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Auf der Suche nach der neuen Gesellschaft

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Fast scheint die Frage nach einer menschenwürdigen Gesellschaft in der Welt von heute ein utopisches Gedankenspiel... Die Massenmedien liefern Tag für Tag Bilder des Krieges, des Terrors, der Grausamkeit... ins Haus. In den industrialisierten Ländern ... lebt ein Drittel der Menschheit in Wohlstand, Überfluß und Verschwendung. Aber 500 Millionen Menschen leiden an Unterernährung. ... Mehr und mehr Menschen leiden seelisch und körperlich an den Widersprüchen dieser industriellen Massenkultur. Mehr und mehr Menschen beginnen sich aber auch die Frage zu stellen, wohin denn die Reise eigentlich gehen soll. Denn das Unbehagen wurzelt in der Wohlstandsgesellschaft weniger im wirtschaftlichen Verteilungsproblem als vielmehr in den beginnenden Zweifeln über die ausschließende Wichtigkeit der materiellen Ziele und den daraus abgeleiteten Normen der Gesellschaft. Zunehmend breitet sich bei den Menschen das Gefühl aus, daß wir in einer Zeit leben, in der geistige Werte fehlen, in der es keine Orientierung für die persönliche Gestaltung des Lebens gibt. Entspricht die moderne Gesellschaft noch unserem Menschenbild? Sind wir nicht längst fremdbestimmt ohne eigene Vorstellung von unserem Leben, ohne Willen zur Gestaltung unserer Welt?“

Diese kritischen, scheinbar so pessimistischen Fragen sind nicht ein Nachklang des Schocks von Zwen-tendorf. Sie gehören nicht in den Chor zahlreicher ähnlich klingender Betrachtungen, wie es viele in der Folge der Abstimmung vom 5. November gegeben hat.

Diese Worte stammen von Kardinal Franz König, aus einem Vortrag vor den Salzburger Hochschulwochen.

„Dieses Europa kann nur bestehen, wenn es um seine geistigen Fundamente weiß ...“

Sie sind heute mehr als zwei Jahre alt, aber gültiger und aktueller denn je. Diese Rede steht, wegweisend für viele andere Äußerungen, an der Spitze einer Sammlung von Ansprachen, Predigten, Interviews, Rundfunks- und Zeitungsbeiträgen, die üer Wiener Erzbischof zwischen der Fastenzeit 1976 und dem Herbst 1978 verfaßt hat und die nun der Herold-Verlag herausgab.

Man hat mehrfach dem Kardinal und der „Amtskirche“ in Österreich den Vorwurf gemacht, geschwiegen zu haben, den wartenden Gläubigen nicht ein Wort der Wegweisung gegeben zu haben - zuletzt im Zusammenhang mit der Zwentendorf-Ab-stimmung, vorher schon während des Volksbegehrens um die Fristenlösung oder die Scheidungsreform. Wer die Äußerungen des Kardinals verfolgt hat, weiß, daß dieser Vorwurf unhaltbar ist. Der weiß aber auch, daß es nicht Aufgabe der Kirche sein kann, sofort auf jede Nuance der Tagespolitik zu reagieren. 52 Stellungnahmen aus nur zweieinhalb Jahren - und sie sind nur eine Auswahl, die manche weiteren wichtigen Worte vermissen läßt - zeigen nun hier, wie intensiv der höchste Vertreter der Kirche in Österreich mit der Sorge des alttestamentlichen Propheten den Irrweg der Menschheit beobachtet, analysiert, nach Gründen forscht und den Ausweg sucht; wie oft er auch sehr konkret wird.

Die Analysen konzentrieren sich weitgehend auf wenige Schwerpunkte. Die Suche nach einer neuen menschenwürdigen Gesellschaft ist ein solcher. Weder „die anti-soziale, wertneutrale Position des extremen Individualismus, noch die anti-individuelle, materialistische Position des Marxismus“ könne diese Gesellschaft bieten. Für die Christen müßte es eine neue Herausforderung sein, sagte der Kardinal in Salzburg, den Inhalt der Begriffe wie Ethik, Demut, Güte, Tugend, Sünde, Treue lebendig zu erhalten und zum modernen Leben in Beziehung zu setzen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Suche nach einem neuen Europa, das seine christliche Tradition bis in die ersten Stunden des Christentums zurückführt. „Europa ist politisch eingeklemmt zwischen den beiden Su-

permächten und innerlich geschwächt durch eine moralisch-religiöse Krise. Dieses Europa kann nur bestehen, wenn es klar um seine geistigen Fundamente weiß. Ein Europa ohne geistige Ordnung wird zum Spielball der Mächte.“ Dieser Appell aus der Predigt im Kölner Dom im Jänner 1977 klingt seither weiter.

Europa aber endet nicht an Elbe und Leitha. Seit Papst Johannes den Wiener Erzbischof zu Kardinal Mindszenty schickte, gilt König für die Medien als „Ostspezialist“, als Sonderbotschafter des Vatikans in Ostfragen. Er selbst weist diese Bezeichnung zurück - aber er beweist

„Auch in einer Demokratie dürften solche grundlegenden Gesetze über Menschenrechte nur mit großer Mehrheit beschlossen werden...“

gleichzeitig seine tiefgehenden Kenntnisse von den philosophischen Wurzeln des Atheismus östlicher Prägung, von der wahren Lage der Christen in Rußland wie von der heiklen Aufgabe des Vatikan, in Verhandlungen mit den kommunistischen Regierungen der Kirche dieser Länder den unerläßlichen Lebensraum zu sichern. Was wären die Alternativen zur vatikanischen Ostpolitik der Verhandlungen? „Kalter Krieg auch von Seiten der Kirche? Politischer Kampf, der Weg in die Katakomben mit all den vielen Opfern? Es geht ja schließlich um Menschen. Manchmal habe ich das Empfinden, wir reden hier im Westen etwas leicht über die Opfer der anderen“, antwortete der Kardinal dem Interviewer des Rheinischen Merkur,

Glaube, Familie und die Bereitschaft zum Opfer seien die entscheidenden geistigen Grundlagen Europas - und gerade die Familie, nicht nur im „Jahr der Familie“, bietet einen vierten Schwerpunkt. „Es muß so etwas entstehen wie eine Bewegung zur Stärkung und Rettung der echten Familie. Denn an der gelebten Liebe in der Familie hängt die Liebe und das Leben der ganzen Gesellschaft.“

Dem Schutz dieser Familie galt die Konfrontation mit der Regierungspartei bei der Freigabe der Abtreibung v/ie in der Scheidungsreform. Wenn auch die historische Predigt in der Stadthalle während des Katholikentags im Oktober 1976 in Anwesenheit der ganzen Bundesregierung außerhalb des erfaßten Zeitraums bleibt - auch die mahnende Rundfunkansprache im April 1977, am Vorabend der endgültigen Ablehnung des Volksbegehrens im Parlament, blieb deutlich genug: „Wenn das bisher größte Volksbegehren in

unserm Land von einer so geringen Mehrheit völlig mißachtet wird, fürchte ich, daß dadurch das Vertrauen in die demokratische Ordnung Österreichs erschüttert wird. Auch in einer Demokratie dürften solche grundlegenden Gesetze über Menschenrechte nur mit großer Mehrheit beschlossen werden.“

„Die Kleinarbeit der postkonzilia-ren Erneuerung ist Alltagsarbeit, sie findet kaum Niederschlag in den Zeitungen ... Das Gute macht einmal nicht Sensation und von der Idealvorstellung der konziliaren und postkonziliaren Dokumente über die Funktion der Massenmedien, die Zeitgenossen am ,runden Tisch' zum Zeitgespräch der Gesellschaft zu versammeln, sind wir in der realen Praxis noch weit entfernt“, klagt der Kardinal in einer Rückschau auf das erste Jahrzehnt nach dem Konzil vor der Bildungsakademie des Cartell-verbandes.

Liegt dies aber nicht auch daran, daß gerade die obersten Sprecher der Kirche die in „communio et progres-sio“ aufgezeigten Modelle der Kommunikation und die daraus erwachsenden Vorgangsweisen noch keineswegs integriert haben? Liegt es nicht daran, daß sie jenen Organen, die diesen Modellen entsprechen wollen, nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit und Unterstützung schenken? Hätte nicht auch eine ver-

besserte kirchliche Öffentlichkeitsarbeit dafür sorgen müssen, daß die hier gesammelten Erklärungen schon bei Erscheinen das gebührende Echo gefunden hätten?

Die Dokumentierung der Publikationen des Wiener Kardinals war notwendig, um sie vor dem Schicksal tagespublizistischer Stellungnahmen zu bewahren. Nun können sie bei vielen Anlässen zitiert werden. Die Schwierigkeit der Auswahl ist evident, trotzdem vermißt man etliche weitere Aussagen, die ebenso

„... für alle, die die Kirche in ihrer Weiterentwicklung aufmerksam verfolgen und sich selbst von den Gedanken der Zeit herausfordern lassen ...“

wert gewesen wären, der Nachwelt erhalten zu werden, wie diese schon im Oktober 1976 formulierte Frage nach der Zukunft der Menschheit (FURCHE 6. November 1976) oder die Ansprache an die Teilnehmer des Datenverarbeitungskongresses über „Neue Technologien - neue Leitbilder“ (FURCHE 1. April 1977).

Wenn derselbe Verlag zum Selben Zeitpunkt auch eine Sammlung von

Radioansprachen und Predigten des engsten Mitarbeiters des Wiener Kardinals herausbringt, des Weihbischofs und Ordinariatskanzlers Helmut Krätzl, dann sollte sie nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung verstanden werden. Am stärksten in Erinnerung geblieben sind jene drei Predigten in der „Geistlichen Sturide“ des Hörfunks vom Juli 1977, in der Krätzl die kirchenrechtlichen Probleme der Kirchenaustritte, der Kindertaufe (oder Taufverweigerung) und der Pastoral an wiederverheirateten Geschiedenen behandelte und deren Echo weit in die andern Medien weiterrollte.

In den acht Jahren, die die Sammlung überspannt - vom Oktober 1970 bis zur Mariae Namenfeier in der Wiener Stadthalle im September 1978 -wechseln die Akzente. 1970 steht das Priesteramt als Zentralthema der Geistlichen Stunden, 1972 Sünde und Umkehr in den Fastenpredigten der Pfarre Floridsdorf - sonst auch bei ihm immer wieder: die Zukunft der Familie, das Fundament eines neuen Europas, die Kirche „auf dem Prüfstand“. Der Autor selbst widmet diese Sammlung den „Menschen, die andern Rede und Antwort auf oft persönliche Fragen zu geben haben, für alle, die die Kirche in ihrer Weiterentwicklung aufmerksam verfolgen und sich selbst von den Gedanken der Zeit herausfordern lassen wollen.“

KIRCHE UND WELT. Ansprachen, Referate, Aufsätze von Kardinal Franz König. Verlag Herold, Wien 1978. 316 Seiten. öS 280-

FRAGEN AUS DER ZEIT. Radioansprachen und Predigten zu Fragen des Glaubens und der Gesellschaft. Von Helmut Krätzl. Verlag Herold Wien 1978,192 Seiten, öS 190,-

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