Bischöfliche Worte zur Politik

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Kirche sind nicht nur der Papst, die Bischöfe und Priester, sondern alle getauften Katholiken. Wer aber ist in der katholischen Kirche für Politik zuständig?

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Kirche sind nicht nur der Papst, die Bischöfe und Priester, sondern alle getauften Katholiken. Wer aber ist in der katholischen Kirche für Politik zuständig?

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Die katholischen Bischöfe Österreichs haben die Bevölkerung zu einem Dialog eingeladen. Als Diskussionsbasis dient ein Grundtext, der in seinem dritten Abschnitt gesellschaftspolitische Themen behandelt.

Aufgabe der Bischöfe ist es, wie aus den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils ersichtlich, das Evangelium zu verkünden, "ebenso das verkündete Heilswerk durch Opfer und Sakramente zu vollziehen, um welche das ganze liturgische Leben kreist" (SC 6). Weiters haben die Bischöfe die Anwendung des Evangeliums auf das sittliche Leben zu verkünden. Demnach wären sie auch für die Politik zuständig. Dabei sollen sie Grundsätze lehren (LG 25, CD 12) und deren Umsetzung authentisch interpretieren: "Ihnen steht das Recht zu, nach gehöriger Überlegung und unter Beiziehung der Hilfe von Sachverständigen über die Übereinstimmung solcher (irdischer) Werke und Einrichtungen mit den sittlichen Grundsätzen zu urteilen und darüber zu bestimmen, was zur Wahrung und Förderung der Güter der übernatürlichen Ordnung erforderlich ist" (AA 24).

Die Bischöfe haben alle Möglichkeiten von der Darlegung allgemeiner Grundsätze bis zur Einflußnahme auf konkrete politische Entscheidungen (z. B. Arbeitsruhegesetz, Fremdengesetze) wahrgenommen. Je konkreter ihr Engagement war, umso eher wurden sie mit einer politischen Partei identifiziert oder von einer solchen vereinnahmt. Genau dies wollen die Bischöfe aufgrund der Erfahrungen der Ersten Republik vermeiden. Damals sahen viele in ihnen mehr Parteigänger der Christlichsozialen Partei als Seelsorger, und dadurch wurde ihre Hauptaufgabe, allen Katholiken die Heilsbotschaft zu verkünden und mit ihnen die Liturgie zu feiern, beeinträchtigt.

Erst vor kurzem haben die Bischöfe ihr Selbstverständnis neuerlich dargelegt. In einer Presseerklärung der Österreichischen Bischofskonferenz vom 6. November 1997 heißt es u. a.: "Aufgabe der Bischöfe ist, Grundsätze des Christlichen und der Menschenrechte deutlich zu machen, Sache der Bischöfe und Priester ist es, die Gewissen zu schärfen, den christlichen Laien kommt es zu, im Interesse des Gemeinwohls in der Öffentlichkeit tätig zu sein und die Grundsätze des Evangeliums in die politische Alltagspraxis umzusetzen."

Die Problematik dieser Rollenverteilung wird einem erst vor folgenden Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils bewußt: "Die Gläubigen müssen mit einem im Namen Christi vorgetragenen Spruch ihres Bischofs in Glaubens- und Sittenfragen übereinkommen und ihm mit religiös gegründetem Gehorsam anhangen. Dieser religiöse Gehorsam des Willens und des Verstandes ist in besonderer Weise dem authentischen Lehramt des Bischofs von Rom - auch wenn er nicht kraft höchster Lehrautorität spricht - zu leisten" (LG 25). Die Vorstellung, daß Papst und Bischöfe erklären, wo's langgeht und die Laien dies zu befolgen haben, führt nur deshalb zu keinen ständigen und schwerwiegenden Auseinandersetzungen, weil die Gläubigen, soweit sie zu anderer Überzeugung gelangt sind, den Gehorsam verweigern und die Bischöfe kaum Möglichkeiten haben, ihre Auffassung durchzudrücken. Es sei denn, sie erklären das Verhalten der Gläubigen als Sünde, die von Gott geahndet wird. Dieses Gottesbild würde allerdings dem eines barmherzigen Gottes widersprechen, dessen Gnade uns auf Erlösung hoffen läßt.

In dem Kapitel über den Gehorsam ist allerdings auch davon die Rede, daß die Festlegung der auf Glauben und Sitte bezogenen Lehre nur soweit reichen kann, wie das hinterlegte Gut der Offenbarung reicht (LG 25). Nun gibt es aber unter den Gläubigen sehr viele, die der festen Überzeugung sind, aus der Offenbarung ließen sich keine eindeutigen Lösungen für gesellschaftspolitische Fragen ableiten; ebensowenig aus der Natur des Menschen, wie dies eine Zeitlang mit Hilfe der Naturrechtslehre versucht wurde. Die Schwierigkeit liegt nun darin, daß es in der Katholischen Kirche kein befriedigendes Verfahren gibt, um derartige Auffassungsunterschiede zu lösen. Es gilt: Roma locuta, causa finita.

Die Bischöfe Österreichs werden sich am Ende des "Dialogs für Österreich" vor ähnlichen Schwierigkeiten sehen. Angekündigt ist ein Delegiertentag für Oktober 1998. Die rund 300 Delegierten werden je nach Diözese nach unterschiedlichen Modalitäten entsandt. Verbindliche Abstimmungen sind derzeit nicht vorgesehen. Sollte die Meinung der Delegierten trotzdem eruiert werden, ergibt sich folgende Problematik: Allgemeine Beschlüsse werden eine breite Zustimmung erfahren, aber kaum etwas bewegen. Wird hingegen zu aktuellen politischen Problemen Stellung bezogen, wird unweigerlich die Frage nach der Repräsentativität des Delegiertentages aufgeworfen werden. Nach derzeitigem Stand werden die Vertreter des Kirchenvolks-Begehrens "Wir sind Kirche" eingeladen; offen ist wie viele, und dies ist im Falle von Abstimmungen nicht unwesentlich. Die Katholische Aktion Österreichs meldete sich mit dem Gesprächsforum "Kirchenzukunft", welches sich als katholische Mitte versteht, zu Wort. Ein "Club österreichischer Katholiken", dem der freiheitliche Abgeordnete Stadler angehört, beansprucht ebenfalls Gehör. Ein repräsentativer Delegiertentag wird sich letztlich nicht wesentlich von der Repräsentanz der Bevölkerung im Nationalrat, in den Landtagen etc. unterscheiden. Immerhin sind 75 Prozent der österreichischen Bevölkerung getaufte Katholiken.

In den Volksvertretungen ist die "Wahrheitsfindung" geregelt: Die unterschiedlichen Auffassungen werden eingebracht, die politischen Parteien greifen sie auf und vertreten sie. Letztlich wird durch einen Mehrheitsbeschluß festgestellt, was im Moment die meisten für richtig halten. Es handelt sich dabei um keine unumstößlichen, endgültigen Wahrheiten. Sollte sich eine Entscheidung als unzureichend erweisen, wird ein neuer Entscheidungsprozeß eingeleitet, die bisherige Regelung korrigiert. Auf diese Weise, so die Hoffnung, kommt die Gesellschaft im Laufe der Geschichte dem näher, was richtig, was wahr ist.

Wie aber kommen die Bischöfe zu ihren "Wahrheiten" in gesellschaftspolitischen Fragen? Akzeptieren sie die Beschlüsse eines repräsentativen Delegiertentages, stellt sich die Frage, wozu eine derartige Parallelveranstaltung zu den ohnedies ständig ablaufenden Entscheidungsprozessen in den Volksvertretungen taugen soll. Lehnen sie die Beschlüsse aber ab, weil über "Wahrheiten" nicht abgestimmt werden könne, geraten sie in ein anderes Dilemma. Immerhin anerkennt auch das Zweite Vatikanische Konzil: "Oftmals wird gerade eine christliche Schau der Dinge den Laien eine bestimmte Lösung in einer konkreten Situation nahelegen. Aber andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen" (GS 43).

Neben der schon geschilderten Lösung für derartige Konflikte ("die Laien sollen wie alle Gläubigen das, was die geweihten Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer und Leiter in der Kirche festsetzen, in christlichem Gehorsam bereitwillig aufnehmen...") findet sich in derselben Passage - allerdings etwas unmotiviert und isoliert wirkend - die Feststellung: "Die gerechte Freiheit, die allen im irdischen bürgerlichen Bereich zusteht, sollen die Hirten sorgfältig anerkennen" (LG 37). Der Dialog über gesellschaftspolitische Fragen fände demnachvor allem in und zwischen den politischen Parteien statt. Papst, Bischöfe und Priester würden sich zu politischen Inhalten nicht äußern.

Diese Konsequenz zu ziehen und den in der Politik tätigen Katholiken die volle Verantwortung zu übertragen, hat man aber offensichtlich Angst: "Demnach irren alle, die glauben, ihr irdisches Tun und Treiben hätte gar nichts mit dem religiösen Leben zu tun, weil sich dieses in bloßen Kultakten und in der Erfüllung gewisser sittlicher Pflichten erschöpft" (GS 43). Eine berechtigte Sorge, aber Katholiken, die ihren Glauben ernst nehmen, werden sich bewußt sein, daß "ein Christ, der seine irdischen Pflichten vernachlässigt, damit seine Pflichten gegenüber dem Nächsten, ja gegenüber Gott selbst, versäumt ..." (GS 43). Papst, Bischöfe und Priester können sich darauf beschränken, diese Verantwortung einzumahnen (Gewissensbildung). Geweihte und Nichtgeweihte zusammen werden in der Liturgie jenen Glauben wachhalten, aus dem sie ihre Hoffnung auf Erlösung schöpfen und der für sie der Motor ist, nach dem Rechten, Wahren, Guten zu suchen und diese im täglichen Leben umzusetzen. Das Zweite Vatikanische Konzil ermöglicht eine solche Betrachtungsweise. Es liegt an der Katholischen Kirche Österreichs, ob sie sich dieser Sicht anschließt. In diesem Falle würde der geplante Hirtenbrief über "Die Kirche in der Welt" keine inhaltliche Auseinandersetzung mit politischen Fragen, sondern Ermahnung und Ermutigung für die in der Politik Tätigen bringen.

Abkürzungen: AA = Dekret über das Laienapostolat CD = Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe GS = Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute LG = Dogmatische Konstitution über die Kirche SC = Konstitution über die heilige Liturgie Der Autor ist Leiter des Instituts für Agrarpolitik der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs.

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