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Sint ut sunt autnon.sint

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Seit Wochen geistern über den Jesuitenorden Nachrichten durch die Öffentlichkeit, aus denen die Tatsache ersichtlich ist, daß sich auch der Jesuitenorden in einer schweren Krise befindet. Methoden, deren sich einzelne Mitglieder dieses Ordens bedienen, um die Insurgenz gegen den eigenen General und auch gegen den Papst zu rechtfertigen, erwecken ein nicht geringes Erstaunen. Ebenso die gewundenen Erklärungen mancher Jesuiten gegen den kirchlichen und jesuitischen Gehorsam, die auch einen gebildeten Katholiken kaum noch verständlich erscheinen. Unbegreiflich erscheint es auch der Öffentlichkeit, daß manche Jesuiten ausgerechnet im Wochenmagazin „Der Spiegel“ Interviews geben, um sich gegen die eigenen Oberen zu rechtfertigen, wie es der inzwischen aus dem Orden ausgetretene deutsche Assistent Schoenenberger in eigener Sache und zwei deutsche FroVinziale in der Auseinandersetzung um die päpstliche Enzyklika „Humanae vitae“ getan haben. Dergleichen wäje noch vor dreißig Jahren unmöglich gewesen und ist ein Zeichen eines, vorhandenen Mangels an kirchenpolitischem Instinkt. Denn bisher galt der Grundsatz, daß der Gesetzgeber das Recht hat, Gesetze, die er erlassen hat, auch authentisch zu interpretieren. Ein Grundsatz, der sowohl im Staat wie in der Kirche allgemein anerkannt ist. Aber nun soll diese Norm ihre Gültigkeit nicht mehr besitzen. So mancher nimmt sich plötzlich das Recht heraus, ohne Befugnisse die Gesetze zu interpretieren und seine Interpretation als die einzig gültige zu kolportieren. Dieses Verfahren ist aber noch nicht dadurch gerechtfertigt, daß man es als demokratisch erklärt, wie dies heule auch manchmal im Jesuitenorden geschieht Dies sind nur einige Auswirkungen dieser Krise. Um sie zu erklären, muß man allerdings etwas tiefer gehen.

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Seit Wochen geistern über den Jesuitenorden Nachrichten durch die Öffentlichkeit, aus denen die Tatsache ersichtlich ist, daß sich auch der Jesuitenorden in einer schweren Krise befindet. Methoden, deren sich einzelne Mitglieder dieses Ordens bedienen, um die Insurgenz gegen den eigenen General und auch gegen den Papst zu rechtfertigen, erwecken ein nicht geringes Erstaunen. Ebenso die gewundenen Erklärungen mancher Jesuiten gegen den kirchlichen und jesuitischen Gehorsam, die auch einen gebildeten Katholiken kaum noch verständlich erscheinen. Unbegreiflich erscheint es auch der Öffentlichkeit, daß manche Jesuiten ausgerechnet im Wochenmagazin „Der Spiegel“ Interviews geben, um sich gegen die eigenen Oberen zu rechtfertigen, wie es der inzwischen aus dem Orden ausgetretene deutsche Assistent Schoenenberger in eigener Sache und zwei deutsche FroVinziale in der Auseinandersetzung um die päpstliche Enzyklika „Humanae vitae“ getan haben. Dergleichen wäje noch vor dreißig Jahren unmöglich gewesen und ist ein Zeichen eines, vorhandenen Mangels an kirchenpolitischem Instinkt. Denn bisher galt der Grundsatz, daß der Gesetzgeber das Recht hat, Gesetze, die er erlassen hat, auch authentisch zu interpretieren. Ein Grundsatz, der sowohl im Staat wie in der Kirche allgemein anerkannt ist. Aber nun soll diese Norm ihre Gültigkeit nicht mehr besitzen. So mancher nimmt sich plötzlich das Recht heraus, ohne Befugnisse die Gesetze zu interpretieren und seine Interpretation als die einzig gültige zu kolportieren. Dieses Verfahren ist aber noch nicht dadurch gerechtfertigt, daß man es als demokratisch erklärt, wie dies heule auch manchmal im Jesuitenorden geschieht Dies sind nur einige Auswirkungen dieser Krise. Um sie zu erklären, muß man allerdings etwas tiefer gehen.

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Der Jesuitenorden — das müssen auch seine größten Gegner zugeben — ist eine der impanierendsten Erscheinungen innerhalb der katholischen Kirche. Gegründet 1534 durch den baskischen Edelmann Ignatius von Loyola, wurde er jener Orden, der seit dem Konzil von Trient, bis herauf in unsere Tage, einen enormen Einfluß auf die Christenheit, ja auf die Menschheit ausübte. Er hat weitgehend die sogenannte nach-tridentische Ära sowohl in der Theologie wie auch in der Frömmigkeit geprägt, ja er war der typische Orden dieser Ära. Er schuf jene Theologie, die, auf strengem, scholastischem System aufgebaut, durch Jahrhunderte führend in der Kirche gelehrt wurde. Er schuf Frömmig-keitsformen, die seit dem Konzil von Trient immer wieder von den Katholiken angewandt wurden. Er schuf völlig neue Formen des Apostolats und auch der Mission, die tatsächlich viele Erfolge hatten oder zuminde-stens hätten haben können. Wäre etwa seine Missionierung Chinas im 17. Jahrhundert gelungen, dann hätten sich unausdenkbare Chancen aus dieser Missionierung auch für unsere heutige Zeit ergeben. Oder wäre seine Missionierung Südamerikas gelungen, wo der Orden einen kommunistischen Staat schuf (den einzigen, in dem es bisher den Menschen tatsächlich gut ging), dann hätte dies nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Menschen Südamerikas unabsehbare Folgen gehabt. (Beide Missionen gingen durch Haß und Mißgunst, die teilweise aus der Kirche selbst kamen, zugrunde.) Durch sein Dasein wirkte er aber nichjt nur für die Rechte der Kirche, sondern auch für die Rechte der Menschen. Seit seiner Gründung lag der Orden im Kampf gegen Terror und Staatsallmacht. Er bekämpfte die Hexenverbrennung ebenso wie die elende Behandlung der Negersklaven in Nordamerika oder die Ausbeutung der Indianer in Südamerika. Ohne sein Eintreten für die Volkssouveränität im 16. und 17. Jahrhundert und ohne seine Lehre vom gerechten Widerstand gegen' die ungerechte Obrigkeit “wäre die Geschichte der modernen Demokratie undenkbar.

Seine Tätigkeit fußte auf folgenden Grundsätzen: Alles, was ein Jesuit tut — Sünde natürlich ausgenommen —, soll er zur größeren Ehre Gottes tun. Und was er tut, soll er ganz, das heißt vollkommen tun. Er soll überzeugt sein, daß alle Wahrheit von Gott kommt und sich infolgedessen eine erkannte Wahrheit nie im Widerspruch zu Gott und Seiner Kirche befinden kann. Und er soll seine Tätigkeit ausüben in besonderer Treue gegenüber dem Papst und der Kirche, für die er bereit sein soll, jedes Opfer zu bringen, auch das Opfer des eigenen Lebens.

Durch viel Klugheit verstand es der Jesuitenorden durch all die Jahrhunderte hindurch, den vielen Versuchungen, die die Welt den Menschen (einschließlich den Ordensleuten) bietet, aus dem Weg zu gehen. Die Versuchung zur Eitelkeit wurde abgebogen, indem der Orden seinen Mitgliedern verbot, irgendwelche Ehren oder Würden anzunehmen. Ja sogar ein eigenes Ordenskleid schrieb er seinen Mitgliedem nicht vor, sondern bestimmte nur, daß die Jesuiten jeweils gekleidet gehen sollten wie die Weltgeistlichen. Die Versuchung zur Macht wurde abgebogen, indem der Orden seinen Mitgliedern verbot, innerhalb der Kirche oder gar der Welt Ämter anzunehmen, die eine Macht ausstrahlten. Und innerhalb des eigenen Ordens paralisierte er die Versuchung zur Macht dadurch, daß alle Ordensämter mit Ausnahme des Ordensgenerals nur für einige Jahre innegehabt werden dürfen. Die Versuchung des Besitzes wurde umgangen, indem der Orden seinen Häusern — mit Ausnahme der Studienhäuser — verbot, irgendwelchen Besitz zu erwerben. Die Ordenniederlassungen sollten von der Arbeit der Ordensmitglieder und von den Spenden der Gläubigen leben. Die Versuchung des Schlendrians wußte der Orden zu umgehen, indem er allen seinen Mitgliedern vorschrieb, keine mittelmäßige Arbeit zu leisten. Die Versuchung zu dieser Mittelmäßigkeit wurde schon dadurch umgangen, daß der Orden Jahrhunderte vor unserer Zeit allen seinen Mitgliedern ein so langes Studium vorschrieb, daß sie kaum vor dem 30. Lebensjahr die Weihe erhalten konnten.

Seit seinem Bestand wurde er immer wieder verfolgt. Es gibt kaum ein Land der Welt, in dessen Gefängnissen nicht Jesuiten saßen oder das den Orden nicht einmal aufhob und seine Mitglieder verjagte. Da der Orden es verstand, seine Mitglieder vor so vielen Versuchungen der Welt au bewahren, hatte er für eben diese Welt nur zu oft etwas Unheimliches an sich, und viele vermuteten in ihm Geheimnisse, die er nicht besaß. Viele seiner Gegner machten ihn zu einem Popanz des Schreckens, den zu verfolgen Pflicht eines jeden aufgeklärten Menschen sei.

Noch bis vor kurzem war der Orden der an Mitgliedern größte der katholischen Kirche. Noch bis zu Pius XII. galt der Orden als das unerschütterliche Bollwerk der Kirche und ihre beste Stütze. Und nun überfiel auch dieses scheinbar so unerschütterliche Bollwerk über Nacht eine Krise, die es zutiefst zu erschüttern droht, ja an seiner Existenz zu rütteln scheint. Wie konnte es so weit und so plötzlich kommen?

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ging die nachtridentinische Ära zu Ende. (Viele Menschen sagen auch, es sei, ebenfalls endgültig, daa konstantinische Zeitalter der Kirche zu Ende gegangen.) Neue Formen der Theologie und neue Formen der Frömmigkeit wuchsen innerhalb der Kirche auf. An Stelle der scholastischen Theologie wird vielfach eine reine Bibeltheologie gefordert, die teilweise in scharfer Antithese zur bisher üblichen Theologie steht. Viele Formen der Frömmigkeit, die bisher galten, wurden über Nacht über Bord geworfen oder in den Hintergrund geschoben, wie zum Beispiel die marianische Frömmigkeit einschließlich des Rosenkranzes, die Prozessionen, die Bußandachten usw. Diese Formen wurden in den Hintergrund geschoben, Ohne daß neue endgültige Formen an ihre Stelle traten. Ebenso wurden alte Wege der Mission und des Apostolats verlassen, ohne daß endgültige neue Wege gefunden worden wären.

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