6598317-1953_21_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Geist und die „Müdigkeit der Guten“

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt Stichworte, die so in Umlauf kommen: Sie werden bei allen Gelegenheiten passend oder unpassend zitiert. Zu ihnen gehört auch das Wort des Heiligen Vaters vom Ostersonntag dieses Jahres von der „Müdigkeit der Guten“. Das Wort hat eine Doppeladresse. Sie zu erkennen, heißt das Papstwort erst in seiner Tragweite begreifen. Wer macht wen müde? Woher kommt die Mutlosigkeit, die abnehmende Energie der Christen? Das alles hat doch tieferliegende Ursachen, und es ist billig, sie auf die Schultern des Laien abzuladen: „Da fehlt es eben an den Familien, da ist der Materialismus schuld“ und so fort. Diesem offenen Wort an die Laien ist eigentlich — indirekt — ein zweiter Brief des Papstes beigelegen. Er hat ihn zwar nur in Gedanken geschrieben, aber mit diesem zweiten Brief müssen wir uns befassen, wenn wir an das eigentliche Problem rühren wollen. Man erinnert sich dabei unwillkürlich an Giovanni Papinis Briefe Cölestins VI. an die verschiedenen Stände.Ließe sich das Problem vielleicht so fassen: Müdigkeit, weil zu wenig Mündigkeit? — Das ist nicht nur ein deutsches Problem, im Norden, in der Mitte oder im Süden. Auf allen internationalen Treffen haben wir weitgehend gemeinsame Nöte und Sterilitäten festgestellt. Es stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Man erinnert sich dabei an den Ritenstreit zwischen den Bettelorden und den Jesuiten im Fernen Osten vor 300 Jahren. Damals hat es den Jesuiten den Kopf gekostet. Heute haben sie recht behalten. Man erinnert sich an den Methodengegensatz (dem natürlich ein Mentalitätsgegensatz zugrunde lag) zwischen Kardinal Manning und dem jungen Newman in England. Und Newman hat recht behalten. Man erinnert sich an ähnliche Vorgänge in Frankreich und etwa an die Kämpfe um das „Hochland“ 1910, um die „Rhein-Mainische Volkszeitung“ 1925, um die Positionen der Jugendbewegung und ihre Nachfolgerschaft. Ueberspitzt formuliert: Handelt es sich beim Laienchristen um Instrumente, die eingesetzt oder angesetzt werden, oder aber um Personen, die sich entscheiden? Geht es um den berühmten „verlängerten“ Arm oder um getaufte und gefirmte Partnerschaft? Beide Thesen hatten auf dem Laienkongreß in Rom 1952 ihre Anwälte. Es ist aber ein gutes Vorzeichen, daß der Anwalt für den Partnerschaftsgedanken vor kurzem den Purpur erhielt: Der Erzbischof von Bombay. Damit ist nämlich vom gemeinsamen Vater der Christenheit ein freimütiges Ringen um die Wahrheit in Liebe ausdrücklich freigegeben worden. In diesem Geist wollen die folgenden Gedanken, die aus Sorge geschrieben sind, verstanden sein, im Sinne einer Art Anwaltschaft für müde gewordene Klienten, die nicht mehr zum soundsovielten Male, aussichtslos, wie sie behaupten, ihre Anliegen wiederholen sollen.

Müdigkeit! Es hat natürlich keinen Sinn, die Litanei der Klagen zusammenzustellen: Die verfehlte Strategie, der falsche Tonfall, nicht genützte Chancen, nicht zu reden vom unmöglichen menschlichen Verhalten. Mit Aufrechnen beiderseits kommen wir ja nicht weiter. Es ist gefragt, was jetzt zu geschehen hätte. Wir wissen deutlich genug, daß die Aktionskreise von 1945/46, aus der Hoffnung dieser Notjahre geboren, sich wieder zerbröckelt haben. Die Aktivisten sind weggeblieben, weil wir sie in unserem zu schwachen Kraftfeld nicht halten konnten. Ueber Lappalien konnten wir uns nicht einigen, während „draußen“ die' Menschen abfielen. Wir, die Uebriggebliebenen vom Stamm 1945/1946, treffen dann und wann einen der Weggefährten von damals auf der Straße, die heute in freieren Kombinationen an weit mehr Menschen herankommen. Die staunen uns fragend an: Ja seid ihr noch dabei? Wenn wir dann weiter fragen, erhält man die bündige Antwort: „Nur nie mehr im unmittelbaren kirchlichen Arbeitsverhältnis..Viele der Besten sind auf ihre berufliche und private Basis zurückgegangen, verkehren sonntags im Gottesdienst direkt mit dem Lenker aller widrigen Geschicke, bemühen sich dabei möglichst, alle ablenkenden Nebengeräusche (Predigten und so fort, wie sie uns versichern) abzuschalten. Katholische Aktion, kirchliche Organisationen? Danke, nein. Wir haben unsere Erfahrungen und das genügt uns. Einmal und nicht wieder. So sieht die Müdigkeit der Guten in concreto aus.

Es hat keinen Sinn, das alles totschweigen zu wollen, was die Spatzen von den Dächern pfeifen. Es muß aber auch noch die Handvoll mutiger Männer und Frauen mit ihren Priestern geben, die in diesem Notstand in die Bresche springen. Die zwar Namen und Position riskieren, dafür aber um so stärker mit dem wirkenden Heiligen Geist in seinen unauslöschlichen Sakramenten rechnen. Es hat natürlich keinen Sinn zu behaupten, der Teilnehmer melde sich nicht, und daraufhin nicht mehr anzurufen, wenn man die nächsthöhere Störungsstelle nicht angeläutet hat. Er müßte eine Handvoll beherzt Glaubender und L i e-b e n d e r geben, vor allem das letztere, die unerschütterlich diese Auseinandersetzung in aller Wahrheit und Liebe austragen. Das allein heißt an das Sakrament des inneren Befehls, an seine Firmung glauben.

Zunächst müßte eine neue Klärung der Mündigkeit auf der sakramentalen Basis erarbeitet werden. Die Werkhefte für katholische Laienarbeit (München 15, Lessingstraße Nr. 1, Schriftleitung) versuchen diesen Dienst schon lange. Auf Grund einer sakramentalen Schau müßten dann die gesellschaftlichen Konsequenzen erarbeitet werden. Das beginnt in der Praxis bei den kleinsten Möglichkeiten, einen Laien zu empfangen, dem Laien einen Stuhl anzubieten, wenigstens hinzuhören und nicht im Gedanken abwesend zu sein und nach fünf Minuten bereits auf die Uhr zu schauen. Das endet mit einer echten Ueber-tragung einer wirklichen Verantwortung. Dabei sollten Titel und Beziehungen kaum eine Rolle spielen: „Ja, wenn ich gewußt hätte, daß es der Dr. N. N. ist, hätte ich wenigstens hingehört.“ Müdigkeit der Guten??...

Man kann in jeder Dogmatik nachlesen, welche Herrlichkeiten des christlichen Menschenbildes in jeder Taufe durch die Wiedergeburt aus dem Heiligen Geist Wirklichkeit werden. Nur ist das bis in die gesellschaftliche Zone noch nicht durchgedrungen. Es müßte dort umgemünzt werden, wenn man es glauben soll. Man kann in jeder Trauansprache hören, daß die Ehe ein großes Geheimnis in Christus sei, aber nur nicht bei der Stellenbesetzung eines jung verheirateten Arztes in einer Klinik,.da ist dann nicht die Ehe das Geheimnis, sondern die Arbeitsvermittlung. Womöglich hat er Pech und hat noch Kinder! „Dafür repräsentieren Zöli-batäre die: wirtschaftlichen Interessen von 200.000 Familien.“ (So. kann man dann hören!) Sicher, es gibt auch personale Pannen auf der Laienseite. Es gibt auch das Problem: Ein Priester sucht den Laien. Peinlich, wenn die Aktivität noch dazu pathologischer Natur ist und der Takt verbietet, darüber nähere Aufklärung zu geben, wieso • die Mitarbeit unmöglich war. Die angeführten Beispiele, die beliebig zu vermehren wären und die nicht immer persönliche Schuld des einzelnen sind, die mehr auf eine kollektive Erziehung umzubuchen wären, sollten nur sensible Punkte aufzeigen, wo besonders schmerzlich der Ausfall empfunden wird. Gar nicht zu reden vom menschlichen Kontakt In der Münchener Kirchenzeitung stand letzthin ein aufsehenerregender Artikel, ein SOS-Ruf, der schlagartig die schlummernde Krise unter der Decke bloßlegte: „Bitte, Herr Stadtpfarrer, besuchen Sic uns bald — aber nicht erst zur Aussegnung im Sterbezimmer.“

Natürlich gibt es auch die Müdigkeit der Guten auf der anderen Seite. Verantwortlich Besorgte, deren Tagewerk 20 Stunden hat. Die mitunter in einer Konferenz einschlafen, weil sie todmüde sind. Sie können nicht mehr. Natürlich gibt es auch die Arbeiter im Steinbruch Gottes, die von ihrem Bischof in die Wüste geschickt werden, dort auszuharren, bis sie zusammenbrechen. Es gibt Diaspöra-priester, die 20 Jahre keinen Urlaub hatten. Es gibt Seelsorger, die nie den Laienredner finden, nur das gehässige Kollektiv. Es heißt wohl: Frohlocket, wenn sie euch alles fälschlich nachsagen. Aber man wird doch müde, wenn genau das Gegenteil von dem, was man zehn und zwanzig Jahre getan, ebenso lange umgelogen wird. Es gäbe einen falschen Tonfall im ganzen, wollte man die Verantwortlichkeiten einseitig verteilen.

Aber wie sollte es nun beiderseits wieder „angehen“? Müdigkeit ist ein Zustand, Mündigkeit eine Entscheidung. Sie muß Schritt üm Schritt vollzogen werden. Vielleicht ginge es mit einer ersten Mutprobe, die Wahrheit zu sagen, herzlich, aber herzhaft, auch wenn die offiziöse Linie anders festgelegt erscheint. Mit Takt, mit Diskretion, mit Sachkenntnis, mit liebender Sorge, klar. Man müßte mutig Zuständigkeiten klären, wer zum Beispiel Familien zu repräsentieren hat oder nicht. Man sollte sich nicht entmutigen lassen, echte Berichte vom Vorfeld der Kirche, das wenig begangen wird, auf den offenen Kartentisch zu legen. Man sollte freimütig sich darüber äußern, was voran hilft oder was nur hemmen kann. Man sollte den Gehorsam nicht unnötig dort verlagern und verlangen, wo andere Auffassungen durchaus vom Vorfeld her verantwortet werden können. Man sollte endlich ständig ein Team unbequemer, aber zuverlässig Getreuer als Mitarbeiter haben, statt sich Schmeichler zu züchten, die „eine biologische Funktion im Leben der Verantwortlichen“ haben. Vielleicht harren hier echte Aufklärungsarbeiten eines etwas formal gefaßten Autoritätsbegriffes. Als ob eine wirkliche Autorität im Sinne einer echten Vater- und Mutterschaft im Raum der Kirche jemals zur Debatte gestanden hätte! Es gibt glückliche Anzeichen dafür, daß sich langsam, aber doch allmählich ein neuer Umgangsstil bis zu den geistlichen Vätern nach oben durchsetzt, wie es in dem neuerschienenen Buch von Catherine de Hueck „Lieber Bischof“ herauskommt.

Müdigkeit der Guten, Mündigkeit der Laien ... Wie hieß es im 4. Sonntagsevangelium nach Ostern? „Niemand fragt mich mehr, so sehr hat Schwermut euer Herz erfüllt.“ Das ist's. Aber gerade hier sind wir vom Hirten der ganzen Herde angefordert, zu reden, zu rufen, auszupacken. .. Auf deutsch übersetzt: Da, wo im Gedächtnis der Lebenden im Schott ein N. steht, sollten wir nicht mehr darüber weglesen (hilft doch nichts!), sondern die Verantwortlichen mit Namen einsetzen. „Niemand fragt mich mehr“, heißt also: „Warum redet ihr mit mir nicht über eure verantwortlichen Seelsorger, die euch, wie ihr sagt, nie sehen, überhaupt nicht kennen, euch nie besuchen (immer nur Bestimmte!), nie nach euch fragen? Warum packt ihr bei mir nicht aus über diese Umständlichkeiten und Zuständigkeiten bei den amtlichen Stellen, wo nichts geschieht, was nicht von alle/höchster Stelle ausdrücklich gewünscht und befohlen sein muß.“ Sonst läuft es sich schon in der nächsten Instanz zu Tode, wo ungezählte Instanzen wie in einem Bienenkorb zusammenschwirren, aber keine im Ernstfall zuständig ist, wenn etwas verantwortet werden muß. Der Herr will offenbar in dies er scheinbaren Abwesenheit Seines Geistes darnach gefragt werden, weil Er dann einen Anknüpfungspunkt hätte, den Heiligen Geist der Erweckung Seiner Kirche zu schicken, einen Anlaß, die Tennen Seiner Orden wieder zu reinigen und einen neuen Anwurf der Motoren wieder zu bewerkstelligen. Wir haben ja alle den verzweifelten Eindruck, daß wir mit dem falschen Schlüsselbund an den T<~>rcn einer zugesiegelten Welt herumtippen, daß alle unsere Methoden ein Leerlauf werden, daß wir urts von dieser Reizwelt das Gesetz des Handelns aufnötigen lassen. Wenn schon jetzt privat und öffentlich Gott um den Geist der Erneuerung beschworen wird, dann sollten sich wenigstens in diesen Wochen eine Handvoll Männer, Priester und Ftat en darüber verständigen, welche Erneuerung im Geiste sie meinen. Dann sollte wenigstens im Gebet die Wahrheit bekannt werden, daß uns nichts so nottut, wie es ja auch der Heilige Vater immer wieder betont, als eine Reform Seiner Kirche aus dem Geiste der Wahrheit und der Liebe.ä $••••• ,

Die Müdigkeit der Guten? Das ist eine Frage des Heiligen Geistes an die gesamte Kirche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung