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Die Jesuiten und die Schweiz

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Fast gleichzeitig sprang in unseren Tagen in zwei ganz verschiedenen Ländern eine „Jesuitenfrage“ auf: in Norwegen und in der Schweiz. Die norwegische Verfassung von 1814 verbot Juden, Jesuiten und anderen „mönchischen Gemeinschaften“ den Aufenthalt im Land. 1851 fiel das Verbot für die Juden, 1897 für die „anderen mönchischen Gemeinschaften“, und vor kurzem stellte die Regierung den Antrag an das Parlament, auch das Verbot für die Jesuiten aufzuheben, da es dem Grundsatz der Religionsfreiheit widerspreche. Die Regierung führte noch aus, daß von acht lutherischen Landesbischöfen sich sieben für die Aufhebung aussprachen.

Aehnlich wie Norwegen bestimmt auch die Schweizer Verfassung von 1874, daß dem Orden der Jesuiten die Aufnahme in die Schweiz verboten und seinen Mitgliedern jede Tätigkeit in Kirche und Schule widersagt sei. Außerdem stellt dieser Artikel noch fest, daß der Jesuitenorden staatsgefährlich sei und den Frieden der Konfessionen störe. In Befolgung dieses Artikels besitzt der Jesuitenorden in der Schweiz bis heute keine Schulen, Kirchen und Klöster. Wohl aber wohnen in der Schweiz Jesuiten, denen als eidgenössische Staatsbürger der Aufenthalt nicht verboten werden kann. Und wegen dieser Jesuiten und ihrer Tätigkeit, die hauptsächlich im Redigieren von Zeitschriften, Halten von Vorträgen, in Fürsorgetätigkeit und vereinzelt auch im Predigen und in der Abhaltung von Exerzitien bestand, kam es zu einer Neuaufrollung der Jesuitenfrage in der Schweiz.

Der Züricher Kantonalsrat, das kantonale Parlament, richtete im Februar 1946 an den Züricher Regierungsrat eine „Motion“, indem er ihm auftrug, zur Tätigkeit der Jesuiten in Zürich Stellung zu nehmen. Der Bericht des Regierungsrates erfolgte erst im Februar dieses Jahres. Er ist von einer weisen Mäßigung und Toleranz beseelt und vermeidet jede Gehässigkeit und Polemik. In einer langen historischen Einleitung stellt der Bericht vor allem fest, daß der Orden nicht zur Bekämpfung des Protestantismus gegründet worden sei. Der Bericht bezeichnet es ferner als „strittig“, ob der Orden am Sonderbundkrieg der Schweiz die Schuld trage. Er stellt ferner nicht fest, daß der Orden staatsgefährlich sei oder den Frieden der Konfessionen störe. Er stellt weiter fest, daß die Abhaltung von wissenschaftlichen Vorträgen (mit Ausnahme theologischer — ein Anachronismus: ist Theologie keine Wissenschaft?), die Herausgabe von Zeitschriften und jede Fürsorgetätigkeit nicht unter das Verbot des Artikels 51 fallen. Predigen, Abhaltung von Exerzitien falle dagegen darunter, und gegen diese müsse der Regierungsrat einschreiten, da er zur Einhaltung der Verfassung verpflichtet sei. Eine Diskussion, ob Artikel 51 noch zeitgemäß sei, lehne er ab, den Katholiken stehe es jedoch jederzeit frei, durch eine Verfassungsrevision die Abschaffung dieses Artikels zu erreichen. Soweit der Bericht.

„Noch vor 50 Jahren“, schreibt die liberale „Neue Zürcher Zeitung“ vom 4. März, „hätte die Mitteilung, daß 20 Jesuiten in Zürich tätig sind, bei uns und in den anderen Kantonen einen Sturm heraufbeschworen.“ Ja, so könnte man fortsetzen, eine amtliche Mitteilung, die festgestellt hätte, daß es strittig sei, ob die Jesuiten am Sonderbundkrieg schuld seien oder nicht, hätte einen noch größeren Sturm hervorgerufen. Zu weit war diese Ansicht verbreitet.

Tatsächlich ist die Schweizer „Jesuitenfrage“ auf tragische Weise mit einem der tragischesten Kapitel der Schweizer Geschichte im 19. Jahrhundert, mit dem Sonderbundkrieg, verknüpft.

1833 hatte der radikale Liberalismus in der Eidgenossenschaft zum Sturm gegen die katholische Kirche angesetzt. 1841 waren ihm die Klöster Muri und Wettingen im Aargau zum Opfer gefallen. 1844 wurde auf der Tagsatzung, einer Art Zentralparlament, der Antrag gestellt, die Jesuiten auszuweisen. Darauf berief der katholische Kanton Luzern im Sinne einer Demonstration den Jesuitenorden zur Leitung einer höheren Lehranstalt. Auf diesen Beschluß kam es im Winter 1844'45 zum Einfall bewaffneter Freischaren in den Kanton Luzern, die aber durch das Luzerner Militär zurückgewiesen wurden. Die Tätigkeit dieser halboffizjellen Freischaren, denen die Tagsatzung untätig zusah, führte zum Abschluß eines „Sonderbundes“ zwischen den Kantonen Luzern, Uri, Scbwyz, Ob- und Nidwaiden, Freiburg, Zug und Wallis. Die Antwort der Tagsatzung war die Auflösung des Bundes, die Ausweisung der Jesuiten und im Gefolge dieser Beschlüsse der Krieg gegen den Sonderbund, der mit dessen Niederlage endete. Die Einsetzung „kommissarischer“ Regierungen in den unterworfenen Kan-. tonen war der nächste Schritt und in der neuen Tagsatzung die Ausarbeitung einer Verfassung, die an Stelle des bisherigen Staatenbundes einen Bundesstaat setzte. Der Beschluß über die Ausweisung der Jesuiten wurde in die neue Verfassung übernommen und 1874, als eine Verfassungsrevision erfolgte, noch verschärft.

Der „Sonderbundkrieg“, heute betrachtet, ist alles andere als nur ein Krieg zwischen Katholiken und Protestanten. Er ist nur ein Teil jener großen Auseinandersetzung zwischen konservativen und liberalen Mächten, die das ganze 19. Jahrhundert durchzieht und nicht nur in der Schweiz zu bewaffneten Kämpfen führte. Der Abfall Belgiens von den Niederlanden 1830 ist ein Teil dieser Auseinandersetzung, ebenso wie der Kampf Piemonts gegen Oesterreich und die italienischen Kleinstaaten, ebenso wie der Kampf zwischen Oesterreich und Preußen, die Kämpfe zwischen Nord- und Südstaaten in Amerika. Die Haltung der Katholiken und Protestanten war in dieser Auseinandersetzung nicht einheitlich: das protestantische Hannover focht auf der Seite des katholischen Oesterreich, die Südstaaten, der „Sonderbund“ .Amerikas, waren extrem antikatholisch, das katholische St. Gallen focht gegen den Sonderbund, dessen Truppen der protestantische General von Salis befehligte.

Die Berufung der Jesuiten nach Luzern war nur der Funke, der diese Auseinandersetzung zur Explosion brachte. Der Orden selbst war an dieser Berufung völlig unschuldig, der Ordensgeneral widersetzte sich ihr vielmehr aufs äußerste. Aber die Jesuiten traf die Faust des Siegers, die sie nicht zu den schärfsten Verteidigern der katholischen Kirche, seiner großen Gegnerin, sondern aller konservativen Mächte, rechnete. Im ersteren Falle hatte er recht, im letzteren irrte er.

Es ist die Tragik des Jesuitenordens, daß er immer wieder verkannt wird. Die Geschichte dieses Ordens ist nicht nur ein Kampf für die Rechte der Kirche, sondern auch ein Kampf für die Rechte der Menschen. Während seines ganzen Daseins kämpfte er gegen jeden Terror. Er bekämpfte die Hexenverbrennung ebenso wie die elende Behandlung der Negersklaven in Nordamerika oder die Ausbeutung der Indianer in Südamerika. Ohne sein Eintreten für die Volkssouveränität im 16. und 17. Jahrhundert wäre die moderne Demokratie überhaupt undenkbar. Er stand ferner auf dem Standpunkt, daß Glauben und Wissen kein Gegensatz seien und alles, was wahr sei, Platz in der Kirche habe.

Der Orden erlitt viele Niederlagen im Laufe seiner Geschichte. Zu oft nur störte er die Ruhe aller Tyrannen. Zu oft nur störte er die Kreise der schamlosen Ausbeuter. Zu oft nur störte er jene, die nicht wahrhaben wollten, daß das Wissen keinen Gegensatz zum Glauben bildet. All deren Haß traf ihn, die nicht ruhten, ihn unter Sondergesetze zu stellen. Kann dem Orden daraus ein Vorwurf gemacht werden? Dann müßte allen Menschen, die für die Freiheit und Gerechtigkeit kämpften, ein Vorwurf gemacht werden, denn auch sie haben die Ruhe der Hitlers aller Größen gestört.

Der Bericht des Züricher Regierungsrates über die Jesuiten erwähnt, daß die Schweizer Katholiken auf dem Wege der Verfassungsrevision die Möglichkeit hätten, diesen Paragraphen abzuschaffen. Oskar Bauhofer dagegen behauptet in seiner sehr informativen Schrift „Das eidgenössische Jesuiten- und Klosterverbot“, daß die Aufhebung dieses Ausnahmegesetzes eine nationale Angelegenheit sei, daß also alle, sowohl Katholiken wie Protestanten, Liberale wie Sozialisten, alle, die die Freiheit lieben und das Unrecht verachten, ein Interesse an der Aufhebung dieses Artikels hätten, der eine Gruppe von Menschen unter ein Ausnahmerecht stellt. Eine Ansicht, die sich in Norwegen jetzt durchsetzte, als Regierung und lutherische Bischöfe für die Aufhebung des „Jesuitenparagraphen“ ihres Landes eintraten.

Ueber die Jesuitenfrage in der Schweiz informieren vor allem zwei Bücher: die Schrift von Oskar Bauhofer, die in diesen Blättern schon besprochen wurde (Nr. 3/1951), und das Buch von Ferdinand S t r o b e I „Zur Jesuitenfrage in der Schweiz“ (NZN-Verlag, Zürich, 192 Seiten). Der Vorteil der ersteren Schrift ist die klare Polemik, der Vorteil der letzteren das reichhaltige Quellenmaterial, das verwertet wird. Dem Verfasser gelingt es nachzuweisen, wieviel materielles und formelles Unrecht gegen die Jesuiten verübt wurde, wie sehr aber auch gemäßigte Liberale und Protestanten sich als Gegner der Austreibung bekannten, weil sie Gegner jeglichen Unrechtes waren.

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