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Audi Priesterehen sind nicht krisenfest

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Mit Recht wird man fragen: Was hat ein ehemaliger Priester zu dem Thema „Zölibat“ zu sagen, wenn er ohnehin seit mehr als vier Jahrzehnten nicht mehr zölibatär lebt. Aber vielleicht ist es gerade einem ehemaligen Priester gestattet, der vor 52 Jahren das Sakrament der Priesterweihe empfangen hat, aus dem Schatz seiner weit zurückliegenden Erfahrungen ein Wort zu diesem zur Zeit hochgespielten Thema zu sagen. Blenden wir ein halbes Jahrhundert zurück. Wie hoch stand doch damals der katholische Priester im Kurs!

Wie immer der einzelne Mensch Innerlich gesinnt war, er erblickte in einem katholischen Priester einen Menschen einer anderen gesellschaftlichen Ordnung, und der Geistliche selbst war durch seine Kleidung und Haartonsur irgendwie aus der Menge herausgehoben. Was war es doch für einen Priestertumskan-didaten ein erhebendes Gefühl, wenn der Bischof seine Hände ihm auf das Haupt legte oder wenn beim Einzug in die Primizkirche vom Kirchenchor in feierlicher Weise das „tu es sacerdos in aeternum“ erklang. Es galt für jeden gläubigen Katholiken als selbstverständlich, daß der Priester ein anderes Leben führte, daß er nicht von Frau und Kindern umgeben in einer Mietzinswohnung lebte. Der Katholik sah in seiner Kirche eine Institution übernatürlicher Ordnung, eben eine göttliche Stiftung, und daher legte er andere Maßstäbe an, um über Bischöfe und Priester sich ein Urteil zu bilden.

Es war nur bezeichnend, daß in der katholischen Presse als Motiv für den Austritt stets nur ein Motiv hinausposaunt wurde, nämlich: der Austritt aus Amt und Kirche sei nur propter feminam erfolgt. So sehr identifizierte das Volk Priestertum mit dem Zölibat, daß es sich andere Beweggründe zur Amtsniederlegung eines Priesters gar nicht vorstellen konnte. In Wirklichkeit haben weltanschauliche und theologische Schwierigkeiten einige Priester bewogen, der Kirche den Rücken zu kehren. Doch es waren ihrer nicht viele.

Es sei ohne weiteres zugegeben, daß auch damals viele Geistliche ab und zu Schwierigkeiten mit dem Zölibat hatten, aber keinem wäre es eingefallen, deshalb gegen die Kirche Sturm zu laufen. Man war sich menschlicher Schwächen bewußt und versuchte, mit Hilfe religiöser Mittel ihrer Herr zu werden. Und kamen schwere Entgleisungen vor, dann wußte die Kirchenleitung immer wieder Wege, um mit möglichster Vermeidung eines scanda-lum diese Entgleisungen aus der Welt zu schaffen. Auch die Priester von damals wußten um die Berechtigung des Naturrechtes, das ideologisch gegen den Zölibat stand, aber sie wußten auch, daß sie freiwillig auf die Ausübung ihres Naturrechtes eines höheren Zweckes wegen verzichtet hatten. Es war ihnen klar, daß die Weihe ihres Priestertums das Freisein von belastenden Bindungen an Frau und Kinder irgendwie einschloß. Wem diese Weiheverpflich-

tung doch unerträglich wurde, der zog daraus alle Konsequenzen, wie es Augustinus richtig sagte: „quod agis, age — was du tust, das tue ganz.“ Was man aber vor einiger Zeit in der vielgelästerten Horizonte-Sendung sehen mußte, war gelinde gesagt ein Humbug. In einer Privatwohnung, umgeben von Frau und einem strampelnden Kleinkind, Meßopfer spielen zu wollen, ist wohl die ärgste Profanierung einer sakramentalen Handlung. Und so stehen wir bereits mitten in unserer Gegenwart. Dieser plötzliche Aufstand gegen den Zölibat so vieler katholischer Priester in den verschiedensten Ländern der Erde läßt sich kaum anders erklären, als daß diese stürmische Sehnsucht nach Frau und Familie ein Teil jener ungeheuren Lesewelle ist, die wie ein breiter Strom sich über die Länder ergießt. Jetzt sucht man krampfhaft nach Bibelsprüchen und Apostelbriefen, um die Legitimität der Freiheitsansprüche vom Zwang des Zölibats nachweisen zu können und vergißt jene anderen Worte Christi, die von Seinen Jüngern das Verlassen von Eltern und Familien wünschen, wenn sie Christi Nachfolge antreten wollen, man vergißt vor allem das entscheidende Wort des Herrn: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“ Und damit sind wir beim Kernproblem der Kirche angelangt. Entweder ist die katholische Kirche eine Institution übernatürlicher Ordnung, dann gelten für sie und ihre Amtsträger Grundsätze rein religiöser Natur, oder sie ist eine Gemeinschaft wie etwa' Familie, Betrieb oder Staat, dann natürlich gelten nur rein menschliche Gesetze und Ansprüche. Auffallend ist auch die fast übertriebene Anteilnahme von gläubigen und nichtgläubigen Laien an der Zölibatsdiskussion. Vergißt man denn in diesen Kreisen, daß es auch noch andere Zölibatäre gibt als nur Priester? Wie viele Wissenschaftler und Forscher haben ehelos gelebt und leben noch als Junggesellen, weil sie ganz und gar nur ihrer wissenschaftlichen Forschung leben und eine Familie für sie eine schwere Belastung wäre? Und so manche Berufspolitiker leben aus den gleichen Gründen zölibatär, und vom berühmten Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger erzählt man sich die Anekdote, daß er auf die Frage, warum er nicht heirate, geantwortet haben soll: „Meine Braut heißt Vindobona!“ Und so gibt es viele Menschen, die in der Bewältigung großer Lebensaufgaben ein Äquivalent zum Fehlen eines Familienlebens finden. Warum soll der katholische Priester, dem eine so große und schöne Lebensaufgabe gestellt ist, in seinem priesterlichen Wirken nicht einen Ersatz für das Fehlen eines Familienlebens mit seinen Freuden, aber auch mit seinen oft vielfachen und schweren Sorgen finden können? Es gibt verheiratete Priester, die in Krisen hineinschlittern, in denen sie froh wären, wenn sie ihren Zustand wieder rückläufig gestalten könnten. Darum sollte man die Frage des Zölibats nicht so hochspielen, sondern sie innerhalb der Kirche sub specie aeternitatis zu betrachten versuchen.

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