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Aufstieg der Jesuiten

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Es ist wahrhaft erstaunlich, wieviel Welt-, Kirchen- und Ordensgeschichte sich in den engen Raum von 23 Jahren zusammengeballt hat. Und was noch mehr ist: Der Jesuit James B r o d r i c k, der schon in seiner Entstehungsgeschidite der Jesuiten und in seinem tausend Seiten starken Werk über Petrus Canisius sich als Historiker bewährt hat, der die Quellen bis auf den letzten Punkt zu befragen wagt, hatte in diesem Zeitraum von 1556 bis 1579, der erfüllt ist von den verhängnisvollsten Krisen und gewaltigsten Veränderungen, viel größere Schwierigkeiten zu bewältigen *). Und er hat sie gemeistert. In unbekümmerter Liebe zur Wahrheit redet er ganz offen von den inneren Zwistigkeiten der Jesuiten. „Es liegt eine tragische Schönheit in der vollen Wahrheit, die kein noch so reich ausschmückendes Ausweichen jemals ersetzen oder verbergen kann.“ So läßt er Könige und Kaiser, Heilige und Sünder und Jesuiten beider Art über die Bühne gehen. Und was man so selten in deutschen wissenschaftlichen Büchern trifft, er hat den überlegenen Humor des nüchternen Engländers. „In diesem Buch wird der Leser manchmal in Yamaguchi schlafen gehen und in Pernambuco erwachen. Das konnte nicht anders gemacht werden, weil die Jesuiten jener Zeit so eingefleischte Wanderer waren.“ Ungemein wohltuend ist die gerecht abwägende Art, die ruhig zugibt, daß, abgesehen von China und Japan, die Franziskaner, Dominikaner und Augustiner den Jesuiten in den Heidenmissionen voraus waren und die Kapuziner als Träger der Gegenreformation ihnen nur im Er-tiehungsweSen nachstanden.

Beim Tode des heiligen Ignatius waren fast 2000 seiner Jünger über die ganze Erde — von Japan an bis Brasilien — verstreut. Aber bevor die Jesuiten am Aufstieg der katholischen Bewegung entscheidend arbeiten und in der Gesundung der Kirche eine geradezu aufregende Rolle spielen sollten, mußten sie eine erste Krise bestehen. Paul III. hatte zwar 1540 die bahnbrechenden Konstitutionen der Gesellschaft Jesu bestätigt, aber Paul IV., der gegen ^Spanien aufgebracht war, wünschte 1558 von General Laynez, daß die Jesuiten den „Chor“ annehmen und ihren General nur auf drei Jahre wählen sollten. Dies hätte ihre Art, der Kirche zu dienen, wesentlich gehindert. Der Papst bereute auf dem Sterbebett alles, was er in seinem, wie er meinte, seit Petrus Oftglücklichstem Pontifikat getan habe und gab Laynez eine große Summe für das rasch aufblühende römiche Kolleg.

Gefährlicher hätte jenes Gewitter werden fcönnen, das Bobadilla, einer der ersten Gefährten des heiligen Ignatius, heraufbeschwor. 'Er hielt sich für das Muster eines Jesuiten, ■nd war erbittert, daß seine Mitbrüder nicht auch dieser Überzeugung waren- Er hemmte die Abfassung der Konstitutionen

• The progress of the Jesuits (Longmans, London 1946), 331 Seiten.

und arbeitete gegen P. Laynez, Nadal und Polanco, weil die Leitung des Ordens nach seiner Meinung in den Händen der „Gründerpatres“ liegen sollte. Aber der Orden, der wie kein anderer angefeindet wurde, überwand aus der Zielsicherheit und Kraft seiner großen Führer solche Krisen. Sie führten immer wieder neue Stufen in der kirchlidien Entwicklung herauf.

Da ist vor allem Fra~nz Borg las, der Urenkel des Papstes Alexander VI. und König Ferdinand des Katholischen. Er trägt das Antlitz eines Herrschers und Heiligen. Er hatte einst Banditen durch das Gebirge gejagt und sie dann aufgehängt. Die glühende Beredsamkeit des P. Araoz, eines Neffen des heiligen Ignatius, hatte ihn zu den Jesuiten geführt. Doch verübelte ihm P. Araoz später, daß er spanische Gelder nach Rom sandte und daß er in sieben Jahren 20 Gründungen in Spanien machte. Von seiner Hochgemutheit zeugt es, daß er sich freute, als er nach seiner Wahl zum General, 1565, gerade diesen Kritiker Araoz als Assistenten bekommen sollte. Und nun ging er an die innere Festigung der Gesellschaft, nachdem er bisher für ihre Ausbreitung fast Übermenschliches geleistet hatte. Er verbreitete ihre Regel, ließ eigene Noviziatshäuser errichten und eröffnete mit dem Bau der Kirche von II Gesu die große Zeit der Barodtarchitektur. Die ungeheure Dynamik seiner Natur wußte er wunderbar zu beherrschen, so daß er zu den Heiligen mit dem lächelnden, liebenswerten Antlitz gehört, die gegen sich streng sind, aber in einem Spaß keine Todsünde sehen. Er, der mutig gegen die Inquisition aufgetreten war und die armen Opfer offen bedauert hatte, bewahrte bis zum letzten seine geistige Adeligkeit und menschliche Rücksichtnahme auf andere.

Dann kam der „hundertjährige Krieg der Jesuiten gegen die Universität Paris“. Einst der Ruhm der ganzen Christenheit, war sie zu einem „schlechte Logik hackenden Institut geworden“. Dennoch hatte Ignatius sie den blühenden spanischen Universitäten vorgezogen, weil hier wenigstens nach einem geordneten System und für kleinere Gruppen unterrichtet wurde. Die jungen, hochzielenden Jesuiten „fühlten sich befähigt, dem wohlgestalteten Skelett aus eigenen Quellen Fleisch und Blut zu geben.“

Als der Krieg von 1542 in Frankreich ausbrach, mußten die spanischen und flämischen Jesuiten nach Belgien flüchten. Sic schufen unter großen Schwierigkeiten die belgische Provinz und den Grund zu jener einzigartigen Gesellschaft der B o 11 a n-d i s t e n, die durch 300 Jahre das riesenhafte Werk der Acta Sanctorum durchgeführt hat. Sollten die Jesuiten nach der Absicht ihres Gründers wandernde Missionäre sein, so mußten sie bald im Bedürfnis der Zeit die Stimme Gottes hören und Professoren an den Universitäten und Kollegien werden. Schon der heilige Franz Xaver erbat sich für Goa einen Professor, der Herzog von Bayern für die Universität Ingolstadt den. P- Salmeron und Petrus Canisius als Lehrer, der Herzog von Gandia aber wollte eine Hochschule unter der Führung der Jesuiten. Der Bischof Du Praf übergab ihnen das Hotel de Clermont in Paris, das riach langen Kämpfen mit der Sorbonne 1562 alle Universitätsrechte bekam und schließlich das berühmteste katholische Kolleg der Welt wurde, aus dem Männer wie Franz von Sales, Kardinal Berulle, Descartes, Corneille, Moliere hervorgingen. Schon 1556 war das Kolleg von Billom in der Auvergne eröffnet worden, die erste Jesuitenschule im modernen Sinn, die in wenigen Jahren 1600 Schüler zählte. Es ist die Zeit des raschen Aufstiegs. 1559 gab es allein in Rom 190 Jesuiten, nach einem Jahr schon gegen 300. Jeder konnte in zwei Sprachen predigen und verstand vier oder fünf andere.

P. Laynez, der ein großer Gelehrter war, aber fast vor der Welt verschwinden wollte und, wie Brodrik launig sagt, im Himmel Schritte unternahm, um seine Seligsprechung zu verhindern, wurde, obwohl er von allen Jesuiten die schlechteste Schrift hatte, doch als Konzilstheologe nach Trient gesandt, wo er durch seine sachlichen und eindrucksvollen Reden eine entscheidende Rolle spielte. Er faßte seine „Dis-putationes Tridentinae“ in einem Buch von 680' Seiten zusammen und schrieb von Trient aus allein 2379 Briefe an Jesuiten der ganzen Welt. P. Laynez hat sich mit 53 Jahren aufgerieben. Er hatte ganz Italien durchpredigt, hatte für 1000 Jesuiten zu sorgen, das beschwerliche Amt des Generals zu führen, sein glühendes Temperament zu zähmen. Neben Petrus Canisius genoß Laynez selbst von solchen, die sonst Jesuiten nicht ausstehen konnten, große Verehrung.

Ausgezeichnet hat Brodrick den Vizegeneral des Ordens, P. Hieronymus Nadal, „als wandernde Vorsehung der Jesuiten“ gezeichnet. Kein Jesuit war so vertraut mit den Wegen, die von und nach Rom führen. Seine Tätigkeit in Spanien und Portugal war so über alles Maß anstrengend, daß selbst ein Mann vom Eifer Polancos ihn bat, er möge sich nicht töten.

Aus Spanien vertrieben, eilte Nadal nach Paris. Auf dieser Reise erwuchsen Unter seinem Wirken nicht nur Kollegien und Residenzen, sorndsrn eine ganze Provinz. Dann tat er dasselbe für die belgischen und deutschen Jesuiten, was er für die in Spanien und Portugal getan hatte. In Antwerpen traf er mit Petrus Canisius zusam-» men und ging mit ihm auf die Bücherjagd für das Konzil in Trient.

P. Canisius wurde das Faktotum des Konzils. Durch 15 Jahre beanspruchte es seine Kraft. Nachdem er in Messina die erste Jesuitenschule mitbegründet hatte, begann er seine anfangs aussichtslose Arbeit in Ingolstadt. Franz Xaver fischte in Japan mit dem Netz, Canisius konnte nur mit unsäglicher Geduld sein Herz an die Angel hängen, um Menschen zu fischen. Aber es gelang ihm, hier eines der größten Jesuitenkollegien zu gründen, das den Aufstieg der katholischen Bewegung wesentlich beeinflussen sollte. Er hat sich zum „großen Lasttier der Gegenreformation“ gemacht. Dann kam er nach Wien, wo jener berühmte Katechismus entstand, der den Schriften Luthers die Waage hielt. In

Wien war seit 20 Jahren kein Priester geweiht worden, 254 Pfarren waren ohne Messe. Petrus Canisius entfaltet nun eine unerhörte Missionstätigkeit, gründet die beste katholisdie Schule für Knaben im Habsburgerreich, unterhandelt mit den Fürsten, tim Jesuitenkollegien in /Holland, Böhmen, Tirol, *Preußen und Ungarn zu errichten. Er wurde der eigentlidie Bisdiof der Diözese ohne Mitra und Einkünfte. In seiner Glut des apostolischen Eifers quälte er alle guten Leute, für die Rückkehr Deutschlands und Englands zur Kirche zu beten. 20.000 Meilen legte dieser „Kurier der Kirche“ in Deutsdiland, Böhmen, Österreich, Italien und der Sdiweiz zurück. In Prag gründete er ein Kolleg, das für die Wiedergewinnung Böhmens bedeutungsvoll wurde. Er wurde Provinzial der oberdeutschen Provinz, theologischer Berater Ferdinands auf dem Reidistag von Regensburg 1557, trat in Worms Melanchthon gegenüber. In Augsburg steht nicht die Statue Melanchthons, sondern die des heiligen Canisius, denn er hat Augsburg der Kirche zurückgewonnen. „Je trauriger, ja verzweifelter die Dinge nach der Meinung der Welt sind, desto mehr ist es unsere Aufgabe, den aufgegebenen Hoffnungen zu Hilfe zu kommen, denn wir gehören zur Gesellschaft Jesu“, schrieb er an P. Laynez.

Brodrick schildert Erfolg und Mißerfolge der Jesuitenmissionen. Der Versuch, Abessinien der Kirche zu gewinnen, scheiterte, aber es war ein heldenhafter, ergreifender Mißerfolg, groß war dagegen der Erfolg in Brasilien, Mexiko und Japan. Unter dem General Mercurian (nach 1570) leiteten 3905 Jesuiten 210 Kollegien und Missionen.

Ziehen wir die Summe: Worin besteht das Geheimnis dieses ungeheuren Erfolges, der raschen Aus-breitungr der Gesellschaft Jesu im ersten Menschenalter nach dem Tode des . Stifters? Es liegt einmal in dem geradezu herausfordernden Vertrauen der Jesuiten in ihre Sendung an die Zeit der Gegenreformation, dann in dem beispiellosen Kräfteeinsatz bis zum letzten. Die Menschen dieser aufgewühlten, im Glauben verwirrten oder irre gewordenen Epoche, zu 90 Prozent von der alten Kirche getrennt, hatten das Bedürfnis nadi Klarheit. Die Sicherheit der Jesuiten war hier eine überwältigende Hilfe. Die wenigen katholischen Universitäten hatten kaum mehr Hörer oder waren ganz verödet. .Nach zwanzig Jahren hatten die Jesuiten hier einen völligen Wandel geschaffen, die überlegene italienische Schule gewonnen und die vornehmere Bildung in ihren Händen. Die Katholiken waren erwacht, geeint, in zielsicherer Führung geschlossen. Und nicht zum geringsten Teil ist der große Aufstieg bedingt durch Heilige, die noch den Stifter kannten und ganz von seinem Geist erfüllt waren, wie Franz Xaver und Franz Borgia, Faber und Petrus Canisius. Und je mehr der Orden bekämpft und von allen Seiten angegriffen wurde, desto mehr, wuchs er an innerer Kraft und Meisterung neuer Aufgaben.

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