6701329-1963_31_08.jpg
Digital In Arbeit

Orden auf der Insel

Werbung
Werbung
Werbung

Im ökumenischen Zeitalter haben wir eine geistige Revolution erlebt. Zum erstenmal seit der Reformation, zumindest auf persönlicher Basis, hat eine Annäherung zwischen der katholischen und den anglikanischen Kirchen stattgefunden. Hinter den hohen Mitgliedern der Hierarchie, die — wie der Erzbischof von Canterbury, als er Papst Johannes XXIII. besuchte — zu so vielen Schlagzeilen in der Weltpresse den Anlaß gaben, stehen Tausende von Männern und Frauen, von denen wir wenig oder nichts wissen. Seit über hundert Jahren leben sie, teils in der Welt, teils in strenger Klausur, im ökumenischen Geist: es sind die Mitglieder der anglikanischen Orden. Auch von ihrer eigenen Kirchengemeinschaft zum Teil immer noch verkannt oder gleichgültig verschwiegen, haben sie längst eine überragende Bedeutung gewonnen. Nicht nur in den Missionen, auch in den Heimatländern Großbritannien und Nordamerika sind sie die Kraftquelle, von der die geistliche Potenz der anglikanischen Kirche ausgeht. Wie sind diese Orden entstanden? Was machen sie? Sind sie den alten historischen Orden ähnlich oder haben sie neuzeitliche Regeln entworfen?

Die geschichtlichen Zusammenhänge

Dreihundert Jahre lang gab es kein monastisches Leben in England. Trotzdem war das Verlangen darnach — allerdings fast völlig auf die gesellschaftliche Oberschicht beschränkt — nie ganz ausgestorben. Immer wieder bildeten sich kleine Gruppen von Menschen, die, in ihren Privathäusern versammelt, zu festgelegten Tageszeiten beteten. Schon im 17. Jahrhundert wurden etliche Versuche gemacht, Gemeinschaften für Frauen zu gründen, die, obwohl sie mehr den Zweck der katholischen Damenstifte erfüllt hätten, sich die lutheranischen Diakonissenhäuser zum Vorbild nahmen. Diese Pläne scheiterten infolge der Ablehnung durch die kirchliche Obrigkeit ausnahmslos. Eine gemischte Gemeinschaft hatte indes mehr Erfolg: sie hieß Little Gidding, und sollte dem Dichter T. S. Eliot die Inspiration für eines seiner „Vier Quartette“ liefern. Obwohl von einer monastischen Ordensgemeinschaft nicht die Rede war, führte der Großgrundbesitzer Nicholas F e r rar (1592—1637) zwanzig Jahre hindurch samt seinen Kindern, Verwandten und seiner Anhängerschaft ein strenges, selbständiges religiöses Gemeinschaftsleben. Der ganze Psalter wurde täglich vorgelesen. Einige Mitglieder trafen stündlich zum Gebet zusammen, und eine lückenlose Nachtwache wurde abgehalten. Ihr Leben bestand ausschließlich aus Gebet, Arbeit und guten Werken.

Nicht nur als Inspiration...

Doch der Geist von Little Gidding M Mkns,fctn,;jm dajalige;n,i:ngt land eine Inspiration, andere wurden durch die unerbittliche Disziplin, durch das Fasten und Beten, abgestoßen. König Charles I. war ein tiefer Bewunderer dieser seltenen, wenn nicht sogar einmaligen Gemeinschaft, die 1646 ein jähes Ende fand: die parlamentarischen Truppen plünderten und zerstörten das Haus, und Little Gidding blieb ein Einzelfall, ohne Vorgänger und ohne Nachfolger.

Wie andere „Liturgisten“ erblickte Nicholas F e r r a r in der englischen Reformation des vorigen Jahrhunderts eine Möglichkeit, das Laientum am offiziellen Gebet der Kirche teilnehmen zu lassen. Das heißt: ungeachtet der verschiedenen Variationen des römischen Breviers, die damals in England eine gewisse Vorbereitung fanden, war schon das Book of Common P r a y e r weniger dem Meßbuch als dem Brevier nachgestaltet. Wer einem religiösen Orden beitreten wollte, mußte jedoch ins Exil wandern und zur „alten Religion“ zurückkehren, und es ist immerhin bemerkenswert, daß es so viele Menschen gab, die bereit waren, diesen harten Weg zu beschreiten.

Die völlige Entfremdung der Bevölkerung von den Orden war beim Ausklang des 18. Jahrhunderts vorbei. Der Ausbruch der Französischen Revolution brachte eine Flut von katholischen Flüchtlingen ins Land, und langsam mußte man sich auch an den Anblick religiöser Trachten gewöhnen. Bis 1794 waren die meisten Mitglieder der englischen Exilklöster in die Heimat zurückgekehrt. Trappisten hatten sich in Dorset eingefunden, und König Georg III. besuchte sie dort. Von den Frauenorden waren auf einmal Benediktinerinnen da, auch Karmeliterinnen, Dominikanerinnen und Schwestern des heiligen Grabes. Eine Welle des Mitleids und der Begeisterung kam den Flüchtlingen entgegen, allerdings war ihr Einfluß, so tiefgehend und bedeutungsvoll er für die Katholiken Englands sein mochte, in seiner Auswirkung auf die anglikanische Kirche geringfügig.

Die romantische Welle

Zwei Umstände führten zur Gründung der ersten Ordensgruppen: die sozialen Folgen der industriellen Revolution, und die Gegenströmungen unter den Intellektuellen. Die zweite Richtung führte iu eine Sackgasse. Über die hauptsächlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder aufflackernden Versuche, kleine religiöse Gemeinschaften zu bilden, präzis zu berichten, ist nicht leicht. Die geistigen Fäden, die parallel zueinander liefen oder schichtenweise übereinan-dergriffen, sind vielfältig, wertmäßig extrem unterschiedlich; wer wagt es vor allem, immer zwischen „echtem“ religiösem Idealismus und vielleicht unbewußtem Theaterspielen zu unterscheiden? Schon das 18. Jahrhundert hatte einiges an Geheimbündelei oft übelster Sorte gesehen. Die englische Romantik brachte nicht nur Dichtung ersten Ranges, sie wurde von einer Faszination für alles Mysteriöse, die bald breite Kreise der Gesellschaft in ihren Bann schlug, begleitet. Es war die Ära der „Gothic revival“ in der Architektur, aber auch des „gotischen Romans“, dessen Zutaten ungefähr folgendermaßen aussahen: Falsche Romantik mittelalterlicher Prägung; wilde Auswüchse der Phantasie; Nekromanie, Grusel, Ruinen (Kirchen, Schloßkapellen, Abteien), Nonnen, abtrünnige Priester, Weihrauch. Gruselromane und -filme verfolgen uns noch heute. Damals übten die äußeren Merkmale katholischen Brauchtums, gesteigert durch Ignoranz und durch Unkenntnis der inneren Werte, auf überhitzte Gemüter eine unheilsame Wirkung aus, die längere Zeit hindurch trotz Spott und Gegenreaktion anhalten sollte. Letztlich bot die anglikanische Kirche vor 1845 nichts, was die romantisch veranlagten und farbenhungrigen Menschen anziehen konnte. Kahl, sachlich, intellektuell, nur in den Universitäten noch fruchtbar, ließ sie allzuviel seelischen luftleeren Raum um sich zu, als für nach mystischer Nahrung durstenden Menschen gut war.

Die Wende kam mit Kardinal Newman

Mit dem Erscheinen von Newmans Tracts for the Times, mit der folgenschweren Auseinandersetzung zwischen ihm und seinen Freunden und Widersachern, war der Wendepunkt da: es war eine Zeit der religiösen Erneuerung. Auf Kosten schmerzhafter innerer Konflikte wurden die Grenzpfeiler des anglikanischen Glaubens unendlich viel weiter gesteckt. Alles geriet in Bewegung; die ganze Struktur des Glaubens wurde mit einer Leidenschaft durchkämpft, die nur mit der Debatte um die Darwinsche Evolutionstheorie ihresgleichen erleben sollte. Aber auch der katholische Flügel, eine Kirche innerhalb einer Kirche, war über die Notwendigkeit und die Ziele religiöser Orden keineswegs einig. Männern, die in kontemplativer Abgeschlossenheit leben wollten, standen fast unüber-windbare Schwierigkeiten im Weg.

England ist Exzentrikern gegenüber immer tolerant gewesen; mehr noch, man rühmt sich ihrer. Der Anblick von Mönchstrachten aber, deren Trägern man nachsagte, daß sie papistischen Bräuchen frönten, rief in allen Schichten der Bevölkerung leidenschaftlichen, stellenweise sogar hysterischen Widerstand wach.

Die Lage dieser Avantgarde entbehrte nicht einer wahren Tragik. Sofern sie sich nicht lediglich von der Verlockung äußerlicher Aspekte der religiösen Praxis angezogen fühlte, sondern einer tiefen Berufung zu .er-, hören glaubte, wußte sie nicht, wie man eigentlich vorgehen müßte.

Das Versagen war unvermeidlich

Viele suchten katholische Ordenshäuser auf, erkundigten sich über Disziplin und Liturgie, und mußten feststellen, daß sie den Wagen vor das Roß gesetzt hatten. Innerhalb der kirchlichen Hierarchie fanden sie wenig Sympathie und überhaupt keine Führung. Die fehlende kanonische Disziplin und die Abhängigkeit von der geistigen Führung, um nicht zu sagen von den Launen, eines jeweils einzelnen Superiors, machte das Versagen unvermeidlich. Eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten, die die Jahrhundertwende schmückten, war Aelred C a r -1 y 1 e. Seit seinen frühesten Jahren Visionär und Exzentriker, kam ihm während seiner Ausbildung als Mediziner der Entschluß, eine anglikanische benediktinische Bruderschaft zu gründen. Mit einigen Jüngern ließ er sich auf der Insel Caldey in Wales nieder. Inmitten unwahrscheinlicher Prachtentfaltung, aber auch Geldknappheit — es gelang ihm, unzählige Menschen, darunter Lord Halifax, kraft seiner Persönlichkeit eine Zeitlang zu blenden — „wurde“ er bald Abt-General einer „anglikanischen benediktinischen Föderation“. Nicht nur die Schwierigkeiten, auch die Zweifel wuchsen. Am 25. Februar 1913 landete infolge eines dringenden telegraphischen Appells Dom Bede C a m m OSB. aus der Erdington-Abtei bei Birmingham auf der Insel. Der schlichte Benediktiner musterte die auf dem Landungssteg versammelte Gruppe und sagte: „Na also — eine malerische Bande seid ihr auf jeden Fall!“ Am 4. März versöhnten sich der katholische Bischof von Me-nevia und die Äbte von Downside und

Maredsous Aelred Carlyle und zwei Drittel der 33 Brüder mit der katholischen Kirche.

Die Hochanglikaner waren vielleicht eine geistige Elite, jedenfalls eine verhältnismäßig kleine Anzahl, die einer feindlichen und verständnislosen Bevölkerung gegenüberstanden. Schließlich wirkte auf die Allgemeinheit alles, was auch nur entfernt an „papistische Bräuche“ erinnerte, wie ein rotes Tuch.

Barmherzige Schwestern

Die Auflösung der.Klöster zur Zeit der Reformation hatte ein Vakuum auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge hinterlassen, wodurch “'diese Last auf die oberen Schichten des Landadels und des aufsteigenden Bürgertums übertragen wurde; eine Verantwortung, der diese im großen Ganzen gerecht wurden. Heute noch stehen unzählige schöne Armenhäuser in den Dörfern und Kleinstädten Englands, die aus jener Zeit stammen. Eine allgemein verbreitete Bereitwilligkeit, vor allem der Engländerinnen, es als selbstverständlich anzusehen, sich der Wohltätigkeit in irgendeiner Form freiwillig zu widmen, ist eine englische Tradition, die der Auflösung der Klöster entsprungen ist. Gegen das Auftreten sozialer Probleme bisher ungeahnten Ausmaßes, als Folge der industriellen Revolution, war private Wohltätigkeit machtlos. Aus der Umwelt der entwurzelten Fabriksarbeiter hatte sich die Staatskirche verdrängen lassen. Die großen sozialen Reformer wie Lord Shaftesbury, Elizabeth F r y, Florence N i g h t i n -g a 1 e, appellierten an das Gewissen aller Gutsituierten und legten die Fundamente einer modernen sozialen Gesetzgebung.

Ablehnung der Barmherzigen Schwestern

Wer aber sollte die karitative Arbeit in den Slums machen? Es sollten Frauen sein, die es bald ratsam fanden, in Häusern zusammen zu wohnen und ihr Leben und ihre Arbeitsweise systematisch zu organisieren. Die Aufgaben aber waren solcher Art, daß die Damen dieser ersten Schwesternschaften klösterliche Disziplin und religiöse Vertiefung unentbehrlich fanden. Ihr Verlangen, ein Gelübde abzulegen, stieß auf beharrliche Ablehnung seitens der anglikanischen Hierarchie, ebenso wie auf Widerstand unter den Laienmitgliedern der Provinzialsynode der Kirche (C o n v o c a t i o n). Die frühesten weiblichen Gemeinschaftsmitglieder, die sich Barmherzige Schwestern nannten und auf freiwilliger Basis unter den Regeln der Vinzentinerinnen oder Sale-sianerinnen lebten, mußten dreißig Jahre und mehr warten, bis sich die Bischöfe bereit fanden, ihr dreifaches Gelübde zu empfangen.

Der Wendepunkt in der Einstellung der Hierarchie kam während einer Serie von Debatten in Convocation 1889-91, indes es keinesfalls genügte, das Dasein religiöser Gemeinschaften zu bejahen oder abzulehnen; neben endlosen Auseinandersetzungen über Begriffe wie v o t u m oder jura-m e n t u m sollten die Bischöfe eine präzise kanonische Gesetzgebung für die Orden kreieren. Sie taten es nicht. Es wurde vielmehr den Bischöfen individuell überlassen, nach eigenem Gutdünken zu handeln. Erst 193 5 riefen die Erzbischöfe von Canterbury und York nach Unterredungen mit den Bischöfen und nachdem sie die Meinungen der Unterhäuser der Convo-cation gehört hatten, einen Beirat ins Leben. Ähnlich der von Pius X. 1908 gegründeten Kongregation für Ordenssachen im Vatikan ist aber die Arbeitsweise dieses Beirats einfacher und weniger zentralisiert. Eine Eingliederung von Ordenssachen im kanonischen Recht der Kirche hielt man noch 1947, als der Kodex überarbeitet wurde, für verfrüht, und es wurde dann vereinbart, dies zu unterlassen.

Ein weiterer Artikel folgt

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung