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Im Jahre 1 nach dem Konzil

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Der Wiener Erzbischof zieht eine Bilanz des Konzils.

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Der Wiener Erzbischof zieht eine Bilanz des Konzils.

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Aus den zahlreichen Äußerungen in der europäischen wie in der amerikanischen Presse nach Konzils- schluß geht hervor, daß die Erwartungen vieler übertroffen wurden — ich möchte gleich hinzufügen, auch die Erwartungen vieler Katholiken, meinte ein lutherischer Beobachter, der bei aller vorsichtigen Beurteilung bei Konzilsschluß die Feststellung machte, „daß die römisch- katholische Kirche durch das Konzil eine Emeuerungskraft und einen Er- neuerunigswillen bewiesen habe, die alle Erwartungen übertrafen”.

Und die Gründe dafür?
• Wohl deswegen, weil die religiösen Fragen wider Erwarten doch die Welt bewegen;
• weil die sichtbare Einheit der Christen ernst genommen und die damit verbundenen Fragen breit aufgerollt wurden;
• weil die Gestalt des Papstes Johannes, der das Konzil einberufen und in der 1. Sitzungsperiode mit größtem Interesse miterlebt hat, als weit- und lebensnah von der ganzen Welt empfunden wurde.

Die Teilnahme der Welt an seinem Sterben mußte auch dem größten Skeptiker ans Herz greifen,
• weil Papst Paul VI. diese Linie fortgesetzt hat;
• weil sich die katholische Kirche ganz anders gezeigt hat, als man sie sich durchschnittlich vorstellte;
• weil die Intemationalität der Kirche so stark in Erscheinung trat; und vielleicht noch ein letzter Grund: weil der Optimismus und die Weltaufgeschlossenheit der großen Kirchenversammlung als ein Zeichen der Hoffnung in der einswerdenden Welt empfunden wurde.

Die öffentliche Meinung

Ein mitbestimmender Faktor des Konzilsgeschehens war die öffentliche Meinung. Es besteht kein Zweifel: das II. Vatikanum hat ein solches Weltecho gehabt, hat die öffentliche Meinung fast der ganzen Welt in einem Ausmaß beschäftigt, wie es vor vier Jahren niemand erwartet hatte. Die Rolle, weiche die öffentliche Meinung dabei spielte, ist für das Konzil von sehr große: Bedeutung gewesen — trotz aller Entgleisungen, die es natürlich auch gegeben hat.

Wir können heute sagen, daß an Stelle der Könige und Fürsten, die etwa auf dem Konzil zu Konstanz al? Berichterstatter tätig waren, heute die öffentliche Meinung getreten ist. Die Rolle der Gesandten und Botschafter spielen heute die Journalisten. Die Nachrichten, die in Sekundenschnelle die ganze Welt umkreisen, ersetzen die früheren Geheimberichte.

Gerade durch diese Öffentlichkeit der Konzilsverhandlungen, dadurch, daß die Welt gesehen und gehört hat, was auf dem Konzil gesprochen wurde, ist der Welt ein Beispiel gegeben worden für die Freiheit geistigen Ringens, für das Emstnehmen geistiger Entscheidungen in einer Zeit, die so ausschließlich von machtpolitischen Interessen und vom Materiellen geprägt erscheint. Die Welt hat dieses Beispiel begriffen.

Die öffentliche Meinung hat in verschiedener Weise auf das Konzil selber zurückgewirkt. Das Konzil sah sich in seinen Beratungen immer mit dem Weltecho konfrontiert und hat dieses Echo als eine legitime Äußerung der Welt — deren Fragen dieses Konzil ja zum Teil beantworten wollte — in seine Entscheidungen mit hinein genommen. Manche dieser Entscheidungen wären vielleicht nicht genauso ausgefallen, wenn man das Echo der öffentlichen Meinung unberücksichtigt gelassen hätte. Das heißt aber wiederum nicht, daß das Konzil sich der öffentlichen Meinung gebeugt hat. Es hat manche Probleme, angesichts derer die öffentliche Meinung auf eine rasche Entscheidung drängte — zum Beispiel in der Ehe- und Geburten frage —, nicht entschieden, weil es die Angelegenheit noch nicht für entscheidungsreif gehalten hat. Das Konzil hat sich auch standhaft gezeigt gegenüber manchen Versuchen einer Grenzüberschreitung der öffentlichen Meinung, gegenüber dem einen oder anderen Pressions- oder Lenkversuch.

Publizistik

Das Verhältnis von Kirche und öffentlicher Meinung wird stets mitbestimmt sein vom Vorhandensein beziehungsweise vom Ausmaß einer innerkirchlichen öffentlichen Meinung.

Wenn durch das Gespräch zwischen Kirche und katholischer Publizistik Mißverständnisse ausgeschaltet, Vorurteile abgebaut und Schranken niedergelegt werden, wenn es eine freie innerkatholische Meinung gibt — ohne Ängstlichkeit auf seiten der Kirche, aber auch ohne Überheblichkeit auf seiten der Journalisten —, dann wird immer auch ein positives Verhältnis zwischen Kirche und öffentlicher Meinung gegeben sein. Denn der katholische Journalist vereinigt in besonderem Maße Kirche und Welt in sich. Er will der Welt die Kirche begreiflich machen und der Kirche die Welt. Das Verhältnis zwischen Kirche und öffentlicher Meinung, wenn es eine echte Beziehung sein soll, wird immer ein Spannungsverhältnis sein, das heißt, es gibt keine endgültige Lösung, das Problem muß immer wieder neu gesehen, neu gestellt und neu zu lösen versucht werden. Auch die innerkatholische öffentliche Meinung wird immer ein Spannungsverhältnis bleiben, um das immer neu gerungen wird.

Drei Isolierungen durchbrochen

Damit sind wir bei einem der wesentlichsten Konzilsergebnisse angelangt. Ich meine eine dreifache Isolierung, die daher in dreifacher Form durchbrochen wurde.

Da ist erstens die Isolierung vom Volk. Sie wurde durchbrochen durch die neue Liturgiereform. Sie ist noch nicht zu Ende, aber das Ziel ist klar. Es geht nicht um eine Übernahme protestantischer Formen, vielmehr soll das katholische, das allumfassende Ziel nicht durch eine allen mehr oder weniger verständliche Kultsprache erreicht werden, sondern dadurch, daß das Volk Gottes in seiner sprachlichen und kulturellen Ausprägung eine alle umfassende Einheit, eine katholische Einheit um den Altar bildet.

Der zweite Durchbruch ist der Durchstoß der isolierenden Mauer von den getrennten Christen. Die Kirche hat auf dem Konzil versucht, die Isolierung von den getrennten Christen durch die Schaffung und die Arbeit des „Sekretariates zur Förderung der Einheit der Christen”, durch das sogenannte Sekretariat des Kardinals Bea, zu überwinden. Im Schema über den Ökumenismus wurden die theologischen Grundlagen für die Annäherung der Christen geschaffen.

Drittens galt es, die Isolierung der Kirche von der Welt zu durchbrochen. Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der modernen Welt gibt davon Zeugnis. Dieses war vielleicht das schwierigste, aber auch das wichtigste Unterfangen. Einer in Bewegung geratenen Welt, einer Welt, die eigentlich immer in Bewegung war, stand eine Kirche gegenüber, die sich selbst als Fels in der Brandung der Zeit empfand.

Gott hat die Welt für die Menschen geschaffen. Der Glaube ist nicht, wie die Atheisten meinen, ein Hindernis für die Menschen, sich diese Welt untertan zu machen, die Natur und ihre Kräfte zu beherrschen.

Der Atheismus ist eine Erscheinung dieser Welt. Den Atheismus als geistige Erscheinungsform dieser Welt kennenzulernen, ihn in seinen Aussagen ernst zu nehmen, seinen Wurzeln und Ursachen nachzuspüren, das ist die Aufgabe des mir übertragenen Sekretariates. Daß dieser Atheismus in einem Teil der Welt mit der Staatsideologie verbunden ist, darf uns nicht zu der Annahme verleiten, als ob es den Atheismus überhaupt nur im kommunistischen Bereich gäbe. Atheismus gibt es überall. Der Atheismus bei uns ist vielleicht der gefährlichere. Dort, wo der Atheismus offen kämpft, kann ich ihm offen widerstehen. Ich weiß, daß dies nicht immer leicht ist. Aber es ist sicherlich leichter als dort, wo der Atheismus nicht kämpferisch, sondern als eine Art selbstverständliche Begleiterscheinung des modernen Lebens, des Wohlstandes, der Sattheit und der Denkfaulheit auftritt. Der Atheismus der militanten Atheisten ist nach meiner Meinung sogar weniger gefährlich als der Atheismus jener, die sich noch Christen nennen, in denen aber der Glaube hoffnungslos erstorben ist.

Ein neues Kirchenbewußtsein

Im Schema über die Kirche hat die Reflexion der Kirche über sich, hat das Gespräch der Kirche mit sich selbst ihren Niederschlag gefunden. Sie hat sich in ihren Gliedern und in ihren Funktionen neu gesehen: Die Kirche als gesellschaftlich-geschichtliche Erscheinung und als göttliche Institution.

Aus den Bedürfnissen der Zeit heraus, aber auch im Hinblick auf die Urkirche wurde das Amt des Bischofs neu gesehen und neu gewertet. Das Prinzip der Subsidiarität, von dem in der Kirche viel die Rede ist, bedeutet doch, daß die Kirche kein zentralistischer Herrschaftsapparat ist, wo alles und jedes von einer Zentralstelle geregelt werden muß. Es bedeutet vielmehr, daß die kleineren Gemeinschaften all das durchführen sollen, wo2u sie fähig sind und was ohne Gefährdung der Einheit von diesen kleineren Gemeinschaften geregelt werden kann. Vieles, bei dem früher die Bischöfe auf eine Anordnung oder eine Billigung aus Rom warten mußten, ist heute in ihre Hand gelegt. Da bedeutet nicht nur eine größere Freiheit, denn die größere Freiheit ist wie immer auch hier mit einer größeren Verantwortung verbunden. Eine solche Verantwortung darf die Bischöfe nicht in ihrer Entschlußfreudigkeit hemmen, sie soll sie im Gegenteil stärken. Das katholische Volk kann jetzt die Bischöfe daran erinnern, daß es in vielen Dingen nun in ihrer Hand liegt, wenn etwas geschieht oder etwas nicht geschieht. Der Grundsatz von der Subsidiarität wird aber nicht bei den Bischöfen stehenbleiben. Es wäre nichts erreicht, wenn nunmehr die Bischöfe in ihren Diözesen kleine Päpste sein wollten und die Ordinariate römische Kurie spielen würden. Auch zwischen Bischöfen und Priestern soll das subsidiäre Verhältnis Geltung erlangen, ebenso wie zwischen Pfarrern und Kaplänen, zwischen Priestern und Laien.

Neue Glaubwürdigkeiten der Kirche

Welche Auswirkungen, welche Fernwirkungen das Konzil haben wird, können wir heute noch nicht wissen. Aber eines kann jetzt schon gesagt werden. Durch das Konzil hat die Kirche, Christi wieder neue Glaubwürdigkeit erhalten. Das ist wohl nicht so zu verstehen, als ob die Welt, über kurz oder lang eine christliche Welt würde. Das Christentum wird wohl auch weiterhin gegenüber dem Anwachsen der Weltbevölkerung Zurückbleiben. Die Welt und die Menschen werden auch weiterhin zum Teil die Religion und die Kirche ablehnen. Wohl aber — dies möchte ich behaupten — ist die Welt bereit, auf die Kirche zu hören.

Gefahren und Aufgaben

Der Versuch, eine Bilanz dieses Konzils zu ziehen, kann nicht abgeschlossen werden, ohne auch jene Strömungen zu erwähnen, welche die Ernte gefährden könnten. Weder die Stürmer noch die Br?mser dürfen den Weg der Kirche bestimmen. Beide können die neue Glaubwürdigkeit der Kirche gefährden. Auch der Dialog, das Gespräch darf nicht zu einer uferlosen, grenzlosen Diskussion werden, in der alles und jedes in Frage gestellt wird. Ebenso gefährlich scheinen mir nicht zuletzt jene zu sein, die überhaupt nichts wollen. Sie sagen einfach, Gott sei Dank, das Konzil ist vorüber. Wirtun so, als wäre nichts gewesen. Das gleiche gilt von jenen, die eine rein äußerliche Reform, die ihren Sinn nur im großen Zusammenhang erhält, wie zum Beispiel die Liturgiereform, zum einzigen Ergebnis des Konzils machen. Sie wollen die geistige Erneuerung, die das Konzil von uns allen verlangt, mit einer Art liturgischen Beschäftigungstherapie ersetzen.

Es kommt also darauf an, was wir selber nach dem Konzil tun, das heißt, nicht nur darauf, was in Rom nach dem Konzil geschieht. Die nachkonziliare Arbeit ist auf der Weltebene auf verschiedene Kommissionen verteilt. So ist eine post- konziliare Liturgiekommission mit der Ausführung der Konzilsbe- ächlüsse zur Liturgiereform beschäftigt. Der Heilige Vater selber hat eine Reform und Erneuerung an der römischen Kurie angekündigt. Die Bischofssynoden als Ausdruck der Kollegialität der Bischöfe wird in seine Aufgabe hineinwachsen müssen. Ihre Stellung und Wirksamkeit wird nicht nur von den Richtlinien des Papstes, sondern auch vom Willen und der Tatkraft der Bischöfe abhängen. Auf der diözesanen Ebene werden die Diözesansynoden Beschlüsse und Ziele des Konzils in Raum und Zeit ihrer Umwelt umzusetzen haben.

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