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VON DER TUGEND

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Ich verkehre gerne mit jungen Menschen. Von ihnen lerne ich viel mehr als von den alten. Ihre Keckheit und ihr Ernst sind Kaltwasserkuren. So pflegen wir unsere Gesundheit. Die uns obliegende Verpflichtung, der Jugend beispielhaft voranzuschreiten, zwingt uns überdies, gerade Wege zu gehen. Ich verstehe, daß zahlreiche Zeitgenossen den Kontakt mit ihr vermeiden, den ich suche. Sie reibt uns auf, weil sie sich beständig mit irgend etwas herumschlägt und nicht zu wissen scheint, worauf sie hinaus will.

Die Kindheit weiß, was sie will. Sie will über die Kindheit hinauswachsen. Ist es soweit, beginnt das Ungemach. Denn die Jugend weiß, was sie nicht will, bevor sie sich darüber im klaren isj.jirorauf s|ejibjielt,W_a5 sjeauf jeden Fal| nicht will, ist das, was unsereiner will. Sie gibt sich mit uns ah, um den Gegcn-

,,sate auszukosten.. Wenn sie zu. wollen anfängt, weiß ich's zuweilen früher als sie selbst. Meine Ohren eines Zirkuspferdes erkennen die Musik Richtig getippt!

Ich denke an die Zeit zurück, da der junge Dichter Radiguet die Waffen, die er gegen uns richtete, aus der Tasche zog. Ich wandte sie gegen mich selber. So geschieht es allemal, wenn ich junge Menschen entdecke. Ich gelte als der Gebende, und dabei sind sie es, die mich beschenken. Ich schulde ihnen alles.

Nichts ist läppischer als die Motive, die man meiner Vorliebe für die Jugend unterschiebt. Der Ausdruck ihrer Gesichter ist's, der mich anzieht. Diese Art der Schönheit flößt nur Hochachtung ein.

Ich verlange keinen Respekt als Gegenleistung. Die Jugend ist bei sich selber, wenn sie bei mir ist. Ich beobachte, daß sie dann meine Bejahrtheit übersieht, und empfinde darüber die gleiche Verwunderung, als hätten mich die Hierophanten von Memphis als einen der ihren empfangen.

Ich spreche hier von der großstädtischen Jugend, die sich kein X für ein U vormachen läßt. Sie kennt ihre Pappenheimer. Sie entdeckt rasch eine geistige Ahnenreihe von anarchistischer Tradition. Sie bekennt sich zu ihr. Sie verbeißt sich darein. Sie übt sich darin in Undank. Sie rechnet damit, eines Tages genügend stark zu sein, um sie zu meucheln und das Haus in Brand zu stecken.

Die Provinzjugend geht anders vor. Sie schickt uns Briefe. Sie schüttet ihr Herz aus. Sie ruft um Hilfe. Sie will ihr Milieu mit einem anderen vertauschen, das imstande ist, sie zu verstehen und ihr unter die Arme zu greifen. Ist sie erst einmal zu Fuß mit ihrem Charleville aufgebrochen (denn Rimbaud spukt noch immer in ihnen), dann hat sie rasch die rechte Gangart heraus.

Es wäre daher töricht, von der Jugend Dankbarkeit zu erwarten und sich damit zu brüsten, daß sie sich zu uns flüchtet. Sie liebt uns nur insoweit, als unsere Fehler sie aufklären und unsere Schwächen ihr zur Ausrede dienen, und nur insoweit, als wir verbraucht und ihr darum auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert sind. Aber gerade diese Verquickung müssen wir '.u unserem Vorteil ausnützen, wir müssen von ihr ebenso profitieren wie sie von uns profitiert. Unsere Werke gelten ihr als dummes Zeug. Sie dienen ihr nur dazu, um sich daran die Hauer zu wetzen.

Es ist lächerlich, die Jugend als einen Mythos einzuschätzen oder sie als Ganzes zu betrachten. Anderseits ist es ebenso lächerlich, sie zu scheuen, von ihr Abstand zu halten, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen, bei ihrem Auftauchen die Flinte ins Korn zu werfen. — Gewiß, sie schneidet gern auf. Gewiß, sie ist ungeniert. Gewiß, sie stiehlt uns die Zeit. Na, und wenn schon? — Natürlich wickelt sie uns mit ihien Lügen ein. Natürlich setzt sie eine Maske auf, sobald sie sich an uns heranmacht. Natürlich schwärzt sie uns hinter dem Rücken an und macht uns dafür verantwortlich, wenn sie den falschen Weg einschlägt.

Aber dieses Risiko müssen wir nun einmal eingehen, aus dem einfachen Grund, weil uns diese Jugend immer wieder Hoffnung einflößt, wenn sie uns beweist, daß sie sich dem politischen Zugriff entzieht und das Geheimnis der Flamme weitergibt.

Viele junge Leute haben mir nach langem Umgang gestanden, warum sie zu mir gekommen waren: entweder auf Grund einer Wette oder weil sie meinen Namen auf einem Plakat gelesen haben oder aber aus Widerspruch zu ihrer Familie. Ihre Einsilbigkeit bedrückte mich. Sie schien mir reich an tausend Vor-, halten. Sie kam lediglich von der Scheu, Dummheiten zu sagen.

Das hinderte mich freilich nicht daran, in die Falltür des Schweigens zu purzeln. Denn die Jugend schüchtert uns ein. weil wir in ihr ein Buch mit sieben Siegeln sehen. Daher rührt die Kraft ihres Schweigens. Wir schmücken es auf unsere Kosten aus.,; Sie braucht .nicht, lang, um dahinterzukommen und- sich dessen-h.WWdffr 'heMmAhfH: VcrserrkegeMe- ifetf System. SteibenflWliß GeJggili.cfV,KjJns zu ffiwaTffJffi5'

Man sehe sich vor.' Nach ihrem Weggang bohrt sich dieses tödliche Schweigen in uns ein, richtet wahre Verheerungen an. Sein Opfer erblickt darin eine Kritik an seinem Tun. Es wägt die Rüge ab. Es pflichtet ihr bei. Die Freude ist ihm vergällt. Es ist wie gelähmt. Mit gesperrtem Schnabel fällt es vom Ast. — Ich kenne Künstler, die, solchen Anfechtungen ausgesetzt, den Boden unter den Füßen verlieren, unfähig sich aufzuraffen und außerstande, ohne ihre Peiniger auszukommen.

Was mich an unseren jungen Ungeheuern zuweilen höchst verwundert, ist ihre Einsamkeit. Wenn sie von uns weggegangen sind, treiben sie sich ziellos in den Straßen herum. Stöhnend erklären sie, keinem Gleichaltrigen zu begegnen, der ihnen zusagt. Manche kommen vom Land herein, wo sie wohnen. Sie verschwiegen es. Sie zögern mit dem Aufbruch. Sie versäumen den Zug. Wir geleiten sie zur Tür, ohne zu ahnen, worum es geht und daß sie weder heimkehren noch sich ein Hotelzimmer leisten können. Sie benehmen sich dann so wunderlich, daß ich manchmal befürchte, sie dächten daran, sich zu ertränken. Was tun? Sie sprechen sich nicht aus. Unmöglich, sie aus dem Schlupfwinkel herauszulocken, den sie sich graben, unmöglich, sie in ihrem Absturz aufzufangen, in den uns ihr furchtbares Beharrungsvermögen mitreißen würde.

Aber sie wissen, daß ihnen nicht alle Türen verschlossen sind, daß ich ihre Ängste erwäge, ihnen zuhöre, ihnen zurede, wenn sie selber nicht reden, und ihnen Fingerzeige gebe. Kurz, solche Abendstunden sind der Leere abgewonnen, in der sie nach sich selber suchen. Der Übergang von der Kindheit zur Jugend ist die tragischste Zeitspanne. Ich habe es schon erwähnt.

Erinnern wir uns doch an die eigene Tragödie! Ich durchstand sie erst spät, und es ging dabei hart auf hart. Meine Würfel waren gefälscht. Ich war stolz auf den Feldern des Gänsespiels vorgerückt. Aber dann mußte ich von vorn anfangen und nachhinken. — Bekanntschaften, die wir hätten machen sollen und nicht machten, würden unseren Spieleinsatz gesichert haben. Vielleicht sind wir heute für die Heranwachsenden eine dieser notwendigen Bekanntschaften.

Aber auf alle Hilferufe antworten und alle Verzweiflungsbesuche empfangen, ist, Gott sei's gedankt, unmöglich. Das hieße so viel, wie einem Selbstmörderklub präsidieren. Hüten Wir uns vor den Ertrinkenden, die sich an uns klammern und uns mit sich in die Tiefe ziehen!

Antworten bedeutet einen weiteren Bittbrief auslösen, der wiederum eine Antwort erheischt und so fort. Kurzen Prozeß machen, hieße auf Gleichgültigkeit schließen. Besser ist's, nicht zu antworten, und von allen, denen wie die Tür einmal geöffnet haben, nur diejenigen wieder zu empfangen, deren Antlitz ein Zeichen trägt.

Schon dieses Wagnis ist kein geringes.

Warum kommt die studentische Jugend ihrer Aufgabe nicht nach, und worin besteht diese Aufgabe? Ich will es ihr sagen. Sie sollte das Heer der großen geistigen Himmelsstürmer sein. Wie aber könnte sie dessen innewerden? Ihr Konformismus verstellt ihr die Sicht. Ein Spaßvogelanarchismus verbirgt ihr die Aufgabe, ein Anarchismus der Spiegelfechterei, der keine Spur von Direktiven aufweist und den sie unbedenklich gegen die edelsten Bestrebungen ins Treffen führt. Ihre Unwissenheit, vereint mit dem Stolz, den sie darob empfindet (denn sie hält sich für unfehlbar), und mit dem Vergnügen am „Randal“ (so heißt's in ihrer Sprache), all das setzt sie mit sich selber in Widerspruch, ohne da sie dessen gewahr wird. Indem sie die Kühnheit auspfeift, pfeift sie sich selber aus, nimmt sie freiwillig Partei für ihre Familie, deren Beschlüsse sie in den Wind schlägt. Zudem widert die Vergangenheit sie an. Die klassischen Werke bedeuten für sie nur Nachsitzen, zerfledderte Schmöker, Hausaufgaben. Keinem fällt es ein, den Staub von den Klassikern wegzuwischen und darunter ihr verdorbenes Leben aufzuspüren. So wäre sie (unter anderem) darüber höchst erstaunt, daß Racine unter einer Hülle von Zeitgepflogenheiten eine überwältigende Lebensglut verbirgt Anstatt sich zusammenzurotten, um im Theater über Raci nes Tragödien zu feixen, würde sie sich die Schauspieler hernehmen, die das Stück verflachen und verhunzen. Aber das Gegenteil tritt ein Angesichts eines schlechten Komödianten vergessen sie zwar ihre Spottlust. Dafür beklatschen sie sein miserables Spiel.

So taub ist diese Jugend, so blind für das, was sich vorbereitet. Was bleibt ihr? Verwirrung Eine Lücke, die sie zustopft, indem sie als „Manom“ im Gänsemarsch mit Schildern durch die Straßen zieht und auf die Lampion-Melodie Schimpflieder gröhlt. So stehen wir allein da, wenn wir uns zu schlagen haben. Uns fehlen die Stoßtruppen.

Abbe Morel erzählte mir von seinem Picasso-Vortrag in der Sorbonne. Er ließ Picasso-Bilder projizieren. Die studentische Jugend im überfüllten Hörsaal johlte, trampelte, pfiff. Ohne darauf einzugehen, projizierte der Abbe Photos von Meisterwerken der romanischen Kunst. Seine Hörer hielten sie für Werke von Picasso. Sie pfiffen, trampelten, johlten. Der Abbe hatte damit gerechnet und stupste ihnen die Nase in den Sand. Und diese Jugend, die ihr eigenes Mystifikationsgeschick den Künstlern andichtet, findet diese Art, auf den Leim gegangen zu sein, höchst ergötzlich und jubelte dem Vogelsteller zu.

Nicht einer der jungen Leute wäre fähig gewesen, zur Sache zu sprechen, nicht einer hätte Picasso mit neueren Waffen geschlagen (das heißt, ihm noch lebendigeres Leben entgegenhalten) und noch rascher als Abbe Morel voraneilen können, um sich dann zurückzuwenden und ihn zu stellen, Auge in Auge.

Ich will gleich hinzufügen, daß es nicht in meiner Macht steht, zu ermessen, inwieweit die einzelnen Fakultäten uns behilflich sind. Im Vergleich zur philologischen Fakultät ist die wissenschaftliche, so vermute ich, mehr mit sachlich begrenzten Problemen beschäftigt und mehr den präzisen Untersuchungen zugetan. Ich vermute ferner, daß die Professoren der philologischen Fakultät, mit Verlaub gesagt, den Fehler begehen, angesichts einer Hörerschaft, die träge in ausgefahrenen Geleisen verharrt, auf ihren Vorsatz einer geistigen Anfeuerung zu verzichten.

Obwohl ich dessen eingedenk bin, daß die Politik gegenwärtig die erste Geige spielt, nehme ich doch die herzlich geringe oder gänzlich ausbleibende Reaktion der studentischen Jugend zur Kenntnis. — Ich verlange ja nichts Unmögliches. Ich denke hier weder an eine angestrengte Bemühung außerhalb des Lehrprogramms noch an die Nuancierung einer mehr innerlichen Politik, in der wir bewandert sind Was ich von der lernenden Jugend erwarte, ist die ursprüngliche Begeisterung für das, was sich der Routine entzieht, und die Uberzeugung, daß, wie Jacques Riviere sagte, „die Zeiten, in denen man sich nicht um die anderen schert, mit Zeiten abwechseln, in denen man sich nichts aus sich selber macht“.

Von der studierenden Jugend erwünsche ich mir nicht das Leisetreten von Parlamentären. Ich wünsche sie mir waghalsig und begeistert für das, was sie vor den Kopf stößt. Ich kenne Professoren, die jugendlicher sind als sie.

Als ich einst im College de France sprach, machte ich zuerst einen Anstandsbesuch beim Dekan. Ich stieg in sein Büro hinauf, mit zögerndem Schritt, da mich die Erinnerung an zahllose Strafpredigten überfiel. Ich fand einen charmanten und jugendlichen alten Herrn vor. „Setzen Sie keine Hoffnungen in unsere Schüler!“ sagte er. „Unsere Schüler wollen nur Strichpunkte notieren und im übrigen in Ruhe gelassen werden.“

Also warf ich sie über den Haufen. Denn das ist eine ausgezeichnete Methode Sie erinnern sich an nichts als an einen Stoß. Aber dieser Boxhieb bringt sie einen Augenblick lang aus dem Geleise.

Ich fasse zusammen. Ich gebe mich nicht der törichten Fr-wartung hin, daß eine ansehnliche Zahl von Studierenden wie durch ein Wunder wüßte, was sich nicht lehren läßt. Ich wünsche nur, sie würden ihre Antennen nicht so wie den ersten Bartflaum stutzen lassen und noch stolz darauf sein. Sie könnten viel dabei gewinnen, würden sie die hinreißenden, von der Schönheit ausgesandten Wellen auffangen. Und geschähe es auch in planloser

Unbeschwertheit. Ans , .Die Schwierigkeit im sein', Deutsch vom Friedrich Hagen (Kurt-Dcsch-Vtrlag).

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