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Vergeudete Priesterberufe?

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Mit (bn Chancen und Problem-feldem theologischer Karrieren befaßt sich eine neue Studie. Eie Resultate sind brisant.

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Mit (bn Chancen und Problem-feldem theologischer Karrieren befaßt sich eine neue Studie. Eie Resultate sind brisant.

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Genau 74 Prozent der Personen, iie 1971 -1986 in Österreich ka-holische Theologie studiert haben, hatten einmal den Wunsch, Priester, zu werden. Herausgekommen sind, so ist leidvoll genug bekannt, weitaus weniger, gemessen an den vtrhandenen christlichen Gemeinschaften und Gemeinden auf jeden Fäl zu wenige. Dabei muß offen bleibei, ob nicht viele ihren Traum vom P:iesterberuf mitnehmen: in einen wdtlichen Beruf oder in die Aufgabe as Pastoralassistent, Religionslehrer )der wissenschaftlicher Theologe. Aach ist es unmöglich zu sagen, was cieser verhinderte Priester-wunscl „anrichtet", in spät geweihten Dickonen, in engagierten Laien.

Dieses jnorme ungenützte Potential an möjlichen Priestern ist mit Si-cherhet eines der herausragenden Er-gebniss einer Studie, die vom Institut für Pastoraltheologie an der Uni-versitälWien im Auftrag des Bundes-ministcriums für Wissenschaft und Forschung durchgeführt worden ist. Das Irteresse der Ministeriums ist verstänllich: Was wird aus den Geld-mittelr, welche die Republik in akademische Ausbildung steckt? Nützt sie jenen lersonen, die nach der Universität ene gesellschaftliche Aufgabe übernehmen? Sind die Ausgebildeten hinreichend vorbereitet? Und warum gibt esso viele „drop outs", und zwar an verchiedenen Stellen der möglichen Iaufbahn: während des Studiums, bdm Übergang von der Universität in den Beruf (hier vor allem in den Denstbereich der Kirche), und nicht züetzt während des Berufs.

Körnte es also sein, daß an den Fa-kultätei der Priesterberuf „aus-" und später n der beruflichen Weiterbildung „ort-gebildet" wird? Die Studie läßt soche Argumente nicht gelten.' Die Abbildung wird von den Absolventen in erstaunlicher Weise geschätzt unbeschadet von Reform-wünsclen, die im übrigen nicht neu sind. De Ursachen, warum das be-achtlicie Potential von „Priester-wünsclen" ungehoben bleibt, liegen also mt Sicherheit nicht an den Fakultät«.

Bishr wurde absichtlich die weibliche Frm vermieden. Die Ergebnisse der Studie werden aber noch brisanter, venn sie aufdeckt, daß auch 57 Prozent der Frauen „Priesterin" werden wollten. (In der von Christian Friesl 1993 durchgeführten Studie an den damals Studierenden in Österreich waren es im übrigen mit 30 Prozent merklich weniger.) Jenseits aller theologischen Debatten um die Zulassungsbereitschaft von Frauen durch die Verantwortlichen der Kirche muß dieses Ergebnis nachdenklich machen. Es erinnert unwillkürlich an die kleine heiliggesprochene Theresia. Von ihr heißt es, daß sie in sich klar eine Berufung durch Gott zum Priesteramt vernommen habe. Es war ein Moment an ihrem Leiden an der Kirche, daß sie die Annahme dieser ihrer fest geglaubten Berufung durch Gott nicht erwartete oder einforderte.

Wo also versickern die Priesterberufe? In der Studie, deren vertiefte Auswertung im Gang ist, zeigen sich zumindest drei große Ursachenbündel. Ein erstes Bündel: Es gibt den Beruf des Laientheologen (28 Prozent). Als solcher könne man zudem „freier arbeiten" (31 Prozent). Die Zahlen signalisieren, daß dieses Argument nicht allzu viel erklärt. Das ist wichtig, weil manche meinen, gäbe es das Berufsmodell der Laientheologen nicht, hätte die Kirche mehr Priester.

Hausgemacht ist eine weitere Gruppe von Gründen gegen den Priesterberuf: Das Priesterbild erscheint wenig zeitgemäß (59 Prozent), auch sei der kirchliche Autoritätsstil störend (59 Prozent). Die Identifikation mit der konkreten Kirche mache auch zu viele Probleme (47 Prozent). Bemerkenswert ist das dritte Motivbündel: Nicht viele (19 Prozent) halten sich selbst für zu wenig gläubig oder auch für zu wenig qualifiziert (19 Prozent). , Wichtig ist hier, daß der Abschied vom Priesterwunsch nicht leichtfertig als „Glaubensschwäche" ausgegeben werden kann. Das geht auch deshalb nicht, weil die Theologiestudierenden insgesamt glaubensneugierig sind und auch eine beachtliche Grundbindung an die Kirche mitbringen, mit einer gesunden Dosis an Kirchenkritik gepaart: eine Eigenschaft, die bei jungen Leuten eine der vitalsten Arten der Kirchenloyalität darstellt. Jene, die als junge Menschen keine Kirchenkritik zusammenbringen, sollte sich die Kirche ohnedies gut ansehen, bevor sie ins priesterliche Amt gelassen werden.

Bleibt das vierte und wichtigste Bündel: Man wolle nicht zölibatär leben (82 Prozent), damit in Zusammenhang steht die Entscheidung, eine Partnerschaft einzugehen (65 Prozent).

Die Verantwortlichen der Kirche bekommen hier auf dem Weg solider wissenschaftlicher Forschung eine Menge herausfordernder Fragen präsentiert:

Wie kommt es, daß die zölibatäre Lebensform (als Moment einer als „autoritär empfundenen Kirche") so vielen gläubigen und im Grund kirchenloyalen jungen Menschen als derart unlebbar erscheint? Ist es wirklich in jedem Fall die Angleichung an den bequemen bürgerlich-wehleidigen Egotrip? Die fade Vermeidung des Risikos einer spannenden Reich-Gottes-Existenz? Oder spiegelt es wieder, daß die familiären Netze der Zölibatären vergangen sind und neue basisgemeindliche Lebensnetze nicht und nicht entstehen wollen?

Solche Fragen werden gewiß nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Kernproblem der Eignung für kirchliche Berufe längst nicht die Lebensform (Ehe oder Ehelosigkeit), sondern die reife .Entwicklung und die kulturvolle Integration der Sexualität in die Person ist. Dies ändert nichts an der Option, daß man den Zölibat als eine der Reich-Gottes-Zumutungen an jemanden, der oder die sich dazu berufen erlebt, aufwerten muß, wenn man ihn nicht mehr als Zulassungsbedingung zum Priesteramt einfordern will.

Zugleich ist aber zu fragen: Kann es sich die Kirche leisten, die zu wenigen Priester mit immer mehr Aufgaben zu belasten und damit auszulaugen? Kann die Kirche hinnehmen, daß ihre zu wenigen Priester immer weniger in der Seelsorge anzutreffen sind? Kann sie es wirklich verantworten, daß zumal junge Menschen kaum noch einen jungen Priester zum Anfassen erleben, weil es kaum noch Ka-pläne in der Jugendarbeit oder im Religionsunterricht gibt? Alle verfügbaren Studien belegen, wie sehr das Naherlebnis von Priestern nach wie vor eine der wichtigsten Förderungen des Priesterberufs darstellt. Können es die Verantwortlichen der Kirche wirklich geschehen lassen, daß immer mehr Gemeinden in ihren Handlungsmöglichkeiten eingegrenzt werden?

Ob nicht doch die Zeit dafür reift, neben den unverzichtbaren zöli-batären Priestern auch gemeindeerfahrene Personen ins Amt zu bitten, die nicht ehelos leben? Nebenberuflich? Auf Zeit? Das wird gewiß nicht schnell geschehen können. Aber warum sollte ein nächster Papst, intensiv hinhorchend auf die Nöte der Ortskirchen, nicht die Möglichkeit eröffnen, daß aus jenen Gemeinden, die lebendig sind und viele ihrer Dienste ehrenamtlich wahrnehmen, jemand zur Weihe vorgeschlagen wird, am besten gleich nicht einzelne, sondern gleich ein „Minipresbyterium"? Für den Anfang wenigstens in 5 Prozent der Gemeinden einer Diözese?

Forschung ist gewiß kein Ersatz für Entscheidungen. Diese können und wollen von der Wissenschaft nicht abgenommen werden. Aber solide Forschung schafft für bodenfeste Entscheidungen eine gute Grundlage und weitet zudem den Handlungsspielraum der Verantwortlichen aus. Das heißt im konkreten: Die Kirche hätte weit mehr Priester, würde sie das ihr von Gott gegebene Potential nützen.

Paul M. Zulehner ist

Universitätsprofessor und Vorstand des Wiener Instituts für Pastoraltheologie. Sein Assistent Christian Friesl war Projektleiter der Studie „Christsein als Beruf.

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