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„Christliche Gemeinde bitte - was ist das?“

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Ist die Kirche zu einem „Abholgroßmarkt für Sakramente, Tugenden und Tröstungen“ geworden? fragt der Präsident der Katholischen Aktion Kärntens, Ernst Waldstein, und vermutet „Hohlräume“ in der Pastoral. Er hätte gern gewußt, ob andere sie auch sehen und was sie dazu meinen.

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Ist die Kirche zu einem „Abholgroßmarkt für Sakramente, Tugenden und Tröstungen“ geworden? fragt der Präsident der Katholischen Aktion Kärntens, Ernst Waldstein, und vermutet „Hohlräume“ in der Pastoral. Er hätte gern gewußt, ob andere sie auch sehen und was sie dazu meinen.

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Wenn sich ein Nichttheologe mit Probemen zeitgemäßer Pastoral befaßt, steht er immer wieder vor Fragen, auf die ihm Patoralfachleute nicht sehr befriedigende Antworten geben. Ursache kann sein, daß die Fragen laienhaft gestellt sind; es kann aber auch sein, daß man die Antwort nicht weiß oder gar, daß man das Problem gar nicht sieht.

Eine solche Frage ist für mich, was unter „Gemeinde“ alles verstanden werden soll. Es ist mir klar, daß der Glaube, das Christsein, eine soziale Dimension hat. Mit wem also bin ich in meinem Glauben, in meinem Christsein, außer natürlich mit Gott, noch wirklich verbunden?

Die Verbundenheit mit der ganzen Christenheit wird mir deutlich, wenn ich nach Rom fahre oder nach Pie-kary oder nach Taize. Mit der Kirche von Österreich sehe ich mich verbunden, wenn ich an einem Katholikentag teilnehme oder wenn Kardinal König im Fernsehen auftritt; all das ist mir für meinen Alltag nicht genug. Mit meiner Diözese fühle ich mich schon sehr viel mehr verbunden; da kenne ich den Bischof und seine Mitarbeiter, da gibt es ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl; aber unter Gemeinde verstehe ich gefühlsmäßig eine persönlichere Beziehung zu einer überschaubaren Personengruppe.

Dafür wird mir meine Pfarre angeboten; sicher, dort stehe ich in einer Kartei; dorthin bin ich zuständig. Ich kenne den Pfarrer und weiß, wie schwer er sich in einer solchen Pfarre am Stadtrand tut, wo die meisten Menschen nur schlafen: unter der Woche arbeiten wir auswärts, am Wochenende fährt man weg. Ich weiß, daß sich mein Pfarrer darum nicht sehr über mich freut, und so habe ich ein schlechtes Gewissen. Die Situation wird dadurch nicht besser, daß man die Kinder in der eigenen Pfarre taufen, zur Erstkommunion, zum Firmunterricht gehen läßt, denn ich kenne nur einen kleinen Teü meiner „Mitpfarrlinge“. Wahrscheinlich ist das alles vor allem meine Schuld, denn eine Pfarrgemeinde wiegt soviel, wie man an ihrem Leben teilnimmt. Aber mehr als 80 Prozent der Pfarrangehörigen sind bei uns so: Die Pfarre ist eben nicht unser gewöhnlicher Lebensraum, sondern müßte zusätzlich zu anderem erst dazu werden.

Wenn ich weiterfrage, verweist man mich auf die Eucharistiegemeinde. Sicher fühle ich mich im Kommunionempfang mit den anderen Teilnehmern verbunden; ich kenne auch einige von ihnen persönlich. Aber mir reicht das nicht für ein stärkeres Gefühl der Gemeinsamkeit. Sehr deutlich hingegen wird mir diese Gemeinschaft, wenn wir während einer Tagung im kleinen Kreis Eucharistie feiern.

Das klingt alles sehr danach, als ob ich Christ in einem geschlossenen gesellschaftlichen System homogener Menschen seih wollte. Ich glaube das aber nicht. Ich frage mich, ob wir da nicht in den letzten 2000 Jahren manches auf den Kopf gestellt haben: Hat es nicht so angefangen, daß Gleichgesinnte sich zusammenfanden und - weil sie gleichgesinnt waren - das auch in der Eucharistie bestätigen und festigen wollten? Die auf den Kopf gestellte Reihenfolge war bis vor gar nicht so langer Zeit

kein Problem, weil die Dorfgemeinden einigermaßen homogen, gleichgesinnt, waren und man sich in den Städten sehr stark nach Kirchengemeinden orientiert hat. Und die Reisenden, das „fahrende Volk“, waren wegen der Schwierigkeit, sich einzuordnen, ohnehin etwas ziemlich Verdächtiges.

Wenn ich weiterbohre, wird mir zuletzt die „kategoriale“ Gemeinde geboten. Verwirklicht findet man sie echt nur in Hochschulgemeinden und in Militärpfarren. Dann gibt es noch Ansätze zu einer Gemeindebildung etwa in Familienrunden, Akademikerzirkeln, Jugendzentren und in bestimmten Apostolatsbewegun-gen; hier findet sich auch immer wieder der Drang zur Geschlossenheit, zum Untersichbleiben bis zur Gefahr echten Sektierertums.

Da gelange ich an einen Punkt, wo mir kein Pastoralfachmann weiterhilft: Wie und wo kann ich mit den Menschen, mit denen ich täglich umgehe, in eine kirchliche Gemeinde eintreten? Die „Pastoral an den Lebenswenden“ ist sicher ein Ansatzpunkt, weil sie die direkt Betroffenen aufgeschlossen und auf „Empfang eingestellt“ antrifft. Aber wie oft taufen, trauen, begraben wir als direkt Betroffene? Wird daraus schon Gemeinde oder sind und bleiben das nicht nur punktuelle Ereignisse emotioneller Art?

Steht nicht jeder von uns in einer Reihe von miteinander verflochtenen „Lebenskreisen“? Zunächst ist es der Familien- und Freundeskreis; dann unsere geographische Nachbarschaft, es sind die anderen Hausbewohner, die Bewohner der Nachbarhäuser, die Straße, das Wohnviertel; der nächste Kreis sind die Vorgesetzten und Mitarbeiter, die Kunden und Lieferanten, die Kollegen und Konkurrenten im Beruf; und schließlich noch die verschiedenen Kreise, in denen man sich außerhalb von Wohnung und Beruf bewegt: Sparverein, Kegelklub, Feuerwehr, die politische Partei. Merkwürdig, wie wenig gerade diese Lebenskreise (abgesehen von Kirchenchor oder Katholischer Aktion) mit einer Glaubensgemeinschaft zu tun haben; in dieser Beziehung sind sie meist ganz „sterilisiert“, und man wehrt sich gegen Versuche, das tägliche Leben in diesen Lebenskreisen mit Religion in Verbindung zu bringen.

Ich habe das undeutliche Gefühl, daß die Kirche etwa 75 Prozent ihrer Pastoralen Kräfte in die Verchristli-chung dieser Lebenskreise investieren müßte und nur die restlichen 25 Prozent als „letztes Aüffangnetz“, durch das aus Gründen der Schwerkraft keiner durchfallen kann, in der territorialen Gemeindeseelsorge einsetzen sollte. Diese Lebenskreise müßten mit herkömmlichen Pfarrgemeinden in Beziehung stehen, damit sie sich nicht abkapseln. Sie müßten auch in andere größere Einheiten eingegliedert werden, aber nicht in abgegrenzte Sektoren mit gegensätzlicher Orientierung, sondern im Sinn von Integrationsmodellen. Wie in der Wirtschaftswelt nicht nur Arbeitersolidarität und/oder/gegen Unternehmersolidarität, nicht nur Sozialpartnerschaft als Verständigungsplattform beider ohne Rücksichtnahme auf den Konsumenten und die Gesamtgesellschaft, sondern die Suche nach dem optimalen Zusammenwirken aller Teile am Ganzen unter Wahrung des Entfaltungsraums für den einzelnen.

Hierzu hätte ich gern mehr von unseren Pastoraltheoretikern und -Strategen gehört. Haben wir nicht das Gemeindeprinzip zu eng gesehen,

fast nur auf die herkömmliche Territorialpfarre bezogen? Haben wir nicht viel zu wenig getan, damit die Pfarren über ihre eigenen Grenzen hinaus zusammenarbeiten? Haben wir nicht zu wenig Anstrengungen unternommen, den Getauften, Ge-firmten, Getrauten nachzugehen, in ihre Lebenskreise, die nicht mit ihren Wohnpfarren identisch sind, die vielleicht überhaupt keinen Bezug haben zu irgendeiner kirchlichen Struktur, ja überhaupt jeglichen Bezug zu Kirche und Religion ausklammern? Ist so Religion nicht schon längst für den überwiegenden Teil der Getauften faktisch zur Privatsache geworden? Zu einem zusätzlichen Engagement neben oder hinter all den anderen?

Ich weiß, welch großen Wert ein in der Gemeinde lebender Priester hat. Man weiß, wo man ihn findet, wenn man ihn braucht; er ist für einen, wenn auch schrumpfenden Teil der Katholiken das gemeindebildende Element. In gewissem Sinne ist hier der Priester mit dem Arzt zu vergleichen: der praktische Arzt entspricht dem Pfarrer, der Facharzt dem in der Spezialseelsorge tätigen Priester; aber eine Parallele für das Krankenhaus gibt es nicht, wenn man von einigen Klöstern absieht, und mit der „Vorsorgemedizin“ klappt es auch bei den Ärzten nicht wirklich - weil die Patienten sich auch dort erst rühren, wenn sie spüren, daß ihnen etwas fehlt.

Wir dürfen die ganze Lösung kaum vom immer kleiner und im Durchschnitt immer älter werdenden Häuflein der Priester verlangen. Hier sind vor allem die Laien aufgerufen, ihre eigenen Lebenskreise wieder christlich werden zu lassen.

Wenn ich frage, was man für dieses „fahrende Volk“ in der Kirche tue, für die Leute, die vom Land in die Stadt oder von der Stadt aufs Land gezogen sind, für die Pendler, für die Sonntagsausflügler, dann sagt man, da müsse die jeweilige Pfarre versuchen, diese Menschen anzusprechen. Freilich soll sie das; wenn sie lebendig ist, tut sie es auch, aber welchen Erfolg hat sie damit? Vieles von dem, was als Mittel der Pastoral einmal gut war und deshalb eingeübt worden ist, greift heute nicht mehr; immer mehr Menschen bleiben weg, und auch den agilsten und phantasiereichsten Pfarrer befällt mitunter Verzweiflung und Resignation, weil sein Werkzeug stumpf geworden ist.

Weite Teile der Kirche sind so zu einem Abholgroßmarkt für Sakramente, Tugenden und Tröstungen geworden, während wir vielfach nicht mehr wissen, wie das „Menschenfischen“ eigentlich geht. Es sind ohnehin (fast) alle getauft; es ist noch üblich, sich firmen und trauen zu lassen, und die vermeintliche Sicherheit, sich noch rechtzeitig eine Fahrkarte für die letzte Uberfuhr holen zu können, läßt sich eine erstaunlich große Zahl Getaufter viel Geld kosten, obwohl sie sonst nichts von der Kirche will.

Darüber hinaus bauen wir noch viel zu sehr auf die überkommenen „Bollwerke“ der früheren staatskir-chenähnlichen Position unserer Kirche in Österreich mit ihren gesetzlich oder durch Tradition abgesicherten Einflußräumen; diese Bollwerke verwittern aber langsam und viele von ihnen stehen nur deshalb noch, weil sie nicht wirklich angegriffen werden. Viele unserer Pessimisten meinen, daß die Existenz und Zukunft unserer Kirche nur von diesen altersschwachen Bastionen abhängt; sicher sind sie noch sehr nützlich, solange sie verwendbar sind, vor allem, solange wir noch so wenig anderes aufgebaut haben, auf das wir uns stützen können.

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