6838027-1975_26_09.jpg
Digital In Arbeit

Armut an Menschen und Mitteln

Werbung
Werbung
Werbung

In einem offenen Brief an meine Adresse (La Croix, vom 7. August 1970) schrieb Hans Küng: „Zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem II. Vatikanischen Konzil war es vor allem die französische Theologie, die immer wieder die Stimme für eine Erneuerung der Kirche und der Theologie erhob. Warum herrscht seit dem Konzil ein so tiefes Schweigen ...? Warum gibt es so wenig Diskussionen und konstruktive Vorschläge angesichts so vieler drängender Probleme? Diese Frage muß einen schmerzlich berühren, der der französischen Theologie soviel verdankt.“

Die Art, in der diese Feststellung formuliert ist, wirft die Frage als Generationenproblem auf. Denn jene, die zwischen 1940 und 1962 aktiv waren, haben heute das Alter der Emeritierung.

Einerseits hat unsere Mühe zum Erfolg geführt. Für meinen Teil hat alles, was ich erarbeitet habe, auf dem Konzil Früchte getragen: die Erneuerung der Ekklesiologie, der Ökumenismus, der Geist der Reform, die Laien, Priester und Mission, Tradition. .. Man spürt weniger den Ruf nach einem neuen Abschnitt, selbst wenn man intellektuell weiß, daß die Probleme neu sind und daß nach einem Wort Karl Rahners die nach-konziliäre Theologie sich nicht damit begnügen darf, endlos das Konzil zu kommentieren. Anderseits ist es äußerst schwer, sich wirklich in neue Begriffe, eine neue Problematik und eine neue Literatur einzuarbeiten. Aber genau das sollten Männer tun, die ihr Arbeitsinstrumentarium lange vor den zahlreichen neuen und bisweilen revolutionären Möglichkeiten erwarben, die heute sowohl durch die Mittel des Einsatzes wie durch die gestellten Fragen geboten werden.

So stößt man bewußt auf eine Situation, die unmittelbar unsere Frage angeht: wenn es schon keinen Einschnitt gibt, so doch mindestens einen Unterschied, einen bestimmten Abstand zwischen zwei Generationen. Man bewertet die eine zu hoch und sucht nach der anderen: Wo ist sie? Ich werde oft gefragt: Wer wird Ihre Arbeit fortsetzen? Wo sind die jungen Theologen in Frankreich für heute und für morgen? Ich muß hier bemerken, daß ich im wesentlichen von Frankreich spreche, das man bei uns „Hexagone“ (Sechseck) nennt. Ausnahmsweise könnte ich auch auf Arbeiten aus dem französischsprachigen Wallonien, der französischen Schweiz oder Quebec (Französisch-Kanada)... zu sprechen kommen. Wo also sind die jungen Theologen, wer sind sie?

Es gibt sie, doch nicht sehr zahlreich; sie sind noch kaum durch maßgebende persönliche Arbeiten hervorgetreten; sie haben nicht die Bekanntheit ihrer Meister. Diese Tatsache wird durch die Situation im Verlagswesen bestätigt. Auf der einen Seite veröffentlicht ein Verlag wie Cerf mehr Übersetzungen als französische Original werke; anderseits klagen ausländische Verleger, vielleicht mit Ausnahme von Spanien und Italien: Wir haben keine Übersetzungen französischer Werke. Was macht Ihr?

Auf die so gestellten Fragen möchte ich antworten, indem ich so gut wie möglich die Lage für die theologische Arbeit in Frankreich verdeutliche. Ich möchte keine Bilanz ziehen, Buchreihen aufzählen, Doktordissertationen nennen und nicht einmal auf die bemerkenswertesten Werke hinweisen. Es besteht eine Art normaler theologischer Unterlage, von der ich nicht reden will. Vielmehr möchte ich — und sei es auch nur partiell — auf die Frage, auf die Unruhe antworten, die von Hans Küng formuliert wurde. Das soll in zwei Teilen geschehen, deren Bedeutung und Länge nicht gleich ist. Im ersten geht es um den gewissermaßen soziologischen Status dieser Arbeit, im zweiten um ihren wissenschaftstheoretischen Status.

Im Vergleich zur deutschen Situation — aber auch teilweise wenig-

stens zur holländischen und belgischen auf Grund von Nijmegen und Löwen — läßt sich die soziale Situation der Theologen und der Theologie in Frankreich mit fünf Zügen charakterisieren.

Als erstes leiden wir unter einer gewissen Armut an Mitteln, Einrichtungen und Menschen. Es bestehen acht Fakultäten für katholische Theologie. Nur eine ist staatlich, ebenso wie ihr protestantischer Partner, die Fakultät von Straßburg. Grund dafür ist die Beibehaltung des Konkordats im Elsaß in den Jahren 1871 und 1918. Hier besteht darum kein Finanzierungsproblem; eine be-

stimmte Zahl von Studenten kann ein Stipendium erhalten.

Doch die Fakultäten der „Instituts Catholiques“ — Paris, Lyon, Lille, Toulouse und Angers — leben ärmlich. Den Professoren stehen weder Assistenten noch Sekretäre zur Verfügung wie ihren deutschen Kollegen. Häufig müsssen sie noch eine Nebentätigkeit übernehmen, um das nötige Einkommen zu haben. Darunter leidet ihre Arbeit. Ich möchte es nicht besonders betonen, doch bin ich überzeugt — dafür habe ich zahlreiche Zeichen und Beweise! —-daß die Armut der französischen Kirche ihre Möglichkeiten hart einschränkt.

Offenkundig gibt es aber auch positive Aspekte dieser Armut, und zudem darf man sie nicht dunkler sehen, als sie ist. Einige meinen auch, es gäbe eine Frage der Verwendung der Mittel; wenn man der Theologie die verdiente Priorität einräumen würde, wären Bibliotheken und Professoren besser daran.

Aber schwerwiegender noch ist die Armut an Menschen. Wie viele Seminare sind geschlossen worden oder zusammengelegt! Zu viele bedeutende Städte besitzen kein intellektuelles christliches Zentrum, das etwas qualifizierter wäre. Manche Fakultät vegetiert dahin, weil die Studenten fehlen. Fourviere und Chantilly (Fakultäten der Jesuiten) sind in Paris zusammengefaßt worden. Le Saulchoir (Fakultät der Dominikaner) ist nur noch 10 Prozent dessen, was es einmal war. Die Frage ist offen, ob dieses Institut oder jene Fakultät weiter bestehen werden. Das ist also die wenig erfreuliche Bilanz, wie ich gern gestehe. Aber zur Wirklichkeit gehören auch noch andere Aspekte.

Der zweite Aspekt ist positiver. Ich halte ihn überdies für ganz entscheidend. Außerdem steht er nicht beziehungslos neben dem ersten. Die französische Theologie ist weniger akademisch, Weniger „wissen-

schaulich“ und weniger das reine Produkt eines Prozesses, in dem Fakultäten Doktoren fabrizieren und Monographien für wissenschaftliche Forschungsreihen hervorbringen. Sicherlich, auch unsere Fakultäten tun etwas dieser Art; auch sie fabrizieren Doktoren, und mehr als eine Arbeit läßt sich durchaus mit dem vergleichen, was anderswo gearbeitet wird.

Und doch, das Gesamt von Leben und Arbeit unserer Theologen wird nicht bloß von der Universität bestimmt und ist in diesem Sinn nicht rein akademisch. Ich glaube, unsere Theologen sind engagierter einer-

seits in der Teilnahme am profankulturellen Leben der Laien, anderseits im pastoralen Leben der Kirche und im Dienst, um den Bischöfe oder christliche Organisationen sie bitten zur Unterstützung der jeweils konkreten Aufgaben der Kirche.

Einige widmen in diesem Sinn einen Großteil ihrer Zeit dem Leben der kirchlichen Strukturen: ich erwähne von meinen unmittelbaren Mitbrüdern P. Liege, Dekan der Theologischen Fakultät am Institut Catholique, Paris, P. Gy, wissenschaftlicher Mitarbeiter der offiziellen liturgischen Arbeitsgruppen, P. Legrand, Berater in Fragen des Amtes und der Organisationen wie Pfarrgemeinderäte, Priesterräte usw. Allerdings werfen andere ihnen vor, sie machten sich abhängig vom Apparat und von der Macht. Diese anderen ziehen es vor, in freien Laiengruppen zu arbeiten, die keinen Platz in den offiziellen Kirchenstrukturen haben oder dazu in einem gespannten Verhältnis stehen.

Natürlich kostet das alles Zeit. Und es orientiert die Anstrengungen des Denkens weniger auf die Erarbeitung gelehrter Monographien als auf unmittelbare Mitarbeit im Bereich von Fragen, die Frauen und Männer sich in dem Leben stellen, das sie mitten in der umfassenden und profanen Gesellschaft führen. So opfern viele Theologen Zeit und Arbeitskraft für Sitzungen, für Zeitschriften, die nicht wissenschaftlich sind, für Auseinandersetzungen, wie die um die Abtreibung.

In Verbindung damit ist auf das neue Interesse der Laien an der Theologie hinzuweisen. In Frankreich gibt es keinen offiziellen Religionsunterricht in den Schulen, der auch Laien einen angemessenen Lebensstandard sichern könnte und ihnen damit nach dem Theologiestudium auch eine Berufsaussicht böte. Ebensowenig kennt man bei uns die Regel eines zweiten Fachs

für Universitätsstudenten, die einige die Theologie wählen läßt und sie zu einem akademischen theologischen Studium nach einem normalen wissenschaftlichen Ausbildungsgang verpflichtet.

Es handelt sich also immer um die gleichen Laien im öffentlichen Leben, die ihre religiösen Aktivitäten frei wählen, ohne eine offizielle Anerkennung. Dennoch interessieren sich zahlreiche Laien für die Theologie: Frauen und Männer, die oft ein hohes berufliches und kulturelles Niveau aufweisen. Für sie hat man besondere theologische Bildungsgänge eingerichtet, die innerhalb der

Instituts Catholiques hohe wissenschaftliche Anforderungen stellen. So verbringen viele bei uns ihre Ferien auf zahllosen, gewiß sehr interessanten und lebendigen Kursen, die auch den Berufstheologen manche Anregung für ein lebendiges Denken bieten, die sie aber gleichzeitig auch daran hindern, in ihrem Fachbereich mit wissenschaftlichen Untersuchungen hervorzutreten. Als Beispiel könnte ich die Patrologen erwähnen, die zu solchen Kursen wichtige Beiträge beisteuern, ohne jemals durch eine entscheidende Forschung über Didymus den Blinden oder den Liber Heraclidis des Nestorius bekannt zu werden.

Aber dank der Männer wie H. I. Marrou oder J. Fontaine gibt es augenblicklich Laien (und auch Geistliche), die der französischen Wissenschaft in der Patristik einen der angesehensten Plätze sichern. Die Reihe „Sources chretiennes“ genießt weltweite Hochschätzung. Aber sie wird auch als Veröffentlichung und als Gruppe von zehn Jesuiten, die daran arbeiten, durch das Centre National de la Recherche scientifiQue unterstützt. Fiele diese Unterstützung fort und wäre es allein Sache der Kirche, könnte diese Reihe dann weiter bestehen? Leider nicht.

Ich habe gerade eine Arbeitsgruppe von Jesuiten erwähnt, die unter Leitung von P. Modesert wirkt. Als vierten Zug des soziologischen Arbeitsstatus glaube ich darum, überhaupt auf die Bedeutung der religiösen Orden hinweisen zu müssen. In Frankreich gibt es keine Spannung mehr zwischen dem Diöze-sanklerus und den Orden. Man arbeitet zusammen. Die Spannungen liegen woanders, zwischen der Kirche und dem Unglauben, und das ist gesünder. Obwohl in der Tat die Krise der Berufungen die religiösen Gemeinschaften — die kontemplativen weniger als die apostolischen — im gleichen Maße wie den DiÖze-sanklerus trifft, haben die Ordens-

leute größere Mittel an Menschen, Bibliotheken und Arbeitsüberlieferungen als die Weltpriester. So veröffentlichen die Orden die qualifiziertesten wissenschaftlichen Zeitschriften.

Fünfter und letzter Punkt: der Platz des Ökumenismus in der Theologie. Die Tatsache ist für Frankreich nicht eigentümlich, sondern heutzutage universal. Selbst in Spanien, wo die Katholiken sozusagen kein protestantisches Gegenüber haben, ist das ökumenische Anliegen sehr lebendig; in Zukunft ist das eine Dimension für jede theologische Arbeit. Was charakterisiert die französische Situation unter dieser Rücksicht, verglichen mit anderen, in Deutschland, Holland oder der Schweiz?

Zunächst einmal zwingt sich das protestantische Gegenüber oder der Partner in den theologischen- Wissenschaften nicht so massiv auf. Aber

das stimmt auch nur halb. Könnte man wirklich in Frankreich zur Not auch Theologie treiben, ohne den Protestantismus zu berücksichtigen, was mir in Deutschland unmöglich scheint, so ist doch die kulturelle und theologische Präsenz des französischen Protestantismus wirklich lebendig. Trotz seiner Lage als Minderheit ist er kulturell bedeutsam und besitzt eine bemerkenswerte Vertretung des Denkens.

Der Ökumenismus bestätigt bei uns Züge, die der Situation der Theologie entsprechen. Er ist weniger akademisch, stärker mit der lebendigen Frömmigkeit verbunden und pastoraler. Um ein Beispiel zu nennen, kann man die sogenannten Übereinkünfte, „les Dombes“, über die Eucharistie und die Ämter mit der Veröffentlichung der sechs deutschen ökumenischen Universitätsinstitute, Reform und Anerkennung kirchlicher Ämter, vergleichen: der Unterschied ist wirklich offenkundig.

Ebenso ist der Ökumenismus bei uns enger an die allgemeine Lage der Kultur und an die Probleme der umfassenden Profangesellschaft gebunden. Damit erreicht er aber auch wirklich das christliche Volk auf der Ebene der Pfarreien und an der Basis.

Es ist allerdings bei uns eine orthodoxe Präsenz spürbar, die zwar nur von einer kleinen Minderheit ohne große Mittel getragen wird, nichtsdestoweniger aber eine beachtliche und sehr heilsame Rolle spielt dank des Instituts Saint-Serge (auch nachdem einige seiner besten Köpfe gestorben sind), dank der Laien wie verstorbenen Vladimir Lossky und Paul Evodokimov, oder auch Oliver Clement. Daneben sind die katholischen Zentren Istina und Chevetogne (im französischsprachigen Belgien) zu erwähnen. Hier liegen für unsere Theologie und unserem Ökumenismus eine Bereicherung und ein Ausgleich, die bisweilen anderswo fehlen. Für uns ist es gut so!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung