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Digital In Arbeit

Von uns aus gesehen

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' Über äußere und innere Lage und Haltung der Jugend in unserer Zeit wurde an dieser Stelle schon viel gesagt; und bei allen Verschiedenheiten der Meinungen ist doch das eine überall zu bemerken: wie ernst es den Sprechern und Schreibern um diese Dinge ist; und sehr vieles ist bestimmt richtig gesehen. Wir, die Jungen, erkennen das um so dankbarer an, als wir dieses Verstehen kaum erwarten konnten; denn wir sind in den vergangenen Jahren sehr wesentlich andere Menschen geworden — so daß wir es wahrlich wie ein Geschenk empfinden, wenn wir hie und da erkennen, daß das Geschehen dieser Jahre nicht überall die Kluft zwischen uns und den Alteren noch vergrößert, sondern uns im Gegenteil in vielen Dingen einander nahegebracht hat. Aber es gibt-andere Dinge, die uns doch mit Sorge erfüllen: und wenn es uns manchmal scheint, als gebe es noch immer Leute, die heute einfach dort weitermachen wollen, wo sie 1938 aufhören mußten (und viele von denen, die nachher in der Jugendarbeit standen, meinen: zum Glück aufhören mußten!), dann fragt der eine oder andere wohl, ob es dafür war, daß wir die nun hinter uns liegenden sieben Jahre durchmachen mußten: und ob wir denn selbst aus dieser Zeit noch immer nichts gelernt haben.

Wenn ich nun einige Erkenntnisse darzulegen versuche, die ich als Frucht buchen zu können glaube aus jenen Jahren, in denen die Jugendarbeit schnell zu einem erbitterten Kampf wurde, gegen einen erbarmungslosen, äußerlich weit überlegenen Feind, dann glaube ich dabei für viele zu sprechen, die — ungefähr in meinem Alter oder noch jünger — gleich mir in der Arbeit junger Kirche gestanden sind — und denen, so weit sie aus dem Krieg schon in die Heimat zurückgekehrt, sind, nichts brennender am Herzen liegt als die Fortführung dieser Arbeit; ja, ich darf es wohl wagen zu glauben: ich spreche dabei auch für manche unserer Besten (denn es sind viele unserer Besten, die nicht wiedergekommen sind), die nun, da wir endlich wieder an die Arbeit gehen können, nicht mehr an unserer Seite sind.

Die alten Vereine und Bünde sind tot: das ist eine Tatsache, und wir möchten nicht, daß an ihnen Wiederbelebungsversuche gemacht werden — so sehr einzelne Von uns auch mit dem einen oder anderen von ihnen verbunden sind. Denn wir stehen überhaupt Fahnen und Abzeichen und all diesen Dingen sehr zweifelnd gegenüber. Wir haben in den letzten schweren Jahren endlich gelernt — in hundert bitteren Stunden gelernt, weil früher es uns niemand lehren konnte — den Menschen zu sehen: und haben diese Erfahrung viel zu teuer bezahlt, um uns nun schon wieder so billig zufrieden zu geben, mit Plaketten und bunden Bändchen die Menschen in ein paar Klassen einzuteilen. Wenn wir heute so etwas sehen, dann können wir uns des bestimmten Verdachtes nicht erwehren, man warte mit der Uniform nur noch, weil es jetzt keinen Stoff gibt.--Wir möchte es ganz klar machen: wir haben genug von diesen Dingen. Sie müssen uns nach allem, durch das wir in den letzten Jahren gegangen sind, als eine unnütze *nd lächerliche, darüber hinaus aber für unsere Arbeit gefährliche Spielerei erscheinen, die uns zeigt, daß die, die für solche Dinge Zeit haben, noch immer nicht verstanden haben, worum es uns heute geht.

1938 hatten wir Vereine — mehr als genug. Sie hatten Uniformen und Heime und alles andere (und mancher Priester hatte so viel Arbeit mit ihnen, daß ihm kaum mehr Zeit blieb für die wirkliehe Seelsorge — das einzige, was ihm vom Laien nicht abgenommen werden kann); Tetzlich haben sie alle versagt. Wenn irgend etwas als unbestreitbare Erfahrung aus den vergangenen Jahren'gelten darf, dann ist es das eine, daß es überall und stets nur die erlebte Gemeinschaft war, die persönliche Bindung; die den jungen Menschen hielt; wo sie fehlte, da blieb auch von den schönsten Bünden und Vereinen nichts zurück.

Wir wollen ja aber hiebei nicht stehen bleiben. Eine Jugendarbeit, die nur halten und bewahren will, was schon dasteht, spricht sich damit selbst ihr Urteil. Trotz aller Schwierigkeiten, die sich dem entgegenstellen, kann unsere Aufgabe nur Sendung sein, Aposteltum. Der junge Mensch, der — bestenfalls — am Rand des kirchlichen Lebens steht, ist aber der unmittelbaren Seelsorge und dem Priester in den meisten Fällen schon unerreichbar; er weiß mit Liturgie nichts anzufangen und kennt kaum ein religiöses Erleben — Dinge, die in den fetzten Jahren uns oft fast allein noch hielten. Er muß über den Menschen den Christen kennenlernen und über den Christen den Weg zur Kirche finden — wenn er ihn überhaupt gehen soll. Dieser Weg wird ihm von vornherein unmöglich gemacht, wenn Uniformen und Farben wieder den Menschen wie den Christen verdecken.

Wenn ich heute mit den alten Gefährten, die nun doch so nach und nach wieder in der Heimat anlangen, oder auch mit den jüngeren Kameraden spreche, die nach uns die verborgene Arbeit der vergangenen Jahre weitergeführt haben, dann wird immer wieder die Meinung laut: Was wir heute brauchen, sei eine ganz radikal christliche Jugendbewegung mit höchsten Forderungen — völlige Erneuerung unseres gesamten Lebens aus den Forderungen des Christentums — auch wenn das eine Zielsetzung für Jahrzehnte ist und nur zu einem ganz kleinen Teil wird je verwirklicht werden können und die alle Lebensgebiete des jungen Menschen einbezieht in ihre Gemeinschaft. Und die meisten von uns sind der Ansicht, 'daß hiezu gar kein ausgebauter und organisierter Verein im alten Sinn des Wortes nötig wäre, sondern nur die große Zielsetzung und eine weitblickende, straffe Führerschulung (im weitesten Sinn des Wortes und also ebenfalls alle Lebensgebiete umfassend); und daß von einer solchen Bewegung, auch ohne Fahnen und Abzeichen, und ohne daß man äußerlich viel von ihrer Arbeit merkt, dennoch eine gewaltige Wirkung ausgehen könnte: auch und gerade auf das Leben der Pfarre, die zwar d i e Gemeinschaft des Christen und also auch des jungen Christen sein soll, es aber bis heute nur an den wenigsten Orten geworden ist — vielleicht deshalb, weil viele junge Menschen das Tragende und Bindende einer Gemeinschaft erst in einer solchen eines kleinen . Kreises von Kameraden und Gefährten kennengelernt und empfunden haben müssen, um dann auch die große Gemeinschaft zu verstehen: Die leberWigen, bereiten jungen Menschen, die eine solche Aufgabe fordert, sind da. Sie warten darauf, gerufen zu werden, warten, daß ihnen ein Ziel gezeigt wird, das groß genug ist, um sich ganz dafür einzusetzen, und doch so konkret, daß man danach planen und bauen und arbeiten kann. Man soll sie nicht zu lange warten lassen. Es möchte sonst geschehen, daß viele von ihnen — und bestimmt nicht die schlechtesten — sich abschließen und, müde geworden, in der Tätigkeit in irgendeinem kleinen Kreis ohne jede größere Bindung Genüge finden und so der großen, ungleich wichtigeren Arbeit vielleicht für immer verlorengehen. Wir Jungen verlangen keine raschen, übereilten Entschlüsse. Wir wissen, daß wir heute mehr denn je nicht Augenblickserfolge anstreben dürfen, sondern letztlich auf sehr weite Sicht. — vielleicht auf die Sicht einer Generation — arbeiten müssen; aber es könnte sein, daß wir in einer dennoch sehr begrenzten Zeit der Entscheidung drinnen stehen, in der für eine weite Zukunft viel gewonnen, aber auch alles — versäumt werden kann.

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