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Gedanken zur Aktualität einer Tradition

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Der Minoritenorden ist alt, mit den Augen unserer schnellebigen Zeit gesehen, sogar sehr alt. Der Kaufmannsohn Francesco Bernar-done wollte keinen neuen Orden gründen und auch keinem bestehenden beitreten, sondern nur einen Weg suchen, das Evangelium in. seiner Zeit buchstäblich zu leben. Er steht als Initiator am Anfang jener Gemeinschaften, die ihn als Vater verehrten, obwohl er selbst den Vatertitel nur für Gott gewahrt wissen wollte. Aus dem Bruder Franz wurde Vater Franziskus. Damit soll nur die Institutionalisierungstendenz einer charismatischen Erneuerungsbewegung angedeutet werden. Die mündliche Bestätigung der Ordensregel durch Papst Innozenz III. im Jahre 1209 wird als Gründung des Minoritenordens angesehen. Noch zu Lebzeiten des hl. Franziskus wurden die Minoriten im Jahre 1224 von Markgraf Leopold VI. dem Glorreichen nach Wien berufen, wo sie 1247 Kloster und Kirche zum heiligen Kreuz gründeten. Es ist die altehrwürdige Minoritenkirche in der Nähe der Hofburg, als schönes gotisches Bauwerk ein Wahrzeichen der Stadt. Die Minoriten sind nach den Benediktinern der Schottenabtei der älteste Orden, der in Wien ansässig wurde und nun schon 750 Jahre ohne Unterbrechung in dieser Stadt wirkt. Seit der Universitätsgründung durch Rudolf IV. im Jahre 1365 bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestanden rege Beziehungen des Wiener Minoritenkonvents zum Universitätsleben. Mehr als fünfzig Minoriten wirkten als Doktoren und Lektoren an der „Alma Mater Rudolphina“. In der Reformationszeit kam es auch in unserem Orden zu einem Niedergang — die Präsenz des Ordens wurde durch einige Mitbrüder aus Italien in Wien

aufrechtgehalten, während von 1559 bis 1620 die Minoritenkirche zum Teil auch von protestantischen Predigern benützt wurde. In der Zeit der katholischen Restauration gelangte die Ordensgemietoschaft zu einer neuen Blüte. Klöster wurden gegründet, ein Ordensstudium wurde im Wiener Konvent errichtet, und eine schöne Anzahl Patres wirkte

als Professoren an der Universität und stand auch als Dekane der Theologischen Fakultät vor. Am 21. November 1783 ereilte das Kloster der Aufhebungserlaß Kaiser Josefs II. Die Kirche wurde gesperrt, das Kloster abgetragen, und die Minoriten bezogen auf kaiserliche Anordnung 1784 das Kloster der Trinitarier in der Alserstraße. Sie übernahmen die vom Kaiser errichtete Pfarre Alser-vorstadt und die Seelsorge im Allgemeinen Krankenhaus. Unser Orden hat die Kirchengeschichte mitgeprägt und in Wien ein Stück Stadtgeschichte. Die Minoriten haben auch kulturell viel geleistet, vielleicht gerade deshalb, weil sie nicht die rigorose Richtung in der franziskanischen Ordensfamilie vertraten. So wurde die Regulierung der Donau in Wien mit dem Überschwemmungsgebiet von dem bekannten Kosmo-graphen der Republik Venedig, dem Minoritenpater Vincenzo Coronelli geplant, dessen Globen in der Wiener Nationalbibliothek stehen. Aus diesem Grunde wurde P. Coronelli vom Kaiser Karl VI. zum „Kommissar der Donau und der anderen Flüsse des Reiches“ ernannt.

Doch lassen wir die Kirchengeschichte beiseite. Es kann gefährlich sein, sich auf vergangenen Leistungen auszuruhen, man könnte versäumen, selbst Geschichte zu machen. Wir wollen den aktuellen Wert der genuinen Tradition des Ordens prüfen, von der Voraussetzung ausgehend, daß die Institution die ursprünglichen Anliegen des Bruders Franz nie ganz auszulöschen vermochte.

Das Evangelium heute leben

Unser Orden hat keine spezielle pastorale Zielsetzung wie manche Gemeinschaften, die sich einer bestimmten Aufgabe widmen. In Wien

sind Minoriten in der Pfarrseelsorge tätig, in Krankenhäusern, in der Jugenderziehung und im Gefängnis. Verschiedene Formen der Verkündigung und der Caritas können unseren Ordenszielen entsprechen, vorausgesetzt, daß ein Bruder sie ausübt, der selbst das Evangelium leben will, der selbst von Christus ergriffen ist.

Unsere Ordensregel ist eine kurze Anweisung, das Evangelium zu aktualisieren. Sie beginnt mit dem schon alles enthaltenden Satz: „Regel und Lebensweise der Minderbrüder ist es, das hl. Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu beobachten.“ Die Ordensregel ist eher ein spirituelles Dokument, das eine ständige, zeitengepaßte Aktualisierung des Evangeliums fordert. Aus dieser Festlegung auf das Evangelium erklärt sich die Bereitschaft des Ordens zu allen Arbeiten im Reiche Gottes. Aus diesem Grund sind wir auch an kein bestimmtes Frömmigkeitsideal gebunden, das bloß eine:-gewissen Zeit entsprochen hätte. Franziskanische Frömmigkeit ist christozentrisch. Wir sind also keine „Spezialisten“ im Gottesreich, aber dafür geöffnet gegenüber den konkreten Verhältnissen und pastoralen Bedürfnissen. So dürfte man die „Ordensstadt“ P. Maximilian Kolbes und sein intensives Presseaposto-lat nicht als ordenstypisch bezeichnen — er gehorchte aber einem besonderen Aufruf Gottes, er orientierte sich an den Zeiftverhältniissen, er setzte alle seine Talente ein. Ein Apostolat in diesem Geist aber ist typisch franziskanisch! Trotzdem bin ich mir einer Schwierigkeit bewußt. Wenn eine Gemeinschaft für verschiedene Aktivitäten offen ist, wird die Arbeit, die da und dort g tan wird, nie besonders auffallen, sie wird eher verborgen bleiben. Um so mehr kommt es darauf an, wie und in welchem Geist gearbeitet und gelebt wird. Eigentlich bleibt da immer das Wichtigste: „Die Lebensform Christi darzustellen, in seiner Beziehung zum Vater und zu den Brüdern“. Uber die Jahrhunderte hinweg treffen sich hier die Aussagen der Väter des 2. Vatikanums mit Franz von Assisi, ein Beweis für die Zeitlosigkeit einer spirituellen Tradition.

Die Ordensfamilie als Brüderschaft

„Finden sie die Struktur des Ordens nicht entfaltungshemmend?“ Diese Frage wird oft gestellt. Persönliche Begabungen werden bei uns sicher berücksichtigt, und es wird niemand gezwungen, eine Aufgabe zu erfüllen, der er gar nicht gewachsen ist. Am Beispiel unseres seliggesprochenen Mitbruders Maximilian Kolbe wird das besonders deutlich. Er besaß das besondere Charisma, eine Ordensstadt zu gründen, er baute ein modernes Presseapostolat auf, er missionierte in Japan, er besaß die Kraft der Ausstrahlung auf junge Menschen, die in den Orden eintreten wollten. P. Kolbe konnte seine Berufung und seine Gaben entfalten, weil er die Stütze und Hilfe einer großen Brudergemeinschaft hatte. Die Gemeinschaft bewahrt manchen Mitbruder vor Illusionen, sie korrigiert und schleift ab. In der Ordensfamilie sehe ich ein Modell der Kirche. Das Evangelium und die kirchliche Wirklichkeit sind so reich, daß immer nur bestimmte Züge besonders verwirklicht werden können. In der Kirche ein bestimmtes Christus- und Kirchenbild leben, dadurch wird Ordenstradition verwirklicht. Das franziskanische Christusbild hat vor allem die Menschheit des Herrn vor Augen. Die Gemeinsam ten wissen sich als Jüngerschaften, und das Amt wird als Dienst verstanden. Gerade weil der Mensch heute mehr denn je im Mittelpunkt steht, weil er als Möglichkeit der Gottesbegegnung gesehen wird, deswegen glaube ich an die besondere Aktualität unserer Tradition.

Glaube an die Zukunft

Franziskus war kein Theologe, er formulierte seine Erkenntnisse nur sehr bruchstückhaft, aber er gestaltete sein Leben nach dem authentischen und vielgeschichtigen Christusbild des Neuen Testamentes. Erst die großen Theologen seines Ordens, vor allem Johannes Duns Scotus. haben die schöpfungsbezogene Christologie ihres Ordensvaters auch wissenschaftlich dargelegt und entfaltet. Sie haben die Trennung von Schöpfungsund Erlösungsordnung aufgehoben,'

indem sie in Christus den Vollender der Schöpfung sehen, dessen Eintritt in diese Welt nicht durch eine „felix culpa“ veranlaßt wurde. Christus gehört dieser Welt, er ist ihr Ziel; im Sinne des P. Teilhard de Chardin ist er in der Weltevolution gegenwärtig und als Punkt Omega ihre Endvollendung.

Unser Mißtrauen dem Fortschritt und der Neuzeit überhaupt gegenüber, das uns immer wieder befällt, sollten wir auch einmal kritisch unter die Lupe nehmen und an den Maßstäben unserer ursprünglichen Tradition überprüfen. Man entdeckte schon einmal die profane Welt als Heiligtum Gottes, als in der Vorrenaissance der goldene Ikonenhin-

tergrund in der religiösen Kunst durch die Darstellung der Natur verdrängt wurde. Franz von Assisi ist von den berühmten Freskenmalern (die seine Grabeskirche ausgestaltet haben) in das Milieu einer profanen Welt hineingemalt worden. Diese neue Art der Darstellung entsprach aber genau der neuen Frömmigk. des Heiligen. Franziskus hat überall in dieser Welt Gottes Spuren bewundert und den schöpferischen Menschengeist dankbar und freudig bejaht. Heute müssen wir neu lernen, die „profane Welt“, die vom schöpferischen Menschen gestaltet wird, als Heiligtum Gottes zu erleben und weiterzubauen.

Der Hintergrund eines modernen Heiligenbildes, etwa einer Darstellung P. Maximilian Kolbes, müßte eher „Menschenwerk“ sein, eine moderne Rotationspresse, eine Fernsehstation oder ein Düsenflugzeug. Der Optimismus P. Kolbes dem Fortschritt gegenüber, sein Einsatz der modernen Kommunikationsmittel zur Verbreitung der Frohbotschaft, weisen ihn als echten Sohn des hl. Franziskus aus. Die Bejahung der Schöpfungswirklichkeit mit allen Konsequenzen — das ist der Weg der Christen ins 21. Jahrhundert.

Ausblick

. Viele Anliegen der ursprünglichen Tradition sind erstickt worden und in der „Glorie“ der Ordensgeschichte untergegangen. Welche Konsequenzen hat Franziskus aus der Menschwerdung Gottes gezogen? Seine Armut um der noch Ärmeren willen, seine soziale Gesinnung, sein prophetisches Auftreten in der Kir-

che, sein Pazifismus würzein in der Betrachtung der Inkarnation. Sollen wir bloß darüber jammern, daß ein prophetischer Anstoß in der Geschichte der Kirche bald wieder vergessen wurde? Das wäre Resignation an der Kirche und am Auftrag des

Herrn. Genuine Tradition wird für uns im Leben des heiligen Franz und seiner Brüdergemeinschaft sichtbar, sie kann eine ständige Herausforderung für uns sein. Traditionsverbundenheit bedeutet aber nicht Nachahmung, sondern Hinhören auf Gott im Heute — so wie jene es gestern getan haben — und Leben aus dem empfangenen Wort.

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