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Die „Kölner Erklärung“

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Vierzehn katholische Theologieprofessoren (Prof. Dr. Franz Böpkle, Bonn; Prof. Dr. Johannes Brosseder, Köln; Prof. Dr. Peter Eicher, Paderborn; Prof. Dr. Ottmar Fuchs, Bamberg; Prof. Dr. Norbert Greinacher, Tübingen; Prof. Dr. Johannes Gründel, München; Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach, Frankfurt; Prof. Dr. Albert Keller, München;Prof. Dr. Norbert Mette, Paderborn; Prof. Dr. Dietmar Mieth, Tübingen; Prof. Dr. Knut Walf, Nijmegen; Prof. Dr. Jürgen Werbick, Siegen; Prof. Dr. Josef Wohlmut, Bonn; Prof. Dr. Hans Zirker, Duisburg) haben am Vorabend des Festes der Erscheinung des Herrn (6. Jänner1989) die sogenannte,Kölner Erklärung“ unter dem Titel „Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität“ beschlossen. Die Erklärung wurde bis 30. Jänner 1989 von insgesamt 170 Theologieprofessoren und -Professorinnen aus dem deutschen Sprachraum unterzeichnet. Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:

Verschiedene Ereignisse in unserer katholischen Kirche veranlassen uns, eine öffentliche Erklärung abzugeben.

Drei Problemfelder bedrücken uns am meisten:

1. Von der römischen Kurie wird mit Nachdruck die Konzeption verwirklicht, Bischofssitze in der ganzen Welt unter Mißachtung der Vorschläge der Ortskirchen und unter Vernachlässigung ihrer gewachsenen Rechte einseitig zu besetzen.

2. Auf der ganzen Welt wird qualifizierten Theologen und Theologinnen die kirchliche Lehrerlaubnis in vielen Fällen verweigert. Dies ist ein bedeutender und gefährlicher Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre und in die dialogische Struktur der theologischen Erkenntnis, die das Zweite Vatikanische Konzil an vielen Stellen betont hat. Die Erteilung der kirchlichen Lehrerlaubnis wird als Instrument der Disziplinierung mißbraucht.

3. Wir werden Zeugen des theologisch höchst fragwürdigen Versuchs, neben der jurisdiktionellen die lehramtliche Kompetenz des Papstes in unzulässiger Weise geltend zu machen und zu überziehen.

Die Beobachtungen in diesen drei Bereichen scheinen uns Zeichen für eine Veränderung der nachkonziliaren Kirche zu sein:

— für eine schleichende Strukturveränderung in der Uberdehnung der Jurisdiktionshierarchie;

— für eine fortschreitende Entmündigung der Teilkirchen, für eine Verweigerung der theologischen Argumentation und für eine Zurücksetzung der Laien in der Kirche;

— für einen Antagonismus von oben, der die Konflikte in der Kirche durch Disziplinierung verschärft.

Wir sind der Überzeugung, daß wir dazu nicht schweigen dürfen, wir halten diese Stellungnahme für notwendig

— aufgrund unserer Verantwortung für den christlichen Glauben,

— in Ausübung unseres Dienstes als theologische Lehrer,

— um der Selbstachtung vor unserem Gewissen willen,

— in Solidarität mit allen Christinnen und Christen, die an den jüngsten Entwicklungen in unserer Kirche Anstoß nehmen oder gar an ihr verzweifeln.

Ilm Hinblick auf die neueren • römischen Bischofsernennungen auf der ganzen Welt, vor allem in Österreich, in der Schweiz und hier in Köln, erklären wir:

— Es gibt traditionelle, auch kodifizierte Rechte für die Mitwirkung der Ortskirchen, welche bis heute die Geschichte der Kirche geprägt haben. Sie gehören zum vielgestaltigen Leben der Kirche.

— Wenn Ortskirchen durch Bischof sernennungen oder durch andere Maßnahmen (wie in Lateinamerika, in Sri Lanka, in Spanien, in den Niederlanden, in Österreich, der Schweiz und hier in Köln), die oft auf falschen Analysen und Verdächtigungen beruhen, diszipliniert werden, werden sie ihrer Eigenständigkeit beraubt. Die Öffnung der katholischen Kirche für die Kollegialität zwischen Papst und Bischöfen, die eine der zentralen Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist, wird in einem neuen römischen Zentralismus erstickt.

— Die Herrschaftsausübung, wie sie in den neueren Bischofsernennungen zum Ausdruck kommt, steht im Gegensatz zur Brüderlichkeit des Evangeliums, zu den positiven Erfahrungen mit der Entfaltung der Freiheitsrechte und zur Kollegialität der Bischöfe.

— Die derzeitige Praxis behindert den ökumenischen Prozeß in wesentlichen Punkten.

— Bezogen auf die .Kölner Affäre“ halten wir es für skandalös, in einem laufenden Verfahren die Wahlordnung zu ändern. Das Bewußtsein für Verfahrensgerechtigkeit wurde dadurch empfindlich getroffen.

— Ansehen und Würde des päpstlichen Amtes erfordern einen sensiblen Umgang mit der Macht und mit gewachsenen Institutionen.

— Die Kandidatenauswahl für das Bischofsamt bringt die Vielgestaltigkeit der Kirche angemessen zum Ausdruck; der Ernennungsvorgang ist keine private Auswahl des Papstes.

— Die Rolle der Nuntiaturen wird heute immer fragwürdiger. Obwohl die Wege der Nachrichtenvermittlung und der persönlichen Rücksprache kurz geworden sind, gerät die Nuntiatur immer mehr in das Odium eines Nachrichtendienstes, der oft durch einseitige Auswahl der Informationen die Abweichungen erst schafft, die er sucht.

— Der in jüngster Zeit öfter erklärte und beanspruchte Gehorsam von Bischöfen und Kardinalen gegenüber dem Papst erscheint als blind. Der kirchliche Gehorsam im Dienst am Evangelium verlangt die Bereitschaft zu konstruktivem Widerspruch (vgl. Codex Juris Canonici, Canon 212, Paragraph 3). Wir fordern die Bischöfe dazu auf, sich an das Beispiel des Paulus zu erinnern, der mit Petrus versöhnt blieb, obwohl er ihm in der Frage der Heidenmission ,Jns Angesicht hinein widerstand“ (Galaterbrief 2,11).

2 Zum Problem der Besetzung • von Theologieprofessoren und zur Erteilung der kirchlichen Lehrerlaubnis erklären wir:

— Die theologisch begründete und teilweise auch durch Konkordate geschützte Zuständigkeit und Verantwortung des Ortsbischofs, die kirchliche Lehrerlaubnis zu erteilen beziehungsweise zu entziehen, muß gewahrt bleiben. Die Bischöfe sind keine ausführenden Organe des Papstes. Die derzeitige Praxis einer innerkirchlichen Verletzung des Prinzips der Subsidiarität bei klaren Zuständigkeiten des Ortsbischofs in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre ist ein unhaltbarer Zustand. Ein römischer Eingriff in die Erteilung oder Verweigerung einer Lehrerlaubnis ohne die Ortskirche oder gar gegen die ausdrückliche Überzeugung des Ortsbischofs riskiert den Verfall gewachsener und bewährter Zuständigkeiten.

- Einwände gegen die Erteilung einer Lehrbefugnis oder gar Entscheidung in diesen Angelegenheiten sind mit Argumenten zu begründen und nach anerkannten akademischen Normen zu belegen. Willkür in diesem Bereich stellt die Existenz der katholischtheologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten in Frage.

- Nicht alle Lehren der Kirche sind theologisch gleich gewiß und von gleichem Gewicht. Wir wenden uns gegen die Verletzung dieser Lehre von den theologischen Gewißheitsgraden beziehungsweise von der „Hierarchie der Wahrheit“ in der Praxis der Erteilung beziehungsweise Verweigerung der kirchlichen Lehrerlaubnis. Einzelne ethische und dogmatische Detailfragen können deshalb nicht willkürlich zur Frage nach der Glaubensidentität hochgespielt werden, während mit der Glaubenspraxis unmittelbar verbundene sittliche Einstellungen (etwa gegen Folter, die Rassentrennung oder die Ausbeutung) nicht vom gleichen theologischen Belang für die Frage nach der Wahrheit zu sein scheinen.

- Das Selbstergänzungsrecht der Fakultäten beziehungsweise der Hochschulen in der Auswahl der Lehrenden darf nicht durch eine willkürliche Praxis der Erteilung und Verweigerung der kirchlichen Lehrerlaubnis völlig ausgehöhlt werden.

- Kommt unter dem Druck solcher Probleme in den Universitäten eine Auswahl der Theologieprofessoren und Theologieprofessorinnen auf der Grundlage wissenschaftsfremder Kriterien zustande, so bedeutet dies den Verlust des Ansehens der Theologie an den Universitäten.

Zum Versuch, die lehramtli- • che Kompetenz des Papstes in unzulässiger Weise geltend zu machen, erklären wir:

— In jüngster Zeit hat der Papst in Ansprachen an Theologen und Bischöfe die Lehre über die Geburtenregelung ohne Rücksicht auf die Gewißheitsgrade und auf das unterschiedliche Gewicht kirchlicher Aussagen mit fundamentalen Glaubenswahrheiten wie der Heiligkeit Gottes und der Erlösung durch Jesus Christus so verknüpft, daß sich Kritiker der päpstlichen Lehre über die Geburtenregelung mit der Verurteilung konfrontiert sehen, „fundamentale Eckpfeiler der christlichen Lehre anzugreifen“, ja, mit der Berufung auf die Würde des Gewissens in Irrtum zu geraten, das „Kreuz Christi vergeblich“, das „Geheimnis Gottes zunichte“ zu machen und die „Würde des Menschen“ zu leugnen. Die Begriffe der „grundlegenden Wahrheit“ und der „göttlichen Offenbarung“ werden vom Papst herangezogen, um eine höchst spezielle Lehre zu vertreten, die weder aus der Heiligen Schrift noch aus den Traditionen der Kirche begründet werden kann (vergleiche die Ansprachen vom 15. Oktober und vom 12. November 1988).

— Die vom Papst behauptete Zusammengehörigkeit der Wahrheiten bedeutet nicht ihre Gleichsetzung und Gleichgewichtigkeit. So sagt das Zweite Vatikanische Konzil: „Beim Vergleich der Lehren miteinander soll man nicht vergessen, daß es eine Rangordnung oder .Hierarchie* der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens“ (Dekret über den Okumenismus Nr. 11). Ebenso sind die unterschiedlichen Gewißheitsgrade theologischer Aus

sagen und die Grenze der theologischen Erkenntnis in medizinisch-anthropologischen Fragen zu beachten.

— Selbst das päpstliche Lehramt hat der Theologie die Würdetuer- kannt, die Argumente für theologische Aussagen und Normen zu prüfen. Diese Würde darf nicht durch Denk- und Redeverbote verletzt werden. Wissenschaftliche Prüfung bedarf der Argumentation und der Kommunikation.

— Das Gewissen ist kein Erfüllungsgehilfe des päpstlichen Lehramtes, wie dies nach solchen Ansprachen erscheinen könnte. Das Lehramt ist vielmehr bei der Auslegung der Wahrheit auch auf die Gewissen der Gläubigen verwiesen. Die Spannung zwischen Lehre und Gewissen einzuebnen, bedeutet eine Entwürdigung des Gewissens.

— Nach der Überzeugung vieler Menschen in der Kirche stellt die Geburtenregelungsnorm der Enzyklika „Humanae vitae“ von 1968 eine Orientierung dar, welche die Gewissensverantwortung der Gläubigen nicht ersetzt. Bischöfe, unter anderen die deutschen Bischöfe in ihrer „Königsteiner Erklärung“ (1968) und Moraltheologen haben diese Auffassung vieler Christinnen und Christen für richtig gehalten, weil sie der Überzeugung sind, die Würde des Gewissens bestehe nicht nur im Gehorsam, sondern gerade auch in der Verantwortung. Ein Papst, der auf diese Verantwortung der Christinnen und Christen im Bereich innerweltlichen Handelns so häufig zu sprechen kommt, sollte diese im Ernstfall nicht systematisch mißachten. Im übrigen bedauern wir die intensive Fixierung des päpstlichen Lehramtes auf diesen Problembereich.

Schluß

— Die Kirche steht im Dienste Jesu

Christi. Sie muß der permanenten Versuchung widerstehen, sein Evangelium von Gottes Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue durch Inanspruchnahme fragwürdiger Herrschaftsformen für die eigene Macht zu mißbrauchen. Sie ist vom Konzil als das wandernde Volk Gottes und die lebendige Beziehung der Gläubigen (communio) verstanden worden; sie ist keine belagerte Stadt, die ihre Bastionen auftürmt und mit Härte nach innen und außen verteidigt. *

— Verschiedene Sorgen um die Kirche in unserer heutigen Welt teilen wir mit den Hirten der Kirche aufgrund unseres gemeinsamen Zeugnisses. Den armen Kirchen Schutz zu geben, die reichen Kirchen aus Verstrickungen herauszuführen und die Einheit der Kirche zu fördern, sind Ziele, die wir verstehen und für die wir uns einsetzen.

— Die Theologen, die im Dienst der Kirche stehen, haben jedoch auch die Pflicht, öffentliche Kritik zu üben, wenn das kirchliche Amt seine Macht falsch gebraucht, so daß es in Widerspruch zu seinen Zielen gerät, die Schritte zur Ökumene gefährdet und die Öffnung des Konzils zurücknimmt.

— Der Papst beansprucht das Amt

der Einheit. Seines Amtes ist es deshalb, im Konfliktfalle zusammenzuführen, was er im Blick auf Marcel Lefėbvre und seine Anhänger trotz dessen fundamentaler Infragestellung des Lehramtes in exzessiver Weise getan hat. Seines Amtes ist es nicht, ohne jeden Versuch eines Dialoges Konflikte zweitrangiger Art zu verschärfen, sie einseitig lehr amtlich zu entscheiden und zum Gegenstand der Ausgrenzung zu machen. Wenn der Papst tut, was nicht seines Amtes ist, kann er im Namen der Katholizität nicht Gehorsam verlangen. Dann muß er Widerspruch erwarten.

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