Fachwissen - und ein Blick für soziale Nöte

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Vor 400 Jahren, am 8. Jänner 1599, trat die erste Studienordnung des Jesuitenordens, die Ratio studiorum, in Kraft. In den letzten 15 Jahren wurden für eine zeitgemäße Bildungsarbeit im Geist des Ignatius von Loyola neue Grundlagen geschaffen.

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Vor 400 Jahren, am 8. Jänner 1599, trat die erste Studienordnung des Jesuitenordens, die Ratio studiorum, in Kraft. In den letzten 15 Jahren wurden für eine zeitgemäße Bildungsarbeit im Geist des Ignatius von Loyola neue Grundlagen geschaffen.

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Es war ein Anstoß von außen, der die Arbeit der Jesuiten im Erziehungsbereich initiierte. Das erste Kolleg wurde 1548 in Messina (Sizilien) auf Bitten des Vizekönigs Juan de Vega gegründet. Erst die positiven Erfahrungen in dieser Stadt führten den Orden dahin, den Bildungsbereich als Möglichkeit zu sehen, "den Seelen zu helfen". Im Todesjahr des Ignatius 1556 gab es 35 Kollegien, Ende des 18. Jahrhunderts waren es mehr als 800: das größte pädagogische Netzwerk der damaligen Zeit. Über die Kollegien prägten die Jesuiten die Kultur des katholischen Europas. Besondere Bedeutung für den deutschen Sprachraum hatten die Kollegien in Wien, Graz und Innsbruck, in München, Ingolstadt und Dillingen, in Köln, Mainz und Trier.

Schule, gratis Die Studienordnung der Jesuiten übernahm die humanistische Bildungsvorstellung: Die Kenntnis guter Literatur führt zu einem tugendhaften Leben. Der Schwerpunkt lag auf der Kenntnis antiker Autoren. Die Schüler sollten fähig werden, in klassischem Latein zu reden und zu schreiben. Die übrigen Fächer spielten demgegenüber eine untergeordnete Rolle. So umfaßte das Gymnasium drei Jahre "Grammatik", ein Jahr "Humaniora" (Dichtung und Geschichte) und ein Jahr "Rhetorik" (klassische Redekunst). Nach Ablegung einer Prüfung stieg man in die nächsthöhere Stufe auf. Geführt wurden die Schulen in Form von Klassen mit jeweils einem eigenen Lehrer. Heute eine Selbstverständlichkeit, war dieses Modell damals in vielen Teilen Europas innovativ.

Der Tagesablauf war streng geregelt. Im Münchener Kolleg etwa wurden die Schüler um fünf Uhr morgens geweckt. Auf das Morgengebet folgten zwei Stunden Selbststudium, die Messe und dann zwei Stunden Schule. Mittagessen gab es um zehn Uhr, danach eine Erholungspause. Von zwölf bis ein Uhr wurde studiert; gefolgt von zwei Stunden Unterricht und einer halbstündigen Pause. Darauf wiederum Studium, um sechs Uhr Abendessen und Erholung bis acht Uhr. Nach nochmaliger Studienzeit schloß der Tag mit dem Abendgebet, Nachtruhe war kurz vor neun Uhr.

Im Vordergrund stand die persönliche Aneignung des Stoffes durch die Schüler. Disputationen und Theateraufführungen dienten ebenfalls der Übung der gelernten Fähigkeiten. Lope de Vega, Calderon und Moliere haben ihre erste Theaterausbildung auf diese Weise an Jesuitenkollegien erhalten.

Verbunden war das Schulleben mit einem dichten religiösen Programm - neben dem täglichen Meßbesuch und dem morgendlichen Schulgebet gab es wöchentlichen Unterricht in "Christlicher Lehre", an Sonn- und Feiertagen eine Predigt sowie die Verpflichtung zur monatlichen Beichte. Zur Unterstützung des religiösen Lebens wurden ab 1563 besondere Studentengruppen, die Marianischen Kongregationen, für den "Fortschritt in Frömmigkeit und Wissenschaft" eingeführt.

Das römische Kolleg wurde 1551 mit der Tafel eröffnet: "Schule für Grammatik, Humanistik und Christliche Lehre, gratis". Eine Besonderheit des jesuitischen Schulwesens war der kostenlose Unterricht, den auch Schüler ärmerer Familien besuchen konnten. Aus diesem Grund schickten selbst evangelische Eltern ihre Kinder in vielen Gegenden zum Unterricht bei den Jesuiten. Finanziert wurden die Kollegien durch Stiftungen von Königen, Fürsten oder Städten.

Der Historiker John O'Malley schreibt: Die Jesuiten schufen "in ihrem Erziehungskonzept nur relativ wenige Komponenten selbst, sondern fügten Bekanntes in einer vor ihnen noch nicht gekannten Weise und Ordnung neu zusammen. Es war die Kombination, nicht eine einzelne Komponente, die das Erziehungsangebot der Jesuitenschulen von anderen Angeboten unterschied."

Ein weltweites Projekt 400 Jahre nach der Verabschiedung der Ratio studiorum hat sich vieles verändert. Die katholische Kirche ist wirklich Weltkirche geworden, ihre Theologie hat sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil den Herausforderungen der Moderne zu stellen begonnen. Erziehung und Unterricht haben sich in vielen Punkten gewandelt (Stichworte dazu: 68er Revolution, Koedukation, Umgang mit Autorität ...). Die Gesellschaft Jesu hat ihre Sendung in der heutigen Zeit auf die Kurzformel gebracht: "Dienst am Glauben und Einsatz für die Gerechtigkeit".

Bildungsarbeit des Jesuitenordens heute, das heißt in Zahlen: mehr als 2.000 Erziehungseinrichtungen, in denen etwa 8.000 Jesuiten gemeinsam mit 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weltweit über 1,5 Millionen Jugendliche und Erwachsene unterrichten. Angesichts der Veränderungen und Umbrüche unserer Tage wurde die Frage immer drängender: Was verbindet die Schulen und Universitäten in Europa und in Afrika, in Asien und in Amerika, was verbindet die Jesuiten und die weitaus größere Gruppe der Lehrkräfte, die nicht Mitglieder des Ordens sind? Eine Antwort darauf wurde mit zwei Dokumenten gegeben, den "Grundzügen jesuitischer Erziehung" (1986) und der "Ignatianischen Pädagogik" (1993), erarbeitet von einer Internationalen Kommission. Auf der Basis der Geistlichen Übungen, der Exerzitien, formulieren sie eine Pädagogik für Glaube und Gerechtigkeit, die nicht nur Schulen, sondern auch Universitäten, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung betrifft. Basis ist die Inspiration durch die Weltsicht des Ignatius, nicht die Zugehörigkeit zur Gesellschaft Jesu. Zwei Konsequenzen ergeben sich daraus unmittelbar: Zum einen der Name "Ignatianische Pädagogik"; zum anderen die Möglichkeit für Frauen und Männer, Bildungseinrichtungen der Jesuiten zu leiten, auch wenn sie nicht dem Orden angehören. Kennzeichen der Ignatianischen Pädagogik sind die Weise des Vorangehens und das Bildungsziel.

Um die grundlegende Methode zu beschreiben, verwendet der Jesuit Rudolf Kutschera das Bild von der "ignatianischen Schraube": Eine Schraube setzt an einem bestimmten Punkt an und bohrt sich dann spiralförmig immer tiefer, bis sie endgültig sitzt und zwei Teile fest miteinander verbunden hat.

Im konkreten Kontext Ebenso setzt die Ignatianische Pädagogik an einem bestimmten Punkt an, nämlich dem konkreten Kontext des Lernzusammenhangs (etwa dem Vorwissen zum Thema oder den gesellschaftlichen Einstellungen). Dann werden Erfahrungen ermöglicht (in der Auseinandersetzung mit neuen Inhalten, in der Vermittlung von Zusammenhängen usw.), welche ausdrücklich reflektiert werden. Das führt wiederum zum Handeln, das seinerseits ausgewertet wird. Dieses methodische Grundgerüst ist ein offenes System, das die verschiedensten Methoden und Inhalte in sich aufzunehmen vermag und sich von daher als vielfältig anwendbar erweist - solange das Ziel konsequent verfolgt wird.

Das Ziel ignatianischer Pädagogik aber kann in dem Satz zusammengefaßt werden: Es geht um die Bildung von Personen mit Wissen, Gewissen und Gespür. Die Schülerinnen und Schüler, die Studentinnen und Studenten lernen Sach- und Fachkompetenz in Verbindung mit der Entwicklung eines persönlichen Standpunkts und einem Blick für soziale Nöte. In den Worten des Generaloberen Peter-Hans Kolvenbach SJ: "Letzter Zweck und wahrer Grund für die Existenz unserer Schulen ist die Bildung von Männern und Frauen für andere in der Nachfolge Jesu Christi, des Sohnes Gottes, des Menschen für andere par excellence. So ist jesuitische Erziehung in Treue zu dem Prinzip der Menschwerdung humanistisch."

Der Autor ist Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift "entschluss" sowie Koordinator in Österreich für das "Jahr der Ignatianischen Pädagogik - 400 Jahre Ratio studiorum".

Abendreihe "Ignatianische Pädagogik" Einführung in die Prinzipien und Fragestellungen dieses Erziehungsmodells Leitung: Rudolf Kutschera SJ 18. Februar, 18. März, 15. April, 20. Mai, 17. Juni, jeweils 19.30 Uhr Ort: Kardinal-König-Haus, 1130 Wien, Lainzer Straße 138 Informationen: Tel. 01/8047593 Tip WISSEN - GEWISSEN - GESPÜR. Dokumente zur Ignatianischen Pädagogik.

Hg. von Thomas Neulinger. Druck- und Verlagshaus Thaur, Thaur 1999. 174 Seiten, brosch., öS 198,

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