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Der Arzt und der Priester

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Die neueste Nummer der bereits bekannten Blauen Hefte der Innsbrucker psychiatrischen Klinik, die über den Stand moderner Psychotherapie auf dem laufenden halten wollen, behandelt das Thema „Katholische Beichte und Psychotherapie“. Der über Innsbruck hinaus geachtete Moraltheologe P. Josef Miller S. J. hat in dem schmalen Heftchen einen klaren Überblick über das Wesen der sakramentalen Beichte gegeben, ihre grundsätzliche Unterscheidung von der Therapie des Arztes und ihre begrenzt psychotherapeutischen Möglichkeiten. Die Arbeit ist eine ausgezeichnete Kurzbelehrung über eines der gebräuchlichsten, dennoch sehr mißverstandenen Sakramente und schlägt in dem Zusammenhang; der hier gebracht wird, wieder einmal das bekannte Thema an: Gibt es ein Zueinander, Miteinander von Seelsorge und Seelenheilkunde oder besteht gar ein Gegeneinander?

Man kann wohl sagen, daß die zeitlich von uns schon einigermaßen entfernten Anfänge der Psychotherapie einem Zusammenarbeiten von Seelsorger und Seelenarzt nicht sehr'günstig waren, weil die Medizin damals ihre positivistischen Scheuklappen noch nicht abgelegt hatte. Von einem schulmäßig gebildeten Nervenarzt war nicht zu erwarten, daß er die Substanzialität der Seele bejahte. So konnte er ihr schwerlich eine mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht erreichbare Eigengesetzlichkeit zuerkennen. Für das Religiöse wird er so yiel oder wenig Verständnis aufgebracht haben, wie er selbst in seiner Erziehung „mitbekommen“ hat. Es war möglich, daß er auf diesem Gebiet infolge sicheren Taktes und eigener Achtung vor der Religion das Richtige getan hat, wie die Lage es erfordern mochte, aber im großen ganzen war für eine entsprechende Würdigung des Religiösen nichts zu hoffen.

Inzwischen ist gerade die Psychotherapie weit vorgetrieben worden. Das „Leib-Seele“- Problem steht als Fachgebiet für sich da, in dem die Grenzfragen. besondere Bedeutung gewonnen haben. Man tastet von der Medizin her kommend, den Raum ab, den der Psychotherapeut beschreiten oder umschrei- ten soll. Philosophie, Metaphysik und Theologie sind ernsthafte Anliegen des Psychotherapeuten von heute geworden.

Auch die klassische Psychiatrie verändert ihre Schau. Hat sie bisher gleichsam nur vom Buche auf das festgelegte, starre Untersudiungsschema gesehen, so erhebt sie jetzt den Blick und sieht sich im „Raum" der Seele um. Der ungemein eindrucksvolle Vortrag des Leiters der Wiener psychiatrisch-neurologischen Universitätsklinik, Professor Dr. Otto Kauders, im Verein für Neurologie und Psychiatrie am 26. Jänner 1948, der von den sogenannten daseinsanalytischen Arbeiten des Psychiaters Bins- wanger (Kreuzlingen, Schweiz) ausging und dann über eigene Forschungen vom Wesen bestimmter Psychosen berichtete, beweist, wie einfühlsam und hilfsbereit der Arzt für seelische Krankheiten dem Patienten auf seine Lebensbühne folgt. Hier geht es nicht um Klassifizierung, um Einordnung in die Kartei, sondern hier ruft die Sorge um eine kranke Seele alle Kräfte des Arztes auf den Plan.

Wir glauben, daß, der Ausdruck „Ärztliche Seelsorge", den Viktor E. Frankl als Titel für sein Buch über Logotherapie gewählt hat, außerordentlich treffend ist. Denn schließlich haben alle Menschen Seelen, um die es sich lohnt, gleichviel ob sie für eine kirchliche Seelsorge in Frage kommen oder nicht. Die Einschränkung, die für die Pastoralmedizin richtig sein mag, auch auf die Psychotherapie anzuwenden und sie als „Ärztliche Seelsorgehilfe“ (Dr. Niedermayer) zu bezeichnen, beleuchtet vielleicht diese Arbeit, die so viel persönliche Haltung, Wissen, Takt, aber auch Können verlangt, nicht ganz richtig und würde gerade das eigene Fachgebiet des Psychotherapeuten zu einem Ableger der nriesterlichen Seel-

sorge herabdrücken. Der Gesundungsprozeß, den der Arzt anstrebt, fängt mit der Heilung der Natur an. Ob er damit abgeschlossen ist, weil weitere Räume noch nicht geöffnet sind, ist eine andere Frage. Jedenfalls wird im kirchlichen Bereich unter Seelsorgehilfe sehr viel verstanden, das mit der Arbeit an den Seelen, wie sie der Arzt leistet, nicht vergleichbar ist.

In einem schmalen Bereich verschränkt sich die Arbeit des Priesters und des Seelen- arztes. Das ist dort, wo seelisch Labile oder Kranke, fest gegründet in der Religion, im Gehorsam gegen den Beichtvater auch die Hilfe des Arztes in Anspruch nehmen. Sicher bereitet es heute keine Schwierigkeiten, den Arzt zu finden, sei es innerhalb oder außerhalb der Kirche, der die priester- liche' Seelsorge nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sogar eifrig unterstützt. Geringer ist schon der Anteil der Leidenden, die auf Geheiß des Arztes zum Priester gehen. Wenn der Arzt selbst um Wert und Wirklichkeit der Religion weiß und möchte, daß Heil und Heilung gleichzeitig gewirkt werden sollten, so ist der Kranke im Durchschnitt weit schwerer davon zu überzeugen, freilich handelt es sich hier nur um religiös gebundene! — daß das Heil auch dann wachse, wenn die natürliche Heilung noch ausbleibt.

Groß ist ferner der Prozentsatz der Menschen, bei denen der Priester erkennt, sie sollten auch die Hilfe des Arztes in Anspruch nehmen. Sie befolgen diesen Rat aber nicht, weil ihre Krankheit gerade in einem unüberwindlichen Schuldgefühl besteht. Nun, für diese Menschen ist vom Standpunkt der Seelsorge aus gesorgt. Die aus der Natur kommenden Unzulänglichkeiten brauchen sie nidit zu,hindern, das ewige Ziel zu erreichen.

Weitaus größer ist aber die Zahl der Menschen, die religiös denken, dennoch aber zum Priester noch keinen Zugang gefunden haben. Der Gruppe dieser Menschen schließen sich dann die vielen an, die der Kirche fernstehen und, sagen wir es ruhig, doch die Kirche suchen. Die Lage nach dem zweiten Weltkrieg ist, die Heimatlosigkeit der Seelen betreffend, nicht mit der nach dem ersten zu vergleichen. So könnte heute der für „Weltanschauliches" aufgeschlossene Arzt das Wort des erfahrenen und begnadeten Seelsorgers Konrad Metzger (1936) dahin umkehren, daß die Menschen bei ihm finden, was sie beim Priester noch nicht zu finden imstande sind, weil sie es noch gar nicht suchen können, nämlich die Verbindung mit dem Allerletzten. Der Seinskategorie der Übernatur haben sich die Menschen heute stark entfremdet. Sie wollen „von unten" geholt werden. Wir erinnern an das Buch „Der unsterbliche Mensch" von Alfred Döblin (Karl Alber, Freiburg 1946). Hier wird das religiöse Gespräch voller Intensität und mit seelsorglicher Gültigkeit geführt und wir wagen die Frage nach der Seelsorgeleistung des Psychotherapeuten dahin zu erweitern, ob der Laie in unserer Zeitenwende nicht auch zur Mitsorge für die einzelne Seele gerufen wurde, wenn er nach Bildung und Begabung dafür geeignet ist.

Wir glauben, daß es heute drei Ringe wirklicher Seelsorge gibt. Der innerste und engste wird nur vom Geistlichen geleistet, wird ihm zu allen Zeiten anvertraut bleiben. Das ist — abgesehen von der Sakramenten-

spendung — die Anleitung zum geistlichen Leben, wie sie die Kirche strebsamen Menschen von jeher geboten hat. Hier führen die geistlichen Lehrer und nicht die weltlichen Psychologen. Diese einzigartige Aufgabe wird niemand dem Amtspriestertum abnehmen können. Menschen, die eine solche Führung suchen und brauchen, werden immer zum Priester finden, auch wenn sie wegen irgendeines Leidens in psychotherapeutischer Behandlung stehen. Hier würde ein ärztlicher Gegenzug zweifellos versagen, weil die Sehnsucht nach dem Übernatürlichen, der Letzterfüllung des Lebens, schon ganz ins Bewußtsein durchgebrochen ist. Das Leben ruht auf den religiösen Grundpfeilern, aus diesen wächst das Lebensgebäude, die unsichtbare Wölbung des Übernatürlichen wird selbstverständlich durchmessen.

Der zweite Ring umschließt die Menschen, die in den Tiefen der Seele gottbezogen sind und die vielleicht gerade die noch nicht oder falsch erkannte Religiosität krank macht. Wenn diesen ein gewissenhafter Arzt den Grund des Leidens eröffnet, wenn e r das Gewissen weckt, warum sollte das keine Seelsorge sein? Gewiß ist die das Heil wirkende Kraft in die Heilungsbestrebung eingewirkt, aber sie ist da. Den seelisch Leidenden, denen keine religiöse Ursache ihres Zustandes zu entdecken ist, werden neue Gesichtspunkte über das menschliche Sein eröffnet, seine Geistigkeit, seine Werthaftigkeit. So wird wiederum Grund gelegt, auf dem die Übernatur überhaupt erst begriffen werden kann.

Im dritten Ring treffen sich die vielen, vielen Menschen, die gottentzogen leben und die ihres Lebens nicht froh werden. Sie sind zum Teil robuster als die übrigen und verfallen darum schwerer der Neurose. Deshalb begegnen sie dem Psychotherapeuten selten, aber gerade die Verfassung dieser Menschen sdireit nach Seelsorge. Wer soll diese Seelen aufbrechen, wer vermag diese Gewissen zu beeinflussen, wer vor allem, hat Herz und Hand für die Ver- steinten, Vereisten, seelisch Vertaubten? Die in Christus und zu Christus gereifte Persönlichkeit in der Welt wird hier Seelsorge treiben dürfen, wenn sie ihre Kraft von Gott, Christus, der Kirche bezieht. Vielleicht ist es ihr vergönnt, den Grund auszuheben, in den sich einmal, vielleicht erst im Tode, die wesentlichen Erkenntnisse senken. Es handelt sich nicht darum, die Statistik zu heben und zu den Sakramenten zu treiben. Die Gnade vermag auch anders einzuziehen. Die lebendige Liebe aus Christus kann aber zu Christus führen, freilich bestimmt Gott die Art der Begegnung. Das geistdurchglühte Leben übersteigt die Grenze der Person, und warum soll das wirklichste am Leben, die Gnade, nicht nach außen wirken und die gnadelose Seele umbranden? Nichts ist so deutlich aus seiner Wirkung abzulesen als richtig geleistete Seelsorge. Sie ist ein „mausgrauer Dienst“, der in der Stille geübt wird, aus der Tiefe eines Menschen aufsteigt, in die Tiefe des anderen einsickert. Gegen falsche Seelsorge wird sich der Mensch wehren, eine Weile kann er zwar verführt werden, und dies um so schwerwiegender, je jünger er ist, dann aber versandet der Weg oder der Scheinbau zerbricht. Wo jedoch ein Mensch durch den Menschen das Gute, Wahre, Schöne kennen und lieben lernt, wo die Sehnsucht nach der ewigen Freude aufsteigt, da ist der Dienst am Menschen geleistet worden. In seiner letzten Erfüllung, aus Tilgung der Schuld vor Gott und sakramentale Eingliederung in den „mystischen Leib Christi" ist er allerdings dem geweihten Priester Vorbehalten.

Wir besitzen religiöse psychologische Romane aus Meisterhand, die vielleicht viele zum ersten Male echter Religion gegenüber-

gestellt haben. Kann man hier nicht von Weckung, vielleicht sogar Lenkung des Gewissens sprechen? Und soll der verantwortungsbewußte Laie den Suchenden und Fragenden abweisen, wenn er antworten und helfen kann?

Der unverbildete Mensch, sofern er nicht verhetzt ist, hat eine natürliche Achtung vor dem Priestertum. Es ist nicht zu fürchten, daß die priesterliche Seelsorge durch Laien entwertet oder verdrängt werde. Im Gegenteil kann der Hunger nach dem wirklich religiösen Gespräch mit dem Priester nur wachsen, wenn das christliche Feuer gewöhnlicher Weltmenschen die Fernstehenden erwärmt und anzieht. Der so Vorbereitete wird das Geheimnis der Übernatur - gleichsam aus dem Priester herausheben wollen. Denn wer die Glaubensgeheimnisse verwaltet, der muß durch seine Person imstande sein, näher zu ihnen zu führen. So wird sich" die letzte Sehnsucht des Menschen dahin verdichten, mit dem Priester in persönliche Berührung kommen zu dürfen, so wie die blutflüssige Frau nicht eher geruht hat, bis sie das Gewand Christi zu fassen bekam. (Lk. 8, 43—48.)

Welche Arbeit aber-muß geleistet werden,

um die augenblicklich religiös so verwilderten Menschen bis vor das Heiligtum zu führen! Man braucht vor Laienseelsorge nicht allzusehr zu warnen, denn es gibt verhältnismäßig wenig Menschen mit dem religiösen Gehör für die fremde Melodie, noch weniger aber gibt es, die über diese Dinge für den anderen verständlich zu sprechen vermögen. Es ist immer schwierig, die Sache des unsichtbaren Gottes zu vertreten. So wie wir Sonderbegabungen auf den verschiedensten Gebieten finden, so gibt es zweifellos auch hier Menschen, denen die Glaubensnot leichter entgegenkommt als anderen.

Es ist wohl zu wünschen, daß ein Laie, sei es als Arzt oder als Erzieher, dem gläubigen Menschen die Erlösungsmacht des Sakraments so eindringlich vor Augen führt, daß er ihn zu dem zu führen weiß, der diese einzig vermitteln kann. Aber worin unterscheidet sich das geistliche Gespräch des Laien von dem des Priesters, wenn beide vom Gleichen beseelt sind? Der Arzt heilt die Krankheit, der Erzieher lehrt, der Dichter bringt sein Werk, die beispielhafte Persönlichkeit ihr Sein. Der Priester —und er allein— bringt die. Gnadenmittel, ohne die alles im Leeren steht.

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