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Theologie von Paris aus

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Nach den Tagen von Royaumont kehrten wir noch einmal in die unvergleichliche Stadt an der Seine zurück. Sie läßt ja den Menschen und den Christen nicht mehr aus ihrem Bann, seitdem dort Thomas von Aquin doziert hat und solange die Kathedrale von Notre Dame ihre Türme gen Himmel reckt. Wirklich, es gibt auch ein theologisches Paris und es gibt jenes „mystische Paris”, über das Louis Gillet von der französischen Akademie ein paar köstliche Seiten geschrieben hat. Man konnte dieses andere Paris erahnen in dem milden Glanz der unbeschreiblich schönen Oktobertage, die uns gegönnt waren, wenn aus dem Herbstgold der die Seine säumenden Bäume gegen Abend in violettem Dunst das nadelfeine Türmchen der Sainte-Cha- pelle oder die Kuppel der Kathedrale auf dem Montmartre . ins Licht ragte. Paris ist auch die Hauptstadt der. , Gailia poenitens”, des bußfreudigen Frankreichs, das dem Herzen des. Herrn teuer ist: die Inschrift auf dem Dom, der sich über dem Paris des Nachtlebens erhebt, ist wie ein Protest und wie eine Beteuerung. Die katholischen Kräfte dieser Stadt sind kraftvoller und lichter als ihre dunklen Seiten, sind heimlich lebenzeugender als die müde Kultur eines absterbenden Zeitalters. In Paris wird christlich gearbeitet und theologisch gedacht, daß es eine Freude ist. Und von hier aus strahlt dieses Leben ins ganze Land aus.

Davon muß ich noch einige Eindrücke berichten. Das theologische Leben in Paris und Frankreich ist keineswegs nur ein Registrieren vergangener Verdienste und kein romantisch epigonales Ausweichen in die Kathedralen und Kodizes einer stolzen Tradition, die der Welt die Werke der Scholastik und des Pascal und der Mauriner geschenkt hat. Man denkt und arbeitet modern, manchmal fast zu organisierfreudig. Das wurde uns Gästen aus Österreich, dem Land der katholisch Kleingläubigen, so rückt lebendig, als wir auf der weit über Paris schauenden Dachterrasse des hohen Hauses am Boulevard de Latour-Maubourg standen, wo ein paar eiferglühende Dominikaner das große Verlagshaus du Cerf leiten und uns Jesuiten nach einem brüderlichen Mahl das Bücherlager, die Arbeitsstätten und die theologischen, liturgischen und pastoralen Verlagspläne vorführten. Hier erscheinen führende Zeitschriften, hier werden die patristischen „Sources chretiennes” gedruckt, die unter der Leitung der beiden gelehrten Jesuiten, Danielou und de Lubac, seit ein paar Jahren das katholische Geistesleben befruchten und die Theologie der Urkirche wieder lebendig machen wollen. Hier wohnt P. Yves Congar, den Österreichern kein Fremder mehr, und er hat in seinem Bericht über die neuen Strömungen des katholischen Lebens in Frankreich (S. 44) so liebenswürdig geschrieben: „Jesuiten und Dominikaner arbeiten hier Hand in Hand und. ohne den leisesten Hintergedanken.” Das haben wir beglückend erfahren dürfen, als uns die liebenswürdigen Mönche zum Beschluß des Besuches ihr Bücherlager plündern ließen. Dank sei ihnen! Ein anderes Zentrum des katholischen Geistes von Paris ist bei den Jesuiten in der stillen Rue Monsieur, wo Gelehrte von großem Namen die Zeitschrift „Etudes” herausgeben. Dorthin waren mit uns drei Männer des katholischen Paris geladen, die uns für ein paar Stunden mit ihrem blitzenden Geist erfreuten: Louis Massignon, der berühmte Islamist, Gabriel Marcel, der katholische Existentialphilosoph, und Daniel-Rops der heute am meisten gelesene Schriftsteller Frankreichs. Dazu Jean Danielou, einer der führenden Köpfe der „Nou- velle Theologie”, ein Kenner der Kirchenväter und ein brillanter Kontroversredner, der am gleichen Abend in dem großen Saal der Sorbonne sich mit einem führenden Kommunisten maß, über das schwere Thema der wahren Freiheit des Geistes. P. Danielou gab eben in diesen Tagen, da wir mit ihm sprachen, den ersten Band einer von Franęois Mauriac geleiteten Sammlung von Monographien (unter dem Gesamttitel „Le Genie du Christianisme”) heraus, eine theologische Biographie des großen Origenes. Neben ihm an der Tisch- riinde sitzt ein anderer Jesuit, Gaston Fes- sard, der die Philosophie Hegels in ihrer Bedeutung besser kennt als wir Deutsche; und auf der anderen Seite Pierre Chaillet, der Herausgeber der „Temoignages chrĄiens” und der Zeitschrift „Monde Nouveau”, der unermüdliche Optimist und Realist in einem. Hief war irgendwie das wahre katholische Frankreich beisammen. Der stille, in sich gekehrte Daniel-Rops überreichte uns ein paar seiner berühmten Bücher, das „Leben Jesu”, das bereits in mehr als dreihundert Auflagen verbreitet ist, die „Geschichte des Volkes Israel”, die „Geschichte der Urkirche”, die schon über fünfzig Auflagen zählt — wo wäre so etwas bei uns denkbar? Und Gabriel Marcel, der Philosoph und Dramatiker, ganz hingegeben an die Welt des Geistes, der Existentialist und Gegenpol des Ungeistes von Sartre, der in dieser wirren Welt von Paris lebt mit der Weltfremdheit des Großen, mit jener „fundamentalen Ungeschicklichkeit”, die er in der reizenden Selbstbiographie, die eben erschien und von Etienne Gilson mit einem Vorwort geehrt wird, selber beschreibt. Wahrlich, der Pariser Kardinal hat recht, wenn er schreibt: „Eine Tatsache ist es, die vor allem die Erneuerung beherrscht und trklärt: der Aufschwung, den die Elite genommen hat, diese Elite, der es darum zu tun ist, die neue Lage zu verstehen und auch bei den entferntesten Brüdern Zeuger Christi zu sein.”

Wir haben nach diesen reichen Tagen der Anregung in Paris noch das Institut Catho- lique in Angers besucht und dort ein gewiß stilleres Leben als in der Hauptstadt gefunden, aber ein vom gleichen Geist der katholischen Wahrheitsliebe erfülltes Forschen, in dem mit allen modernen Erfordernissen ausgestatteten Institut für Chemie sowohl als in der so erfolgreich arbeitenden, von den Jesuiten geleiteten Hochschule für Bodenkultur. Von Angers ging es dann in die zweite Hochburg des französischen Katholizismus, nach Lyon, wo die mächtigen Gebäude des Institut Catholique schon äußerlich von dem Mut zeugen, mit dem die Katholiken dieses Landes für ihre Jugend sorgen. Im Verein mit der theologischen Fakultät der Jesuiten auf dem Montee de Fourviere bemühen sich die Gelehrten an der theologischen Fakultät der Universität, Hand in Hand mit den Freunden in Paris, um eine großzügige Erneuerung der heiligen Wissenschaften. Flier arbeitet der in Frankreich allbekannte P. de Lubac, dessen schönes Werk über das „Drama des humanistischen Atheismus” wir wohl bald in deutscher Übersetzung einem österreichischen Verlag verdanken dürfen. Hier, auf dem vom Märtyrerblut geheiligten Berg des Fourviere, wird die „Theologie” genannte Reihe von Monographien geleitet, die uns schon so führende Werke geschenkt hat, wie die Untersuchung von Henri Bouillard über „Bekehrung und Gnade bei Thomas von Aquin” oder das für die Vätertheologie so wichtige Werk von Jean Danielou über „Platonismus und mystische Theologie”. Desgleichen Henri de Lubacs inhaltsschwerer Band über „Corpus mysticum und die Beziehungen zwischen Eucharistie und Kirche im Mittelalter”, das soziologische Buch von Gaston Fessard über „Autorität und Allgemeinwohl”, oder die christliche Existentialphilosophie in dem Werk von Jean Mouroux über den „Christlichen Sinn des Menschendaseins”. Was Lyon denkt, strahlt von Paris aus in die Welt und Seine Eminenz Kardinal Gerlier von Lyon, der Primas von Gallien, hütet hier mit starker Hand den Herd des theologischen Lebens von Frankreich. Es ist schon wahr, wenn wir eingangs sagten: Gallo canente spes redit. Und es war doch wohl keine bloß liebenswürdige Übertreibung, wenn ich beim abendlichen Mahl, das Monseigneur Gardette, der Rektor der katholischen Universität, uns gab und an dem der Kardinal teilnahm, dankend sagen konnte: Noch ist es so wie einst, als hier von Lugdunum aus Sankt Irenäus, der urkirchliche Vorgänger des Kardinals von heute, das Evangelium bis über die Ufer des Rheins hinaus verkündete — auch heute noch gibt uns das theologische Frankreich, das in vielen Leiden gelernt hat, ein Beispiel, tapfer zu sein und zeugnisgebend für die Welt.

Von Lyon aus ging die Heimfahrt über Straßburg, wo der dortigen theologischen Fakultät der letzte Besuch gemacht wurde. Auch hier gab es Freunde und wissenschaftliche Bekannte, hier wie in Paris und in Lyon wußte man schon um das große liturgiegeschichtliche Werk, das J. A. Jungmann mit seinen „Missarum Sollemnia” zur Ehre der österreichischen theologischen Wissenschaft veröffentlicht hat und das in Lyon wohl bald ins Französische übersetzt Werden wird. Nein, es gibt keine Grenzen im sakralen Gebiet der heiligen ‘Weisheit. Als der Bischof von Straßburg, Monseigneur Weber, uns empfing, war er als ehemaliger Professor der alttestamentlichen Bibelwissenschaft zu Saint-Sulpice in Paris alsbald vertieft in ein Fachgespräch mit unserem Vertreter dieser theologischen Disziplin, Prof. Hofbauer, und überreichte ihm seine neulich erschienenen Kommentare zu den „Büchern der Weisheit”. Es war wie in Paris, wo wir dem Kardinal den Dank aussprechen konnten für jene großzügige Initiative, mit der Kardinal Suhard dem Heiligen Vater gewisse schwere Fragen aus der Exegese des Alten Testaments vorlegte und die dann die befreiende Antwort zeitigte, mit welcher die Bibelkommission am 16. Jänner dieses Jahres die Exegeten aller Welt glücklich gemacht hat (Acta Apostolicae Sedis 40 [1948], S. 45 bis 48). Nein, es gibt keine Grenzen in der Theologie, und als wir die politischen Grenzen, die es noch zwischen Frankreich und Österreich gibt, überfuhren, waren wir alle erfüllt von jenen Gedanken, die Yves Congar zum Beschluß seiner Bilanz der französischen Theologie ausspricht: „Kurz gesagt, alles ist gewiß noch in Entwicklung. Aber welch ein unendlich weites Feld steht uns offen für ein theologisches Durchdenken so vieler Probleme… Ja, ich glaube, dieses Feld ist unbegrenzt und däs christliche Denken hat, ohne irgend etwas von dem zu verleugnen, was die Väter und was die Scholastik und was die Modernen erworben haben, eine große Zukunft vor sich.”

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