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In der Herde und allein

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Das Ganze war eigentlich ziemlich deprimierend. Und der nächste Typ ist es auch. Obwohl er im Grunde genommen ein Durchschnittsmensch ist, zeichnet ihn doch eine Eigenschaft. Er besitzt nämlich ein unwahrscheinlich tiefes geistiges Niveau. Man täuscht sich kaum, wenn man ihn reifemäßig auf das Kindheitsstadium festlegt: eine ganz und gar unkomplizierte, fast sogar primitiv zu nennende Natur. Er änderte sich bisher nicht. Wenngleich ihm auch ein Schulkamerad unverblümt zu verstehen gab, er sei dümmer, als er aussieht. Liebe von der geistigen oder gar religiösen Seite zu behandeln, ist bei ihm ein sicherlich erfolgloses Unterfangen. Und damit deckt er sich charakterlich mit vielen. Nur bekundet er seinen Tiefstand immer sehr deutlich und laut. Daß bei einem solchen Menschen natürlich keinerlei weltanschauliche Problematik vorhanden sein kann, dst klar. Er will ja schließlich, vulgär ausgedrückt, i,vomJ Leben etwas haben“. Mit so chen Typen trifft man oft züsamnn.’ Ias werden mir die Äelteren wohl auch bestätigen. „Vom Leben etwas haben“ — man braucht kein erfahrener Psychologe zu sein, um zu wissen, was gemeint ist — das Sexuelle. Dabei ist es aber gerade jener Trieb, der den Menschen so gründlich zum Tier machen kann. Aber Argumente helfen hier nicht. Schon gar nicht bei diesen Zwangsneurotikern,

Typ Nr. 4 : Wie soll ich ihn charakterisieren? Mit einfachen Worten würde es ungefähr so lauten: Liberalist mit Weltanschauungskonglomerat. Daß er nebenbei auch einen stark egoistischen Zug besitzt, dürfte vielleicht auf seine gesundheitliche Verfassung zurückzuführen sein. Natürlich besitzt er auch Ehrgeiz, der befriedigt werden will. Wenn ein technisches Problem nicht verstandesmäßig erfaßt werden kann, so wird es eben auf rein mechanischem Weg behalten — bis zur Prüfung. Daß er vor geistigem Diebstahl dauernd Angst hat, wird bei ihm nicht verwundern. Er will immer voraus sein — und das Nichtwissen der anderen schützt ihn theoretisch vor zu großer Anstrengung.

Als vernünftiger Mensch ist er konfessionslos. Das, so bemerkte er mir gegenüber, stelle ihn rundweg auf ein wesentlich höheres Niveau als uns Katholiken, denn wir wären von der Religion zu sehr beeinflußt, um ein klares Urteil bilden zu können. Das ist Scheuklappenpolitik und mache blind für die Welt. Als ob nicht die Freigeistigkeit dem Menschen noch größere Fesseln anlegen würde: Denn macht sie beispielsweise nicht blind für das moralische Uebel, das zweifelsohne Realität ist? Aber das glauben die Menschen erst wieder, wenn sie die Gemetzel der Kriege hinter sich haben. Die Vollendung des Menschen? Eine überflüssige Frage eigentlich: Er wies auf den glanzvoll organisierten Ameisenstaat hin. Das tat er, da er die Welt der Ethjk als Uebergangsphase. be- traclftVte! Mit GeWißhölt ‘köifne fiian ‘Un ‘i’tiväi ähnliches wie Hölle glauben und auch an Gott. Ob diese beiden überhaupt jemals erkannt werden können, das bezweifle er.

Was ich persönlich für unnötig hielt, traf bei ihm natürlich zu: Uebertriebenes österreichisches Staatsgefühl, durch demonstrativ zur Schau getragenen Deutschenhaß dokumentiert. Seine ganze Einstellung wird noch dadurch kompliziert, daß er einem gewissen Amerikanismus huldigt und nebenbei zu den Russen weil technisch so erfolgreich aufsieht.

Es gäbe noch mehr solcher Typen. Sie alle sind in der Mehrzahl. Es gibt nur wenige, die noch nicht vom Herdenmerkmal des Menschlichen und allzu Menschlichen angekränkelt sind. Zwei von diesen Menschen will ich an den Abschluß stellen: Der eine ist Techniker durch und durch. Er ist nicht so wie viele andere. Er ist immer ruhig und gelassen. Ich habe von ihm noch nicht gesehen, daß er sich jemals in den Vordergrund gedrängt hätte. Er hat dies, nebenbei bemerkt, gar nicht nötig, denn er liefert immer gute Arbeiten; und das fällt auf. Er ist zuviel Techniker, um sich auch noch mit anderen als technischen Dingen zu beschäftigen. Er besitzt fast keinerlei Problematik. Meinen Fragen, die sich meist auf weltanschauliche Gedanken konzentrierten, wich er zwar nie aus, aber es berührte ihn irgendwie nicht.

Er besitzt, und das ist heute selten, eine natürliche Sauberkeit; und zwar in jeder Beziehung. Später allerdings sah ich, daß dies auch auf seine Religiosität zurückzuführen ist. Wir haben nie allzu lange Debatten geführt. Er ist eine jener Naturen, die sich irgendwie nach außen hin verschließen. Man findet das heute bei jenen wenigen, die noch irgendwie positiv auffallen, sehr oft.

Was mich an ihm manchmal zum Staunen bringt, ist die Art, mit welcher Hingabe er an die Lösung seiner Aufgaben geht. Das bringt ihm sicherlich nicht nur meine Bewunderung.

Das also war der eine; seine Merkmales innere Ausgeglichenheit, in jeder Beziehung ein Junge, der seelisch und geistig noch nicht von den Giften unserer Zeit angefressen ist.

Der andere: Man begegnet ihnen selten. Sie sind im allgemeinen verschlossene Naturen und überlassen die Initiative meist immer den anderen. Einem von diesen Menschen bin ich begegnet. Er war von Natur aus ein sauberer jsKerl;sEin -Idealist,’.Wie er mir in meinem Leben jzunf’’&stenirJal’ begegnete. Ith’ hatte damals ,-innbfclf!itig?eI¥fU’ihdung göhtädht, Wtf deshalb wurde er mir unbewußt zur Stütze. Denn er besaß gefestigte Ansichten, und seine seelische Stabilität rang mir Bewunderung ab. Er war weltanschaulich in eine andere Richtung gegangen als ich; er war überzeugter Sozialist. Das Gemeinsame an uns beiden war die Tatsache, daß wir beide aus Arbeiterfamilien stammten. Sich seiner Armut nicht schämen: das hatte ich auch von ihm gelernt. Und ich lernte im Laufe der Zeit auch das christliche Armutsideal verstehen.

Wie gesagt, er ging weltanschaulich in eine andere Richtung als ich. Und hier begann seine Problematik. Obwohl sich unsere Gespräche gegenseitig befruchtend auswirkten, bemerkten wir doch, daß wir aneinander vorbeidiskutierten. Eines Tages war es aber dann so weit, daß wir beide gemeinsam zum Sonntagsgottesdienst gegangen waren. Er war an seiner Problematik gereift. Er hatte wieder zu Gott gefunden, den er vor Jahren verlassen hatte. Dieser Gott aber hatte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, und nun stand Er wieder vor ihm. Und dieser junge, suchende Mensch ergriff Gottes Hand, als Er sie ihm anbot. Er wies die Gnade nicht zurück und erkannte nun auch, daß man Gott vor allem im Geiste und in der Wahrheit finden kann. Nicht im Gefühlsleben, denn dort fand er Ihn nicht.

Ich denke, das gab einen Ueberblick über einen T e i 1 der Jugend; über ihre Einstellung, ihre Ansichten und Problematik. Ich bin kein Pädagoge und weiß daher nicht, wie man meine Ausführungen verwerten könnte. Trotzdem aber wollte ich gezeigt haben, daß sich auch schon der junge Mensch um seine Mitmenschen kümmern kann. Es war sicher nicht alles erfreulich, aber es lag auch irgendwie die Sorge darin. Diese Generation wird früher oder später am Staate mitbauen. Aber können die innerlich von den Giften unserer Zeit angefressenen Menschen einen gesunden Staat bauen? Die wenigen wertvollen Menschen werden oft leichtfertig in den Hintergrund gedrängt.

Welche Konsequenzen haben wir alle zu ziehen?

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