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Es ist kein Zweifel: Wir sind uns in den letzten Jahrzehnten um vieles nähergekommen. Wo sind die Zeiten, da sich Katholiken und Protestanten gegenseitig bekämpften, verachteten oder gar beschimpften? Wir wollen es leidenschaftlich für alle Zukunft festhalten: Es darf kein Gegeneinander, es d.'.rf nur mehr ein Neben-, Mit- und Füreinander geben!

Zwei Erlebnisse aus der jüngsten Zeit: Da bauen sich zwei katholische und zwei evangelische Theologen der Bekenntniskirche in der Gefangenschaft ihr gemeinsames „Pfarrhaus“. Es war eine mit Pappe überdeckte Erdhöhle, wie sie halt üblich waren. Aber darin hausen, arbeiten, beten sie und es gibt eine schöne, harmonische Gemeinschaft, an die sie zeitlebens denken werden.

Wir haben dabei den evangelischen Geistlichen schätzen und achten gelernt. Er muß viel können und viel geben. Dis meiste steht und fällt mit der Kenntnis der Bibel und ihrer Auslegung Dabei macht-es sich der bekenntnistreue Protestant nicht leicht und der Außenstehende hat häufig eine irrige Auffassung von der sogenannten „evangelischen Freiheit“. Oft und oft hat mir der evangelische Lagerpfarrer erklärt, daß protestantisches Christentum strengste Bindung an Christus und sein Wort bedeute. Die Predigt steht im Zentrum des Gottesdienstes. Sie haben es dmit menschlich schwerer und beneiden uns Katholiken um die reiche Liturgie, die den Priester mit seinem homiletischen Können erst in zweiter Linie als wichtig erscheinen läßt.

Die evangelische Gemeinde betet weniger, aber sie betet vielleicht schöner. Das frei geformte, aus der Stimmung des Augenblicks kommende Gebet des Predigers nimmt einen stärkeren Raum ein, muß aber in Zucht gehalten werden, sonst hat es auch seine großen Schwächen.

Der protestantische Bekenntnischrist beneidet uns um die straffe kirchliche Führung. Man hat überhaupt den Eindruck, daß das Papsttum in seinem wesentlichen Gehalt kein ernstes Hindernis, sondern eher ein Anreiz zu einer kommenden Wiedervereinigung sein wird.

Tief beklagt wird in der protestantischen Kirche die eigene Zersplitterung. Freikirchliche, Methodisten, Kalviner und erst recht die nun verflossenen „Deutschen Christen“ bieten kein erfreuliches Bild. In diesem Zusammenhang wird die zu große Staatsverbundenheit in der Vergangenheit bedauert. Dadurch mußten sie den Kampf gegen das Neuheidentum „intra muros“ führen und bekenntnisferne Männer wurden ihnen als kirchliche Vorgesetzte aufgezwungen. 4

Lange Nächte gaben uns reichliche Gelegenheit zu Aussprachen und wir fanden, daß Gegensätze und Unterschiede gar nicht so unüberbrückbar sind. Ein Beispiel: In der Rechtfertigungslehre bekennt der Protestant, daß der Glaube allein selig macht, wir Katholiken, daß Glaube und gute Werke uns vor Gott rechtfertigen. Ist es nun so, daß der evangelische Christ die guten Werke überhaupt ablehnt? Ganz und gar nicht! Sie beweisen ja den lebendigen Glauben. Denn der Glaube ohne Werke ist tot. Die Nächstenliebe gilt genau wie bei uns als das große Gebot des Herrn. Auch dort gibt es Karitas, Kinder-, Kranken-, Verirrten-lürsorge und Missionstätigkeit. Ist es andererseits vielleicht so, daß wir Katholiken unseren armseligen guten Werken die gleiche Wichtigkeit beimessen wie dem Erlösungswerk Christi, das wir durch unseren Glauben und unser Vertrauen für uns fruchtbar machen? Keineswegs! Die Helden und Heiligen unserer Kirche starben nicht in der Einbildung auf ihr Werk, sondern im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, die uns Christi Sterben erkauft hat. Der Schacher am Kreuz, der ein Mörder war und wohl nur wenig natürlich gute Werke aufzuweisen hatte, aber voll Vertrauen seinen Glauben bekannte, hört das Versprechen des Heilands: Heut' noch wirst du mit mir im Paradiese sein! Uns allen ist bewußt: Wenn wir eines Tages an die Himmelstür klopfen, so gibt uns den Mut dazu das von Christus vergossene Blut. Wir pochen nicht auf unsere guten Werke. Sie sind aber der selbstverständliche, freilich immer gering bleibende Ausdruck unserer kindlichen Dankbarkeit gegenüber der' Großmut und Liebe Gottes. — Das vielumstrittene „sola (fides)“, das Luther in seiner Bibelübersetzung erstmalig hat, scheint uns vor allem ein großer Protest gegen die damals überwuchernde, äußerliche Werkgerechtigkeit in der Kirche zu sein, die wohl ein großer Üb.elstand war. Heute ist das seit langem anders und es wäre verkehrt, sich über etwas theoretisch zu erhitzen, worin wir im praktischen Glaubensleben ziemlich einig sind.

Die willkürlichen, schwer zu überschreitenden Demarkationslinien haben mir nach der Entlassung aus der Gefangenschaft die Einladung eines Kameraden eingetragen, der protestantischer Pfarrer in einer sehr lebendigen Gemeinde Mitteldeutschlands ist. Ich nahm sie an, da es schon lange mein Wunsch war, einmal in aller Ruhe das Leben in einer evangelischen Kirchengemeinde zu sehen. Ich konnte viele Anregungen mitnehmen. Unter den Amtsbrüdern herrscht, ähnlich wie bei uns, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft. Man ist dem Katholiken gegenüber aufgeschlossen. Nach einem kurzen Gespräche über die Gegenwartslage der katholischen Seelsorge lädt der Dekan eines Kirchensprengels den katholischen Berichterstatter sogleich ein, bei der nächsteh Pfarrerzusammenkunft einen Vortrag darüber zu halten. Viele waren erstaunt von unseren Bibelrunden, der Abendmesse, der liturgischen und volksliturgischen Erneuerung zu hören, deren praktische Ergebnisse eine neue Hinwendung des Glaubenslebens zum Wesentlichen bedeuten.

Das religiöse Leben der gutgeleiteten evangelischen Gemeinde bietet einen auch für uns erbaulichen Anblick. Die Bibel ist der kostbare Schatz jedes Hauses, der Vater der Laienpriester, der sie verwaltet und aus ihr vorliest. Abwechslungsreich und schön sind, die Gebetssprüche vor und nach jedem Essen. Die Lebensauffassung ist streng. Freilich kann Strenge auch Enge bedeuten. Aber die zwei Gemeinden des Kirchspiels boten mit ihren Bibelsprüchen an den Häusern ein geschlossenes und erhebendes Bild. Beide Dörfer hatten ihre Vereinshäuser für Kirchenchor, Kindergarten und Jugendarbeit und die finanziellen Lasten wurden willig getragen.

Der Gottesdienst umrahmt die Predigt und besteht aus Lesungen, Sprüchen und Gebet. Was getan wird, ist überlegt, verständlich und feierlich. Ein Höhepunkt das „Vaterunser“, das stehend und langsam gesprochen wird, während die Glocken läutert.

Sechs- bis achtmal im Jahre ist Abend-mahlfeier. Die Teilnehmer melden sich tags-vorher im Pfarrhaus an. Ich konnte beobachten, wie eine Frau, die sich schon sehr auf die Teilnahme gefreut hatte, fernblieb, da sie des Abends einen Streit mit ihrem Manne hatte. Die Notwendigkeit der rechten Gesinnung wird empfunden, die Feier vollzieht sich feierlich langsam.

Taufen, Eheschließungen, Beerdigung, Religionsunterricht, Hausbesuche, Krankenbetreuung, alles atmete in dieser Gemeinde christlichen Geist und ähnelte mehr als man meinen könnte, dem religiösen Leben einer guten katholischen Pfarre.

So nahm ich nach vierwöchigem Aufenthalt verstärkt das mit, was uns allen ja schon errungener Besitz ist:

Wir wollen die veralteten Vorurteile abbauen und keine wegwerfenden Bemerkungen über den Menschen der anderen Seite dulden. Das muß ins Volk getragen werden! Weder in „erzkatholischen“ Gegenden, noch in tief protestantischen Ländern darf der „andere“ als einer hingestellt werden, der etwa noch schlimmer als ein Heide ist. Brüder in Christus — das sind wir — können voneinander lernen, sie solfen wetteifern in der Liebe zu Christus und allen Mitmenschen. Wie schön ist der Brauch der Traubibel, den Hochzeitsleuten die Heilige Schrift mit einer Widmung des Pfarrers zum Geschenk machen!

Um so dankbarer kann man dann das feststellen, was bei uns besser und schöner ist.

Der Wunsch nach gemeinsamen Vorgehen darf heute als Gemeingut gelten, es fehlt aber oft noch an der praktischen Verwirklichung. Unsere Ziele im öffentlichen Leben, in der Jugenderziehung, im Schulwesen sind weithin die gleichen. Katholiken und Evangelische wurden wegen des bedingungslosen Bekenntnisses zu Christus verfolgt. Aus der Liebe zu dem einen, unteilbaren Christus muß es möglich sein, die Kräfte im Gemeinsamen zusammenzufassen.

Die Voraussetzungen dazu haben sich um ein Vielfaches gebessert, hüben wie drüben. Eine große Sehnsucht, vor allem bei der jüngeren Generation, ist da und ein starker, guter Wille. Aber reif ist die Zeit noch nicht. *

Die Schwierigkeiten dürfen nicht verkannt werden. Die Marienverehrung mit ihrer zarten Innigkeit und mütterlichen Wärme wird von manchem Protestanten ersehnt. In der Sakramentenlehre, der Tradition als Quelle der Offenbarung, den Sakramental ien und im Heiligenkult sind noch so viele- Gegensätze, daß der unterrichtete Katholik vorsichtig urteilen wird.

Daß großzügige Herzen in den führenden Stellungen beider Kirchen und die „Drangsal letzter Tage“ in kommenden Zeiten de Sehnsuchtstraum der besten Christen von hüben und drüben verwirklichen könnten, wer. wollte daran zweifeln?

Bis dahin wollen wir uns vertragen, ermuntern, in praktischem Christentum wetteifern. Nie erlahmen aber soll die Hoffnung und das Gebet, daß unsere Wege einmal wieder ganz zusammenführen.

Je weniger eine Gewalt ihres rechtmäßigen Ursprungs sicher ist, desto unvermeidlicher drängt es sie, allem Legitimen rings um sich herum den Garaus zu machen.

Jacob Burckhardt „Die Zeit Konstantins des Großen“

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