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Die Jesuiten von heute

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Jesuiten heute - 450 Jahre später und (1991) 500 Jahre nach der Geburt ihres Gründers - wer sind sie? In großem Stil erfuhren sie Mitte der achtziger Jahre Image-Werbung von ungewohnter Seite. Roland Jof- fe rückte mit seinem erfolgreichen

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Jesuiten heute - 450 Jahre später und (1991) 500 Jahre nach der Geburt ihres Gründers - wer sind sie? In großem Stil erfuhren sie Mitte der achtziger Jahre Image-Werbung von ungewohnter Seite. Roland Jof- fe rückte mit seinem erfolgreichen

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Mit der Bulle „Regimini Militan- tis Ecclesiae" - zu deutsch: Der Leitung der streitbaren Kirche - anerkannte und bestätigte Papst Julius III. die Gemeinschaft der Männer um Inigo de Loyola als kirchlichen Orden.

Jesuiten heute - 450 Jahre später und (1991) 500 Jahre nach der Geburt ihres Gründers - wer sind sie? In großem Stil erfuhren sie Mitte der achtziger Jahre Image-Werbung von ungewohnter Seite. Roland Jof- fe rückte mit seinem erfolgreichen

Kinofilm „Mission" ein in die Ge- schichte eingegangenes Unterneh- men des Ordens ins Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit: den von 1609 bis 1767 bestehenden soge- nannten Jesuitenstaat im heutigen Paraguay.

Der österreichische Dramatiker Fritz Hochwälder hatte diesem als sozialsten Staat der Welt bezeich- neten Gebilde bereits 1943 in sei- nem tragischen Schauspiel „Das heilige Experiment" ein literari- sches Denkmal gesetzt. Jesuiten - Avantgarde der katholischen Kir- che, die schlußendlich doch den kürzeren ziehen und politischen Mächten weichen müssen? Das pas- siert immer noch. Zuletzt am 16. November 1989, als an der Zentral- amerikanischen Universität in San Salvador sechs Jesuiten und zwei Frauen von Regierungstruppen auf grausame Weise ermordet wurden. Bis heute ist dieses bestialische Massaker nicht restlos aufgeklärt.

Jesuiten heute - wer sind die Män- ner, die in diesem Orden leben? Wie fühlen und denken sie und was? Davon erzählte im Sommer die in Wien erscheinende Jesuitenzeit- schrift „Entschluss". Auf ganz un- gewöhnliche Art. Auf der Titelseite schaut den Betrachter ein weißhaa- riger Mann mit zerfurchtem Ge- sicht an, im Hintergrund eine Werk- bank, offenbar eine Tischlerei. Darunter der schlichte Titel: „Je- suiten - Zehn Porträts".

P. Gustav Schörghofer, als pro- movierter Kunsthistoriker Schrift- leiter der Zeitschrift, schreibt im Editorial: „Ich glaube, daß mehr als früher nun ein Gespür dafür vor- handen ist, daß sich das Heilige, die Anwesenheit Gottes, nicht nur in bestimmten, eindeutigen Formen und Verhaltensweisen kundtut, sondern auf unauffällige Weise das Vielerlei unseres Alltags durch- wirkt. Ein Gesicht bedarf nicht des Heiligenscheins, um die Gegenwart des großen Geheimnisses zu bezeu- gen. Aus einem Stein muß nicht erst eine Heiligenfigur gemeißelt wer- den, daß er auf das Geheimnis der Schöpfung verweise. Die Gesprä- che und Bilder dieses Heftes sind Versuche, einem Geheimnis nach- zuspüren, das gegenwärtig ist im Leben eines Menschen, das sich kundtut in seinem Antlitz."

Zehn Jesuiten, Brüder und Pa- tres der Jahrgänge 1909 bis 1938, geben Einblick in ihr Leben: der 81jährige Jesuitenbruder, der mit 23 Jahren nach China geschickt wurde und jetzt in Wien-Kalksburg lebt; der 70jährige Schriftsteller, der seit elf Jahren mit Parkinson lebt; zwei Philosophieprofessoren, die den Dialog mit den Wissenschaf- ten suchen; der dem Hochadel ent- stammende Prediger und Seelsor- ger; der sein Leben als Gratwande- rung zwischen festem Glauben und Glaubenslosigkeit sehende Leiter eines Bildungshauses; der slowaki-

sehe Jesuit, der kaum ein Jahr nach seiner Priesterweihe mit 27 Jahren zum Geheimbischof geweiht wur- de; der 76jährige Bruder, der mit dem Staubtuch dem Reich Gottes dienen will; der Exerzitienbeglei- ter, der als Bub Messe spielte und einen großen Hühnerfriedhof zu betreuen hatte; und der ehemalige Hochschulseelsorger, als extremer Linksmaoist abgestempelt und schließlich als Gefangenenseelsor- ger und Beichtvater tätig.

Die Gespräche sind Lebenszeug- nisse - überzeugend durch ihre Einfachheit, bekenntnishaft in ih- rer Offenheit. Wer sie liest, ist ei- genartig berührt. Wie von selbst er- geben sich im Gesprächsverlauf die Konturen eines Lebens, sei es nun 81 oder 52 Jahre alt. Bei den wenig- sten ist es gerade verlaufen. Es gibt Ecken und Umwege. Die Brüder verschweigen nicht Enge und Här- te des Ordens vor dem Konzil und

ihr Schicksal als „zweite Wahl".

Die Patres reden über Ängste und Minderwertigkeitskomplexe, über den internen vorkonziliaren Drill, über ihr Bemühen um Menschlich- keit, ihre fundamentalen Glaubens- zweifel, ihre Ideale und Sehnsüch- te, ihre 68er-Ideen, über neue Me- thoden des Exerzitiengebens. Sie erzählen von ihren Gotteserfahrun- gen und ihrem Kirchenbild. Den einen fällt es leichter, den anderen schwerer, sich zu dem im Exerzi- tienbuch nahegelegten „Fühlen mit der Kirche" hinzutasten. Selbstver- ständlich ist es für die wenigsten, aber logisch konsequent für alle. Diese Männer leben mit den Men- schen, mit denen sie zu tun haben, und lieben sie, deshalb leiden sie auch zusammen mit ihnen unter der Kirche.

P. Schörghofer fragt behutsam. Er will die großen Wörter dechif- frieren: „Nachfolge Christi", „Got- tesbild". Sie erhalten ihren Inhalt vom j eweiligen spirituellen Hinter- grund her: Herz Jesu-Verehrung, Rosenkranz, Stoßgebete, Betrach- tung, Zen. „Wenn ich sage: Vater unser - da ist schon alles gesagt" - „Schweigen und warten" - „Ich bin eigentlich zufrieden, daß dieser Gott sich mir nicht klarer zu erkennen gibt, als er es tut".

Die Älteren reden offen übers Sterben, über ihr Warten auf dem

bstellgleis, ihr Verbrauchtsein. Hoffnung und Dankbarkeit, Freu- de, Trost und Vertrauen sind die entscheidenden Antriebskräfte die- ser Biographien. „Es ist dann doch gut gegangen" lautet die Bilanz des rührseligen Predigers. Und er zi- tiert ein Kompliment eines Taxi- fahrers: „Pater, ich glaube, Sie ha- ben eine schöne Seele."

Zehn Jesuiten, zehn verschiede- ne Wege. Das Heft hat eine be- rühmte Vorlage. Erst wenige Jahre vor seinem Tod (1556) hatte Ignati- us, wie sich der Gründer des Jesui- tenordens seit seiner Pariser Stu- dienzeit nannte, dem jahrelangen Drängen seiner Gefährten nachge- geben: Er diktierte einem portugie- sischen Mitbruder seinen Lebens- lauf. Seine Mitbrüder waren über- zeugt, „daß die Kenntnis darüber für uns und für die ganze Gesell- schaft höchst nützlich sein wird".

Die Autobiographie ist unter dem

Titel „Bericht des Pilgers" bekannt geworden. Sie umfaßt die Jahre von der Verwundung in Pamplona, am Pfingstmontag 1521, bis zu den Anfängen des Ordens 1538 in Rom. So und nicht anders wollte sich der Baske verstanden wissen: als einer, der unterwegs ist zu dem, der dem Orden seinen Namen gab - „in Gesellschaft Jesu".

Die zehn Jesuitenporträts sind dem Genus litterarium nach von derselben Art: Berichte von Pilgern heute. Von literarischem Voyeuris- mus keine Spur. Gotteserfahrung in einer säkularisierten Welt schaut zwar anders aus als an der Schwel- le zur Neuzeit. Ganz bei den Din- gen, aber nicht in den Dingen (ver- fangen) sein - Aktion und Kontem- plation, Engagement und Diskre- tion, Nähe und Distanz -, das gilt aber heute wie zu Zeiten des Igna- tius. Es geht auch heute um eine Frage, die der Schriftleiter seinem Essay vorausgesetzt hat: Was ist aus der größeren Ehre Gottes ge- worden?

Ein Jesuitenbruder bringt auf den Punkt, was Reich Gottes für ihn be- deutet hat im Laufe seines Lebens: „Zunächst war das sehr eng be- grenzt, war das fast mit der Kirche identisch, jetzt wird es immer mehr mit der Welt identisch."

Der Autor ist Assistent am Institut für Funda- mentaltheologie der Universität Innsbruck.

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