Verlorene Berufungen

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Unkonventionelle Überlegungen zur Diskussion um die "Viri probati".

Der zunehmende, in manchen Gebieten schon katastrophale Mangel an Priestern stellt für die katholische Kirche eine der großen pastoralen Herausforderungen der Gegenwart und nahen Zukunft dar. Einerseits haben die Gläubigen ein Grundrecht, aus den geistlichen Gütern der Kirche, insbesondere dem Wort Gottes und den Sakramenten, Hilfe von den geistlichen Hirten zu empfangen (canon 213). Andererseits aber wird es immer schwieriger, diesem Anspruch gerecht zu werden. Priester, die an Sonn-und Feiertagen mehrere Pfarren und Seelsorgestationen zu versorgen haben, sind physisch und nicht selten auch psychisch überfordert.

Durch die Einführung des Ständigen Diakonats, der auch verheirateten Männern zugänglich ist, wurden zwar wertvolle Kräfte für bestimmte liturgische und seelsorgliche Aufgaben gewonnen, der eigentliche priesterliche Dienst erfährt dadurch aber keine nachhaltige Entlastung. Denn die wichtigsten Aufgaben des priesterlichen Amtes, nämlich die Feier der Eucharistie und die Spendung von Bußsakrament und Krankensalbung, sind dem Diakon nicht zugänglich.

Wenngleich man sich vor monokausalen Vereinfachungen hüten soll, steht doch außer Zweifel, dass der Pflichtzölibat in der Lateinischen Kirche in nicht wenigen Fällen ein Hindernis für das Ergreifen des Priesterberufes darstellt. Darum wird immer wieder der Ruf laut, die Kirche möge, um dem in einigen Ländern bereits dramatischen Priestermangel abzuhelfen, das priesterliche Amt auch "bewährten" verheirateten Männern zugänglich machen, den so genannten "viri probati", das heißt, diese sollen als Verheiratete nicht nur die Diakonen-, sondern auch die Priesterweihe empfangen können.

Ehe und Priestertum

Dieses Modell des verheirateten Priesters gibt es bereits in den katholischen wie nichtkatholischen Ostkirchen und unter bestimmten Voraussetzungen sogar im Bereich der Lateinischen Kirche. In den Ostkirchen werden nach Absolvierung eines Theologiestudiums verheiratete Männer zu Diakonen und Priestern geweiht, Bischöfe müssen allerdings zölibatär leben. Auch in der Lateinischen Kirche werden gegenwärtig verheiratete Männer zum Priesteramt zugelassen, allerdings nur bei Vorliegen besonderer Umstände.

Dies etwa dann, wenn verheiratete Amtsträger nichtkatholischer Kirchen (zum Beispiel Anglikaner, Protestanten) zur katholischen Kirche konvertieren und den Wunsch haben, weiterhin im geistlichen Amt tätig zu sein. Sofern diese konvertierten Amtsträger daher in der katholischen Kirche zum Priesteramt zugelassen werden, wird ihnen die Priesterweihe erteilt und die Fortsetzung der vorher geschlossenen Ehe gestattet. Damit sind sie also praktisch bereits im Stand der so genannten "viri probati".

Nun wirft aber gerade die allfällige Einführung dieser "viri probati" einige Fragen auf, die einer Klärung zugeführt werden sollten. Die katholische Kirche lässt derzeit verheiratete Männer zur Diakonats-und Priesterweihe (nicht auch Bischofsweihe) zu. Andererseits aber wird dem Priester, der bei Empfang der Weihe nicht verheiratet war, ein späterer Eheabschluss, das heißt, eine Dispens vom Zölibat, wenn überhaupt, so erst nach einem aufwändigen und langwierigen Verfahren, nur unter der Auflage erteilt, aus dem geistlichen Amt auszuscheiden und keinerlei geistliche Funktionen mehr zu verrichten.

Schlecht gestellter Laisierter

Der Betreffende verliert den geistlichen Stand (so genannte Laisierung; frühere Bezeichnung "Rückführung in den Laienstand"). Das bedeutet, dass der Laisierte zwar seiner Weihe nicht verlustig geht, er darf diese aber nicht ausüben, ausgenommen die Spendung der Sakramente der Buße und der Krankensalbung für einen in Todesgefahr befindlichen Gläubigen. Der Laisierte wird aber nicht einfach wieder dem Laien gleichgestellt, sondern hat eindeutig eine schlechtere Stellung als dieser. Es wird ihm nämlich die Lehrtätigkeit an Seminaren und theologischen Fakultäten untersagt, er darf ferner keine liturgischen Dienste verrichten, wie z.B. Kommunionspender oder Lektor.

Auf diese Weise gehen der Kirche Tausende von zum Teil sehr wertvollen geistlichen Berufungen verloren (in Österreich allein gibt es etwa 800 laisierte Priester). Eine große Anzahl von ihnen wäre fähig und auch willens, die empfangene Weihe, die ja, wie bereits gesagt, nicht verloren geht, weiterhin in einem geistlichen Amt auszuüben, sie dürfen es aber nicht.

Dass es bisweilen trotzdem, wenngleich unerlaubterweise geschieht, das heißt, dass ein laisierter Priester von einer Gemeinde eingeladen wird, Eucharistie zu feiern und diesem Wunsch auch nachkommt, ist eine bekannte Tatsache. Für diese Form der Einladung seitens einer Gemeinde wird mitunter der saloppe Ausdruck "Rent a priest" gewählt, und der Vorgang selbst wird auch mit den Worten umschrieben "Priester ohne Gemeinde für Gemeinden ohne Priester".

Die gegenwärtige Rechtslage führt im Grunde genommen zu einer sehr eigenartigen Situation. Was die Verbindung der beiden Sakramente Ehe und Weihe betrifft, so lässt die Kirche derzeit verheiratete Männer zur Weihe zu, sie verbietet aber gleichzeitig nicht verheirateten Priestern, eine Ehe einzugehen. Wer sich also einmal für den Zölibat entschieden hat, dem wird der Abschluss einer Ehe nur gestattet, wenn er zugleich aus dem geistlichen Amt ausscheidet.

Nun wird man zugunsten dieser derzeitigen Praxis vielleicht vorbringen, dass der Priester, sofern er nicht schon verheiratet ist, vor Empfang der Weihe ein ausdrückliches Zölibatsversprechen abgelegt hat und dass somit erwartet werden kann, dass dieses Versprechen auch eingehalten wird.

Darauf ist zweierlei zu erwidern: Zum einen hat bis zum Pontifikat Pauls VI. der Priester vor Empfang der Weihe kein ausdrückliches Zölibatsversprechen abgelegt, die Zölibatspflicht war einfach aufgrund der Rechtslage mit dem Empfang der damals noch bestehenden Subdiakonatsweihe verbunden. Ein ausdrückliches Zölibatsversprechen wird heute zwar vor der Weihespendung gefordert (c. 1037), es handelt sich dabei aber um kein Gelübde wie bei den Ordenspersonen. Zum anderen kann sich eine eventuelle Erwartungshaltung der Kirche nur auf die Beobachtung der ausdrücklich versprochenen Lebensweise erstrecken, nicht aber auf die Möglichkeit einer Dispens.

Die Praxis der Dispensgewährung von der Zölibatspflicht ist in sich widersprüchlich: Ordenspersonen legen ein ausdrückliches Gelübde der Ehelosigkeit (Keuschheit) ab. Weltpriester legen kein solches Gelübde, sondern ein diesbezügliches Versprechen ab. Eine Dispens von Ordensgelübden wird in einem einfachen Verfahren praktisch immer gewährt. Der Dispensierte erleidet keinerlei Einbußen in Bezug auf seine nunmehrige Rechtsstellung. Dispens von der priesterlichen Zölibatspflicht hingegen erfordert ein kompliziertes, langwieriges Verfahren vor der Römischen Kurie und bedeutet im Falle der Gewährung der Dispens Ausscheiden aus dem geistlichen Stand sowie Minderung der Rechtsstellung als Laie.

Probleme des Zölibats

Die "Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen" (Mt 19,12) ist eine göttliche Gabe (Charisma), dem sich eine Rechtsordnung nur mit großer Behutsamkeit nähern soll. Wenn das kirchliche Gesetzbuch als Ziel des priesterlichen Zölibats angibt, dass dadurch "die geistlichen Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen Christus anhangen und sich freier dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können" (canon 277 § 1), so wird damit ein Ideal angesprochen, das in vielen Fällen verwirklicht wurde und wird, das aber andererseits nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass der Zölibat in Geschichte und Gegenwart auch eine Fülle leidvoller und dem Erscheinungsbild der Kirche höchst abträglicher Erfahrungen aufweist.

Es stellt sich immer dringender die Frage, ob die Kirche das Charisma der Ehelosigkeit derart mit dem Zutritt zum geistlichen Amt verknüpfen darf, dass sie dem als Ledigen geweihten Priester eine nachträgliche Eheschließung nur unter der Bedingung der Aufgabe des geistlichen Amtes gewährt.

Die Kirche muss sich heute beim Umgang mit dem Zölibatsgebot der Priester allen Ernstes die schwer wiegende Frage nach ihrer eigenen Glaubwürdigkeit gefallen lassen. In nicht wenigen Fällen leben nämlich Priester mehr oder weniger offen in Beziehungen mit Frauen, wobei es nicht unerhebliche regionale Unterschiede gibt. Auch wenn solche Fälle ortsbekannt sind und natürlich auch den zuständigen Bischöfen nicht verborgen bleiben können, wird dieser Zustand angesichts des herrschenden Priestermangels praktisch geduldet, bzw. wird darüber hinweggesehen. Das bedeutet, dass selbst ein Priester, der offenkundig in einer Beziehung mit einer Frau lebt, solange keine Behinderung in der Ausübung seines geistlichen Amtes erfährt, als er nicht den Schritt in Richtung auf eine Eheschließung vornimmt.

Oberstes Gesetz Seelenheil

Eine allfällige Zulassung von "viri probati" zum Priesteramt stellt die Kirche vor eine Reihe neuer Herausforderungen. Ein unverheirateter Kleriker ist möglicherweise leichter "lenkbar", er kann auch einfacher von einem Dienstposten auf einen anderen versetzt werden als ein verheirateter mit Familie. Aber schließlich muss das Seelenheil immer oberstes Gesetz in der Kirche sein (canon 1752), und dieses Gesetz nimmt die Kirche auch in die Pflicht, für eine ausreichende Zahl von geeigneten Seelsorgern Vorsorge zu treffen.

Es mangelt der Kirche nicht an geistlichen Berufungen, das heißt an Menschen, die fähig und willens sind, das priesterliche Amt anzustreben, die sich aber nicht zum Zölibat berufen fühlen. Bestehende rechtliche Strukturen, zumal wenn diese eindeutig nicht dem der Kirche vorgegebenen "göttlichen Recht" angehören, dürfen kein Hindernis sein, diese Berufungen zu finden und sie in die Seelsorge einzubinden.

Der Autor ist emeritierter Ordinarius für Kirchenrecht an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien.

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