Werbung
Werbung
Werbung

Am 11. Oktober 1962 eröffnete Johannes XXIII. das II. Vatikanum. Er wollte ein Fenster aufstoßen, eine Verheutigung - "aggiornamento“ - einleiten.

"Les Évêques Français en Révolte au Concile“. So titelte France-soir am Tag nach der Eröffnung des Konzils am 11. Oktober 1962. Ein halbes Jahrhundert, 50 Jahre, sind seither vergangen. Revolution am Konzil? Das hatte man in der Kirchengeschichte schon öfter gehört. Und doch war es ein erster und heftiger Krach, der an diesem Oktober-Tag vom Petersdom aus sich über die Welt verbreitete. Differenzen zwischen den Eminenzen? Die gab es beim II. Vatikanischen Konzil noch öfter, noch gekonnter, geradezu weltläufig.

Was war denn nun geschehen, dass vor allem der Kölner Erzbischof, Kardinal Josef Frings, und der Erzbischof von Lille, Kardinal Achille Liénart, so heftig auftraten?

Man hatte im Vatikan offensichtlich erwartet, dass die vorbereiteten Papiere, höchst bescheiden im theologischen Anspruch wie ein Katechismus zu Ende des 19. Jahrhunderts, unbescheiden aber im autoritären Gestus, durchgewunken würden. Dass diese Erwartung einerseits und dieser Putsch gegen die Kurie andererseits im Ergebnis der erste Tag eines ungeahnten Paradigmen- und Epochewechsels der katholischen Kirche sein würde, ahnte damals wohl niemand. Und man konnte es sich auch gar nicht vorstellen.

Ökumene von Anfang an intendiert

Es scheint heute so, als hätte man die Kuppel Michelangelos auf ihre Spitze gestellt. Denn Papst Johannes XXIII. hatte ja ein ökumenisches Konzil einberufen - nach katholischem Verständnis eine Versammlung der Bischöfe aus aller Welt, die mit und unter dem Papst über kirchliche Angelegenheit berät, Beschlüsse fasst und Vorschriften erlässt. Nicht aber eine Versammlung der Vertreter der voneinander getrennten christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Aber dennoch war immer schon eine ökumenische Zielsetzung mitgedacht und mitgegeben. Nicht umsonst hatte man Vertreter dieser Kirchen und Gemeinschaften als Beobachter in die Aula eingeladen und ihnen die Vorlagen in die Hand gegeben. Nach dem Ersten Vatikanum mochte man nicht mehr so recht daran glauben, dass der Weltepiskopat die Kurie - wie sich später herausstellte: nur zunächst einmal - so heftig durcheinander schütteln würde.

Man war, und das war eben Anlass des Protests von Frings und Liénart, nicht damit einverstanden, dass die Vorbereitenden Kommissionen in derselben Besetzung mit ihren dürftigen Papieren weiter agieren sollten. Neue Männer sollten die Mängel beheben. Abgestimmt wurde darüber nicht, das zehnköpfige Konzilspräsidium sah aber das Begehren als berechtigt an, die Kommissionswahlen wurden unter den Applaus der Väter verschoben. Man hatte verstanden.

Vor 50 Jahren also begann am 11. Oktober 1962 die erste Session des Zweiten Vatikanums, am 8. Dezember 1965 wurde es von Papst Paul VI. geschlossen. Dieses halbe Jahrhundert bis heute trennt die Menschen von jenem Ereignis, das die Kirche zwar nicht auf eine neue Grundlage stellen konnte oder wollte oder sollte, deren Fenster aber Johannes XXIII. aufstoßen und mit Frischluft ein "aggiornamento“, eine "Verheutigung“, einleiten wollte. Kirche und Glauben einfach für die modernen Menschen verständlich machen. Am unveräußerlichen Glaubensgut, dem depositum fidei, wurde festgehalten. Das Zweite Vatikanum bleibt, wie die deutschen Theologen Herbert Vorgrimler (damals Professor für Dogmatik in Münster) und Karl Rahner, Konzilsberater des österreichischen Kardinals Franz König, betonen, ein Konzil auf der Grundlage des alten und bleibenden Glaubens der katholischen Kirche. Die Übersetzung dieser Glaubensinhalte für die Moderne schien die zentrale und die schwierigste Aufgabe des Konzils.

Das ausdrücklich festzuhalten, ist deshalb notwendig, weil es innerhalb und außerhalb der Kirche genug Leute gab, die meinten, auf diesem Konzil werde kein Stein auf dem anderen bleiben - auch definierte Glaubenswahrheiten der Kirche stünden zur Disposition. Aber keine Gruppe stellte auf dem Konzil ein definiertes Dogma der katholischen Kirche infrage.

Die Eröffnungsrede Roncallis zum Konzil war, wie Vorgrimler notiert, eine "prophetische Ansprache“, in der der charismatische Papst auch vor "Unheilspropheten“ warnte, die nur Missstände und Fehlentwicklungen zur Kenntnis nähmen: "Sie tun so, als hätten sie aus der Geschichte nichts gelernt.“

Solche Sätze muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen. Denn die Kirche gibt es nicht um der Kirche oder um des Klerus’ willen, sondern - auch diesen Satz sollte man zweimal lesen - "die Kirche ist die von Jesus Christus selbst herkommende Gemeinde (das Volk Gottes) der an Jesus als ihren Herrn Glaubenden, an seine volle, die Geschichte abschließende Wiederkunft Hoffenden und die Liebe Gottes als des sich selbst Mitteilenden in Jesus Christus liebend Annehmenden“ (Karl Rahner). Dieses Verständnis von Kirche ist freilich auch die Maßeinheit für ihre hierarchische Struktur.

War alles nur ein Mythos?

Der Blick zurück auf das Konzil drängt auch die Vermutung auf, es handele sich bereits um einen Mythos: Das war alles vor unserer Zeit! Und heute? Damals genoss die Kirche das Interesse der Welt und den Vertrauensvorschuss, den Johannes XXIII. ihr erarbeitet hatte. Denn er vermochte seine Botschaften ebenso deutlich wie glaubwürdig zu vermitteln. Die Kirche wollte im Konzil über sich selbst nachdenken. Und das II. Vatikanum war damit zu einem Konzil der Kirche über die Kirche geworden.

Nach der Dogmatisierung des Jurisdiktionsprimates des Papstes auf dem Ersten Vatikanum hatte es allerdings geschienen, als sei die Konziliengeschichte der katholischen Kirche ein für allemal geschlossen. Allein schon deshalb war die Tatsache des Zweiten Vatikanischen Konzils von so großer Bedeutung. Denn damit trat auch die kollegiale und synodale Struktur der Kirche wieder in den Vordergrund. Eine Akzentverschiebung in der Praxis? 25 Jahre nach dem Konzil war immer noch die Rede vom "Anfang des Anfangs“. Und 50 Jahre danach?

Die Kollegialität spielt heute wieder eine bedeutende Rolle. Allerdings zwischen Kurie und Traditionalisten. Die Bischofsernennungen der vergangenen Jahrzehnte lassen erkennen, dass Rom selbst nicht gewillt war, den "Geist des Konzils“ am Leben zu erhalten, sondern dass es die alten autoritären Strukturen in der Kirche wieder aufleben ließ.

Die Feindseligkeiten der Traditionalisten, so bemerkt Vorgrimler einmal, die man ungehindert gewähren ließ und schon zur Zeit Pauls VI. von Rom aus geradezu verhätschelte, hätten sich breitgemacht und seit 1978 habe sich diese Tendenz noch verstärkt. Das pastorale Wesen des obersten Lehramtes werde wieder zunehmend durch ein disziplinierendes ersetzt.

Unter Johannes Paul II. haben sich Organisationen wie das Opus Dei einen Vorsprung verschafft, eilige Selig- und Heiligsprechungen wurden angesetzt, u. a. des Opus-Gründers Josémaria Escriva de Balaguer, dessen keineswegs vorteilhaften, und wie manche meinen, geradezu abwegigen Eigenschaften nicht zur Kenntnis genommen wurden. Ganz zu schweigen von der Pius-Bruderschaft mit ihren ungeheuren, nie geahndeten Obödienz- und Intelligenzproblemen samt der Leugnung des Holocaust.

Erneut in winterlicher Zeit

Eine "winterliche Zeit“ war wieder angebrochen. Aber der frühlingshafte Beginn mit dem Schlagwort "Wir sind Kirche“ gilt nach wie vor. Denn dies ist reine und verbindliche Lehre des Vatikanums II. Freilich verbessert eine "Abstimmung mit den Füßen“, also Kirchenaustritt, das innerkirchliche Klima nicht. Auch die Zeit hat sich in den vergangenen 50 Jahren gewaltig verändert. Die Welt erwartet von der Kirche nichts mehr, die Pastoralkonstitution von "Kirche und Welt“ wird gerade noch von Insidern gekannt. Menschenwürdige Gestaltung der Gesellschaft, worauf der Text abzielt, braucht dazu entschiedene Toleranz und den Dialog, nicht die Aggression.

Der große Paradigmen- und Epochenwechsel, den das Zweite Vatikanische Konzil für die Geschichte der römisch-katholischen Kirche eingeleitet hat, ist noch nicht entscheidend von der Stelle gekommen. Wie der Kirchenhistoriker Hubert Jedin gesagt hat: "Was ein Konzil vermag, stellt sich, wie bei jedem Konzil, erst lange nach seinem Ende heraus.“ Aber: Was ist lange?

* Der Autor, langjähriger Redakteur der "Salzburger Nachrichten“, berichtetete ab 1962 vom Konzil aus Rom.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung