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Zukunft: Gemeinden ohne Priester?

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Fragt man den einfachen Mann auf der Straße, dann findet er kaum einen Unterschied zwischen dem Priester und der Kirche. Die Gleichsetzung geht so weit, daß mancher die Priester bedauert: Sie würden manchmal ganz anders reden, müßten sie nicht von Amts wegen ihre Kirche vertreten. Im Intensivsegment der Kirche ist diese Ansicht aber nicht mehr so selbstverständlich.

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Fragt man den einfachen Mann auf der Straße, dann findet er kaum einen Unterschied zwischen dem Priester und der Kirche. Die Gleichsetzung geht so weit, daß mancher die Priester bedauert: Sie würden manchmal ganz anders reden, müßten sie nicht von Amts wegen ihre Kirche vertreten. Im Intensivsegment der Kirche ist diese Ansicht aber nicht mehr so selbstverständlich.

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Schon länger gibt es Katholiken (bei den evangelischen Christen war dies immer schon anders!), welche die Gleichung Kirche (ist) Priester für falsch ansehen: Vor allem dann, wenn die Gegengleichung Laie (ist nicht) Kirche mitgemeint ist.

Dabei können sie sich auf das Zweite Vatikanische Konzil berufen. Seine Väter sahen in der Tradition der Bibel „Kirche" als die Versammlung derer, die Gott zu Glauben gerufen hat. Dabei gibt es unter den Volksgenossen (laos heißt eben Volk) verschiedene Be-Gabungen durch Gott. Darunter auch das Charisma des kirchlichen Amtes. Laien und Amt zusammen ergeben erst „Kirche".

Diese (Wieder-)Entdeckung der Laien ist auch der Nährboden für neue pastorale Dienstämter. Vor allem ehrenamtlich sollte jeder Christ (in der Gemeinde oder in der Welt) seinen Beitrag leisten. Dazu kommen Laien, die ihr christliches Engagement in der Kirche zum Beruf machen, also Gemeinde- oder Pastoralassistenten. Zusätzlich wurde auf dem Konzil auch das kirchliche Amt aufgefächert. Im Anschluß an alte kirchliche Traditionen wurde der ständige Diakon (vorerst für Männer) eingerichtet.

Diese theologisch und pastoral überaus fruchtbare Entwicklung wurde aber in der letzten Zeit vom wachsenden Priestermangel durchkreuzt. In manchen Diözesen werden nach verläßlichen und durchaus immer noch eher optimistischen Prognosen ein Drittel bis zwei Fünftel aller Pfarreien ohne „Pfarrer am Ort" sein.

Gewiß wird man diesen Mangel administrativ überdecken. Rechtlich wird es keine „priesterlose Gemeinde" geben; denn zumindest der Bischof bleibt in diözesaner Reichweite, und dieser ist ja der hauptverantwortliche Pfarrer, der auf seine „Gemeinden schauen muß" (was wörtlich übersetzt das griechische „episkopos" heißt).

Ein anderer administrativer Schritt ist die Errichtung von Pfarrverbänden. Mehrere kleine Pfarreien, die in ihrer Eigenständigkeit erhalten bleiben, werden zu einem Verband zusammengeschlossen. Der Pfarrer ist dann seelsorglich nicht mehr allein einer Kleinpfarrei zugeordnet, sondern dem Pfarrverband. Ideal wäre freilich diese Errichtung von Pfarrverbänden in jenen Zeiten gewesen, in denen es noch genug Priester gab.

Aber auch heute kann die Not noch ein guter Lehrmeister sein, die Laienverantwortung gleichsam zu „erzwingen" und Zusammenarbeit zu fördern. Geschieht dies nicht, wird die Errichtung von Pfarrverbänden lediglich eine Kosmetikoperation sein, die den raschen Verfall kirchlichen Lebens in den pfarrerlosen Gemeinden nicht aufhalten, sondern nur noch beschleunigen wird.

Man kann heute schon weitere Fol-

gen des Priestermangels absehen. Da ist die Umformung der echten Vielfalt pastoraler Berufe in eine unechte Vielfalt. In das freiwerdende Berufsfeld des Priesters zieht es und drängen auch von sich aus Diakone und Laien. In manchen Diözesen wohnen im Pfarrhaus Schwestern, Pastoralassistenten, Diakone. Als ich unlängst einen fragte, was er so eine Woche hindurch macht, sagte er, dasselbe, wie früher der Pfarrer ohne Messe und Beichte, nur hilft mir meine Frau dabei.

Man fragt theologisch besorgt, ob dies wirklich ein Pastoralassistent oder Diakon ist, oder nicht (wie Rahner und viele, andere vermuten) längst schon ein „Priester", der zwar den Wunsch nach der Weihe hat, priesterliche Aufgaben gebündelt wahrnimmt, aber eben nicht geweiht ist. Andere fragen dann besorgt weiter, ob dadurch nicht auch die Weihe ihre Einsichtigkeit verliert, wenn es „ohne" gerade so gut geht.

Entscheidend an der gegenwärti-

gen Entwicklung ist, daß der gute Ansatz, die vielen Dienste und Ämter in der Kirche zu wecken, weithin nicht zum Leben kommt. Gewiß, dieses Problem wird etwa in der Deutschen Bischofskonferenz deutlich gesehen. In einer Grundordnung für die patoralen Dienste (1977) wurden Maßnahmen ergriffen, die verhindern sollten, daß Laien aller Art in das Berufsfeld des Priesters einrük-ken. Soweit ich sehe, ist aber die Wirklichkeit bisher- stärker geblieben.

Dazu kommt als weitere Folge, daß auf die weniger und älter werdenden Priester (der Altersdurchschnitt liegt schon etwa bei 60) immer mehr Aufgaben entfallen. Zwar gibt es Bemühungen, die Gottesdienstzahl in den Gemeinden gegen deren Widerstand zu verringern. Dennoch versuchen die Verantwortlichen, faktisch so etwas wie ein „Recht der Gemeinde auf Eucharistie" anzuerkennen (auch wenn dies theoretisch bestritten wird, weil manche darin eine neue Taktik sehen, die Zölibatspflicht zu umgehen und die Weihe bewährter Männer zu erreichen).

Das hat aber zur Folge, daß die Gottesdienste nur dann gehalten werden

können, wenn die Priester immer mehr mobil sind. Selbst in der Diözese Passau gibt es schon Kapläne, die zu Weihnachten vier Christmetten halten mußten. In der berufsbegleitenden Ausbildung der ersten drei Jahre ist daher das gewichtige Thema jenes der Überforderung. Die jungen Priester werden schier erdrückt. Dies aber sehen wiederum die Priesteramtskandidaten aus nächster Nähe. Und man hat in den Seminaren alle Hände voll zu tun, die ohnedies häufig wenig belastbaren Priesteramtskandidaten vor einem „präventiven Rückzug" zu bewahren.

Notlösungen

Nun sind manche der Ansicht, man solle doch die Gemeinden aushungern. Erst dann würden sie energisch von sich aus nach dem Priester verlangen (und so wieder eine Veränderung der Zulassungskriterien erreichen). Ich teile diese „Politik" nicht und halte sie schlicht für inhuman. Es ist feig und unverantwortlich, die eigenen Lebensprobleme auf dem Rücken der Gemeinden zu lösen.

Pastoral gesehen ist es daher besser, wenn eine Notlösung „gutgeht" (auch wenn dies ein Rückfall in sozio-logistischem Funktionalismus ist, der heute mit erstaunlicher Vorliebe von Bischöfen vertreten wird, wäh-

rend die Pastoraltheologen die Theologie einklagen müssen), als daß das christliche Leben in den Gemeinden rasch verfällt. Zunächst ist eben wichtiger, daß Seelsorge ordentlich gemacht wird, als daß alles seine theologische Ordnung hat.

Dennoch bleibt es den Verantwortlichen (Papst, Bischöfe, Gemeinden, Theologen) nicht erspart, langfristig eine auch theologisch verantwortbare Lösung zu finden. Diese kann aber nur heißen: Es muß genug Priester geben. Dorthin kann nur eine konzertierte Aktion führen. Ihre einzelnen, voneinander nicht trennbaren Elemente heißen:

• Gebet zum Herrn der Kirche um Arbeiter für seinen Weinberg;

• Sorge um lebendige Gemeinden, und in ihnen engagierte Familien und eine „bibliophile" Jugendarbeit, weil dies der beste Nährboden für Priesterberufe ist;

• die Entwicklung einer lebenswerten „Kultur ehelosen Lebens", wozu auch Wohnen, Gemeinschaft, evangelische Räte insgesamt zählen;

• schließlich, wenn alle diese Maßnahmen nicht ausreichen, ein ernsthaftes Uberprüfen der bisherigen Kriterien der Zulassung zum Priester-

amt. Dabei muß man gar nicht immer mit dem Zölibat beginnen.

Man kann sich auch eine verantwortliche, praxisbezogene Ausbildung auf neuartigen Bildungswegen vorstellen. Man kann auch an die Weihe von Ordensfrauen denken (auch wenn dies sehr ungewohnt ist und meiner Einschätzung nach -in diesem Jahrtausend nicht verwirklicht werden wird); man wird aber auch fragen (was im übrigen nicht nur Pastoraltheologen öffentlich machen, sondern Bischöfe in ihren Gremien besprechen), ob nicht in Ehe und Beruf bewährte Männer (wenigstens für einige Zeit: Warum soll es keine befristete Notlösung geben!) zu Priestern geweiht werden sollen.

Zurecht hat der kürzlich verstorbene Bischof Tenhumberg von Münster am Ende der Deutschen Synode gesagt: „Wenn Gottes Wille dann in der Kirche eine Situation schafft oder durch menschliche Mitarbeit oder auch menschliches Versagen entstehen läßt, die seinen Willen darin deutlich ausdrückt, daß es neben dem Dienst der ehelosen Priester den Dienst der verheirateten Priester geben müsse, wenn also etwa die pastorale Not in einem solchen Ausmaß anwachsen würde, daß diese Lösung nahegelegt ist, wird kein Bischofsich über den durch die Situation ausge-' sprochenen Willen Gottes stellen wollen."

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