschaft vermögen wohl auch heute die Züge eines neuen väterlichen Staats der Zukunft wiederaufzurichten und den Menschen wieder ein Vaterland zurückzuschenken.

Del B i a n c o behandelte den in letzter Zeit schon öfter beleuchteten Zusammenhang zwischen den Anomalien, den individuellen wie sozialen, und den durch die Erbschuld verwundeten menschlidien Grundanlagen. Wohltuend wirkte die Zurückhaltung des bedeutenden Fachmannes gegenüber der neurologischen Konjunktur, wie sie nicht erst heute, sondern auch schon nach dem ersten Weltkrieg auftrat. Letztlich bleibt die religiös-sittliche Normalverfassung des Men-sdien auch in Krisenzeiten gewahrt. „Gott triumphiert nicht über Leichenfelder und verkommene Menschenruinen“ (Fischl).

Desungeachtet trat neben das optimistisdi-humane Moment, neben die Leuchtkraft der sieghaften Erlösung, das dunkle Bild der menschlichen Tragödie. Das schmerzhafte paulinische Ringen, der quälende Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen, ist die Grundmelodie der Geschichte. Auch im Heiligen steckt der Frevler. Mehr noch: Das radikal Böse ist eine geschichtliche Grundmacht. Der Katastrophencharakter der Universalhistorie entspringt dem Urkampf des gefallenen Engels, des Widersachers von Anbeginn, des Drachens der Apokalypse gegen das Werk Gottes. Dillersberger war es, der in einer unvergeßlichen Stunde die Protagonisten der Geschichte vor das erschütterte Ohr der Höfer brachte: dem kurzen vorweltlidien Akt ist das lange Ringen auf Erden gefolgt. Heiß jagt der Atem der Konvulsionen über den stöhnenden Planeten. Denn die Frist des Widersachers ist im Licht der Ewigkeit kurz bemessen, mag sie audi uns Menschen noch so lang erscheinen. Immer wieder steigt das Gegenreich auf. Kompakte Gemeinschaften bildet der Böse aus, Leiber, die Tiere der Apokalypse.Gegen den mystischen Herrenleib errichte der Affe Gottes die Organismen der Unterwelt, die civitas diaboli. Wer erinnert sich denn nicht der hlasphemischen Verklärung der blinden Gefolgschaft, wie sie uns gestern noch ans Ohr klangen? Steckt nicht auch im „kollektiven Pathos“ (Tarouca), in den ver-götzten Gemeinschaftsallegorien, etwas von diesem Ungeist und Widergeist der Tiefe? — Und auf einem der Tiere sitzt ein Weib, das Zerrbild der hohen, mütterlichen Frau, die Rache Satans an der Unversehrtheit der feinsten Lichtgestalt des Kosmos, die große Hure Babylon. Die universale Katastrophengeschichte ist nicht bloß die Chronik der Kriege, sondern auch die Kloake der Gemeinheit. Das Ebenbild Gottes wird zur vollendeten Bestie. Und der schwarz, fahle und rote Reiter, Hunger, Seuche, Tod und Brudermord, sind das Gefolge.

Aber mitten in das Wehklagen brechen von Zeit zu Zeit Siegeslieder ein. Siege? Ja! Die Greuel der Verwüstung sind nicht das Letzte, nicht einmal das Vorletzte. Der weiß Reiter kommt einher und bricht die Übermacht des Bösen. (Ein Symbol, das auch den Menschen nach dem ersten Weltkrieg manches zu sagen wußte), und die Gebete der Gequälten dringen zu allen Zeiten durch die Wolken. Ja, der Seher von Patmos kündet einen langen Tag an, wo der Widersadier gefesselt sein wird. Eine auf den vielen dunklen Perioden der Weltgeschichte wird eine lichte sein. Dann werden die Früchte der Erlösung schon hienieden obsiegen und ein Zeitalter der Wiedergeburt, eine strahlende Glaubensktiltur, herauffiihren.

C h i 1 i a s m u s ? Nun, auch die Messia-nismen der Vergangenheit und Gegenwart — H. Suso Braun widmete ihnen eine eindrucksvolle Stunde, worin er nicht bloß den Bolschewismus und Nationalsozialismus, sondern auch die Magie des technischen Zivili-sationsrausches zeichnete — zehren von der Ahnung des tausendjährigen Reiches, sie belegten ihr Gebilde förmlich mit diesem Namen. Wie denn überhaupt das Böse sich immer wieder das Kleid des Guten ausleiht, weil das Menschenherz nur so gewonnen werden kann. Und schon die Antike suchte am Vorabend der Ankunft des Erretters in Mythos, Autonomie und Reichskult die Tragik, Schuldverhaftung und Vergänglidi-keit ihres Weltbildes zu. erlösen (Mitzka). Warum, fragt Dillersberger, soll die diristliche Sehnsucht nach einer schöpferischen und sieghaften Verwirklichung einer Reichsgotteskultur zurückstehen? Gibt nicht ein Blick auf die Kirchengeschichte einen ahnungsvollen Hinweis? Wohl noch nie stand das Papsttum, das Baromter der christlichen Geschichte, so unbedingt unter dem Gesetz seiner geistigen Sendung. Die letzten Pontifikate sind Gipfelpunkte, und die Weihe des Erdballs an den Mensdiensohn und die Jungfrau deuten auf irgendeine vorläufige Vollendung hin.

Wie dem audi sei — auch die Profan-historie deutet auf einen großen Konzentrationsprozeß, eine Weltunion, hin'. Eines ist sicher. Auch wer nüchtern und kritisch bei den Gegebenheiten des depositum fidei und bei der sdilichten Selbtbescheidung auf die Aufgabe des Tages verharrt, er wird nicht verkennen können, daß eine wirklich große Zeit, eine priesterliche Weltstunde des Geistes, angebrodicn ist.

Die Zeiditn stehen gespannt. Die Bahn ist weithin freigelegt, die Titanentürme sind eingestürzt oder stürzen noch. Der Mensch steht wieder vor den Urmächten.

Immer aber bleibt die katholische Mitte die wahre Synthese zwischen schuldbeladenem Ringen und göttlichem Erbarmen. Der Mensch und erst recht der Christ ist Bürger zweier Welten, er ist ein Seil zwischen Engel und Teufel, er ist das „große Wagnis“ (Rilke). Seine Ungeborgcnheit und Preisgegebenheit sind „seine geheime Würde und sein wahrer Adel“ (Fischl).- Auch wenn das Christentum nur Knospe bleiben sollte, heilt es die Menschen. Das Licht ist gekommen, es ist in der Welt und wird nie mehr ganz aus ihr weichen. Auch der Leviathan wird es nicht auslöschen. „Alle können gerettet werden. Auch ganze Zeitalter finden zum Licht zurück“ (Mitzka).

Das letzte Wort der Kirche über die Schuld aber heißt: felix culpa. Die gleichsam heilsnotwendige Schuld, certe necessarium pecca-tum, nein „liebenswerte Schuld“ (Rahner)! Denn necessarius heißt Freund. Und so ist uns kein Wort Christi über die Erbschuld überliefert. Wir können es nur ersdilicßen: der Herr sprach von der Wiedergeburt und vom Licht, vom überreichen Leben und vom Reich, das zu uns kommt. So ist alle Zeit Gottes und seines Gesandten, auch unser trotsloscs Heute!

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