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Wenn ich heute 17 wäre

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Freude und Zorn

Durch Ihre Fragen komme ich mir ähnlich überfordert vor wie ein Siebzehnjähriger bei einer zu schweren Schularbeit. Eingedenk der Tatsache, daß auch der Siebzehnjährige die Themenstellung nicht abändern kann, will ich doch eine Antwort versuchen.

Wenn ich heute 17 wäre, würden mir zwei Männer als Richtmaß für alle Männer gelten: John F. Kennedy und Johannes XXIII. Mir käme vor, daß durch ihr Reden und Tun die Welt reicher und heller geworden sei und das Leben zukunftsreicher. Mit dem Blickpunkt auf diese Männer würde ich mit betontem Understatement und lässig zur Schau getragenem Desinteressement im Innersten mir ausmalen, wie es wäre, wenn ich nach Abschluß meines Studiums ein paar Jahre als Entwicklungshelfer nach Afrika ginge oder nach Südamerika. Meine Wachträume von einem solchen ganzen Einsatz würden aber von gelegentlichen Wutanfällen unterbrochen werden, wenn ich immer wieder hörte, daß für Wissenschaftsförderung und Schulbauten zuwenig Geld vorhanden sei, und sähe, wie viel Geld für Erzeugung von Schmutz und Schund, für unmäßigen Alkoholkonsum und für Abmagerungspillen ausgegeben wird. Und ich würde am Verstand der Erwachsenen zweifeln, wenn ich an die Rüstungsausgaben in der Welt dächte und mir vorstellte, wie der Hunger in der Welt gestillt werden und Bildung und Wohlstand verbreitet werden könnten, wenn nur die Hälfte dieses Vermögens produktiv eingesetzt würde.

Wenn ich hinwieder an die Leistungen der Astronauten dächte und an den Fortschritt der Technik und an die vielen neuen Möglichkeiten, von denen mein Großvater noch nicht einmal träumte, würde sich meine Brust mit Freude füllen und ich würde ausrufen, wie schön ist es, heute 17 zu sein, wenn mir nicht wieder die Aufgaben von gestern einflelen und die Schularbeit morgen. Das Lernen und Studieren würde ich so rationell als möglich betreiben, soweit es geht in teamwork, um möglichst viel Zeit zu gewinnen für das Zusammensein mit Kameraden, die wie ich an das Gute glauben und bereit sind, sich ernsthaft darauf vorzubereiten, in der Welt von morgen Armut, Dummheit und Schlechtigkeit zu besiegen.

Dr. Hans Kriegl (1915), Gymnasialdirektor, früher Präsident der Katholischen Aktion

Erfahrung ist alles

Wenn ich heute ein Siebzehnjähriger wäre, so wüßte ich nicht, ob ich mich freuen oder ob ich bedauern sollte, daß ich nicht mehr wie ich selber, als ich noch siebzehn war, eine Welt von Wirren und Kriegen, von Umwälzungen und sozialen Sensationen vor mir hätte. Erfahrung ist alles, und noch zu wissen, wie zum Beispiel einst die Monarchie und das Hofleben wiar, wie man sich in einem Trommelfeuer oder unter Bombenbewurf fühlt, wie eine richtige Inflation, eine richtige Deflation sich auswirkt, hat manches für sich. Aber jede Erfahrung ist teuer erkauft. Mag die heutige Jugend also weitgehend ahnungslos sein — es ist wahrscheinlich immer noch besser, als daß ein hoher Prozentsatz von ihr auf den Schlachtfeldern liegenbleibt. Übrigens: Der Teufel schläft nicht, und wer weiß, was uns noch alles beschießen sein wird. Vielleicht werden wir, ob alt oder jung, nur zu bald Gelegenheit haben, Erfahrungen zu sammeln, ob wir’s uns nun wünschen oder nicht.

Alexander Lernet-Holenia (1897), österreichischer Schriftsteller

Eine herrliche Zeit

Sie fragen midi, was ich täte, wenn ich 17 wäre.

Zunächst einmal' wäre ich sehr froh.

17 zu sein ist eine herrliche Sache.

Zusätzlich froh wäre ich, heute 17 zu sein. Als ich 17 war, war es weniger lustig.

Meine Eltern waren durch die Wirtschaftskrise schlecht dran. Es gab 600.000 Arbeitslose.

In dem Jahr, da ich 17 wurde, kam Hitler. Auf der Ringstraße brüllten Sich die Leute heiser vor Begeisterung.

Von den etwa 25 Schülern meiner Maturaklasse sind fünf oder sechs noch am Leben. Etwa 15 waren Juden; sie kamen in Hitlers Vernichtungsmaschine, einige konnten rechtzeitig ins Ausland. Ein Jahr darauf mußten wir anderen in den Krieg Hitlers; einige kamen zurück.

Aber ihr könnt ja nichts dafür, daß die „Erwachsenen“ sich damals wechselseitig abschlachteten. Die „Erwachsenen“ haben seinerzeit so viel verpatzt. Laßt euch nicht einreden, daß das, was säe in der Weltpolitik oder auch in unserer Innenpolitik aufführen, das Gescheiteste ist, was man in dieser Welt anfangen könnte.

Ich jedenfalls ließe mir dergleichen nicht nochmals einreden.

Ich würde sagen: Wir Jungen haben keine Zeit für eure alte Schmutzwäsche, die ihr immer wieder vor uns wascht und die doch nie rein wird.

Wir leben in einer Zeit der gewaltigen technischen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, geistigen, ja religiösen Umwälzung.

Große Kriege werden bald wegen ihrer technischen Unmöglichkeit ins Reich der bösen Träume gehören.

Wenn ihr so alt seid wie ich, werdet ihr drei, vier Stunden täglich arbeiten, sechs Wochen Urlaub haben, alles Materielle wird in Fülle euch zur Verfügung stehen. Wird euer Geist damit Schnitt halten? Das geistige Gespräch — insbesondere zwischen der Religion in allen ihren Formen und dem Sozialismus in allen seinen Formen — wird der eigentliche Inhalt der kommenden Epoche sein.

Wenn ich 17 wäre, würde ich sagen: Was für eine herrlich interessante Zeit liegt vor uns! Machen wir etwas aus dieser Welt, die uns zur Mehrung und Erfüllung übergeben ist.

Sie gehört uns, wir gehören Gott: Hinein ins Abenteuer dieser Zukunft!

DDr. Günther Nenning (1921), Publizist, Chefredakteur des „Neuen Forum“

Priester werden

Ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihre Fragen tatsächlich in der Denkweise eines Siebzehnjährigen beantworten kann. Ich glaube, die 30 Jahre, die dazwischen liegen, haben die „Brille“ gefärbt. Man wird leicht altklug! Aber trotzdem will ich es versuchen.

Was mich heute als Siebzehnjähriger freuen würde? Vielleicht sind Sie überrascht. Mich würde freuen, daß die Eltern und Geschwister und die Siebzehnjährigen selber gute Arbeit finden und verdienen. Als ich 17 war, gab es fast 500.000 Arbeitslose. Das war deprimierend. Man kam nicht voran. Heute ist grünes Licht. Wer ernst ansetzt, kann sich eine Zukunft bauen. Ich glaube, man soll sich darüber freuen.

Worunter ich leiden würde? Ich glaube, wenn ich als Siebzehnjähriger heute ganz ehrlich zu mir selber wäre, müßte ich sagen: Am meisten würde ich an mir selber leiden! Konkreter: Ich würde auch heute an der Spannung leiden zwischen der Aufgabe, die einem Siebzehnjährigen gestellt ist, und der Halbheit, mit der man sich dieser Aufgabe stellt. Und dann würde mich das wieder wütend machen: Schlau wie man ist, überwälzt man dann das eigene Unbehagen auf die Umwelt und verschiebt die Schuldfrage auf die anderen: auf die Eltern, die Schule, die Kirche und die Alten. Nach dieser Feststellung würde ich vielleicht tatsächlich noch an einigen anderen Dingen leiden: an der Sattheit unserer Wohlstandsgesellschaft, am Konsuminfarkt und an der Trägheit, mit der wir auf den Hunger in der Welt reagieren.

. in Angst und Schrecken leben

. . . würde ich in Angst und Schrecken leben. Angst und Schrek- ken vor der Mathematikschularbeit in der nächsten Woche, Angst und Schrecken vor der Matura im nächsten Jahr. Kurz und gut. Ich habe keine Sehnsucht, noch einmal 17 Jahre alt zu sein.

Wenn ich aber tatsächlich im Februar 1949 und nicht 1925 auf die Welt gekommen wäre, würde ich nicht alles so „selbstverständlich“

hinnehmen, wie es jene tun, die heute tatsächlich 17 Jahre alt sind: Wenn man den Schalter aufdreht, flammt das elektrische Licht auf, wenn ich die Eiskastentür aufmache, stehen im Kühlschrank köstlich frische Delikatessen; im Winter macht ein warmer Ofen meine Bude gemütlich, und im nächsten Sommer werde ich mit meinen Eltern nach Caorle reisen. In zwei Jahren geht es dann — das erste Mal auf eigenen Füßen — nach England.

Das alles würde ich, wie gesagt, als ein Geschenk des Schicksals und nicht als eine „Diskussionsgrundlage“ empfinden. Und das Leben in einem freien, neutralen Staat mit Frieden und Wohlstand dazu.

Das alles ist nämlich gar nicht selbstverständlich. Das weiß ich ein wenig aus der Zeit, da ich und meine Freunde tatsächlich 17 Jahre alt waren.

Und wenn ich heute 17 wäre, würde ich auch nicht so „wehleidig“ — oder wie man heute als gebildeter Mensch gerne sagt: „frustriert“

— sein wie viele Jugendliche des Jahres 1966. Ich würde mich vielmehr über jeden Tag, den Gott werden läßt, herzhaft freuen. Ich würde aber auch — gleichgültig, ob ich gegen die Welt der „Alten“ opponiere oder mich anschicke, mich in ihr ganz häuslich einzurichten — auf jeden Fall einen Freundeskreis um mich scharen beaiehungsweise mich

Welche Ereignisse und Personen mich berühren würden? Sicher der Vorstoß in den Kosmos und die großen technischen Fortschritte; die Persönlichkeit eines Johannes XXIII. und die Offenheit, mit der auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gesprochen wurde. Ich weiß nicht, ob mich die modernen Schlager sehr berühren würden. Wir haben sie mit 17 auch gehabt und sie waren uns eher selbstverständlich. Es war auffallend, daß auch schon damals eigentlich die ältere Generation mehr Aufsehen davon gemacht hat, als sie uns bedeutet haben.

Was meine Lebensentscheidung mitbestimmen würde? Ich glaube, ich stünde heute genauso wie vor 30 Jahren vor der Wahl: entweder mich restlos dem aufregenden Fortschritt auf dem Gebiet der Technik, der Wirtschaft und des Sozialen zur Verfügung stellen oder genauso restlos mich dafür einzusetzen, daß die Menschen dieses stürmisch voranschreitenden Jahrhunderts die Sinnfrage des Lebens nicht aus dem Auge verlieren und dem Herrn begegnen. Ich glaube, ich würde diese Wahl heute genauso entscheiden wie vor 30 Jahren. Ich würde wieder Priester.

Wie würde ich als Siebzehnjähriger in die Zukunft schauen? Eigentlich sehr optimistisch! Es gibt auf allen Gebieten viele Aufgaben und Möglichkeiten, die einen Siebzehnjährigen herausfordern. Und es bestehen heute unvergleichlich mehr Mittel zu ihrer Verwirklichung. Daß diese Zukunft auch Gefährdungen und Dunkelheit enthält, hat noch nie einen Siebzehnjährigen entmutigt.

Univ.-Prof. P. Dr. Johannes Scha- sching SJ. (1917), Jesuitenprovinzial, außerordentlicher Professor ir Soziologie an der Universität Innsbruck in einen solchen einordnen und uns gemeinsame Erlebnisse schaffen.

Ein Geheimtyp: Solche Freundschaften können durch Jahrzehnte hindurch halten. Wenn ich heute 17 wäre, würde ich den Benzinmotor nicht verachten. Ich würde mich aber schwer hüten, ein Sklave des „fahrbaren Untersatzes“ zu werden, sondern mich öfter daran erinnern, daß ich zwei Beine zum Gehen habe. Deshalb würde ich mit meinen Freunden gelegentlich einmal etwas ganz Altmodisches (vielleicht sogar sehr Fortschrittliches) tun: nämlich per pedes apostolorum unsere Heimat erforschen. Das Ergebnis könnte vielleicht zumindest genauso interessant sein wie eine Fahrt nach Lappland oder nach Andalusien.

Ich würde — wie ich eingangs gesagt habe — nicht alles als „gegeben“ hinnehmen. Nicht die Gegenwart. Aber auch nicht die Vergangenheit. Deshalb müßte mein Interesse auch der tausendjährigen Geschichte unseres Landes gelten, aber auch jenen „tausend Jahren“, die in Wirklichkeit auf sieben Jahre abgekürzt wurden, in denen es kein Österreich gegeben hat. Sie werden es sehen: Die Geschichte ist manchmal spannender als ein Krimi. Schlagen sie nur Gordon Shepherds Buch „Die österreichische Odyssee“ einmal auf. Wenn ich heute 17 wäre, sollte die Welt für mich aber auch nicht am Neusiedlersee oder am Bodensee zu Ende sein. Dem großen Welttheater, dem Ringen der Geister zwischen Rom und Moskau, Washington und Peking müßte meine Aufmerksamkeit gelten.

Wenn ich heute 17 wäre, würde ich last not least auch an jene Siebzehnjährigen denken, die kaum mehr als höchstens zwei Jahre noch zu leben hatten,. bevor sie einem Krieg zum Opfer fielen, der weder gerecht noch . einer ihres Vaterlandes Österreich war. Ich spreche von meinen Freunden, von sechs Siebzehnjährigen erlebten nur drei ihren 19. Geburtstag.

Dr. Kurt Skalnik (1925), Chefredakteur der „Furche“, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten Österreichs

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