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Was Gott verbunden hat...

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Keiner Gemeinschaft, auch der Kirche nicht, kann bei aller Gewissensfreiheit zugemutet werden, daß sie jede Berufung auf das Gewissen akzeptiert.

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Keiner Gemeinschaft, auch der Kirche nicht, kann bei aller Gewissensfreiheit zugemutet werden, daß sie jede Berufung auf das Gewissen akzeptiert.

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Es kann nur eine vorübergehende Notlösung sein, wenn in vielen Pfarrgemeinden aus dem Anliegen eines liebevollen Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen anders gehandelt wird, als es die Kirche amtlich lehrt.

So war es höchste Zeit und sehr dankenswert, daß drei deutsche Bischöfe einen „Vorstoß“ unternahmen, diese Praxis mit der Lehre der Kirche in Einklang zu bringen. Sie unterschieden dabei zwischen „amtlicher Zulassung“ und einem „ermöglichten Hinzutreten“ zum Kommunionempfang der betreffenden Ehepaare. Erstere sei nicht möglich, wohl aber ein „Tolerieren“ des Sa-kramentenempfangs, wenn „sich jemand nach entsprechender Beratung ... durch das an der Wahrheit orientierte Gewissen berechtigt sieht, zur heiligen Kommunion hinzuzutreten“. Dabei ist mit „Tolerierung“ hier nicht jene gemeint, die etwas hinnimmt, um einen Skandal oder ein größeres Übel zu vermeiden, sondern eine „amtliche Tolerierung“ bloß auf Grund des Gewissensurteils der Betreffenden, obwohl zugleich daran festgehalten werden soll, daß dieses unrichtig ist. Das ist widersprüchlich und läuft der Sache nach auf eine amtliche Zulassung oder Billigung hinaus. Insofern ist es verständlich, daß das römische Dokument vom 14. September 1994 diese Lösung zurückgewiesen hat.

Hinter dieser Unterscheidung steht die Berufung auf das pgrsönli- che Gewissen der Betroffenen. Doch es kann der Kirche - wie auch keiner sonstigen Gemeinschaft - bei aller Anerkennung der Würde des Gewissens und der Freiheit der einzelnen nicht zugemutet werden, von vornherein jedes Gewissenswriei/ in ihrer Mitte anzuerkennen und die entsprechende Praxis zuzulassen. Denn das Gewissensurteil ist vom Gewissen selbst zu unterscheiden und kann mit oder ohne Schuld irrig sein. Sonst brauchte es keinen „Gewissensspiegel“, der ja nicht nur eine Anregung für die persönliche Gewissensbildung sein soll, sondern ein Maßstab, auf den sich die Kirche geeinigt hat und der vom einzelnen auf Dauer nicht einfach übergangen werden kann, wenn er dieser Kirche angehören will.

Andernfalls wäre ein gemeinsames Leben und Wirken in einer Glaubensgemeinschaft nicht möglich. Nicht umsonst sagen manche Brautleute beim Brautgespräch auf die Frage, warum sie kirchlich hei raten wollen: „Weil die Ehe in der Kirche noch etwas gilt.“ Und keine wirkliche Gemeinde kann es hinnehmen, daß nach dem Zerbrechen einer Ehe und Wiederverheiratung eines Partners dieser einfach unter Berufung auf sein Gewissen zur Kommunion geht; womöglich in derselben Meßfeier wie der/die verlassene Partner(in); die Betreffenden in eine andere Gemeinde zu schicken, ist keine ehrliche Lösung.

Das heißt aber gerade nicht, daß die Amtsträger in der Kirche dem einzelnen einfach vorschreiben können, wie sein Gewissensurteil zu lauten hat. Das wäre nicht Gewissensbildung, sondern Gewissenszwang. Es würde gegen die Würde des Gewissens verstoßen und jedes von der (bisherigen) Norm abweichende Gewissensurteil von vornherein als irrig erklären. Damit würden alle Nicht- Amtsträger in Unmündigkeit gehalten werden (strenggenommen wäre dann in der katholischen Kirche nur der Papst mündig, weil ihm auch die Bischöfe in ihren Gewissensurteilen einfach zu folgen hätten).

Auch für Amtsträger in der Kirche gilt, daß ihr Gewissensurteil prinzipiell irrig sein kann. Es war auch schon öfters der Fall. Wenn sie damit nicht rechnen und nicht ernsthaft auf die Gewissensgründe anderer eingehen, haben sie die Hauptverantwortung dafür zu tragen, daß viele in einen Gewissenskonflikt geraten und sich zumindest teilweise nicht an die amtlichen Maßstäbe halten. Sie untergraben damit letztlich ihre eigene Autorität.

AUSWEG AUS DEM DILEMMA

Diese Forderungen nach der nötigen Einheit in wesentlichen Fragen einerseits und der Rücksichtnahme auf das Gewissen der einzelnen andererseits führen nun in ein scheinbares Dilemma, aus dem es nur einen Ausweg gibt: In einem gemeinsamen Ringen aller Beteiligten, in dem die Amtsträger als solche in erster Linie auf die nötige Einmütigkeit in und zwischen den Gemeinden zu achten, aber natürlich auch ihre eigene Überzeugung einzubringen haben, müssen die gemeinsamen Gewissensmaßstäbe verbessert und verfeinert und somit neu gefunden werden.

Daß diese einzig mögliche Lösung nicht einmal in Erwägung gezogen, sondern nur die bisherige Norm ein- geschärft wird, darin besteht der Mangel des römischen Dokuments. Denn eine solche Verbesserung scheint gerade in der brennenden Frage der Geschiedenenpastoral nötig und möglich zu sein. Zumal die von Rom empfohlenen Ersatzlö sungen nicht nur unzureichend, sondern in sich inkonsequent sind: Wenn es da etwa heißt, daß diese Gläubigen „nicht von der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen sind“, „am kirchlichen Leben“ und „am eucharistischen Opfer Christi“ teilnehmen oder die „geistliche Kommunion“ empfangen sollen (Dokument, Nr. 6), dann ist das - vorsichtig formuliert - nicht ganz ehrlich. Denn die Betreffenden dürfen ja deshalb nicht die Sakramente empfangen (auch nicht das der Wiederversöhnung), weil sie nach der Auffassung der Kirche zumindest objektiv in ■ schwerer Sünde leben (Kirchenrecht can. 915: „hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren“). Wie sollen sie dann die „geistliche Kommunion“ empfangen können? Ihre Situation ist doch nach amtlicher Auffassung nicht gleichzusetzen mit der von Personen, die aus äußeren Gründen (zum Beispiel wegen Krankheit) nicht kommunizieren können.

Ebenso inkonsequent ist es, den wiederverheirateten Geschiedenen den Sakramentenempfang zu gestatten, wenn sie wie Bruder und Schwester Zusammenleben. Denn dann wird die Ehe auf die sexuelle Vereinigung fixiert, die zwar ihr wichtigster leiblicher Ausdruck, aber nicht ihr tiefstes Wesen ist. Dieses besteht in der „Gemeinschaft des ganzen Lebens“ (vergleiche can. 1055, Paragraph 1). Daher wäre damit das Entscheidende an der Ehe den Betreffenden doch erlaubt und müßte unter der gleichen Bedingung dann theoretisch auch neben einer bestehenden Ehe mit einem anderen Partner möglich sein.

So scheint es mir, daß man tiefer ansetzen muß. Das römische Dokument gibt selbst einen wichtigen Anknüpfungspunkt: „ ... hält die Kirche daran fest, daß sie eine neue Verbindung nicht als gültig anerkennen kann, falls die vorausgehende Ehe gültig war“ (Nr. 4). Gerade aus der Erfahrung vieler Brautgespräche (ich führe sie mit jedem Paar einzeln und als ausführliches Glaubensgespräch) bin ich fast davon überzeugt, daß die meisten kirchlich geschlossenen Ehen in Wirklichkeit zumindest im Zeitpunkt der Trauung ungültig sind, ohne daß dies jemals in einem Nichtigkeitsprozeß nachgewiesen werden kann.

Es fehlt in vielen Fällen schon die menschliche Reife. Die jungen Menschen können die Tragweite der Entscheidung und ihre Fähigkeit zu wirklicher Treue nicht abschätzen. Laut der Ansicht einiger Psychologen haben bis zu 80 Prozent der Menschen nicht jene Reife, die für eine Entscheidung zu einer Ehe auf Lebenszeit nötig wäre. Wenn man nun bedenkt, daß für eine Ehe die Gültigkeit von beiden Seiten her erforderlich ist, kann man theoretisch von den verbleibenden 20 Prozent noch einmal bis zu 80 Prozent abziehen (wenn man davon absieht, daß reife Menschen ein Gespür für die nötige Reife des Partners haben), kommt also auf einen sehr geringen Teil, wo von den natürlichen Grundlagen her mit einer gültigen (Erst-) Ehe zu rechnen ist (bei der Zweitehe wird dieser Anteil schon größer sein).

Dazu kommt aber noch, daß vielen die glaubensmäßigen Voraussetzungen fehlen. Gerade wir als Christen sollten doch dazu stehen, daß eine Ehe aus Liebe (also nicht bloß aus Eigenmächtigkeit oder aus einer Verschränkung egoistischer Interessen) vorbehaltlos und für immer eigentlich den Glauben voraussetzt. Denn sie bedeutet ein Sterben-Können, ein Sich-los-Lassen, das vernünftig nur zu verantworten ist von der Hoffnung her, daß wir dabei getragen sind von der Liebe eines Höheren, der uns nach seinem Abbild für die Liebe geschaffen hat.

Auch diesbezüglich lehrt mich die Erfahrung vieler Gespräche, daß diese Voraussetzungen in den meisten Fällen zwar vielleicht wie ein Blitzlicht aufleuchten, aber deshalb noch lang nicht gegeben sind. Hier rächt sich wieder, daß die Kirche sich mit der Kindertaufe ohne ein nachgeholtes Katechumenat, in dem eine mündige Glaubensentscheidung reifen könnte, begnügt. Es ist eine Illusion, anzunehmen, daß ealle Getauften Gläubige sind. Auf eine Illusion soll man aber keine Gesetze aufbauen.

KONKRETE LÖSUNGEN

In den meisten dieser Fälle wird es nicht möglich sein, die Ungültigkeit nachzuweisen. Wenn das nicht geklärt werden kann, kann eine Zweitehe der Betreffenden nicht dieselbe sakramentale Zeichenhaf- tigkeit haben wie die erste. Dennoch halte ich es mit der Barmherzigkeit Gottes für unvereinbar, nur um der Zeichenhaftigkeit willen diesen Personen keine Zweitehe zu gestatten, sie also ein Leben lang für eine unreife Entscheidung (in den meisten Fällen vermutlich ohne moralische Schuld) büßen zu lassen.

Ich sehe hier zwei Wege: Entweder die Kirche ist bei der Annullierung von Ehen so „großzügig“, wie sie es bei der Zulassung ist (wo sie eher nachlässig handelt), verläßt sich also nach einem klärenden Gespräch bezüglich der Beurteilung der Fakten (nicht der Maßstäbe) auf die Ehrlichkeit der Betreffenden (zumal in diesen Belangen schwer etwas bewiesen werden kann). Dann wäre meistens eine sakramentale Zweitehe möglich. Diese Lösung wird allerdings im römischen Dokument - nur unter Berufung auf Normen, die hier jedoch änderbar sind - zurückgewiesen (Nr. 9). Oder die Kirche läßt in den Fällen, wo die Ungültigkeit der Erstehe nicht von außen überprüft werden kann, eine nichtsakramentale Zweitehe zu: als qine „Naturehe“ wie die mit kirchlicher Dispens geschlossene — und mit päpstlicher Dispens auflösbare - Ehe zwischen einem Gläubigen und einem Ungläubigen. Diese kann zwar nicht dieselbe sakramentale Zeichenhaftigkeit besitzen, aber gesegnet werden. Übrigens hat die katholische Kirche eine solche Praxis bei den im Konzil von Florenz unierten ostkirchlichen Griechen bis zu Papst Pius IX. geduldet, sie war also damals auch katholisch möglich.

Aber selbst dort, wo von beiden Seiten mit gültiger christlicher Erstehe gerechnet werden kann, sehe ich die Möglichkeit, daß auch bei einer ehrlichen Reue über das Zerbrechen dieser Ehe und Aufarbeitung der Ursachen ihres Scheiterns ein Wiederaufnehmen der Erstehe moralisch nicht möglich ist (so wie es physisch nicht möglich ist, einen Ermordeten wieder lebendig zu machen, weshalb die Kirche diese Gutmachung auch nicht verlangt) oder neue Schuld gegenüber Partnern oder Kindern aus der Zweitehe bedeuten würde. Hier kann es sogar zu Pflichtenkollisionen kommen, die eben in einer begrenzten Welt nicht vermeidbar sind. In solchen Fällen ist es doch auch mit dem Festhalten an dem Anspruch der Unauflöslichkeit vereinbar, nach entsprechender Reue und Versöhnung mit der Kirche und durch sie mit Gott (und womöglich auch mit dem ersten Partner) - die ja das Geschehene nicht gutheißt, sondern als Schuld anerkennt — den Betreffenden die Zweitehe als eine nicht-sakramentale „Naturehe“ zu gestatten, sie also amtlich zu den Sakramenten zuzulassen.

So meine und hoffe ich wie viele andere, daß in der Kirche ein gemeinsamer liebevoller Umgang mit Menschen möglich ist, deren Ehe - mit oder ohne Schuld - gescheitert ist. Vielleicht sind diese Überlegungen eine Hilfe für eine weitere fruchtbare Auseinandersetzung in dieser Frage, die zur Einmütigkeit führt. •

Der Autor ist

Universitätsdozent und Pfarrer in Wien.

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