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Die „christliche Familie“ -bitte - was ist das wirklich?

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Reklame, die etwas auf sich hält, bringt die strahlende Familie ins Büd. Familie am Frühstückstisch - nach ihrer Munterkeit zu schließen, müssen diese Leute schon vor drei Stunden aufgestanden sein. Familie am Kamin beim Feierabend - offensichtlich hat es nie schlechte Schulnoten und die Plagerei der Hausarbeit gegeben. Katholische Druckerzeugnisse sind nicht minder eifrig: Famüie beim Wandern, beim Kirchgang, bei der Festtafel der Erstkommunion - schön ist's!

Mit diesen vorlauten Bemerkungen soll zunächst gar nichts vom Glück der Familie weggenommen werden. Aber ein wenig soll der Lack angekratzt werden , der glanzvoll verstrichen wird, wenn man theoretisch von der christlichen Familie spricht.

Jede ist anders. Jede hat ihr Kreuz. Jede ist gefährdet. Nicht unbedingt gleich von Scheidung, aber oft ist es wie eine Schlinge um den Hals, weü Hoffnungen nicht aufgegangen sind. Die Verdrießlichkeit, die heimlichen und offenen Ersatzwünsche sind nicht mehr zu überhören. Deshalb meine ich, daß es die auf dem Reißbrett gezeichnete christliche Familie kaum gibt. Aber wenn auch das sichtbare Büd vielfarbig ausfällt - gibt es nicht doch etwas Absolutes?

Das, was es gibt, ist das Geheimnis des Ehesakramentes und aus diesem Geheimnis leben eben die Leute, die sich Familie nennen. Aus diesem Sakrament leben viel mehr Menschen, als sie kirchlich statistisch erfaßt werden und es selber wissen. Denn durch Jahrhunderte hat dieses Sakrament Atmosphäre geschaffen, Bahnen ausgeschliffen, Richtpunkte gesetzt und wahrscheinlich sind manche Auseinandersetzungen der heutigen Tage, die mit großer Erbitterung geführt werden, tatsächlich mit eben dieser Erbitterung zu führen, weil an Wurzeln gerührt wird.

Ich meine deshalb, daß die Bemühungen um das „Jahr der Famüie“ und um Sie Ehevorbereitung und -beglei-tung etwas von der Leidenschaft der Wassergräber in der Wüste haben müßten, die wissen, daß es im Boden eine Quelle gibt, die es freizulegen gut, sonst müßten sie verdursten. Wenn wir das nicht tun, werden wir Bäume

pflanzen, die ohne dieses Wasser verdorren müssen.

Oder im Klartext gesagt: Die letzten Jahre haben uns einen hohen Gewinn an Kenntnissen und Anwendung der großen psychologischen Lebensgesetze gebracht. Das ist gut. Aber sind nicht ein wenig die theologischen Wahrheiten - oder sagen wir es weniger papieren - die Wirklichkeit des Lebens mit dem lebendigen Gott zurückgeblieben, so daß der Eindruck nicht ganz von ungefähr ist, von uns Kirchenleuten seien vor allem recht betuliche Lebensregeln und Anstandshil-fen zu hören?

Deshalb gut zuvörderst die dringende Anfrage an die Theologen, an die Priester, die bestellt sind, mit dem Geheimnis Gottes umzugehen, ob sie nicht noch mehr und tiefer und bewegender von diesem sakramentalen Geheimnis lehren und reden könnten. Es müssen die Gemeinden befragt werden, ob sie als Zellen des Glaubens

nicht noch tiefer und umsichtiger die Ehen vorbereiten, die Trauungen feiern, die familienbezogenen Sakramente, zumal der Taufe und der Erstkommunion einfach frömmer begehen könnten. Die berechtigte Klage, daß es so vielen Brautpaaren nur um die Orgelfeierlichkeit und die Rührung am Altar ginge, ist auch eine Anfrage an die Atmosphäre der betreffenden Gemeinde.

Oder nochmals anders gesagt: Das hochgemute „Jahr der Famüie“ in Österreich wird ein von vielen eifrigen Gremien und Zentralstellen bloß absolviertes Unternehmen werden, wenn es sich zu ausschließlich in den einzelnen Punkten festsetzt: etwa im Kampf um bessere Gesetze und um ausgiebigere materielle Förderung, in der Verstärkung der Eheberatung oder in Bemühungen zur Versöhnung in der Ehekrise. Es wird dann wenig Furchen in der Geschichte der Kirche in Österreich hinterlassen. Es müssen ebenso deutlich unsere urtümlichsten Werte beim Namen genannt werden.

Ich weiß, daß ich mit diesen Zeilen eifrige und bis zur Selbstaufgabe arbeitende Leute kränken könnte. Aber ich schreibe das als Bischof in dieser österreichischen Kirche, der sich hier selbst schuldig fühlt. Ich schreibe das als einer, der sagen muß, du hast dich als Kaplan, als Pfarrer wahrscheinlich auch zuwenig bemüht und dich oft mit ein paar guten Ratschlägen aus der Affäre gezogen, und heute bist du Bischof, damit das Hören auf Gott und das Reden von Gott und das Leben mit Gott in diesem Land nicht verkümmere. Am Beispiel der christlichen Familie ist zu fragen, wieviel innere Kraft unsere Kirche hat, um glaubwürdig und verständlich von Gott reden zu können.

Es ist zu reden von dem unauslotba-ren Geheimnis, daß sich Menschen lieben können. Verzehrend, mit Hingabe, mit Treue, das ganze bisherige Leben umwerfend. Dabei ist daran zu denken, daß Gott die Liebe ist, die Ur-liebe, die prinzipielle Liebe und daß jene Menschen, die sich in Reife, Absolutheit, Leidensbereitschaft aneinan-derbinden, in eine solche Nähe Gottes rücken, daß sie seiner Gnade teühaft werden. Deshalb ist sakramentale Ehe nicht bloß eine Chance, daß im Raum der Famüie der Glaube verkündet und gelebt wird, sondern sie ist grundsätzlich eine Wohnung der Gnade.

Wie soll man das verlegenen Brautleuten klar machen, die vielleicht in der Pflichtschule das letzte Mal einen Priester gesehen haben? Und dennoch muß es gesagt werden. Damit wird die Ehevorbereitung und die Ehebetreuung der Kirche hingerückt zur unausweichlichen Frage: Wie kann man heute von Gott reden? Mit Recht wehrt sich in uns so viel, wie ein Erwek-kungsprediger das Wort „Gott“ leicht und als abgegriffene Münze zu gebrauchen. Und dennoch dürfen wir nicht wegschauen.

Ebenso ist zu reden vom Epheser-brief, der die Bindung der Ehe mit der Liebe Christi zu seiner Kirche vergleicht. Deshalb ist zu bedenken, wie Ehen in dieser Nähe Christi seine Kirche wirklicher machen, möglich machen, sichtbar machen, sie begründen.

Nähe Christi heißt auch immer Nähe des Kreuzes. Man wird es nicht statistisch nachweisen können, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß mit einer allgemeinen Kreuzbeseitigung -darunter verstehe ich auch die Probleme der Unauflöslichkeit der Ehe, der vorehelichen Beziehungen, die Probleme der Geburtenregelung - nun jedenfalls, daß auf die beruhigende Feststellung, „man kann doch nicht so sein“, nicht unbedingt eine beruhigende Vermehrung des Glückes gefolgt ist.

Daraus folgt, daß noch mehr nachgedacht werden muß über den Zusammenhang von Ehe und Berufung zur Ehelosigkeit. Wir werden von den Profanwissenschaften belehrt, daß es zum Gedeihen der Ehen tatsächlich eine Anzahl von ehelosen Leuten geben muß.

Müßte nicht mehr nachgedacht werden, daß gerade um des Gedeihens der Ehe wülen die Priester- und Ordensberufung mit aller Kraft gewollt und gefördert werden muß? Sind nicht Priester und Ordensleute unersetzliche Sicherstellungen, daß in einem Land das Geheimnis Gottes gewahrt wird? Das Zusammenspiel aller Berufungen - ob zur Ehe, zum Alleinsein, zum geistlichen Beruf - ist unentbehrlich, damit Kirche wird.

Und damit schließt sich der Kreis: Ohne das anwesende Geheimnis Gottes, vor dem Mose seine Schuhe auszieht und sich aufs Antlitz wirft; ohne das Geheimnis des anwesenden Gottes, der wie ein barmherziger Vater den verlorenen Sohn in die Arme nimmt; ohne das anwesende Geheimnis Gottes, der alle menschliche Verantwortung über Zukunft, Gesellschaft, Humanität in seinem Gericht bergehoch überragt - also ohne Anbetung, Barmherzigkeit und Verantwortung werden unsere Ehen nicht leben können. Und dort ist vielleicht das angesiedelt, was wir christliche Ehe nennen.

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