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Irgendwo hineinrutschen

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Das muß Mitte der Sechzigerjahre gewesen sein. Plakate der beiden Großparteien verbreiteten, trotzäller angeblichen Gegensätze, im Grunde genommen nur eine Botschaft. Sicherheit/ Sicherheit/ Sicherheit/ Sicherheit/ Sicherheit ... Ich schrieb damals ein konkretes Gedicht, endend mit den Worten Sicherheits-Schloß & Riegel.

Ich war Anfang Zwanzig. Wenn du die Matura hinter dir hast, hatte meine Großmutter gesagt, mußt du sehen, daß du wo hineinrutscht. Beim Bund oder bei der Gemeinde sollte ich hinein rutschen. Der Bund war schwarz, die Gemeinde war rot, egal. Hauptsache war das Hineinrutschen, dann würde ich jeden letzten oder Ersten mein sicheres Geld kriegen, mein IJrlaubsanspruch würde mit den Jahren steigen und am Ende würde ich eine schöne Pension haben.

Meine Großmutter meinte es gut, die beiden Großparteien vielleicht auch. Nur redeten und schrieben sie alle drei an meinen Bedürfnissen vorbei. Meine Bedürfnisse waren nicht nur meine Bedürfnisse. Es waren, hatte ich den Eindruck, die Bedürfnisse einer Generation, die damals jung war und daher vor der Pension leben wollte.

War diese Generation in ihrer Absage an das hierzulande so verbreitete Sicherheitsbedürfnis so atypisch? Und ist dieses Sicherheitsbedürfnis überhaupt nur ein hierzuland so verbreitetes? Ich weiß nicht, vielleicht kommt es mir aus meiner sehr persönlichen, sehr österreichischen Perspektive nur so vor. Und vielleicht ist diese sehr persönliche, sehr österreichische Perspektive in gewisser Hinsicht auch eine sehr unösterreichische.

Vielleicht habe ich die Generation, die damals ausgezogen ist, um das Fürchten vor der Unsicherheit des morgigen Tags nicht allzu schnell zu lernen, überschätzt, vielleicht habe ich sie völlig falsch eingeschätzt. Vielleicht ging es ihr um etwas anderes, wahrscheinlich wußte sie selbst nicht genau, worum es ihr ging. Ich jedenfalls habe eine Zeit lang den Eindruck gehabt, es ginge ihr um Freiheit. Und Freiheit und Sicherheit, das war nicht recht zu vereinbaren.

Freiheit wovor und Freiheit wofür ist die Frage. In meiner Kindheit war viel von Freiheit die Rede. Historisch bedingt: Erst wartete man auf den

Staatsvertrag. Dann hatte man ihn. Freiheit war die Abwesenheit der Besatzungsmächte. So weit so fein. Aber was fing man jetzt mit dieser Freiheit an? Konkretisiert sich die allgemeine Freiheit nicht als besondere Freiheit? Und zwar nicht nur am Tag der Fahne, wie der Staatsfeiertag damals hieß, sondern im Alltag? Auch nicht nur alle paar Jahre bei einer demokratischen Wahl sondern tagtäglich, in der Art, wie man lebt und erlebt?

Was das betrifft war von Freiheit nicht viel zu bemerken. Obwohl so viel von ihr die Rede war. Um Freiheit als das Offenliegen von besonderen Möglichkeiten zu erleben, dazu war ganz einfach das allgemeine Sicherheitsbedürfnis zu groß. Vielleicht verständlich nach Krieg und Notzeit, vielleicht verständlich, nach dem, was man da hinter sich hatte, was nun nicht mehr wahr sein sollte, durfte, schon gar nicht mehr wahr war. .

Sicherheit also. Und zwar materielle Sicherheit, was sonst? Alles andere, worauf man gebaut hatte, hatte sich als verdammt unsicher erwiesen. Das war die oberste Maxime der Erwachsenen der Fünfzigerjahre. Zumindest jener, die ich - vielleicht etwas ungerecht, pauschal und schon wieder schrecklich subjektiv - als Onkel & 'Fanten in Erinnerung habe.

Eine Kindheit und Pubertät lang habe ich das Gefühl gehabt, diese Onkel & Tanten repräsentieren Österreich. Dann habe ich, zu meiner freudigen Überraschung, muß ich gestehen, den Eindruck gehabt, sie sterben aus. Wahrscheinlich habe ich mir Illusionen gemacht. In meinem fünften Jahrzehnt sehe ich mich von Onkeln & Tanten, die meisten tragikomischer Weise viel jünger als ich, umgeben.

In einer Schule lese ich die Geschichte von Scheck und seiner Peppi vor. Scheck ist der Nachfahr des Nestroy'sehen Tischlers Leim. Kein ausgerissener Tischler mehr, sondern ein ausgestiegener Bankangestellter. Er hat seine Peppi geliebt, aber ihre Sicherheitsbedürfnisse haben ihn fertig gemacht.

Sie ist aber nicht von sich aus so, sei -ne Peppi. Sondern, erzählt er, der Scheck, durch ihre Eltern. Ihre Eltern aber leiden beide unter dementia se-curitatis, zu deutsch Sicherheitsblödsinn. Sieben Sicherheitsschlösser, drei Sicherheitsriegel, jede Menge Versi-cherungspolizzen.

Weil man nämlich nicht weiß, was alles kommt. Aber man kann sich denken, was kommen könnte. Glasbruch zum Beispiel. -Stellen Siesich vor, etwas Gläsernes zerbricht. Da ist es gut, wenn eine Versicherung den Schaden ersetzt, oder etwa nicht?

Die Schüler nicken. Tatsächlich. Wo der Mann recht hat, hat er recht. -Aber so einfach ist das nicht, es gibt subtile Unterschiede zwischen Zerbrechen und Zerbrechen. Zum Beispiel wenn Wind im Spiel war. Oder wenn ein Kind im Spiel war. Oder wenn ein Hund im Spiel war. Haben Sie eine Windversicherung? War das Kind versichert? War der Hund versichert?

Das lese ich vor. Und wie jeder Versicherung auf dem Fuße eine Zusatzversicherung folgt. Denn im Falle eines Falles kann sich herausstellen, daß dieser besondere Fall gar kein allgemeiner Versicherungsfall war. Du kannst eine Windversicherung abschließen, aber was, wenn es sich um einen Sturm oder einen Orkan handelt?- Kurz, wenn man einmal damit anfängt, sich gegen irgendetwas versichern zu lassen, kann man gar nicht mehr damit aufhören.

Die Schülerinnen lachen. Dieser Autor hat einen skurrilen Humor. Der Autor freut sich. Ein paar Sätze lang fühlt er sich verstanden. Man weil! nicht, was alles kommt, wer weiß, was einem zustößt. Oder doch: Eines weiß man genau: Irgendwann wird es mit all dem aus sein. Aber auch und vor allem für diesen Fall muß man als verantwortungsbewußter Mensch natürlich vorsorgen.

Wie Peppis Eltern das arme Hascherl, kaum daß sie auf der AVeit war, auch schon einschreiben haben lassen in einen Sterbeverein. Wie sie ihr zum ersten Geburtstag eine Sterbevereins-polizze gekauft haben. Daß es Geschenke gibt, die vergehen und Geschenke, die bleiben. So ein Geschenk ist die Sterbevereinspolizze.

Natürlich hat das die Peppi damals noch nicht verstehen können, darum hat man die Sterbevereinspolizze in eine schöne schwarze Mappe gelegt und für sie aufbewahrt. Aber sobald sie alt genug war, hat man ihr das erklären können. Sie war Mitglied bei einem Verein, und zwar bei einer Art Sparverein für das eigene Begräbnis. Vorläufig zahlten ihre lieben Eltern den Mitgliedsbeitrag, aber sobald sie einmal groß sein würde, würde sie ihn selbst zahlen ...

Das Befremden zwischen den Schülern und mir tritt auf, sobald sie bemerken, daß ich es ernst meine. Als komische Geschichte haben sie die Geschichte gern gehört, aber im Ernst...?! Die Wirklichkeit bitteschön, die ist halt so. Natürlich braucht man Sicherheiten. Das geht halt auf Kosten der Freiheiten. Wenn sie demnächst aus der Schule draußen sind, werden sie sich auch danach richten.

Nicht unbedingt gern, habe ich den Eindruck, aber was bleibt ihnen über? Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder einfach nach seiner Fasson leben wollte? In Zeiten wie diesen. In Zeiten der Sparpakete. In Zeiten der Maastricht-Kriterien. Ja, was würde denn da die Wirtschaft sagen?

Und ich sage, daß die Wirtschaft meines Erachtens viel zu sehr das Sagen hat. Und daß es um ganz andere Dinge ginge, als um materielle. Auch um andere Sicherheiten. Natürlich. Und um andere Werte. Aber da sehen sie mich an, wie ein Fossil. Oder wie ein sehr utopisches Geschöpf.

Wenn sie die Schule hinter sich haben, werden sie wahrscheinlich schauen, daß sie irgendwo hineinrutschen. Auch wenn das nicht mehr so einfach ist, wie vor dreißig Jahren, umso begehrenswerter scheint es. Und die meisten von ihnen werden ihr Lebtag was tun, was eigentlich nichts mit ihnen zu tun hat. Aber ernst ist das Leben und heiter die Kunst, mein Gott, sie reden wirklich, wie meine Onkel und Tanten, einen Moment lang kommt es mir so vor, als wären sie fünfzig und ich stünde kurz vor der Matura.

Der Autor ist Schriftsteller

(„Die kleine Figur meines Vaters”); zuletzt sind von ihm die Bücher „Vom rVuhsch, Indianer zu werden ” und „Kommt eh der Komet” erschienen. was heisst für sie sicherheit? im rum wien i nd poysdorf i nd opfer eines briefbombenattentats:

Sicherheit, die mir verläßlich Halt im Leben gibt, erfuhr ich erst, als ich im Inneren suchte. Im Inneren erfahre ich, daß es Gott ist, der FotoYoiara mich nicht losläßt, wie immer die jeweilige Situation bedrohlich sein kann: Die Sache schlägt unweigerlich zum Guten aus. Diese Erfahrung hatte einen Weg der Entwicklung, bis sie mich durchdrang. Immer, wenn ich den Haltegriff zuerst bei Menschen suchte, erwies sich diese Sicherheit als nicht ausreichend. Ich habe gelernt, zu begreifen, daß der Mensch wirkliche Sicherheit nur von einem empfangen kann, der größer ist und dessen Größe keine Grenze hat. Das Begrenzte befriedet nicht wirklich. Auf dem Fundament, das Gott in meinem Inneren ist, werden die Beziehungen zu Menschen erst wirklich schön aufbauend. Auf diesem Fundament ist man im-stand, auch Verneinung auszuhalten, weil sie die innere Sicherheit und den inneren Frieden nicht vernichten kann.

♦

Ht PORTISCII, BtCHAt tor nu FERNSEIIJOtRNAMST:

Persönliche Freiheit und innere Sicherheit sind für mich kommunizierende Gefäße. Ich weiß, daß dies an sich ei- Foto ORF nem Naturgesetz widerspricht -mehr Freiheit ist gleich weniger Sicherheit. Bei mir ist es umgekehrt, je freier desto sicherer (innerlich).

♦ siegfried seixitsch, generaldirektor der wiener städtischen versicheriags AG: Leben ist, insbesondere in unserer dynamischen Gegenwart, Veränderung, ist damit aber auch Risiko. Was als Risiko [ gesehen wird, muß letzlich nicht unmittelbare Wirklichkeit sein, sondern wird auch aus den Wahr-nehmungs- und Urteilsprozessen der Gesellschaft respektive ihrer Subsysteme geboren. In diesem spannenden Umfeld ist das zutiefst menschliche Bedürfnis, nach Haltegriffen der Sicherheit und Stabilität zu suchen, nur allzu verständlich. Die Familie, der Glaube, die stetige Weiterentwicklung der Persönlichkeit - all dies vermittelt eine stark emotionale Sicherheit und trägt entscheidend zur inneren Ausgeglichenheit bei. Selbstverständlich werden auch Sicherheiten angestrebt, die mögliche materielle Nachteile ausgleichen helfen sollen: ein sicherer Beruf, Ersparnisse, Versicherungen. Sicherheit begegnet dem Menschen somit auf verschiedenen Ebenen; sie gibt die Kraft und Gelassenheit, sich auf Neues einzulassen.

Leben ist Risiko. Was wir tun, ist riskant. Man sollte gleichzeitig aber nie vergessen: Auch was wir nicht tun, birgt Risiko in sich. Denn ohne Fortschritt bleibt uns nur der persönliche Stillstand.

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