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Mündigkeit und Gehorsam

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Die Wahrheits- und Entscheidungsfindung erscheint vielen Katholiken und deren Amtsträgern noch immer denkbar einfach zu sein: Nach ihrer Vorstellung hat Christus den Papst und die Bischöfe als seine Stellvertreter eingesetzt.

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Die Wahrheits- und Entscheidungsfindung erscheint vielen Katholiken und deren Amtsträgern noch immer denkbar einfach zu sein: Nach ihrer Vorstellung hat Christus den Papst und die Bischöfe als seine Stellvertreter eingesetzt.

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Kraft dieser Autorisierung hat dieser Personenkreis auch heute das unbedingte Sagen in der Kirche. Jeder muß also am Irrweg sein, der die Aussagen dieser Amtsträger hinterfragt. Hinterfragt er doch dadurch mehr oder weniger Jesus Christus selbst. Die entsprechende Haltung jedes guten Gläubigen müßte absoluter Gehorsam gegenüber kirchlichen Autoritäten sein.

Ein Blick in das Neue Testament läßt jedoch zahlreiche Fragen auftauchen, die diesen scheinbar so klaren und logischen Sachverhalt sehr ins Wanken geraten lassen:

Die Fragen beginnen schon bei den Bezeichnungen: Zwar hat Jesus nach dem Zeugnis der Bibel dem Petrus den Hirtendienst über seine Gemeinde aufgetragen (Joh 21,15-19), doch von der ausdrücklichen Stiftung eines Petrus-Amtes mit Titel und Nachfolgern ist nicht die Rede (daraus ist allerdings nicht voreilig zu folgern, die Entstehung eines Petrus-Dienstes sei nicht im Sinne Jesu). Wohl berief Jesus einen Kreis von zwölf Jüngern, "Sie nach Tod und Auferstehung des Herrn als Apostel großen Einfluß besaßen, doch ist das Amt eines Bischofs (griechisch: episkopos) schon rein begrifflich nicht einfach mit dem Amt eines Apostels identisch, wenngleich es von den Aufgaben her starke Berührungspunkte gibt.

Selbst wenn wir die terminologischen Schwierigkeiten einmal beiseite schieben, so zeigen manche Texte der Bibel alles andere als eine unkritische Annahme von Entscheidungen oder Handlungen kirchlicher Autoritäten seitens der christlichen Brüder und Schwestern:

Obwohl Petrus eine anerkannte hervorgehobene Position im Jüngerkreis hatte, mußte er sich dafür rechtfertigen, daß er sich mit Heiden an einen Tisch setzte (Apg 11, 1-18). Ebenso mußte er von Paulus Kritik hinnehmen, als er durch sein Verhalten den Judenchristen doch wieder falsche Konzessionen in dieser Angelegenheit machte (Gal 2,1 lf.). Bemerkenswert ist weiters, daß nach Darstellung des Lukas nicht die Rede des Petrus am sogenannten Apostelkonzil das Ende der Debatte über ein gesetzesfreies Christsein bedeutet hat. Erst die Ausführungen des Jakobus haben die Diskussion beendet (Apg 15).

Ebenfalls in der Apostelgeschichte findet sich die Abschiedsrede des Völkerapostels Paulus an die Ältesten der Gemeinde von Ephesus (20,17-38), in der Paulus voraussagt, daß sogar kirchliche Hirten Irrlehren verfallen werden (20,30).

Gegen die vereinfachte Sicht, daß bereits von Anfang an kirchliche Gemeinden mit autoritätsstarken Amtsträgern existiert haben, sprechen die echten Paulusbriefe. In ihnen wendet sich der Apostel nicht an kirchliche Amtsträger, sondern an die ganze Gemeinde. Wenn es Probleme und Mißstände gab, wurde die Gesamtgemeinde zur Verantwortung gezogen. Da es keine Autoritäten mit Weisungsrecht in Fragen des Glaubens und der Gemeindeordnung gab, mußte Paulus etwa nach Korinth seinen engen Mitarbeiter Timotheus schicken,

der seine Anordnungen durchsetzen sollte (1 Kor 4,17-21).

In der ersten Zeit der jungen Kirche waren es zweifellos die Erstver-künder, die eine ganz natürliche Autorität in den Gemeinden hatten. Jene also, die mit Jesus zusammen waren und die sich von ihm gesendet wußten, die frohe Botschaft vom lebenden und wiederkommenden Herrn zu verkündigen. Doch bei ihrer Tätigkeit stand nicht die Schaffung kirchlicher Strukturen im Vordergrund. Jeder Christ hatte durch Taufe und Geistempfang direkten Zugang zu Gott, er bedurfte keines Mittlers außer Jesus. Jeder hatte seine Fähigkeiten und die sollte er in den Dienst der Gemeinde stellen (siehe 1 Kor 12).

Da es vorerst nur Gemeindeleiter ohne Lehrautorität gab, wurde es mit fortschreitender Zeit immer notwendiger, starke Autoritäten zu schaffen. Dies hatte verschiedene Gründe: die Gemeinden wurden immer größer und damit komplexer; die Erstverkündiger starben aus und konnten so in Streitfragen nicht mehr eingreifen; es traten Irrlehren in wesentlichen Glaubensfragen auf, die die Identität der Kirche gefährdeten.

Nach dem Zeugnis der Bibel haben die Apostel selbst gegen Ende ihrer Tätigkeit glaubwürdige Mitchristen gesucht, die sie durch Handauflegung zu Gemeindeleitern und autoritativen Verkündigern bestellten. Unter „autoritativem Verkündiger" ist ein Christ zu verstehen, der notfalls auch ohne Zustimmung der Gesamtgemeinde sagen konnte, was rechte Lehre ist. Denn durch die in den Gemeinden grassierenden Irrlehren wäre es gefährlich gewesen, über die Glaubenswahrheit (etwa bezüglich der Auferstehung) abzustimmen.

Diese Autoritäten (oft Presbyter genannt) sollten ihre Gemeinde mit der Gesamtkirche in Verbindung halten. Doch auch ihre Autorität war nicht unbegrenzt. Abgesehen davon, daß diese Aufgabe vielfach kollegial wahrgenommen wurde, hatten Gemeindemitglieder das Recht, gegen Amtsträger bei anderen Autoritäten Klage zu führen (1 Tim 5,191). Bereits der erste Petrusbrief warnt vor Amtsmißbrauch durch die Presbyter (1 Petr 5,3).

Was das Spannungsfeld Mündigkeit und Gehorsam heute betrifft, steht die katholische Kirche in einem Dilemma: Einerseits werden selbst Bischöfe nicht müde, immer wieder daran zu erinnern, daß Kirche letztlich wir alle sind. Alle Getauften gehören zum Volk Gottes und haben Anteil am gemeinsamen Priestertum. Das ist auch das Anliegen des Zweiten Vatikanums. Andererseits haben aber die sogenannten Laien nach der rechtlichen Verfassung der Kirche kaum reale Möglichkeiten, sich gegen Entscheide der Obrigkeiten zu wehren. Nicht nur die Laien übrigens, auch die Priester - selbst Amtsträger also -haben keine rechtlich verbürgte Möglichkeit, Weisungen und Vorgangsweisen ihrer Bischöfe zu hinterfragen und notfalls auch zu korrigieren. Die meisten Organe (Pfarrgemeinderat, Priesterrat et cetera) haben de facto nur beratenden Charakter. Auch die Möglichkeit, sich an eine nächsthöhere Instanz zu wenden, ist - wenn überhaupt -doch eher theoretischer Natur.

In der kirchlichen Verfassung wird stets damit gerechnet, daß alle

Hirten der Kirche immer ehrlich auf den Willen Gottes hören und so in ihnen automatisch der Heilige Geist wirksam ist. Daß ihre Entscheidungen aufgrund ihrer selbst nach der Weihe bestehenden Sündhaftigkeit auch von vielen weniger idealen Faktoren mitbestimmt werden können, das findet generell keinen Platz.

Als Ausweg aus diesem Dilemma ist wohl nicht die radikale Demokratisierung zu sehen. Denn die Bewahrung und Findung von Wahrheit bedarf immer der entsprechenden Qualifikation. Es wäre wohl äußerst problematisch, alle Katholiken über Glaubens- oder Sittenfragen abstimmen zu lassen. Doch als Idealbild könnte angestrebt werden, daß qualifizierte Christen dem Grad dieser Qualifikation entsprechend auch mitentscheiden dürfen und nicht völlig schutzlos den Autoritäten ausgesetzt sind.

Da wäre noch zu klären, was in der Kirche Qualifikation zu bedeuten hätte: als qualifizierter Christ wäre derjenige zu bezeichnen, der zunächst von einer lebendigen Gemeinde als glaubwürdiger Lebenszeuge des Evangeliums ausgewiesen wird. Einer, der sich selbstlos in den Dienst einer konkreten kirchlichen Gemeinschaft gestellt hat. Darüber hinaus gibt es natürlich unterschiedliche Grade der intellektuellen Fortbildung in Glaubensfragen. Diese ist auch ganz wesentlich, aber nicht isoliert vom glaubwürdigen Lebenszeugnis zu sehen.

Voraussetzung für eine Mitsprache qualifizierter Christen wären hinterfragbare Autoritäten. Nicht die Abschaffung von Autoritäten ist notwendig, sondern die Schaffung rechtskräftiger Korrekturmöglichkeiten. Diese dürften jedoch den Handlungsspielraum der Autoritäten nur soweit einengen, als dadurch Willkür und mangelndes Hinhören auf das, was der Geist Gottes auch den übrigen Christen sagt, ausgeschlossen werden sollten.

Mit dieser Form der Mitsprache und echter Mitverantwortung würde sicher die Identifikation der engagierten Katholiken mit ihrer Kirche steigen. Für die konkrete Verwirklichung solcher Korrekturen gäbe es viele Möglichkeiten. Einige davon:

• Ein Pfarrer hat einem Pfarrge-meinderatsbeschluß nicht zugestimmt und so tritt er nicht in Kraft. Erscheint den Mitgliedern des Gremiums dieser Ausgang als höchst unbefriedigend, sollten sie die Möglichkeit haben, sich an ein vom Bischof ernanntes Schiedsgericht zu wenden, das die Entscheidung des Pfarrers revidieren kann.

• Der Priesterrat fühlt sich in einem wichtigen Anliegen vom Diö-zesanbischof unverstanden. Er sollte sich an die Bischofskonferenz

wenden können, die dem Anliegen effektiv nachgeht. • Eine Diözese sollte sich gegen eine Bischofsernennung wehren können, indem ihre Vertreter sich an ein dafür vom Weltepiskopat gewähltes Gremium wenden, das die Ernennung zumindest einmal aufschiebt. Auch eine der Ernennung vorangehende Wahl durch qualifizierte Mitchristen würde eine breitere Entscheidungsfindung begünstigen.

Wenn es nicht gelingt, innerhalb der Kirche effektive Korrektive zu schaffen, darf es niemanden wundern, wenn kirchliche Konflikte über die Medien öffentlich ausgetragen werden und so bei Außenstehenden der Eindruck entsteht, in der Kirche werde nur gestritten.

Könnte sich die katholische Kirche für hinterfragbare Autoritäten entscheiden, so wäre dem Gespräch mit den evangelischen Christen in dieser noch immer trennenden Frage ein großer Dienst erwiesen. Denn es steht nicht so sehr das Amt an sich als Streitpunkt zwischen den Kirchen, sondern dessen Wesen. Auch ein Petrusdienst ist für zahlreiche Nichtkatholiken denkbar.

Doch es ist zu bezweifeln, ob es je eine Annäherung in der Amtsfrage geben kann, wenn die Amtsträger in der katholischen Kirche nicht hinterfragbarer werden, in der Theorie und auch in der Praxis.

An die evangelische Kirche wäre allerdings die Frage zu stellen, ob der rechte Geist und die rechte Lehre in Gemeinden nicht besser zu erhalten wären, wenn die Amtsträger im Bedarfsfall eine größere Autorität der Gemeinde gegenüber in Anspruch nehmen könnten. Kann ein Mißstand, eine verfahrene Situation in einer Gemeinde, nicht manchmal nur durch ein autoritatives Wort behoben werden?

Sind die Motive des Amtsträgers nicht vom Geist Gottes getragen, so gilt auch ihm gegenüber: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg 5,29). Kirchlicher Gehorsam bedeutet, daß jeder Gläubige der zuständigen Autorität einen Vertrauensvorschuß geben und bereit sein muß, aufrichtig auf das zu hören, was gesagt wird. Gehorsam bedeutet grundsätzliche Solidarität mit der ganzen Kirche, Mittragen ihrer Anliegen. Nur nach reiflicher Prüfung hat der einzelne das Recht - aber dann auch die Pflicht - eine Anordnung nicht auszuführen.

So ist es durchaus kein Widerspruch und kein fauler Kompromiß, von einem mündigen Gehorsam zu sprechen.

Der Autor ist Pfarrer in Wien (Am Schöpfwerk): er war Assistent am Institut für Neutesta-mentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

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