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Priestermangel als Weltproblem: Was tun?

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Das Gespräch ging um Lateinamerika und den hohen A nteil fremdländischer Priester dort. Der erfahrene Weltreisende bestätigte: Ehelosigkeit ist für Indios als Ideal unvorstellbar! Daraus ist dieser Beitrag geworden: unorthodoxe Gedanken eines gläubigen Katholiken, der nach allen Regeln herkömmlicher Zuordnung als Konservativer zu reihen ist. ..

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Das Gespräch ging um Lateinamerika und den hohen A nteil fremdländischer Priester dort. Der erfahrene Weltreisende bestätigte: Ehelosigkeit ist für Indios als Ideal unvorstellbar! Daraus ist dieser Beitrag geworden: unorthodoxe Gedanken eines gläubigen Katholiken, der nach allen Regeln herkömmlicher Zuordnung als Konservativer zu reihen ist. ..

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Priestermangel! Diese größte Wunde der Kirche zeigt sich in Lateinamerika am deutlichsten. Dort gibt es Länder wie Guatemala, wo nur zwölf Prozent der Priester im Lande geboren sind, doch wir alle kennen zwei Tatsachen: daß im Jahr 2000 die meisten der katholischen Christen in Lateinamerika leben werden und daß auch die prie- sterlichen Berufungen bei uns keineswegs ausreichen, um selbst den eigenen Bedarf zu decken.

Falls kein radikaler Umschwung, also fast ein Wunder eintritt, kommt der Moment, in dem man echte, sehr ernstliche seelsorgerische Zusammenbrüche erwarten muß,. Auch die Polen werden auf die Dauer nicht immer den deutschen Priestermangel decken können.

Was sind die Ursachen dieser Krise? Und was läßt sich grundsätzlich zu dem Problem sagen? Beginnen wir einmal mit der Feststellung, daß von dem über ein Dutzend Riten unserer Kirche nur der lateinische - allerdings bei weitem der zahlreichste - Ritus am Zölibat seiner Priester festhält, und diese Verfügung der Kirche heute eines der größten Hindernisse für eine ausreichende Zahl von Berufungen darstellt.

Man komme da nicht mit der Behauptung, daß in der benachbarten Bundesrepublik Deutschland die Anwärterschaft für das evangelische Pastorat genau so gering sei. Das ist ganz einfach nicht wahr: die Zahlen reden eine andere Sprache!

Nun ist es sicherlich so, daß selbstverständlich die Krise des Glaubens (zum Teil durch die sogenannte „Erneuerung") auch ein Faktor in dieser Notlage ist. Zudem ist der moderne Mensch mit seiner mangelnden Spiritualität nicht sehr geneigt, Opfer zu bringen, und das freiwillig ehelose Leben ist für einen Mann nicht weniger als für eine Frau ein sehr schmerzliches und vielschichtiges Opfer, denn es umfaßt fünf Verdachte: den Verzicht auf sexuelle Betätigung, auf den liebenden Eros, auf enge zwischengeschlechtliche Freundschaft und Kameradschaft, auf Vaterschaft und auf ein Familienleben (alles nicht dasselbe).

Dennoch darf man nicht vergessen, daß das ehelose Leben um Christi willen höher steht als die Ehe, obwohl diese sakramentalen Charakter trägt. Das ist nun einmal biblisčh und darf keinen Augenblick in Abrede gestellt werden. Der ehelose Priester ist zweifellos im Dienst der idealere, denn er kann sich seinen Aufgaben restlos widmen, während ein Ehemann, gleichgültig

welchen Beruf er hat, auch ein guter Ehepartner und Familienvater sein muß. Er ist notgedrungen ein geteilter Mensch.

Dieses Argument für den Zölibat ist also keineswegs sexualfeindlich, sondern ganz einfach existentiell. Freilich, auch das zölibatäre Leben hat seine Schwächen und Gefahren, nicht zuletzt auch spiritueller Natur, denn der Böse, an den wir in der letzten Vaterunser- Bitte erinnert werden, versäumt keine Gelegenheit zum Einreifen.

Doch bleibt die Gestalt des ehelosen Priesters ein Ideal, und dies primär aus dem Grund, weil der Aufruf dazu biblisch ist. Doch gibt es wiederum Ideale - denken wir da gerade an die „evangelischen Räte“ -, die uns nicht unbedingt verpflichten. Priester sind wir natürlich alle (1. Petrus, 2,9), doch das Priestertum des Priesters ist viel spezifische^, und Vollpriester ist eigentlich nur der Bischof.

Freilich muß in diesem Zusammenhang auch zugestanden werden, daß auch ein verheiratetes Priestertum seine Probleme hätte (das wissen unsere evangelischen Brüder!) und daß der Zölibat in der totalitären Tyrannis seine gewaltigen Vorteile hat. Der ehelose Priester ist bedeutend weniger verwundbar; viel leichter nimmt er ein großes Kreuz auf sich. Talleyrand sagte einmal: „Ein verheirateter Mann? Ein käuflicher Mann!“

Das Problem des priesterlichen Nachwuchses ist heute vor allem deshalb so akut geworden, weil wir nicht nur in einer übersexualisierten, sondern auch in einer hocherotisierten Zeit leben, denn im technisierten Versorgungsstaat sind der körperliche Genuß und die Verliebtheit letzter romantischer Trost in einer Öde geworden.

Der ganz besondere Charakter der Berufungskrise in Lateinamerika kommt jedoch vom machismo, der männlichen Zeugungseitelkeit, die auch die „Bevölkerungsexplosion“, das so häufige Konkubinat und einen ganzen Rattenschwanz anderer Übel zur Folge hat.

Zum Priestertum gehört ein innerer Ruf, aber auch zum Zölibat gehört eine ganz bestimmte seelische Einstellung. Nur das Zusammenfallen dieser beiden Berufungen schafft bei uns im lateinischen Ritus den richtigen Priester, wie zum Beispiel diesen überwältigenden

Heiligen, zu dem ich jeden Tag bete, St. Jean Vianney, den Cure d’ Ars.

Aber wenn es eines Tages nach unserem Schema nicht mehr weitergeht, und dieser Tag kommt fast unweigerlich, muß man eben an ein gesondertes Priestertum denken, sakramental den zölibatären Priestern völlig gleichwertig, aber kirchlich nicht gleichrangig. Denn verheiratete Bischöfe lehnen Ostkirche wie auch die Ostriten ab. (Sie kommen in der Mehrzahl aus dem

Mönchstum nach der Regel des Heiligen Basilius.)

Ich möchte auch schließlich nicht schicken Papstwitwen begegnen, die womöglich ihre Memoiren veröffentlichen. Unwillkürlich denkt man da an das schauerliche Regime der Marozia im päpstlichen Rom während des 10. Jahrhunderts!

Und von Priesterinnen wollen wir hier lieber gar nicht reden: diese würden die Frauen in Massen aus der Kirche treiben.

Der verehelichte oder zur Ehe entschlossene Priester sollte im Prinzip genau so Theologie studieren wie der zölibatäre, aber da er das große Opfer nicht bringt, hätte er auch nicht das Anrecht auf den Aufstieg in die Hierarchie (der .freilich nie und nimmer das Grundmotiv für die Ergreifung einer priesterlichen Laufbahn sein darf.)

Freilich sollte auch der verehelichte Priester als Priester äußerlich gekennzeichnet sein - also nicht wie ein frühpensionierter Commis Voyageur sich kleiden! Er soll wie bei unseren Ostriten vor der Priesterweihe heiraten und diese erst nach einem längeren Diakonat erlangen, denn ein Priester sollte sich nun einmal nicht auf Freiersfüßen bewegen. Auch seine zukünftige Frau müßte auf ihre Aufgaben psychisch und praktisch gründlich vorbereitet werden.

Im säkularen Bereich sollen dem „Weltpriester“ anders als dem „Kirchenpriester“ und dem Ordenspriester keine sonderlichen Schranken auferlegt werden; als Theologieprofessor könnte er zum Beispiel eine besonders lebensnahe Theologie produzieren.

Er könnte zwar nicht Bischof, wohl aber Kardinal werden. (Noch im 19. Jahrhundert hatten wir „Laienkardi- näle“, die nicht einmal eine Messe feiern konnten.) Im Konklave hätte er aber nur ein aktives und kein passives Wahlrecht, denn der „Bischof von Rom“ müßte unverheiratet sein - und dies, obwohl Petrus verheiratet war und die Grundqualifikationen des Papstes rein theoretisch nur zweifach sind: männlich und katholisch zu sein.

Der „Weltpriester“ - wie wir diesen Ausdruck hier gebrauchen - kann alle Sakramente spenden: auch die Firmung im bischöflichen Auftrag. Ein Priestertum zweiter Ordnung? Wir brauchen Hingabe, nicht Ambition!

Auf den Tag X soll man nicht tatenlos warten, denn (darüber soll man sich keine Illusionen machen) auch ein verheiratetes Priestertum hat seine Problematik, nur eben eine andere.

Es kommt aber nun darauf an, die Zahl der Berufungen zu mehren, und das bedingt in unserem lateinischen Ritus sowohl psychologische Umstellungen wie auch (was man ebenfalls nicht vergessen darf) finanzielle Opfer für die Gläubigen, denn das Familienleben kostet nun einmal mehr als das Junggesellendasein.

Das Konkubinat in Lateinamerika ist auch primär gar nicht sexuell, sondern existentiell bedingt!

Man stelle sich einen jungen Priester 4000 Meter hoch in einem Dorf unter Menschen vor, die in vieler Hinsicht einer niemals lächelnden, kaum belebten Lehmmasse gleichen. Es fehlt ihm dann völlig an einem „Du“ - abgesehen davon, daß diesen Indios ein echt frauenloses Dasein als unheimliche Ungeheuerlichkeit vorkommt. Ich habe sechs große und fünf kleinere Reisen in Lateinamerika hinter mir und weiß, wovon ich rede.

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