Warum schon das Konzil gehemmt war

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Die Hintergründe der derzeitigen Kirchenkrise liegen darin, daß die Kirchenbilder des II. Vatikanums miteinander unvereinbar sind.

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Die Hintergründe der derzeitigen Kirchenkrise liegen darin, daß die Kirchenbilder des II. Vatikanums miteinander unvereinbar sind.

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Bischof Helmut Krätzl spricht in seinem Buch "Im Sprung gehemmt" davon, "daß Rom den nachkonziliaren Weg, gleichsam den Sprung nach vorne, sichtlich bremsen will", und fordert jeden in der Kirche dazu auf, er "sollte selbst alles nur Erdenkliche tun, um ihr wieder zu einem ,Sprung vorwärts' zu verhelfen".

Auf die Frage, "warum der nachkonziliare Fortschritt ins Stocken geriet", nennt Krätzl als einen Grund, daß die Konzilstexte "mehrdeutig" sind und daß man aus ihnen zwei Kirchenbilder herauslesen kann, "ein stärker hierarchisch geprägtes, oder ein Communiomodell", also Kirche als heilige Herrschaft oder Kirche als Gemeinschaft. Dann schreibt er: "Das Nebeneinander dieser beiden Kirchenbilder, die in sich ,unversöhnlich' sind, ist aber die Ursache für zahllose Konflikte in der nachkonziliaren Phase der Kirche" (Seite 174). In seinen Überlegungen zu der Frage, "was der Kirche wieder auf die ,Sprünge' helfen kann", meint er: "Nur in einer offenen theologischen Auseinandersetzung kann dann auch die ärgerniserregende und lähmende Polarisierung ... zu einer ,versöhnten Verschiedenheit' werden" (Seite 197).

Communio, hierarchisch Wie soll auf der Basis von "in sich ,unversöhnlichen'" Kirchenbildern ein Sprung der Erneuerung dieser Kirche gelingen, und das sogar noch in einem "Sprung"? Mit diesen verschiedenen Modellen von Kirche sind doch ganz gegensätzliche und unvereinbare Vorstellungen von Strukturen verbunden! Das muß notwendig zu Konflikten in der Interpretation der Texte und in der Vorgangsweise bei der Durchführung der Beschlüsse führen. Und wie sollen "in sich ,unversöhnliche'" Kirchenbilder "zu einer ,versöhnten Verschiedenheit'" gebracht werden? Dies wird ohne Korrekturen nicht möglich sein. Wobei zu beachten ist, daß die Anhänger des Communiomodells nur eine Vision hatten und nicht wußten, wie es strukturell gestaltet werden sollte. Schon aus diesem Grund waren ihnen die Vertreter des traditionellen hierarchischen Modells überlegen.

Hat das Konzil diese innere Widersprüchlichkeit nicht gemerkt? Wenn man genauer nachforscht, sieht man: Nur auf den ersten Blick handelt es sich im Konzil um ein "Nebeneinander" der beiden "unversöhnlichen" Kirchenbilder, insofern eben beide vorkommen, bei näherem Zusehen zeigt sich eine eindeutige Überordnung des hierarchischen über das Communiomodell. Nach dem Konzil ist die Kirche eine hierarchische Communio, die heilige Herrschaft hat die Oberhand. Daraus ergibt sich, daß die derzeitige Vorgangsweise Roms, durch entsprechende Bischofsernennungen, durch Entscheidungen mit Androhung von Sanktionen und mittels Treueiden seinen Kurs in den heiklen Fragen durchzusetzen, völlig vom Konzil gedeckt ist. Es kamen nicht einige Konservative und haben den "nachkonziliaren Fortschritt" gebremst, sondern bereits auf dem Konzil wurden die Weichen auf Hemmung gestellt, und so gut wie alle haben zugestimmt; auch jene, die eigentlich eine andere Vision von Kirche hatten.

Korrektur der Konzile?

Dies soll nun an einer grundlegenden Frage, nämlich an der des Verhältnisses des Papstes zu den übrigen Bischöfen aufgezeigt werden. Wie auch Bischof Krätzl berichtet, hat der Papst bereits auf dem Konzil massiv eingegriffen, Änderungen verlangt und heikle Themen wie Empfängnisverhütung und Zölibat seiner Entscheidung vorbehalten. Die Bischöfe haben das hingenommen und damit akzeptiert, daß jedenfalls in den Strukturen der Primat über der Kollegialität steht. Warum soll der Papst nach dem Konzil nicht genauso handeln können? Auch wenn er die Bischöfe immer wieder als seine Brüder anspricht, betrachtet er sie als seine Söhne, gegebenenfalls nur als seine Generalvikare. Jederzeit kann er aus einem Konzil ein Beratungsgremium machen, die Bischofssynoden sind überhaupt nur ratgebend tätig.

Das entspricht ganz der Kirchenkonstitution "Lumen gentium" des II. Vatikanischen Konzils (Art. 22): "Das Kollegium beziehungsweise die Körperschaft der Bischöfe hat aber nur Autorität, wenn es zusammen mit dem Römischen Bischof, dem Nachfolger des Petrus, als seinem Haupt verstanden wird, und unbeschadet der bleibenden Vollmacht seines Primats gegenüber allen Hirten und Gläubigen."

Obwohl also das (übrige) Kollegium ohnehin nur mit Zustimmung des Papstes handeln kann, wird zusätzlich an der absoluten Alleinherrschaft des Papstes auch über das Kollegium im Sinn des I. Vatikanischen Konzils festgehalten. Sie wurde nicht in Frage gestellt, geschweige denn korrigiert. Und damit auch klar ist, wie sich das Bischofskollegium mit dem Papst als seinem Haupt zum alleinigen Primat des Papstes auch über die Bischöfe verhält, wurde vom Papst ohne Einvernehmen mit den Bischöfen (die das hinnahmen) den Konzilsakten eine "Erläuternde Vorbemerkung" hinzugefügt, auf die auch Bischof Krätzl zu sprechen kommt. Nach deren eindeutiger Aussage liegt der Grund dafür, daß das Bischofskollegium neben dem Papst allein "ebenfalls Träger der höchsten und vollen Vollmacht über die ganze Kirche" sein muß, wieder darin, daß der Papst "im Kollegium sein Amt als Stellvertreter Christi und Hirt der Gesamtkirche unverkürzt bewahrt". Im selben Abschnitt wird auch klargestellt, daß der Papst allein festlegt, wie er entscheidet, "sei es persönlich, sei es kollegial".

Wenn also die Hemmungen des "nachkonziliaren Fortschritts" schon im Konzil selbst grundgelegt wurden, muß ein weiterführender Vorschlag zur Lösung des gegenwärtigen Kirchenkonflikts eine Vorstellung entwickeln, wie eine Kollegialität funktionieren kann, die auch die nötige Einheit wahrt. In biblischer Sicht und aus sachlichen Gründen gibt es meines Erachtens nur eine Antwort: Indem das Kollegium und seine Leitung unter dem Anspruch der Einmütigkeit stehen, dessen Zeichen und Werkzeug die Träger(innen) des Leitungsamtes sein müssen (vgl. P. Weß in Furche 38/98 und P. Weß, "Einmütig." Druck- und Verlagshaus Thaur 1998). Das wäre die Synthese des personalen und des kollegialen Prinzips. Damit würde weder das Kollegium über den Papst gestellt (dieses Extrem abzuwehren war das Anliegen des I. Vatikanums), noch - wie derzeit - der Papst über das Kollegium, sondern beide stünden auf derselben Ebene und müßten sich partnerschaftlich einigen. Wer diese Lösung für utopisch hält, möge selbst einen besseren Vorschlag machen, der allen Anforderungen entspricht. Außerdem wird hier der Kirche nur etwas abverlangt, was sie heute jeder Ehe zumutet.

Dennoch würde diese Konzeption eine teilweise Korrektur der beiden letzten Konzilien erfordern. Und hier liegt das tiefere Problem. Denn das Lehramt betrachtet sich in seinen feierlich definierten Aussagen als unfehlbar - nicht nur als unverirrlich, was Umwege und Fehler zuläßt - und sieht im Papst und in den ihm unterstehenden Bischöfen die Organe dieser Unfehlbarkeit. Auf dieser Basis kann es keine inhaltlichen Verbesserungen der Dogmen von der Unfehlbarkeit und vom Jurisdiktionsprimat des Papstes geben. Daher wurden sie auch vom letzten Konzil unverändert übernommen. Es ist ein tragischer Zirkel: Weil der Papst sich mit mehrheitlicher Zustimmung des I. Vatikanums für unfehlbar erklärt hat, kann die Kirche das Dogma von der Unfehlbarkeit und jenes vom päpstlichen Primat nicht korrigieren. Ähnliches gilt dann natürlich von anderen Fragen, von der Empfängnisverhütung bis zum Frauenpriestertum. Auf dieser Basis kann auch ein "Dialog für Österreich" nur unverbindliche Meinungserhebung sein, die zu keinen Änderungen führt.

Keine Vergöttlichung Das tiefste Fundament dieser Unfehlbarkeit und ihrer hierarchischen Struktur sieht das Lehramt darin, daß die Kirche (auch) göttlich sei. Dies wird sowohl in der Liturgiekonstitution "Sacrosanctum Concilium" (Art. 2: Kirche "zugleich menschlich und göttlich") als auch in der Kirchenkonstitution "Lumen gentium" (Art. 8: Kirche "eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst") ausdrücklich gesagt. Unter dieser Voraussetzung kann die römische Glaubenskongregation in ihrer Erklärung "Mysterium ecclesiae" von 1973 schreiben, Gott habe "sich herabgelassen, sein neues Volk, das die Kirche ist, mit einer gewissermaßen anteiligen Unfehlbarkeit zu beschenken, die sich innerhalb der Grenzen von Glaubens- und Sittenfragen hält ..." Da es keine teilweise Unfehlbarkeit gibt, kann es sich nur um die volle Teilhabe an der göttlichen Unfehlbarkeit handeln. Und für diese Irrtumslosigkeit ist das "Lehramt der Hirten" zuständig, das "mit dem entsprechenden Charisma der Unfehlbarkeit ausgestattet" ist. Nach diesem Selbstverständnis kann ein österreichischer Bischof auf die Frage, unter welchen Bedingungen es Korrekturen von seiner Seite geben könnte, mit Recht antworten: "Da müßte der liebe Gott abdanken, denn ich vertrete die Wahrheit, die Gott uns gibt."

Diesem Anspruch liegt die Idee einer gnadenhaften Vergöttlichung zugrunde. Diese ist nicht biblisch, sondern durch die Inkulturation des Christentums in die hellenistische Welt in die Kirche eingedrungen. Sie widerspricht der biblischen Schöpfungslehre, nach welcher der Mensch Abbild, aber nicht Ebenbild Gottes ist und als begrenztes Wesen niemals die unendliche Kapazität haben kann, eine Vergöttlichung auch nur als Geschenk entgegenzunehmen. Daher gibt es auch keine vergöttlichten Amtsträger mit göttlichen Fähigkeiten, die das Recht hätten, an Gottes Statt eine "heilige Herrschaft" auszuüben. Den Beistand Gottes haben heißt nicht, göttlich zu sein. Für die Bibel ist es die Sünde schlechthin, Gott gleich sein zu wollen. Es ist aber die Versuchung jeder Religion und speziell ihrer Priester, mittels der Beziehung zu Gott wie Gott sein zu wollen. Daher ist letztlich eine Rückkehr zur biblischen Sicht nötig, also eine Umkehr, damit die Kirche auch die Grenzen ihrer Erkenntnis annimmt und mit Verbesserungen rechnet. Dann kann sich kein Amtsträger als Stellvertreter Gottes betrachten, sondern alle Gläubigen stellen sich unter den Anspruch der Einmütigkeit im gemeinsamen Ringen um die Wahrheit.

Der Autor lehrt Pastoraltheologie in Innsbruck.

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