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Diskussion und Hindernisse

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Es wäre ein vergebliches Unterfangen, auch nur die Hauptgedanken aller Konzilsväter hier anführen zu wollen. Auf Hunderten von großen Quartseiten wurden alle Diskussionsstimmen uns Mitgliedern der beiden Konzilskommissionen und Unter-kommissionen, die alles zu verarbeiten und damit das Schema XIII zu bereichern und dann es endlich konzilsfähig und „weltfähig“ zu gestalten hatten, vorgelegt.

Eben dabei kommen die Grundschwierigkeiten des Schemas zum Vorschein. Man könnte sie auch die spezifischen Schwierigkeiten des Schemas XIII nennen. Ja sogar spezifische Schwierigkeiten des Zweiten

Vatikanischen Konzils, zu dessen interessanten Speciflca das Schema XIII gehört. Ganz populär ausgedrückt: So etwas gab es bisher noch nicht in der ganzen 2000jährigen Konzilshistorie. Kein Konzil hat bisher daran gedacht, den Versuch zu unternehmen, öffentlich und in tellurischen Ausmaßen Kirche und Welt einander gegenüberzustellen und daraus ein Facit und Debet für das Erlösungswerk Jesu Christi zu ziehen. Aber gerade daraus sehen wir, wie die Una sancta ecclesia sich ausdehnt und in unseren Augen zur Weltkirche wird.

Bei solcher Fragestellung graben wir die Hauptwurzel aller Schwierigkeiten des Schemas XIII heraus. Ich weiß nicht, ob man sich schon einig ist — selbst in den Konzilskommissionen — über das Genre des Schemas XIII. Es muß die gegenwärtige Menschheit aufhorchen lassen, gleichzeitig aber weit in die Zukunft hinausschwingen. Es ist nicht leicht, ein solches Genre zu finden.

Ganz intim mit dieser Schwierigkeit, teilweise sogar identisch, ist die Frage des Stiles — des Ausdrucks, des Zungenschlages. Die bisherige Ausdrucksweise der Kirche wuchs aus einem wohlgeordneten theologisch-juridischen System der Kirche Gottes hervor, für dessen Sprachstil eine scholastische Art charakteristisch war. Die Kirche sprach deduktiv, von oben herab zur Menschheit.

Die bisherige Art, die Modus lo-quendi, verwandelt sich langsam in unseren Augen in einen Dialog mit der Welt, mit der Menschheit, mit jedermann, der guten Willens ist. Und Dialog ist nicht nur Aussprache

— ist auch Brücke über Abgründe, auf der man sich gegenseitig näherkommt.

In der Zwiesprache mit dem modernen Atheismus, der in seiner Art auch zu einen erstrangigen Wert-und Weltproblem herangewachsen ist, wird man sich dessen bewußt, daß er seine vitalen Kräfte aus diesen großen Diesseitswerten schöpft, die wir Christen als nebensächlich angesehen haben. Neue Werte sind sehr oft in der kirchlichen und christlichen Geistesgeschichte dadurch entstanden, daß neue Antithesen gegen falsche oder halbwahre Thesen mühsam gesucht und aufgebaut wurden. Siehe Protestantismus, der die tri-dentinischen Reformen hervorrief...

Eine gewisse Art von Berichterstattung über das Zweite Vaticanum sieht die Kontroverse in der Diskussion ganz vorn im Rampenlicht. Die Spannungen im Konzil werden auf den einfachsten Nenner gebracht und als Konservativismus und Integralismus einerseits und fortschrittliche Kräfte anderseits dargestellt. Sie sollen angeblich die große Gefahr für die Einheit des Konzils und seine Einstimmigkeit darstellen. Diese „inneren Widersprüche“ werden i wahrscheinlich gerade beim Schema XIII, das ein Ausklang der gesamten Konzilsbeschlüsse sein soll, nach Meinung mancher Leute die Einheit des Konzils bersten lassen ...

Ich glaube es nun ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Die Kontroverse, die sich in jeder Konzilsdiskussion freimütig offenbart, ist weniger eine Gefahr für das Konzil als eine große Gnade. Als gläubige Christen glauben wir an die Gegenwart des Heiligen Geistes im Konzil. Und dann ist doch gerade die freimütige Kontroverse, die Widersprüche, die Thesen und Antithesen, das spezifische, konziliare Wirken und Walten des Heiligen Geistes im Konzil.

Gerade die sogenannten konservativen Kräfte, die da im Konzil am Werk sind, behüten und bewahren vor einem leichtsinnigen Naturalismus, vor einem infantilen Optimismus, einem Relativismus ohne Hierarchie von Werten.

Gerade bei diesem Schema kommt das, was die Kirche und die heutige Gesamtmenschheit verbindet, ans Tageslicht. Also menschliche Frei-heits- und Toleranzprobleme, das Herrschende und das Dienende in Kirche und Welt, wobei die heutige Welt nur auf das Dienende wartet — also auf das Allerchristlichste. „Ihr sollt nicht Herrschende sein, sondern Diener... Ich habe euch ein Beispiel gegeben“ — das sind Christi Worte. Das Triumphale beziehungsweise Triumphalistische in der Kirche macht Platz einer Kirche der Armen, einer Kirche, welche die Bergpredigt

unseres Herrn sehr ernst nimmt, aber sie nicht den anderen aufzwingt, sondern andere anzieht wie ein Magnet, und zwar durch unser evangelisches Vorleben der acht Seligkeiten.

Die weltoffene Kirche muß viel mehr als bisher den Fortschritt der Technik anerkennen — eine positive Stellung einnehmen zum neuen, heutigen und künftigen Lebensstil —“,'den Wissenschaften eine weitgehendere Autonomie gewähren als dies bisher der Fall war.

Die Kirche wird immer mehr Verteidiger, ja sogar Vorkämpfer nicht nur der religiösen Freiheiten und Toleranz, sondern der menschlichen Freiheit als solcher. Die Diskussion auf der dritten Konzilssitzung hat dies schlagend vor der ganzen Welt bewiesen.

Mehr als bisher befindet sich die Kirche, besonders durch ihre letzten Päpste und die Konzilssitzungen, ganz besonders durch das Schema XIII und die Diskussion, die es aufwirbelt, auf neuen Zukunftsbahnen der heutigen und morgigen Menschheit.

Aussichten

Es wird erzählt — ich glaube es in der „Furche“ gelesen zu haben —, daß ein katholischer Pressemann vor Beginn des Konzils einen Brief an Papst Johannes XXIII. schrieb, in dem er die zukünftigen Konzilsväter einteilte in: Herrschende, Gelehrte und Propheten. Zugleich bat der Redakteur den Heiligen Vater, die Meinungen der ersten zwei Kategorien nicht allzu ernst zu nehmen. Dagegen hätten, seiner Meinung nach, bei den Konzdisentscheidungen

„prophetische Charismatiker“ das entscheidende Wort zu sprechen und das spezifische Schwergewicht des Konzils zu gestalten.

Der österreichische Schriftsteller scheint mir auf das Richtige zu zielen in seinem christlichen Gespür und der heutigen religiösen und menschlichen Nöte.

Was der Kirche heute nottut, das ist das Wachsen des Prophetischen, des Charismatischen neben der bisherigen Gelehrsamkeit und der pa-storalen Prudenz mit den Kardinaltugenden.

Die Probleme der heutigen Welt sind so ins Riesenhafte gewachsen, daß wir es spüren — vor allem alle Gläubigen, die guten Willens sind —, daß mit nur menschlichen Mitteln, mit den bisherigen Methoden, sich die Riesenberge von moderner Problematik einfach nicht wegbewegen lassen. Das können eben nur Charismatiker, Propheten, Leute vom Schlage eines Johannes' XXIII. tun, Menschen, die wie die Propheten des Alten Bundes die Zeichen der Zeit sehen, die beten können, die ganz einfach an Gott und an Wunder glauben, an die heilige Gottesmutter und den heiligen Josef, die sich selbst in die Schanze schlagen, die wie ein heiliger Franziskus sich selbst riskieren und die radikalen Forderungen des Evangeliums höchstpersönlich ernst nehmen — Menschen, die heutzutage nicht nur in der Kirche, sondern auch außerhalb ihrer hier und da hervorwachsen und für die Menschheit leuchtende Wolken und führende Gestalten werden.

Das Konzil und besonders sein Ausklang, das schwierige Schema XIII, liegt in den Händen von Leuten dieser Kategorie, wobei mir der Ausdruck „Kategorie“ zuwenig adäquat erscheint. Vor allem deshalb, weil es sich um Persönlichkeiten allerhöchsten Ranges, um Begnadete handelt — um moderne Heilige und Seelsorger, welche die Welt von heute am allernötigsten braucht.

Das letzte große Wort vom Konzil an die Welt gerichtet, das Wort, auf das die ganze Menschheit guten Willens wartet, reift langsam heran, unter großen Mühen und Beschwerden. Es wird wohl, es darf wohl nicht eine effektvolle Propagandaephemeride werden, ein Meteor oder eine Rakete, die um die Welt einige Male, herumkreist und für kurze Zeit spektakulär wirkt. Dieses Schema wird sehr viel von der Einfachheit, von dem Menschlichen der alten und immer wieder neuen guten Botschaft des Evangeliums ausstrahlen müssen. Es wird Beweis geben müssen von der Existenz und dem Wirken eines Gottschöpfers und Erlösers, der hingeneigt ist auf Seine Menschen — auf die Erlösten. Es wird Beweis sein müssen für die großen Aufgaben, welche die Kirche Christi, die Kirche vom Heiligen Geist Gottes geleitet, an der heutigen und morgigen Menschheit zu erfüllen hat.

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