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Kirche und Welt Anno Domini 1946

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Mit der Stellung und Aufgabe der Kirche und der gläubigen Christen in der Gegenwart befaßte ' sich eine Werktagung der Diözese Innsbruck, die vom 25. bis 28. November eine Anzahl katholischer Männer und Frauen der verschiedensten Lebensgebiete, Priester, sowie Laien zu gemeinsamer Arbeit in ötz vereinigte. Heute, nach sechs Jahren des furchtbarsten aller Kriege, nach einer Zeit des Schrec-cens und Elends ohne Vergleich, .die von der Macht des Bösen ein Zeugnis ablegte, wie es noch keine Generation erleben mußte, erhebt sich: in allen Lagern der Ruf nach einem Prinzip, das mächtig genug .wäre, diese Gefahr zu bannen.

Nie noch stand die Forderung nach einer Rettung der Welt sö entscheidend vor uns wie jetzt. Wer könnte angesichts der materiellen und geistigen Zerstörungen, von denen die gegenwärtige und vergangene Generation betroffen wurde, angesichts der immer noch andauernden Vergewaltigung mensch'icher und göttlicher Gesetze die heute der Menschheit gestellte Schidcsalsfrage zu bejahen wagen? Sind wir heute nicht weiter als je zuvor von der Verwirklichung dessen entfernt, was man das Reich Gottes auf Erden nennt, dem brüderlichen Frieden unter allen Menschen, die guten Willens sind, der Gewähr eines Aufstieges der Menschheit aus Streit und Haß zu gemeinsamer Arbeit an einer Besserung der irdischen Übel und Gesundung der Seelen?

Universitätsprofessor Dr. P. Hugo Rahner S. J. befaßte sich vor dem zu ötz versammelten Kreis mit dem gegenwärtigen Stand der Selbstvrrwirklichung der Kirche“. Die katholische Kirche, wie keine andere Gerneinschaft dazu berufen, ein weltumfassendes, völkerverbindendes Ideal zu verwirklichen, erscheine uns heute in einem neuen Licht als das einzig verbliebene Heilsprinzip der abendländischen Welt. Dr. Ignaz Zangerle stellte dar, wie jene politisch-pnntheistische Heilsbotschaft de-nationalsozialistischen Mythos ebenso schnell versunken ist wie alle anderen Versuche, das Christentum durch Religionen oder Weltanschauungen zu ersetzen, deren Gebote weniger kategorische sittlich* Förderungen enthalten. Die moderne Welt, gekennzeichnet durch zusammengeballte Staatsmacht, fortschreitende Entindividuaiisie-rung und technische Entwicklung, sieht sich heute nur mehr zwei Wegen gegenüber: dem mutanten Atheismus auf der einen, dem aktiven Christentum auf der anderen Seite. Der christliche Mensch der Gegenwart, hineingestellt in den sich Ständig weiterentwickelnden Prozeß der V-r-massung. der Umschichtung aller gesellschaftlichen Ordnungen, ist gezwungen und berufen, an' der Lösung der großen Probleme der Zeit mitzuwirken.

Univers'tätsprofessor Dr. Pütz und Dozent Dr. P. K 1 e i n h a p p 1 S. J. schilderten die seelische und materielle Not des modernen Menschen, in dessen Bild wir alle eingeschlossen sind, ob wir nun Geistiges oder Manuelles leisten, dessen ge-fährdetste Vertreter aber die grauen Heere der industriellen Arbeiter bilden. Diese auf eine Erfüllung der primitivsten menschlichen Rechte immer noch vergeblich hoffenden Menschen, deren unheimliche Realistik und Ohnmacht der persönlichen Gestaltung des Daseins in der Philosophie Karl Jaspers und Ernst Jüngers so erschütternd zutage tritt, sehen in der Kirche oft nicht mehr als eine Beschützerin der alten Ordnung, des Kapitalismus und der bestehenden wirtschaftlichen Struktur, in der sie die Wurzel ihrer Not zu erblicken meinen. Leicht mußte es also sein, indem man ihnen mit Versprechungen und eewissenloser Propaganda ein irdisches Paradies in Aussicht stellte, und wie es nun Marxismus und Kommunismus wieder versuchen, sie innerlich der Kirche und ihrer Botschaft der brüderlidieh Liebe zu entfremden, ihnen mit dem Christentum auch den letzten innerlichen Halt und ihre einzige Menschenwürde zu nehmen, wie es der Nationalsozialismus vermochte So erscheint es heute als das erste Gebot, diese Schranken zwischen der Kirche und dem Arbeiter niederzureißen und ein gerechtes Verständnis für wirklichen Sozialismus nach dem Geiste des Christentums zu

Weitere Vorträge befaßten sich mit den praktischen Fragen der katholischen Bewegung. P. Dr. Heinrich S'uso Braun sprach von dem Wert der christlichen Heilsverkündigung und ermahnte Priester und Laien, mit apostolischem Mut die christliche Lehre zu verbreiten, vor allem aber die Not der Liebe in die Predigt zu legen, damit die Kirche wieder eine Heimat der Mühseligen und Beladenen werde. Die christliche Caritas, weitgehend in die Hände von Laien gelegt, ist das Feld der Bewährung des Christentums in einer Zeit, die wie keine andere dazu bereit erscheint. Christliche Caritas, das ist Nächstenliebe ohne Grenzen und ohne Unterschied der Politik, das ist nicht Belohnung des Guten, sondern Hilfe gerade auch für die Verlorenen und Irregeführten, damit sie auf diesem Wege Moral und Glauben wiederfinden mögen, aber sie ist auch kein Ersatz tür jene „Institutiönes sociales“, die Voraussetzung aller weltlichen Ordnung sein müssen und deren Aufrichtung zu den edelsten Pflichten einer gottgefälligen Staatsführung gehören. (Caritasdirektor Dr. S t e i n k e 1 d e r e r.)

Hier und auf den Gerieten der Erziehung, der Jugendführung und Familienethik erstredet sich der Wirkungskreis des „mündigen Christen“, dessen Mithilfe am Neubau der Welt ebenso um*?Mßlicb ist wie die Tätigkeit des Klerus, der politischen Führer und Staatsmänner. Eine Erfassung der Jugend aller Schichten, insonderheit der jugendlichen Werktätigen und Arbeiterkinder, wie sie Bischof Dr. Paulu Rusch als Forderung aufstellte, eine von christlichem Gedankengut und innerlicher Ehrlichkeit getragene Erziehung (Dr. Rosmarie G a ß n e r) und eine Uberwindung der Destruktion, Säkularisation und oft nur mehr religiöser. Dekoration des Ehebegriffes durch tief* Konsekration (Pater S e p h e 1 i n), eine sakramentale Renaissance der Ehe und Familie werden imstande sein, die gefährlichen Krisenerscheinungen der Nachkriegszeit zu überwinden. Gesundung und Neubau der Welt — hinter diesen großen Worten steht die schlichte Arbeit der christlidien Mutter: Erziehung der

Kinder zu Ebenbildern Gottes, steht das tätige Hirtenamt der Männer, die ihren Familien verwirklichtes Christentum vorleben, steht die „Kirche im kleinen“, wie Chrysostomus die Keimzellen des christlichen Staates genannt hat. „Eine Kultur wie die unsere“, so führte Dr. Zangerle abschließend aus, „erbaut mit dem Blut der Märtyrer, mit der Not der Armen und den Tränen der Entrechteten, kann nicht unser- Wunsch sein; wir wollen eher auf sie verzichten, als neues Blut, neue Not und weitere Tränen zu sammeln Hat uns der Bombenkrieg von einer kulturellen Last und die Kirche von einem Teil ihres goldstarrenden Gewandes befreit, das sie schon einzuengen drohte und vor dem ein Taglöhner nicht, mehr zur Andacht finden konnte, so laßt uns vom Alten das in die neue Zeit herüberretten, was den Menschen von ewigem Werte ist: den

. christlichen Geist der brüderlich dienenden Liebe und dje echt katholische Weite dem Neuen gegenüber.“

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