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Der überlebte Untergang

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Vor 200 Jahren wurde der Jesuitenorden aufgelöst.

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Vor 200 Jahren wurde der Jesuitenorden aufgelöst.

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„Sint ut sunt, aut non sint.“ Dieses Wort Klemens' XIII. (1758-1769), als einige französische Jesuiten ihre Provinzen aus dem Gesamtverband des Ordens lösen wollten, um seinen Bestand für Frankreich zu retten, würde heute wohl kein Jesuit mehr zu sagen wagen: „Sie sollen sein, wie sie sind, oder sie sollen gar nicht sein.“ Gewiß, die Konstitutionen des Ordens sind immer noch unvergleichlich in ihrer Dynamik, die Spiritualität der Exerzitien nach wie vor von der Mitte des Evangeliums her bestimmt. Aber, so fragen sich viele, hat er noch die Kraft, diese Dynamik, diese Spiritualität zu leben? Geht er einem Untergang entgegen, den er nicht mehr überlebt?

Der Jesuitenorden gedenkt alljährlich am 31. Juli seines Gründers des hl. Ignatius. In den gleichen Monat fallen zwei Gedenktage, die gewissermaßen die Kehrseite zeigen: 4. Juli 1872 und 21. Juli 1773. Hatten wir im vorigen Jahr Veranlassung, uns des „Verbotes“ der Jesuiten in Deutschland vor hundert Jahren zu erinnern, so wiederholt sich in diesem Jahr zum zweihundertsten Male der Tag, an dem Papst Klemens XIV. den Orden auflöste.

Hatten die Jesuiten lange Zeit die Gunst der Päpste und der katholischen Herrscher genossen, zogen sie sich in der zweiten Hälfte des 18. Jh. aus vielerlei sachlichen wie persönlichen, rationalen wie irrationalen Gründen den Haß der katholischen Mächte zu. Es verbanden sich sehr komplexe Kräfte. In der Reihe der Gegner findet man Minister wie Günstlinge der Könige, Mätressen und Intriganten, Angehörige des Welt- und Ordensklerus bis hinauf zu den Bischöfen und Kardinälen. Das Ziel war, den starken Einfluß der Jesuiten über ihre Schulen, Beichtväter wie Diplomaten bis zu den, Höfen.hinauf zu brechen.-Den katholischen Kolonialmächten war die aufgeschlossene Missionstätigkeit der Gesellschaft Jesu ein Dorn im Auge. Ganz besonders ihre „Entwicklungshilfe“ in den „Reduktionen“ Südamerikas. Letztlich ging es um eine Stärkung der Macht weltlicher wie geistlicher Fürsten durch einen Schlag gegen das Papsttum.

Der Orden wurde in Portugal (1759), Frankreich (1762/64), Spanien und Neapel (1767) verboten. Der portugiesische Minister Pombai ließ alle Jesuiten aus Portugal vertreiben. Ludwig XV. gab mehr wehmütig als von Madame Pompadour überzeugt seine Einwilligung zur Auflösung. Über seinen Beichtvater aus dem Orden spöttelte er: „Es wird hübsch sein, den Pater dereinst im Jenseits als Abbe wiederzusehen.“ Am 3. April 1767 wurden alle Jesuiten in sämtlichen Staaten der spanischen Monarchie überraschend verhaftet, später in den Kirchenstaat abgeschoben. Parma und Neapel folgten den Beispielen. Die Höfe von Madrid, Paris und Neapel forderten vom Papst, den gesamten Orden aufzuheben. Klemens XIII. starb kurz nach Eingang dieser Noten. Das folgende Konklave besuchte Kaiser Josef II. unerwartet und inkognito. Er ließ in Rom durchblicken, seine Mutter, Maria Theresia, und er hätten nichts gegen eine Auflösung des Ordens. Kardinal Lorenzo Ganganelli, ein Minorit, war ursprünglich jesuitenfreundlich gewesen. Als er sah, wohin die Dinge trieben, schlug er sich ins andere Lager. Er erklärte mehrfach, daß ein Papst einen Orden auflösen könnte. Man stellte derartiges sogar in Aussicht. Ganganelli wurde dann auch 1769 als Klemens XIV. Papst.

Den längsten Widerstand unter allen katholischen Herrschern hatte Maria Theresia, eine Schülerin der Jesuiten, geleistet. Noch 1768 hatte sie zu einem Jesuiten gesagt: „Mein lieber Pater, sei er nur ohne alle Sorge! Solange ich lebe, habt ihr auch nichts zu fürchten.“ Der Heiratspolitik des Hauses Habsburg-Lothringen wegen gab die Kaiserin dem Drängen der jesuitenfeindlichen Höfe nach. Ging es doch um „die beste Partie Europas“, die Heirat ihrer vierzehnjährigen Tochter Marie Antoinette mit dem Dauphin. Als sie 1770 nach Frankreich übersiedelte, gab die Mutter ihr als „Verhaltensvorschrift“ mit: „Der Punkt betreffs der Jesuiten ist auch einer von denen,' bei welchen Sie sich gänzlich einer Auffassung weder für noch dagegen enthalten sollen.“ 1773, nach der Auflösung des Ordens, schrieb die Kaiserin: „Wegen der Jesuiten bin ich untröstlich und in Verzweiflung. Mein ganzes Leben habe jch sie geliebt und hoch geachtet." Was tut eine Mutter, auch als Kaiserin, nicht alles für ihre Kinder?

Als das Breve „Dominicus ac Redemptor“ erging, schleppte man Ricci, den letzten General des Ordens, auf die Engelsburg. Kirchliche wie weltliche Stellen stürzten sich auf den Ordenssitz und teilten ihn auf. Das Schicksal des Ordens schien besiegelt. Nur zwei Staaten beteiligten sich an diesem Unternehmen nicht.

Die schlesischen Jesuiten hatten rechtzeitig vorher bei Friedrich II. in Potsdam interveniert. Zwar wollte der König nicht gegen eine Auflösung des ganzen Ordens in Rom vorstellig werden. Eine ganz andere Sache aber war es, wenn der Papst indirekt in die Schulverhältnisse Preußens eingriff. Es ging um das jesuiteneigene Schul- und Bildungssystem in Schlesien: sieben Gymnasien in Glatz, Neiße, Sagan, Liegnitz, Glogau, Schweidnitz und Breslau, dazu die Universität Breslau mit je einer philosophischen und theologischen Fakultät. In einem Brief des Königs aus dieser Zeit an d'Alembert heißt es: „So sehr ich auch ein Ketzer bin, wer in Zukunft einen Ignatianer sehen will, wird nach Schlesien gehen müssen: die einzige Provinz, wo er die Reste des Ordens findet.“ Und an Voltaire: „Der gute Mi-norit im Vatikan läßt mir meine Jesuiten, die man überall verfolgt. Ich werde dieses kostbare Samenkorn aufbewahren, um diejenigen damit versehen zu können, welche jene so seltene Pflanze bei sich anzubauen wünschen sollten.“ Der Breslauer Weihbischof Graf Strachwitz wurde angewiesen, bei Gefahr der königlichen Ungnade das Breve weder zu publizieren noch in seinem Lande zu vollziehen. „Dagegen selbige Bulle nur in Eurem Archiv niederzulegen und schlafen zu lassen.“

Kurz gesagt, der König verweigerte dem Auf lösungsbreve sein Placet, das nach damaliger staatskirchenrechtlicher Auffassung für ein wirksames Inkrafttreten erforderlich war. Der preußische Geschäftsträger in Rom trug für den König vor: „Da ich zu der Klasse der Ketzer gehöre, kann der Hl. Vater mich ebensowenig von der Obliegenheit, mein Wort zu halten, als von der Pflicht eines ehrlichen Mannes und Königs dispensieren.“ Das hieß, der König beruft sich auf die Regelung des Vertrags von Breslau mit Österreich (1742), in dem er die bestehenden Verhältnisse der katholischen Religion in Schlesien garantiert hatte. Mit dem neuen Papst, Pius VI., kam es zu einem Kompromiß. Der König gründete nach preußischem Recht für die Jesuiten eine „Auffanggesellschaft“, das Regium Institutum Litterarum. Ihr Reglement verpflichtete ihre Mitglieder u. a. auf die „Statuten des Jesuitenordens“, der in Rom bereits rechtswirksam aufgelöst war! So kam es, daß die Ordenssatzungen der Jesuiten für ein Vierteljahrhundert nach preußischem Recht für einen bestimmten Personenkreis verbindlich waren, während sie in Rom und sonst auf der Welt nicht mehr galten! Wörtlich heißt es an einer Stelle des Reglements: „Alle scholastischen

Grillen und Spitzfindigkeiten sollen gänzlich wegbleiben.“ Als alle Personen und Sachwerte in diese „Nachfolgegesellschaft“ eingeflossen waren, gab Friedrich der Große sein Placet zum Breve „Dominus ac Redemptor“. Für Schlesien nur noch ein Schlag ins Wasser! Eine elegante Lösung!

1773 regierte in Rußland die russisch-orthodoxe Zarin Katharina II., frühere Fürstin von Anhalt-Zerbst. Sie wurde 1729 als Tochter eines preußischen Generals in Stettin geboren und evangelisch getauft. Aus Interesse an den Gymnasien der Jesuiten in den Gebieten, die 1772 bei der ersten polnischen Teilung an Rußland gefallen waren, verweigerte sie ebenfalls das Placet. Das Breve „Dominus ac Redemptor“ wurde in Rußland nie rechtswirksam. Die russische Provinz überlebte die Auflösung des Ordens. Ihr Provinzial Brzozowski war General des Ordens, als Rom ihn 1814 wiederherstellte. Wie von der Kirche anerkannt ist, hat das Breve „Dominus ac Redemptor“ nicht erreicht, daß der Jesuitenorden zwischen 1773 und 1814 allerorts rechtswirksam aufgehoben war.

Walter Nigg schreibt in seinem Buch „Das Geheimnis der Mönche“: „Mit Ausnahme seiner Entstehungszeit ist der Jesuitenorden nie dem Göttlichen nähergekommen als in den Jahren seiner Verachtung. In der Stunde ihrer tiefsten Erniedrigung hat die Gesellschaft Jesu erfahren, was es heißt, von den eigenen Glaubensgenossen verfolgt zu werden, damit das Schicksal der echten Christen erleidend.“ Man wird Nigg recht geben müssen, wenn man die Erklärung des letzten Generalobern der Gesellschaft Jesu, Lorenzo Riccis, liest, die er aus einem Kerker in der Engelsburg schrieb:

„Die Ungewißheit des Zeitpunktes, an dem es dem Höchsten gefallen wird, mich zu sich zu rufen, und die Gewißheit, daß in Anbetracht meines weit vorgerückten hohen Alters und der Menge, der langen Dauer und der Größe meiner Leiden diese Zeit nahe ist, ermahnen mich, meine Pflichten im voraus zu erfüllen. Ich scheide von der Erde und schicke mich an vor dem Richterstuhl der unfehlbaren Wahrheit und Gerechtigkeit des Allerhöchsten zu erscheinen. Nach langer und reiflicher Überlegung, nachdem ich demütig zu meinem allerbarmherzigsten Heiland und schrecklichen Richter gebetet habe, daß er nicht zugeben möge, daß ich mich, insbesondere in einer der letzten Handlungen meines Lebens, entweder durch Leidenschaft oder irgendeine Bitterkeit des Herzens oder durch irgendeinen andern Hang oder sündigen Zweck hinreißen, sondern lediglich durch die Einsicht bewegen lassen möge, daß es meine Pflicht ist, der Wahrheit und Unschuld Zeugnis zu geben, gebe ich folgende zwei Erklärungen und Beteuerungen: Erstlich erkläre und beteuere ich, daß die aufgelöste Gesellschaft Jesu keinen Grund und Anlaß zu ihrer Aufhebung geboten hat. Ich erkläre und beteure dies mit der Gewißheit, welche ein Oberer haben kann, der von dem, was in seinem Orden vorgeht, wohlunterrichtet ist. Zweitens erkläre und beteure ich, daß ich nicht den geringsten Grund und Anlaß zu meiner Gefangenhaltung gegeben habe. Ich erkläre und beteure dies mit der höchsten Gewißheit und Klarheit, die jeder betreffs seiner eigenen Handlungen hat. Ich leiste diese zweite Beteuerung lediglich deshalb, weil sie für den Ruf der aufgelösten Gesellschaft Jesu, deren Generaloberer ich gewesen bin, nötig ist. Im übrigen will ich keineswegs, daß man gemäß diesen meinen Beteuerungen irgendeinen von denen, die der Gesellschaft oder mir Schaden zugefügt haben, für schuldig vor Gott erachten solle, wie ich mich denn eines solchen Urteils selbst enthalte.“

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